L 5 KR 99/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 139/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 99/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. März 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung in Höhe von 82.916,13 EUR inklusive Säumniszuschläge.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts, die im Baugewerbe tätig ist (Maler- und Lackierarbeiten sowie Gerüstbau). Firmeninhaber waren im strittigen Zeitraum vom 01.01.1995 bis 30.11.1998 O.B. sen. zu 30 % und seine Ehefrau C.B. zu 70 %. Die Aufgaben innerhalb der Firma wurden im Wesentlichen von den Söhnen K.B. und O.B. jun. erledigt. In der Zeit zwischen 1995 und 1997 unterhielt die Klägerin (betreut durch O.B. jun.) Geschäftskontakte mit der in Ungarn ansässigen Fa. F. (im Folgenden Fa. F. genannt), die ebenfalls in der Baubranche tätig war. Zwischen beiden Firmen wurde am 30.11.1994 ein Werkvertrag geschlossen, wonach die Fa. F. mit eigenen Arbeitskräften in eigener Regie geschlossene Bauaufträge auf Baustellen der Klägerin übernehme. Für die Einzelbaustellen würden Teilleistungsverträge mit Leistungsverzeichnissen abgeschlossen. Die Klägerin verpflichtete sich u.a., nach eigenem Ermessen Werkstatträume und Baustellen mit allen Einrichtungen für die Durchführung der Arbeiten kostenlos zur Verfügung zu stellen. Sie stelle für die Ausführung der Arbeiten das erforderliche Material und alle Einrichtungen sowie Verbrauchsstoffe kostenlos und zeitgerecht zur Verfügung. Der Vertrag laufe zunächst bis zum 31. Dezember 1996 und könne verlängert werden. Daneben existieren Teilleistungsverträge, die sich auf fünf einzelne Baustellen beziehen und neben dem Einheitspreis für die einzelnen Arbeiten die Gesamtquadratmeterzahlen und die Gesamtsumme enthalten.

Das Landesarbeitsamt Hessen erließ wegen der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer im Rahmen von Werkverträgen Zustimmungsbescheide betreffend die genannten fünf Baustellen.

Am 10. und 25. Juni 1997 führte das Arbeitsamt auf einer der Baustellen in Bad Abbach eine Prüfung durch, wobei sich Zweifel daran ergaben, dass die Arbeitnehmer der Fa. F. tatsächlich im Rahmen von Werkverträgen tätig wurden. Die Befragungen der Arbeitnehmer der Fa. F., Vorarbeiter S.N., L.S., K.H. und J.B. ergaben folgendes Bild: O.B. jun. hatte auf allen drei Baustellen das alleinige Weisungsrecht. Er wies die anfallenden Arbeiten bauabschnittsweise, manchmal auch täglich zu. Durch ihn wurde angeordnet, wenn Arbeiten vorgezogen werden sollten und in welcher Reihenfolge die Arbeiten zu erledigen waren. Er klärte auch alle Fragen der Bauausführung, denn der Vorarbeiter der ungarischen Arbeiter besaß keinen Bauplan. Er bestimmte die Einsatzorte, die nicht auf die in den Teilleistungsverträgen genannten Baustellen beschränkt waren. Der ungarische Vorarbeiter bestimmte nach Absprache mit O.B. jun. die Arbeitszeiten und gewährte den Urlaub, den er O.B. jun. mitteilte. Die Kosten für die Unterkunft der ungarischen Arbeitnehmer, das verwendete Material sowie das Werkzeug stellte die Klägerin. Daneben stellte sie den Arbeitern auch ein Firmenfahrzeug zur Verfügung. Mindestens zwei- bis dreimal wöchentlich kontrollierte O.B. jun. die Arbeitsleistung. Der ungarische Vorarbeiter erstellte Stundenaufzeichnungen, die er entweder dem Junior übergab oder nach Ungarn an die Fa. F. übermittelte. Die Bezahlung erfolgte durch den Vorarbeiter oder den Direktor der Fa. F ... Letzterer war etwa zwei- bis dreimal im Monat auf der Baustelle. Die ungarischen Arbeiter verrichteten vorwiegend Maler- bzw. Vollwärmeschutzarbeiten, während die gleichzeitig auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer der Klägerin im Wesentlichen mit dem Vollwärmeschutz beschäftigt waren. Zu gemeinsamen Arbeiten kam es nicht. Die ungarischen Arbeiter machten unterschiedliche Angaben zur Arbeitszeit und zur Höhe des Lohns (39 Stunden pro Woche - ca. 240 Stunden im Monat; Stundenlohn 10,50 DM bzw. 18,00 DM brutto). Die Angaben zur Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer (zehn) stimmt mit der Zahl der vom Landesarbeitsamt Hessen genehmigten überein.

Dass die Arbeit den ungarischen Arbeitnehmern von O.B. jun. zugewiesen wurde und diese keine eigenen Pläne besaßen, wurde auch von einem Mitarbeiter der Klägerin bestätigt. Danach erteilte der Junior täglich die Arbeitsanweisungen und kontrollierte die ausgeführten Arbeiten. Den ungarischen Chef hat der Zeuge auf der Baustelle nie gesehen. Nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen O.B. sen. durch die Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung beim Arbeitsamt Nürnberg fand am 20. Mai 1998 ein Anhörungsgespräch statt, an dem von Seiten der Klägerin O.B. jun. und sen. teilnahmen sowie ihr Bevollmächtigter Rechtsanwalt Lippl. Nach dem Aktenvermerk hierüber wollte die Klägerin in Anbetracht der beweiskräftigen Ermittlungsunterlagen die Sache zum Abschluss bringen, sofern die Sanktionen in einem vernünftigen, von der Firma tragbaren Rahmen stünden. Nach Klärung der Verantwortlichkeiten innerhalb der Fa. B. wurde festgestellt, dass das gemäß § 47 OWIG eingeleitete Verfahren gegen B. sen. einzustellen sei und auf die Einleitung eines Verfahrens gegen den anderweitig Verantwortlichen aus Ermessensgründen verzichtet werde. Bezüglich des entstandenen wirtschaftlichen Vorteils wurde unter Darlegung aller im Zusammenhang mit der Fa. F. zu berücksichtigenden Kosten ein Betrag in Höhe von 120.000,00 DM als Gewinn vor Steuern eingeräumt. Ein zunächst von der Verwaltungsbehörde ermittelter Betrag von 290.000,00 DM wurde zurückgezogen, nachdem O.B. jun. eingewandt hatte, dass ein Verrechnungspreis in Höhe von 33,00 DM, egal ob man diesen Wert pro qm oder pro Arbeitsstunde ansetze, nicht alles abdecke.

Mit Verfallbescheid vom 1. Juli 1998 ordnete die Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung beim Arbeitsamt Nürnberg daraufhin wegen eines Verstoßes nach § 16 Abs.1 Nr.1a Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in Tateinheit mit § 404 Abs.2 Nr.2 SGB III i.V.m. §§ 9, 10 AÜG gemäß §§ 29a, 87 Ordnungswidrigkeitsgesetz gegen die Klägerin den Verfall eines Geldbetrags in Höhe von 120.000,00 DM an. Bei der Beschäftigung der Arbeitnehmer der Fa. F. auf verschiedenen Baustellen der Klägerin in der Zeit vom 26.05.1995 bis 22.12. 1995, 22.04.1996 bis 22.12.1996 und 28.04.1997 bis 30.08.1997 habe es sich um illegale Arbeitnehmerüberlassung gehandelt. Die Klägerin habe den Schuldvorwurf der unerlaubten gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung dem Grunde nach während der Anhörung am 20. Mai 1998 eingeräumt.

In der Zeit vom 09. bis 10. Juni 1999 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung betreffend den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 30.11.1998 durch. Nach Anhörung der Klägerin stellte sie mit Bescheid vom 28.06.1999 eine Nachforderung in Höhe von 191.996,64 DM fest, wovon ein Betrag in Höhe von 186.406,54 DM auf den von der Beklagten als unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung eingestuften Sachverhalt entfiel. Zusätzlich machte sie Säumniszuschläge in Höhe von 20.504,00 DM geltend. Mangels Stundenaufzeichnungen ermittelte die Beklagte die Arbeitsstunden der ungarischen Leiharbeitnehmer, indem sie die Rechnungsbeträge der Fa. F. mit dem im Gespräch mit dem Arbeitsamt Nürnberg ausgehandelten Stundenverrechnungssatz von 33,00 DM teilte und mit dem Tariflohn für einen Hilfsarbeiter im Maler- und Lackiererhandwerk multiplizierte. Das so ermittelte Arbeitsentgelt erhöhte sie noch um den Durchschnittsnettolohnsteuersatz, den Durchschnittskirchensteuersatz und den Solidaritätszuschlag.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 02.07.1999 Widerspruch mit der Begründung ein, es habe keine Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen. Die Arbeiten seien im Rahmen eines Werkvertrags ausgeführt worden. Der Stundenverrechnungssatz von 33,00 DM könne keinesfalls zutreffend sein. Die Feststellungen im Verfallbescheid seien nicht heranzuziehen, denn es handele es sich insoweit lediglich um eine Einigung mit dem Arbeitsamt, die keine Außenwirkung haben sollte.

Im Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2000 verwies die Beklagte darauf, dass der rechtskräftige Verfallbescheid auch für die Träger der Sozialversicherung bindend und eine erneute Sachverhaltsprüfung nicht nötig sei.

Dagegen hat die Klägerin am 6. Juli 2000 Klage erhoben und geltend gemacht, sich aus rein prozessökonomischen und wirtschaftlichen Gründen sowie zur Vermeidung eines Bußgeldverfahrens gegen B. sen. (gegen den eine Bewährungsstrafe offen war) mit dem Verfallbescheid einverstanden erklärt zu haben. Die ladungsfähigen Anschriften der ungarischen Arbeitnehmer könnten nicht mehr ermittelt werden, insbesondere weil auch die Fa. F. nicht mehr existiere. Eigene Aufzeichnungen bezüglich der Zuordnung von Arbeitsentgelten auf einzelne Arbeitnehmer habe sie nicht. Nachdem der verantwortliche Gesellschafter, O.B. sen., im März 1999 verstorben sei, seien die Vorgänge kaum nachzuvollziehen. Die Beklagte verkenne die Bestimmungen des Werklieferungsvertags. Soweit die Arbeitnehmer auch auf Baustellen tätig gewesen seien, die nicht von den Zustimmungsbescheiden des Landesarbeitsamts Hessen umfasst gewesen seien, habe es sich um eine Ausübung des Nacherfüllungsrechtes bzw. Nachbesserungsrechtes nach werkvertraglichen Regelungen gehandelt.

Nachdem das Finanzamt Regensburg mitgeteilt hatte, dass die Fa. F. die fälligen Lohnsteuern tatsächlich bezahlt hat, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 11.03.2004 ein Teilanerkenntnis abgegeben: Sie hebe die angefochtenen Bescheide insoweit auf, als dort für die ehedem nur streitbefangenen ungarischen Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge von mehr als 70.229,91 EUR und dementsprechend Säumniszuschläge in Höhe von mehr als 9.828,05 EUR gefordert worden seien. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage am 11.03.2004 unter Bezugnahme auf die Bescheidbegründung und unter Verhängung von Mutwillenskosten in Höhe von 2.500,00 EUR abgewiesen. Es hat der Klägerin Rechtsmissbrauch vorgeworfen, da diese angesichts des Verfallgeldes glauben machen wolle, sie habe keine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung betrieben. Zweifellos seien die dem Landesarbeitsamt Hessen vorgelegten Werkverträge alles andere gewesen als Werkverträge im Sinne des BGB. Der Umstand, dass die ungarischen Arbeitnehmer darüber hinaus auf einer Vielzahl anderer Baustellen eingesetzt gewesen seien, berechtige zur Annahme, dass unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen habe.

Gegen das der Klägerin am 26.03.2004 zugestellte Urteil hat diese am 22.04.2004 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat in Ausführung des Teilanerkenntnisses am 06.04.2004 einen Ausführungsbescheid erlassen, worin die Beitragsnachforderung auf 82.916,13 EUR inklusive Säumniszuschläge in Höhe von 9.828,05 EUR festgestellt worden ist.

Der Klägerbevollmächtigte hat vorgetragen, angesichts der Genehmigung der Werkverträge durch das Landesarbeitsamt Hessen könne nicht von unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen werden. Das Sozialgericht verkenne die Grundzüge des Werkliefervertrags, wonach es durchaus üblich sei, dass Materialien zur Verfügung gestellt würden. Auch das Ausmaß von Anleitung und Überwachung sei mit den Grundsätzen des Werkvertrags vereinbar. Der Aktenvermerk des Arbeitsamts Nürnberg vom 05.03. 1998 sei inhaltlich unzutreffend, soweit der Klägerbevollmächtigte den Schuldvorwurf nicht abgestritten haben soll. Das Verfallgeld sei akzeptiert worden, um ein Bußgeldverfahren zulas-ten des Seniors zu vermeiden, der noch eine Bewährungsstrafe offen hatte. Für Aushilfstätigkeiten auf anderen Baustellen fseien die Arbeitnehmer der Fa. F. nur geringfügig in Anspruch genommen worden. Im Übrigen würden die Ermittlungsergebnisse des Arbeitsamts Nürnberg bestritten.

Die Beigeladene zu 1), die Bau-BG, hat die Behauptung von Nachbesserungsarbeiten als nicht nachvollziehbar zurückgewiesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11.03.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.04.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11.03.2004 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Regensburg, der von der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellten Beweismittelordner sowie auf die Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11.03.2004 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Ausführungsbescheid der Beklagten vom 06.04.2004, der allein Streitgegenstand ist. Zu Recht wird die Klägerin für ihren Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 70.229,93 EUR und Säumniszuschläge in Höhe von 9.828,05 EUR haftbar gemacht.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs.1 Sätze 1 und 5 SGB IV in der ab 01.04.1999 geltenden Fassung i.V. m. § 28e Abs.1, 2 und 4 SGB IV in der Fassung ab 01.01. 1996 und § 28f Abs.2 Sätze 1, 3 und 4 SGB IV in der Fassung ab 01.01.1998.

Auf die unerlaubte gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung durch einen Verleiher mit Sitz im Ausland an einen Entleiher im Inland ist deutsches Sozialversicherungsrecht anzuwenden. Es liegt kein Fall der Einstrahlung ausländischen Rechts vor (§ 5 SGB IV). Nach § 3 Nr.1 SGB IV gelten die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs beschäftigt sind. Bereits in diesem Zusammenhang gewinnt die Frage an Bedeutung, ob vorliegend tatsächlich eine unerlaubte gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung vorlag. Ist dies der Fall, gelangt deutsches Recht zur Anwendung. Denn nach Artikel 1 § 9 Nr.1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach Artikel 1 § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat. Bei einer derartigen Unwirksamkeit gilt vielmehr ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer als zustande gekommen (Artikel 1 § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG). Für das Inland greifen die Vorschriften des AÜG uneingeschränkt ein. Die Wirksamkeit der geschlossenen Verträge im Ausland wird davon nicht berührt (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988, 12 RK 21/87, BSGE 64, 145).

Zwischen der Klägerin und der Fa. F. bestand keine werkvertragliche Beziehung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 29. April 2004, B 11 AL 3/04 R, SozR 4-4215 § 9 Nr.1) beurteilt sich die Frage, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, nach der Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer andererseits (Leiharbeitsvertrag) sowie dem Fehlen arbeitsvertraglicher Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Entleiher. Hiervon ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei Dritten auf Grund eines Werk- oder Dienstvertrages zu unterscheiden, die vorliegt, wenn der Unternehmer die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen organisiert und er dem Drittunternehmer für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks verantwortlich bleibt. Im letztgenannten Fall unterliegen die Arbeitnehmer den Weisungen des Arbeitgebers, wobei ein Weisungsrecht des Dritten im Einzelfall unschädlich ist. Maßgebend für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung einerseits sowie Dienst- und Werkvertrag andererseits ist der tatsächliche Geschäftsinhalt des Vertragsverhältnisses.

Im Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer gegenüber dem Besteller zur Herstellung eines individuellen Werkes. Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung zu erzielender Erfolg sein (§ 631 Abs.2 BGB). Da der Werkvertrag durch unternehmerische Eigenverantwortlichkeit des Herstellers und der daraus folgenden Dispositionsmöglichkeit des Werkunternehmers gegenüber dem Besteller gekennzeichnet ist, kann ein Werkvertrag nur bejaht werden, wenn der Unternehmer Art und Einteilung der Arbeiten selbst bestimmt und der Dritte kein Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern des Herstellers hat (vgl. BAG DB 1977 S. 1273 und BAG, Urteil vom 15.06.1983 in NJW 1984 S.2912). Arbeitnehmerüberlassung liegt hingegen vor, wenn der Werkvertragsunternehmer gar nicht über die betrieblichen oder personellen Voraussetzungen verfügt, die Tätigkeit der von ihm eingesetzten Arbeitnehmer vor Ort zu organisieren und ihnen Weisungen zu erteilen (BAGE vom 9. November 1994 in NZA 1995, S 572 ff.).

Vorliegend ergibt sich aus der tatsächlichen Durchführung, dass die Fa. F. der Klägerin Arbeitnehmer überlassen hat. Da die tatsächliche Durchführung teilweise im Widerspruch zu den vertraglichen Vereinbarungen steht, sind letztere unbeachtlich (BAG, NJW 1984, 2912 und BB 1991, 2397).

Zwar waren die von der Klägerin und von der Fa. F. vereinbarten Leistungen grundsätzlich werkvertragsfähig. Gegenstand waren Vollwärmeschutz- und Malerarbeiten, Leistungen, die besonderes Werkzeug und besondere Fachkenntnisse erfordern. Wesentlich ist, dass der vereinbarte Erfolg, die Erledigung der entsprechenden Arbeiten auf den einzelnen Baustellen, körperlich greifbar war. Dabei ist die Bereitstellung des notwendigen Arbeitsmaterials für einen Werkvertrag nicht unüblich (vgl. § 651 BGB zum Werklieferungsvertrag). Schließlich hat das Landesarbeitsamt Hessen wegen der Beschäftigung im Rahmen von Werksverträgen Zustimmungsbescheide erlassen.

Wie sich aus den Protokollen der Vernehmungen einzelner Arbeitnehmer der Fa. F. vom 10. bzw. 25. Juni 1997 ergibt, weist die praktische Ausführung der Arbeiten allerdings kaum noch Aspekte eines Werkvertrages auf. Eine Verwertung dieser Protokolle konnte im Wege des Urkundenbeweises erfolgen, da es der Klägerin oblegen hätte, den Wahrheitsgehalt der Aussagen zeitnah überprüfen zu lassen. Wenn sie sich aber dem Ermittlungsergebnis des Arbeitsamtes beugt und die Aussagekraft erst bezweifelt, wenn Zeugen nicht mehr erreichbar sind, hat sie die hieraus resultierenden Nachteile zu tragen.

Auf den drei Hauptbaustellen in Bad Abbach und Deggendorf bestand danach in der Arbeitsweise kein Unterschied. O.B. jun. hatte auf allen drei Baustellen das alleinige Weisungsrecht. Er hat die anfallenden Arbeiten in kurzen zeitlichen Abständen zugewiesen und angeordnet, wenn Arbeiten vorgezogen werden sollten. Entgegen der vertraglichen Regelung besaß der Vorarbeiter der ungarischen Arbeitnehmer keinen Bauplan, so dass O.B. jun. alle Fragen der Bauausführung klärte. Er bestimmte auch die Einsatzorte. Insbesondere waren die Arbeitnehmer nicht nur auf den Baustellen beschäftigt, die in den Werkverträgen bezeichnet waren. Die Vielzahl von Baustellen, die von den Arbeitnehmern im einzelnen bezeichnet worden sind, widerlegt die Behauptung der Klägerin, es habe sich dabei lediglich um Nachbesserungsarbeiten auf Grund der für zwei Baustellen genehmigten Werkverträge gehandelt.

Bedeutsam erscheint, dass die Kosten für die Unterkunft der ungarischen Arbeiter ebenso wie ein Firmenfahrzeug von der Klägerin zur Verfügung gestellt wurden. Neben dem ungarischen Vorarbeiter, der keine eigenständigen Kompetenzen hinsichtlich der auszuführenden Arbeiten hatte, war ein Vertreter der Fa. F. allenfalls zwei bis dreimal im Monat auf der Baustelle. Damit unterstanden die ungarischen Arbeitnehmer in örtlicher und fachlicher Hinsicht ausschließlich den Weisungen der Klägerin und waren in deren Arbeitsorganisation eingebunden, da die Klägerin die einzelnen Arbeiten koordinierte. Zwar kann auch ein Werkbesteller Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen (vgl. § 645 Abs.1 Satz 1 BGB), jedoch waren die von der Klägerin ausgesprochenen Weisungen vorliegend nicht nur werkbezogen, sondern auch personenbezogen und erstreckten sich auch auf die Art und Weise der Arbeitsleistung (vgl. BAG, Urteil vom 25. Juni 1986, 5 AZR 208/83). Die Fa. F. stellte ausschließlich die Arbeitskraft ihrer Arbeitnehmer zur Verfügung.

Nicht gegen eine Arbeitnehmerüberlassung kann angeführt werden, dass die Bezahlung der ungarischen Arbeiter durch den Vorarbeiter Nyari oder einen anderen Vertreter der Fa. F. erfolgte, denn auch bei der Arbeitnehmerüberlassung wird das Arbeitsentgelt vom Verleiher gezahlt. Gegen die Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin kann auch nicht mit Erfolg vorgebracht werden, dass es nicht zu gemeinsamen Arbeiten mit den eigenen Arbeitnehmern der Klägerin kam und möglicherweise die Arbeitszeiten nicht identisch waren. Beide Gruppen von Arbeitern waren in der Regel mit jeweils unterschiedlichen Arbeitsbereichen betraut. In Anbetracht der weit über das dem Besteller eines Werkvertrags zustehende Weisungsrecht hinausgehenden Beaufsichtigung der ungarischen Arbeitnehmer durch die Klägerin kann diesem Umstand keine entscheidende Bedeutung zukommen. Da beim Widerspruch zwischen den vertraglichen Vereinbarungen und der tatsächlichen Ausführung letztere maßgeblich ist, kann vorliegend auch die vertraglich vereinbarte Gewährleistung durch die Fa. F. nicht zu einem anderen Ergebnis führen, zumal die tatsächliche Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen in Anbetracht der Umstände höchst fragwürdig ist. Insbesondere konnte nicht unterschieden werden, welche Firma welche Arbeiten ausgeführt hatte. Auch enthielten weder der Werkvertrag noch die Teilleistungsverträge genaue Beschreibungen der auszuführenden Arbeiten, was nicht nur die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen in der Praxis nahezu unmöglich machen dürfte, sondern zugleich für eine Arbeitnehmerüberlassung spricht. Schließlich spricht auch gegen das Vorliegen eines Werkvertrags, dass die Rechnungen der Fa. F. auf täglich angefertigten Stundenaufzeichnungen beruhten und nicht auf der Erbringung einzelner Leistungen.

Für die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung spricht auch der bestandskräftige Verfallbescheid des Arbeitsamts Nürnberg vom 1. Juli 1998. Im Entscheidungssatz wird ausdrücklich ein Verstoß gegen Artikel 1 § 16 Abs.1 Nr.1a AÜG festgestellt. Das heißt, die Klägerin hat Leiharbeitnehmer tätig werden lassen, die ihr von einem Verleiher ohne Erlaubnis überlassen wurden. Entgegen der Auffassung der Beklagten entfaltet dieser Bescheid durch seine Bestandskraft aber nur Bindungswirkung zwischen den Beteiligten des Verfallbescheides, also gegenüber dem Arbeitsamt Nürnberg und der Klägerin. Die Beklagte ist durchaus berechtigt und verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen, wobei dem Verfallbescheid jedoch eine nicht unerhebliche Indiz-wirkung zukommt. Eine Bindung an den Verfallbescheid nach §§ 29a, 87 OWiG sieht das Gesetz nicht vor. Auch die Regelungen der §§ 308 Abs.1 und 3 Nr.2 SGB III i.V.m. § 321 Satz 1 Nr.4 SGB VI führen nicht zu einer Bindung der Beklagten an die Feststellungen im Verfallbescheid. Es handelt sich insoweit vielmehr um datenschutzrechtliche Vorschriften, die die Rechtsgrundlage für die gegenseitige Unterrichtung verschiedener Behörden über den Verdacht auf gewisse Gesetzesverstöße darstellen.

Der Erlass eines Beitragssummenbescheides begegnet keinen Bedenken. Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (§ 28f Abs.2 Satz 1 SGB IV). Vorliegend war eine Aufteilung der Beiträge auf die einzelnen Arbeitnehmer nicht möglich. Entsprechende Lohnunterlagen konnten weder von der Klägerin selbst vorgelegt werden, noch wäre eine Nachfrage bei der Fa. F. erfolgversprechend, da diese zwischenzeitlich nicht mehr existiert. Auch eine Befragung der ungarischen Arbeitnehmer scheidet aus, da deren Anschriften nicht mehr zu ermitteln sind. Es kann daher nicht festgestellt werden, welchem Arbeitnehmer Beiträge in welcher Höhe zuzuordnen sind.

Es kann nicht ermittelt werden, welche Arbeitsentgelte die ungarischen Arbeitnehmer tatsächlich erhalten haben. Es liegen lediglich die Rechnungen der Fa. F. an die Klägerin vor, aus denen die Beklagte im Wege der Schätzung Rückschlüsse auf die Arbeitsentgelte gezogen hat. Gemäß § 28f Abs.2 Sätze 3 und 4 SGB IV ist der Träger der Rentenversicherung berechtigt, die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, soweit er diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Die Schätzung ist allerdings keine Ermessensausübung, sondern eine Tatsachenfeststellung durch Beweiswürdigung. Sie ist daher mit Erfahrungswerten an den wahrscheinlich tatsächlichen Verhältnissen auszurichten. Bewusst hohe Schätzungen aus Sanktionsgründen oder zur Erziehung sind unzulässig (vgl. Kassler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 28f SGB VI Rdnr.9 und § 165 SGB VII Rdnr.9).

Zwar kann die Schätzung der Beklagten schwer nachvollzogen werden, soweit sie die Nettorechnungsbeträge der Fa. F. durch den im Gespräch zwischen dem Arbeitsamt Nürnberg und der Klägerin angeblich ausgehandelten Stundenverrechnungssatz von 33,00 DM geteilt hat. Aus den Akten ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin diesen Stundenverrechnungssatz zu irgend einem Zeitpunkt eingeräumt hat. Sie bestreitet seine Höhe vielmehr. Dies ergibt sich auch aus dem Aktenvermerk des Arbeitsamts vom 25. Mai 1998. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Betrag dem Verfallbescheid vom 1. Juli 1998 zugrunde gelegt worden ist. Zudem korrespondiert der Betrag laut Leistungsverzeichnis der Fa. F. für die Baustelle in Bad Abbach weniger mit den Kosten für eine Arbeitsstunde, sondern entspricht dem Rechnungsbetrag für einen Quadratmeter Vollwärmeschutzarbeiten. In welchem Verhältnis beides zueinander steht, kann den Akten nicht entnommen werden.

Die geschätzten Arbeitsentgelte liegen jedoch in der Summe unterhalb des Betrags, der sich bei zutreffender Schätzung der Arbeitsentgelte ergibt. Aufgrund der Aussagen der ungarischen Arbeitnehmer sowie der vorliegenden Werkverträge und Genehmigungen stehen nämlich sowohl die Zahl der Arbeitnehmer als auch die Zeiträume der Arbeitsleistung und die Stundenlöhne fest. Bei der Einvernahme der Arbeitnehmer 1996 und 1997 haben diese jeweils bestätigt, dass auf der Baustelle in Deggendorf, aber auch auf der in Bad Abbach zehn Arbeitnehmer eingesetzt waren. Im Zeitraum März 1997 bis Mai 1997 waren in Bad Abbach im Bereich des Seniorenwohnheims lediglich vier Arbeitnehmer vorgesehen. Wenn die Arbeitnehmer entsprechend ihren Aussagen und dem Tarifvertrag zumindest 39 Stunden wöchentlich gearbeitet haben und nicht der Tariflohn eines Hilfsarbeiters im Malergewerbe, sondern die von den Arbeitnehmern eingeräumten 18,00 DM pro Stunde zugrunde gelegt werden, ergäben sich für die strittigen Zeiträume 1995 Beträge von 182.520,00 DM, 1996 in Höhe von 245.700,00 DM und für 1997 ein Betrag von 11.232,00 DM. Dieser Summe von 439.452,00 DM steht die von der Beklagten zugrunde gelegte Summe aus 113.723,02 DM + 48.833,74 DM + 155.502,87 DM + 17.979,29 DM = 336.038,92 DM gegenüber. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, ob und inwieweit das Arbeitnehmerentsendegesetz Mindestbedingungen für die Stundenlöhne vorgeschrieben hat. Da die Schätzung der Beklagten hinsichtlich des Arbeitsentgelts zum Vorteil der Klägerin ausgefallen ist, ist sie nicht zu beanstanden.

Keinen Bedenken begegnet auch die Berechnung der Säumniszuschläge, die gemäß § 24 Abs.2 Satz 1 SGB IV mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt werden können. Spätestens nach Erhalt des Verfallbescheides vom 01.07.1998 hat die Klägerin die Beiträge zur Sozialversicherung mit bedingtem Vorsatz vorenthalten. Angesichts der deutlichen Feststellungen des Arbeitsamts, sachkundiger Beratung und fehlender Beitragsleistung für das gesamte Arbeitsentgelt liegt Vorsatz nahe (ebenso BSG in SozR 3-2400 § 25 Nr.7). Im Übrigen hat die Klägerin kein fehlendes Verschulden geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197a SGG findet vorliegend noch keine Anwendung, da das Verfahren bereits vor dem 2. Januar 2001 rechtshängig wurde.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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