L 4 B 11/05 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 565/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 11/05 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist als Leistungserbringerin für Hilfsmittel gem. § 126 SGB V zugelassen. Sie versorgt Versicherte der Antragsgegnerin mit Produkten für die enterale Ernährung in Form von Nahrung und den dazugehörigen Verbrauchshilfsmitteln wie insbesondere Applikationshilfen und Pumpensysteme. Eine vertragliche Preisvereinbarung bestand nicht. Die Abrechnung erfolgte bis Februar 2004 in Höhe des jeweiligen aktuellen Apothekeneinkaufspreises zzgl. eines Aufschlags von 10 % + Mehrwertsteuer. Die Antragsgegnerin hat unter Berufung auf einen von ihr ermittelten neuen ortsüblichen Durchschnittspreis für die an ihre Versicherten erbrachten Leistungen eine Kürzung vorgenommen und für Nahrung den Apothekeneinkaufspreis um 5 % gekürzt sowie für Verbrauchshilfsmittel nurmehr einen Betrag in Höhe eines um 2 % über dem Apothekeneinkaufspreis geleistet.

Die Antragstellerin hat daraufhin mit vier weiteren Leistungserbringern am 20.09.2004 vor dem Sozialgericht Hannover eine einstweilige Anordnung beantragt. Die Antragsgegnerin sollte verurteilt werden, bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000,00 Euro im Einzelfall und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihrem Vorstand, es zu unterlassen,

1. Kostenvoranschläge der Antragsteller zur Versorgung von bei der Antragsgegnerin versicherten Patienten mit ärztlich verordneten Verbrauchshilfsmitteln zu einem Teilbetrag abzulehnen, insbesondere in Form einer Preiskürzung, wenn sich die betreffenden Versicherten für die Antragsteller als Lieferanten entschieden haben, die von diesen angebotenen Preise marktüblich und die von der Antragsgegnerin ermittelten Preise nicht anhand der Vorgaben von § 127 SGB erfolgt sind.

2. Kostenvoranschläge der Antragsteller zur Versorgung von bei der Antragsgegnerin versicherten Patienten mit ärztlich verordneter Sondennahrung zu einem Teilbetrag abzulehnen, insbesondere in Form einer Preiskürzung, wenn sich die betreffenden Versicherten für die Antragsteller als Lieferanten entschieden haben und die von diesen angebotenen Preise marktüblich sind.

Das Sozialgericht Hannover hat mit Beschluss vom 22. September 2004 die einzelnen Verfahren abgetrennt und den Rechtsstreit der Antragstellerin mit Beschluss vom 28. September 2004 an das Sozialgericht Nürnberg verwiesen.

Das Sozialgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 16. November 2004 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufgebürdet und den Streitwert auf 20.000,00 Euro festgesetzt.

Der gem. § 86b Abs.2 Satz 1 und 2 SGG zulässige Antrag sei nicht begründet. Es sei weder eine Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs noch des Anordnungsgrundes erfolgt. Zum Anordnungsgrund führte es aus, die allgemein vorgetragene Behauptung, durch die von der Antragsgegnerin nunmehr vorgenommene geringere Vergütung der erbrachten Leistungen für Versicherte ernstlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein, sei nicht näher präzisiert und konkretisiert worden, so dass nach dem vorliegenden Sachstand nicht von einem Regelungsbedarf zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin auszugehen sei. Wesentliche Nachteile durch einen drohenden Verlust des Kundenstammes der Antragstellerin, sofern diese zumindest teilweise - wie von der Antragstellerin befürchtet - nach Hinweisen auf bestehende gleichwertige und wirtschaftlichere Versorgungsmöglichkeiten durch alternative Leistungserbringer seitens der Antragsgegnerin einen Wechsel in der Versorgung vollziehen würden, seien gleichfalls nicht begründbar. Nachdem die Antragsgegnerin bislang diesbezügliche Einwirkungen in dem zu ihren Mitgliedern bestehenden Rechtsverhältnis zwar in den Verhandlungen mit der Antragstellerin angekündigt, aber noch nicht umgesetzt habe, sei weder eine konkrete Gefährdung gegeben, noch sei insoweit das Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin unmittelbar betroffen.

Auch wenn die Antragstellung als Unterlassungsklage ausformuliert wurde, gehe das Gericht letztlich davon aus, dass die Antragstellerin die bislang mit der Antragsgegnerin praktizierte Vergütung der erbrachten Leistungen hinsichtlich der Höhe weitgehend beibehalten wolle. Ein insoweit bestehender Anordnungsanspruch, der bereits nach dem Erkenntnisstand im gerichtlichen Anordnungsverfahren so offensichtlich sei, dass er eine vorläufige Regelungsanordnung zu begründen vermöge, sei jedoch gleichfalls nicht gegeben. Aufgrund der Einbindung der Antragstellerin als zugelassene Leistungserbringerin im System der gesetzlichen Krankenversicherung ergebe sich zweifellos kein subjektives Recht zur Belieferung von gesetzlichen Krankenversicherungsmitgliedern zu bestimmten Konditionen, da insoweit bereits die Zulassung voraussetzt, dass eine wirtschaftliche Abgabe der Hilfsmittel gewährleistet ist und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkannt werden. Ein Eingriff in den durch Art.12 GG geschützten Anwendungsbereich sei insoweit nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin sei berechtigt, Marktpreise für Leistungen zu ermitteln und zu überprüfen. Dies ergebe sich aus § 127 Abs.3 SGB V. Die Regelungen des europarechtlichen Wettbewerbsrechts hinsichtlich der Bestimmungen des Leistungsumfangs des nationalen Krankenversicherungssystems seien nicht einschlägig.

Schließlich sei auch ohne existierende vertragliche Vereinbarung im Verhältnis der Antragsgegnerin zur Antragstellerin eine subjektive Rechtsposition der Antragstellerin auf Beibehaltung der bisherigen Abrechnungsmodalitäten nicht erkennbar.

Die gegen diesen Beschluss am 14.12.2004 eingelegte Beschwerde wird damit begründet, der Beschwerdeführerin stehe ein Anordnungsgrund zur Seite. Ihr sei ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten. Durch die außerordentlichen Preiskürzungen stünden dem Wirtschaftsunternehmen der Antragstellerin massive finanzielle Einbußen bevor bzw. seien bereits zu verzeichnen. Darüber hinaus drohten ohne vorläufige Entscheidung massive Kundenverluste. Es drohe außerdem konkrete Gefahr, dass bei Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung die Beschwerdegegnerin zahlreiche Leistungserbringer derart unter Druck gesetzt haben werde, zu billigeren Konditionen zu versorgen, dass sich der allgemeine Verkehrswert, respektive die übliche Vergütung faktisch nach unten verschoben haben werde. Dabei werde das Wirtschaftlichkeitsgebot vollumfänglich anerkannt. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Beschwerdegegnerin berechtigt wäre, Leistungserbringern unter Bezugnahme auf einzelne, im Übrigen nicht benannte, äußerst billige Anbieter derartige Preise vorzugeben, dass nur noch ein bestimmter Preis erstattet werde und für Preisverhandlungen als einzig erzielbares Ergebnis vorgegeben werde. Da die aktuell angekündigten Kürzungen erfolgten, werde sich die Beschwerdegegnerin im Laufe eines Hauptsacheverfahrens darauf berufen können, dass sie zu dem von ihr angebotenen Preis mit diversen Leistungserbringern abrechne. Grundlage hierfür seien dann jedoch nicht etwa einvernehmliche Preisvereinbarungen, sondern einseitige Preisvorgaben seitens der Beschwerdegegnerin, welche durch Kürzung von Kostenvoranschlägen schlichtweg durchgesetzt werden. Damit sei die Tragweite und das Ausmaß, welche die von der Beschwerdegegnerin begehrten Preiskürzungen letztendlich zur Folge haben, erheblich, so dass eine hinreichende Rechtsbeeinträchtigung gegeben sei. Das erstinstanzliche Gericht habe die diesbezüglichen Anforderungen überspannt.

Zum Anordnungsanspruch wird ausgeführt, der Beschwerdeführerin dürfe der Rechtsschutz über Art.12 Grundgesetz nicht versagt bleiben. Das Erstgericht habe auch die Ausführungen zu Art.3 Grundgesetz völlig unberücksichtigt gelassen. Nationales Wettbewerbsrecht sei ebenso wie das Europäische Wettbewerbsrecht anzuwenden. Das Sozialgericht unterliege hinsichtlich des Inhalts und systematischen Zusammenhangs von § 127 SGB V in Bezug auf den vorliegenden Fall einem völligen Fehlverständnis. Die mit der Neufassung des § 127 SGB V einhergehenden Änderungen seien überhaupt nicht gewürdigt worden. Auch die Ausführungen des Sozialgerichts zu einem allgemeinen Fortgeltungsgrundsatz gingen fehl. Schließlich erweise sich der Beschluss des Sozialgerichts auch aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör als rechtswidrig. Das Gericht habe die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 10.11.2004 zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrunds bis 06.12.2004 aufgefordert. Erlassen sei der Beschluss indes bereits am 16.11.2004. Die Bevollmächtigte der Antragstellerin gibt weiter an, die Parteien des Verfahrens vor dem SG Hannover hätten sich außergerichtlichen auf ein Preisniveau geeinigt. Diese Einigung basiere im wesentlichen auf der starken Abhängigkeit der dortigen Antragstellerin von der Antragsgegnerin aufgrund hoher Versichertenzahlen. Im hiesigen Verfahren hoffe die Antragstellerin auf eine detaillierte Stellungnahme in Bezug auf den in Rede stehenden Anordnungsanspruch, wohingegen die erstinstanzliche Entscheidung dem Anordnungsgrund höhere Gewichtung zukommen habe lassen.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.11.2004 aufzuheben. Im Übrigen beantragt sie erneut, eine einstweilige Anordnung, wie bereits vor dem Sozialgericht beantragt, zu erlassen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

In keinem der ursprünglich beim Sozialgericht Hannover anhängigen Fälle sei das Antragsverfahren positiv beschieden worden. Die Beteiligten des Verfahrens vor dem SG Hannover hätten sich inzwischen außergerichtlich auf ein Preisniveau verständigt, das den Vorstellungen der Antragsgegnerin nahekomme. Vor dem Hintergrund dieser Einigung der Firma S. , die man durchaus als vom Umsatz her Hauptbetroffene charakterisieren könnte, verwundere die Fortsetzung des hier anhängigen Verfahrens mit der Firma P. , deren Umsatzbetroffenheit eher gering sein dürfte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die nach §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Gem. § 86b Abs.2 SGG in der Fassung des 6. Sozialgerichtsänderungsgesetzes vom 17.08.2001 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind. Der Anordnungsgrund liegt in der Eilbedürftigkeit (Dringlichkeit) der begehrten Sicherung oder Regelung. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtschutz beantragt wird. Beide Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 ZPO).

Ein Anordnungsgrund ist nach wie vor nicht glaubhaft gemacht. Es wird zwar vorgetragen, dass durch die außerordentlichen Preiskürzungen der Beschwerdegegnerin von 15 % bei Nahrung und von 8 % bei Applikationstechnik massive finanzielle Einbußen bevorstünden bzw. bereits zu verzeichnen seien. Zahlen werden nicht genannt. Es ist weder vorgetragen noch anzunehmen, dass die Firma der Antragstellerin nur Sondennahrung und Applikationstechnik herstellt bzw. vertreibt noch, dass die Versicherten der AOK B. die einzigen Kunden der Antragstellerin sind. Der Senat geht deshalb davon aus, dass der Umsatz, den die Antragstellerin durch Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin erzielt, nur einen äußerst geringen Prozentsatz ihres Gesamtumsatzes ausmacht. Massive Kundenverluste sind unter dem selben Gesichtspunkt nicht möglich. Im Übrigen wird nicht bestritten, dass die Antragstellerin weiterhin die Versicherten der Antragsgegnerin versorgt, lediglich zu einem geringeren Preis.

Ein Anordnungsgrund ist auch nicht damit glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin durch Erlass einer einstweiligen Anordnung verhindern will, dass sich die Marktbedingungen ändern. Es ist Teil der Marktwirtschaft, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln, also ihre Versicherten zu günstigen Konditionen zu versorgen.

Die mögliche Verletzung rechtlichen Gehörs dadurch, dass das SG eine selbstgesetzte Frist für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunde nicht eingehalten hat, führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Antragstellerin der Aufforderung auch danach nicht nachgekommen ist. Da nach wie vor kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist, erübrigt es sich, auf den Anordnungsanspruch einzugehen. Anordnungsgrund und -anspruch müssen kumulativ vorliegen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs.1 SGG i.V.m. § 154 SGG.

Der Streitwert bestimmt sich aus § 53 Abs.3 Nr.4 GKG i.V.m. § 52 Abs.1 und 2 GKG. Die Beschwerde richtet sich nicht gegen die Festsetzung des Streitwerts. Der Senat folgt deshalb diesbezüglich den Ausführungen des Sozialgerichts und nimmt auch für das Beschwerdeverfahren einen Streitwert in Höhe von 20.000,00 Euro an.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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