S 51 AS 896/05 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
51
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 51 AS 896/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 22.07.2005 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Antrag, mit dem die eine Zweitausbildung zur Reiseverkehrskauffrau betreibende Antragstellerin die vorläufige Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II über den 01.08.2005 hinaus erstrebt, hat - nach Maßgabe zweckentsprechender Auslegung - Erfolg.

I.

Nach der - auch im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes anwendbaren – Regelung des § 123 SGG ist das Gericht bei seiner Entscheidung über die mit dem Rechtsschutzbegehren erhobenen Ansprüche nicht an die Fassung von Anträgen gebunden. Erforderlichenfalls ist das Rechtsschutzbegehren durch Auslegung der wörtlich gestellten Anträge zu ermitteln. Im Zweifel ist dabei anzunehmen, dass derjenige Antrag gestellt werden sollte, der dem Rechtsschutzbegehren am ehesten zum Ziel verhilft; dabei kann auch eine Umdeutung in Betracht kommen (vgl.hierzu Meyer- Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 123 Rdnrn. 2f; § 86 b Rdnr. 9b m.w.N.). Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der in der Antragschrift vom 18.08.2005 wörtlich enthaltene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 22.07.2005 zu interpretieren, beziehungsweise in einen derartigen Antrag umzudeuten.

II. Der so verstandene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches ist statthaft (dazu unter 1.) und führt zum Erfolg (dazu unter 2.). 1. Da die Antragsgegnerin ihren ursprünglichen Bescheid vom 12.05.2005, mit dem der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bis zum 30.09.2005 bewilligt hatte, durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 22.07.2005 mit Wirkung zum 01.08.2005 aufgehoben hat, ist vorläufiger Rechtsschutz vorliegend allein in Gestalt eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG zu erwirken. Dieser Widerspruch entfaltet zunächst gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil mit dem angegriffenen Bescheid über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Sinne von § 39 Nr. 1 SGB II entschieden worden ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat aber zur Folge, dass der Antragstellerin zunächst weiterhin Leistungen auf der Grundlage des Bescheides vom 12.05.2005 und mithin bis zum 30.09.2005 auszukehren sind. Dem Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin ist damit hinreichend Rechnung getragen. Ein hierauf gerichteter Antrag ist im Verhältnis zur einstweiligen Anordnung mit Blick auf § 86b Abs. 2 Satz 1 1.Halbs. SGG vorrangig und allein statthaft. 2. Der sonach zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches ist auch begründet. Bei der nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in Betracht zu nehmen. Soweit sich der angegriffene Verwaltungsakt bei der in diesem Rahmen nur möglichen, aber auch hinreichenden überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage als voraussichtlich rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung des hiergegen eingelegten Rechtsbehelfs angesichts seiner hohen Erfolgsaussichten anzuordnen. So liegt es hier. Denn der auf § 48 SGB X gestützte Aufhebungsbescheid vom 22.07.2005 begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend voraussichtlich nicht erfüllt. Insbesondere liegt keine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse in dem zur Begründung des Aufhebungsbescheides angeführten Umstand, dass die Antragstellerin seit dem 01.08.2005 eine Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau betreibt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen. Der vorliegend allein zu erörternden Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II zufolge sind solche Auszubildende von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des SGB II ausgeschlossen, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches - SGB III – dem Grunde nach förderungsfähig ist. Zu dieser Gruppe dürfte die Antragstellerin entgegen der sowohl im Aufhebungsbescheid als auch in der Antragserwiderung vertretenen Auffassung nicht gehören. Denn ihre Ausbildung ist im Rahmen der – hier allein in Betracht zu ziehenden - §§ 60 bis 62 SGB III nicht dem Grunde nach förderungsfähig. a) Zwar wird die von der Antragstellerin zum 01.08.2005 aufgenommene Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau auf der Grundlage eines entsprechenden Berufsausbildungsvertrages in einem nach dem Berufsbildungsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich durchgeführt, sodass sie den in § 60 Abs.1 SGB III aufgeführten Voraussetzungen der Förderungsfähigkeit entspricht. Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist allerdings - nur – die erstmalige Ausbildung förderungsfähig. Diesem Erfordernis genügt die von der Antragstellerin betriebene Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau nicht. Denn sie hat bereits eine Ausbildung zur Chemielaborantin absolviert. b) Das Erfordernis der Erstausbildung betrifft auch die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach. Das zeigt bereits die systematische Einordnung dieser Voraussetzung: Sie ist Bestandteil der in § 60 SGB III enthaltenen allgemeinen, ausbildungsbezogenen Voraussetzungen, wohingegen die personenbezogenen Förderungsbedingungen in den §§ 63 – Förderungsfähiger Personenkreis – und 64 SGB III – Sonstige persönliche Voraussetzungen – geregelt sind. Dementsprechend ist allgemein anerkannt, dass nur Erstausbildungen im Rahmen der §§ 60 bis 62 SGB III als dem Grunde nach förderungsfähig im Sinne von § 7 Abs. 5 SGB II zu betrachten sind (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rdnr. 35; Peters, in: Estelmann(Hrsg.), Kommentar zum SGB II, § 7 Rdnr. 49; Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rdnr. 44; ebenso zur vorangegangenen Regelung in § 26 Abs. 1 BSHG Brühl, in: LPK-BSHG, 6.Aufl., § 26 Rdnr. 13 a.E.; ferner zur aktuellen sozialhilferechtlichen Parallelvorschrift in § 22 Abs. 1 SGB XII Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 22 Rdnr. 20; Brühl, in LPK-SGB XII, § 22 Rdnr. 13). Anderweitige wesentliche Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X werden von der Antragsgegnerin nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dem Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid dürften daher erhebliche Erfolgsaussichten beizumessen sein. Im weiteren Verfahren wird dabei zu prüfen sein, inwieweit die von der Antragstellerin seit dem 01.08.2005 erzielten Einkünfte mit Blick auf die gemäß § 11 SGB II erfolgende Einkommensanrechnung Einfluss auf die Höhe der ihr zustehenden Leistungen nehmen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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