L 11 B 206/05 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 52 SO 88/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 206/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 06.04.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Antragsteller (ASt) den Rückkaufswert einer Lebensversicherung zur Bedarfs- deckung einsetzen müssen.

Die 1943 geborene Antragstellerin zu 1. (ASt 1) und ihr 1938 geborener Ehemann, der ASt zu 2. (ASt 2), beantragten bei der Antragsgegnerin (Ag) Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 01.01.2005.

Der ASt 2 erhält seit dem 01.07.2004 von der Landesversicherungsanstalt Westfalen Versichertenrente in Höhe von monatlich 495,15 EUR, die ASt 1 erhält seit dem 01.09.2004 von der Landesversicherungsanstalt Oberbayern Altersrente in Höhe von monatlich 278,07 EUR, wobei die Beitragsanteile zur Krankenversicherung und die Beiträge zur Pflegeversicherung bereits jeweils in Abzug gebracht wurden. Der Ast 2 hat ausweislich des Versicherungsscheines der B.-Versicherung Öffentl. Lebensversicherungsanstalt, München, vom 29.04.1998 eine Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung auf den Todes- und Erlebensfall abgeschlossen. Die Versicherungssumme beträgt 20.000,00 DM (entspricht 10.225,84 EUR), der monatliche Beitrag 135,20 DM (entspricht 69,13 EUR). Die Versicherung soll vertragsgemäß bis zum 01.05.2010 angespart werden. Am 01.05.2010 um 12.00 Uhr läuft die Versicherung ab. Am 14.01.2005 betrug der aktuelle Rückkaufswert dieser Lebensversicherung lt. Mitteilung der Sparkasse M. 4.902,48 EUR.

Mit Bescheid vom 25.01.2005 lehnte die Ag den Antrag der ASt auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII ab. Die von den ASt eingereichten Unterlagen zeigten, dass die ASt durch den Rückkaufswert ihrer Lebensversicherung über ein Vermögen in Höhe von 4.900 EUR verfügten. Der gemeinsame Freibetrag belaufe sich aber nur auf 3.214 EUR. Die ASt hätten deshalb Vermögen in Höhe von ca. 1.700 EUR zur Bedarfsdeckung. Die Lücke zwischen ihrem sozialhilferechtlichen Bedarf und ihrem laufenden monatlichen Einkommen betrage monatlich ca. 300 EUR. Mithin könnten sie ihren Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Vermögen für mindestens fünf Monate decken.

Über den Widerspruch der ASt gegen die Ablehnung der Leistungsbewilligung ist bislang - soweit ersichtlich - nicht entschieden worden.

Am 03.03.2005 beantragten die ASt beim Sozialgericht München (SG) sinngemäß, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu bewilligen.

Der von der Ag angegebene Vermögensbetrag in Höhe von 4.900 EUR stehe ihnen derzeit nicht zur Verfügung. Bei einer Kündigung der Versicherung im Februar könnten sie allenfalls Anfang April 2005 über das Vermögen verfügen. Bereits im November und Dezember 2004 sowie im Januar und Februar 2005 hätten sie Schulden machen müssen, um den notwendigen Lebensunterhalt finanzieren zu können. Der ASt 2 sei schwer gehbehindert und könne die im Jahre 2010 fällige Versicherungssumme von etwa 11.000 bis 12.000 EUR zur behindertengerechten Ausgestaltung seiner Wohnung verwenden. Die Verwertung der Lebensversicherung sei eine übermäßige Härte, weil sie jeder wirtschaftlichen Vernunft widerspreche.

Die Ag beantragte, den Antrag abzulehnen.

Sie wiederholte im Wesentlichen ihre bisherigen Ausführungen und wies darauf hin, dass auch eine vorläufige darlehensweise Gewährung von Hilfe ausscheide, weil die sofortige Verwertung des vorhandenen Vermögens möglich und eine Härtegrund nicht ersichtlich sei.

Das SG lehnte mit Beschluss vom 06.04.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die ASt verfügten über verwertbares Vermögen im Sinne des § 90 Abs 1 SGB XII. Der streitgegenständliche Vermögenseinsatz stelle keine Härte im Sinne des § 90 Abs 3 SGB XII dar. Soweit die ASt zudem Schulden hätten, seien diese Verbindlichkeiten nicht durch die Ag zu decken.

Hiergegen wenden sich die ASt mit ihrer Beschwerde, die beim Bayer. Landessozialgericht am 02.05.2005 eingegangen ist. Das SG habe erhebliche materiell-rechtliche und prozessuale Fehler begangen. Die Lebensversicherung hätte frühestens im April 2005 zur Verfügung gestanden. Sie hätten zur Überbrückung ihrer Notlage weitere Darlehen bei Freunden aufnehmen müssen. Ein Härtefall sei zu Unrecht verneint worden, weil nicht berücksichtigt worden sei, unter welchen Umständen sie die Versicherung angespart hätten. Das SG habe zudem versäumt, ihrem Bevollmächtigten die Stellungnahme der Sozialbehörde vom 09.03.2005 zuzuleiten.

Sie beantragen, den Beschluss des SG aufzuheben und dem Antrag auf einstweilige Anordnung stattzugeben.

Die Ag tritt dem entgegen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde der ASt ist jedoch unbegründet, weil es das SG zu Recht abgelehnt hat, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zur Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe (SGB XII) zu verpflichten.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74 und vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Auflage 2005, Rdnr 643).

Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass die ASt einen Anordnungsgrund - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und einen Anordnungsanspruch - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den sie ihr Begehren stützen - glaubhaft machen können (§ 86b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Abs 1 Zivilprozessordnung -ZPO-).

Bei der hier erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. dazu Meyer-Ladewig, SGG, 7.Auflage 2002, § 86b Rdnr 40; BVerfG vom 12.05.2005 Az: 1 BvR 569/05) zeigt sich, dass den ASt jedenfalls kein Anordnungsanspruch zur Seite steht.

Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe im hier angefochtenen Beschluss des SG vom 06.04.2005 (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG), denen er folgt.

Im Hinblick auf die Beschwerdebegründung ist hierzu lediglich ergänzend noch auszuführen:

Jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes greift der Einwand der ASt nicht, der Rückkaufswert der Lebensversicherung hätte bei einer Kündigung im Februar 2005 frühestens im April 2005 zur Verfügung gestanden. Nach der ständigen Rechtsprechung auch im Recht der Sozialhilfe können im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen für zurückliegende Zeiträume nicht erstritten werden. Maßgebend ist mithin der Monat Juni 2005, in dem bei rechtzeitiger Kündigung der Lebensversicherung der Rückkaufswert hieraus zur Verfügung gestanden hätte. Ggf. kommt auch eine darlehensweise Bewilligung der Hilfeleistung gemäß § 91 SGB XII in Betracht, die die ASt hier aber nicht anstreben.

Im Übrigen ist die Frage des Einsatzes einer Kapitallebensversicherung, um eine solche handelt es sich hier, im Rahmen der Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Dabei kann auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum früheren § 88 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurückgegriffen werden, weil § 90 SGB XII diese Vorschrift im Wesentlichen inhaltsgleich in das Sozialgesetzbuch übertragen hat (so ausdrücklich die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 05.09.2003, BT-Drs 15/1514 S 66).

Demzufolge ist der Einsatz einer Kapitallebensversicherung mit ihrem Rückkaufswert im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt auch dann zulässig, wenn sie von den ASt zur Alterssicherung bestimmt ist, diese aber - wie hier - über das Kapital aus dieser Versicherung jederzeit - ggf. nach Kündigung - frei verfügen können. Eine solche Kapitallebensversicherung unterfällt der Bestimmung des § 90 Abs 1 SGB XII und ist damit verwertbares Vermögen. Sie unterfällt nicht dem Schonvermögen gemäß § 90 Abs 2 Nr 2 SGB XII, wie sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt.

§ 90 SGB XII gilt gemäß § 41 Abs 2 SGB XII insoweit auch für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Die Härteregelung des § 90 Abs 3 Satz 1 SGB XII steht dem Einsatz des verwertbaren Vermögens hier nicht entgegen, auch wenn man den Angaben der ASt folgt und deren bisherige Eigenleistungen in Höhe von 5.668,38 EUR höher liegen als der gegenwärtige Rückkaufswert in Höhe von 4.975,00 EUR. Das mag unwirtschaftlich sein, begründet aber noch keine Härte im Sinne der vorgenannten Bestimmung (vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- vom 19.12.1997, BVerwGE 106, 105/109).

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Verwertungsschutz einer Kapitallebensversicherung bei Beziehern von Leistungen der Arbeitslosenhilfe ist insoweit auf Hilfen nach dem früheren BSHG und dem jetztigen SGB XII nicht übertragbar. Die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung der Vermögensanrechnung im Sozialhilferecht einerseits und in der Arbeitslosenhilfe andererseits begründet in Anbetracht des dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen zustehenden Gestaltungsspielraums auch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz mit der Folge, dass die Rechtsprechung des BSG zur Schonung von Vermögen übertragen werden müsste (so ausdrücklich BVerwG vom 13.05.2004 NJW 2004, 3647 = DVBl 2005, 376 = NDV-RD 2005, 7).

Letztlich liegen dem hier angefochtenen Beschluss des SG auch keine Verfahrensfehler zugrunde, die sich entscheidungserheblich ausgewirkt hätten, so dass die Beschwerde insgesamt keinen Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved