L 8 KR 113/05 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 127/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 113/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II, bei dem zum 1.1.2005 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung eintritt, kann die Krankenkassenwahl wirksam auch gegenüber dem Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Rahmen des Antrags auf Leistungen nach dem SGB II vornehmen.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin Krankenversicherungsschutz.

Der 1947 geborene Antragsteller, der zuletzt als Gelegenheitsarbeiter tätig war, bezog seit dem 21. Mai 2004 Sozialhilfe vom Sozialamt des Landkreises D. Gegenüber dem Sozialhilfeträger hatte er die Antragsgegnerin als für seine Krankenbehandlung zuständige Krankenkasse gewählt.

Am 20. Oktober 2004 stellte der Antragsteller beim Landkreis D. einen Antrag auf Arbeitslosengeld II. Im Antragsformular gab er als seine Krankenkasse die AOK in B. an.

Mit Bescheid vom 7. Januar 2005 bewilligte der Landkreis D. dem Kläger laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1. Januar 2005 und teilte ergänzend mit, dass während des Bezuges von Arbeitslosengeld II Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung bei der AOK Hessen bestehe. Dementsprechend wurde der Antragsteller bei der Antragsgegnerin als pflichtversichertes Mitglied angemeldet und erhielt von dieser eine Krankenversicherungskarte.

Im April 2005 wandte sich die Antragsgegnerin schriftlich an den Antragsteller und befragte ihn ergänzend zu den Umständen der Krankenkassenwahl. In seiner Antwort vom 26. April 2005 teilte der Antragsteller mit, er habe die Antragsgegnerin auf Empfehlung des Sozialamtes und auf eigenen Wunsch als Krankenkasse gewählt.

Durch ein Telefonat mit dem Antragsteller am 2. Mai 2005 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Antragsteller früher bei der Beigeladenen krankenversichert gewesen war; wie die Beigeladene im sozialgerichtlichen Verfahren mitgeteilt hat, war der Antragsteller von 1978 bis 1990 bei ihr versichert.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2005 teilte die Antragsgegnerin dem Landkreis D. – Kreisagentur für Beschäftigung – und dem Antragsteller mit, dass sie die Krankenversicherung für den Antragsteller nicht durchführen könne, da dieser sie – die Antragsgegnerin – nicht innerhalb von 14 Tagen nach Beginn des Leistungsbezuges als Krankenkasse gewählt habe. Die Mitgliedschaft des Antragstellers sei daher bei der Beigeladenen als letzter gesetzlicher Krankenkasse des Antragstellers fortzusetzen.

Die Kreisagentur für Beschäftigung bestätigte dem Antragsteller mit Schreiben vom 19. Mai 2005, dass er mit seinem Antrag auf Leistungen nach dem SGB II die Antragsgegnerin als Krankenkasse gewählt habe. Bei einer Informationsveranstaltung in Langenselbold habe ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin unmissverständlich dargelegt, dass eine solche Angabe im Antrag auf Leistungen nach dem SGB II eine Willenserklärung hinsichtlich des Wahlrechtes darstelle.

Nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller in der Folge aufforderte, seine Krankenversicherungskarte zurück zu geben, hat dieser am 10. Juni 2005 beim Sozialgericht Darmstadt den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der er die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung bei der Antragsgegnerin begehrt. Die Sache sei eilbedürftig, da er Diabetiker sei und deshalb ständige medizinische Versorgung brauche. Hierzu hat der Antragsteller ein Attest seines Hausarztes Dr. B. vom 16. Juni 2005 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Kaufmännische Krankenkasse beigeladen und mit Beschluss vom 4. Juli 2005 die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller bis zur rechtskräftigen Feststellung der Mitgliedschaft des Antragstellers in einer gesetzlichen Krankenkasse als pflichtversichertes Mitglied zu führen und ihm Leistungen der Krankenversicherung zu gewähren. Zwar sei unklar, ob die Angaben des Antragstellers im Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ausreichten, darin eine Wahl der Antragsgegnerin als zuständige Krankenkasse zu sehen. Aber auch wenn der Antragsteller die Antragsgegnerin nicht rechtswirksam gewählt habe, könne eine Mitgliedschaft des Antragstellers bei der Antragsgegnerin durch eine wahlrechtsersetzende Meldung der Kreisagentur für Beschäftigung nach § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V begründet worden sein. Da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens damit offen erscheine, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Interessen des Antragstellers die der Antragsgegnerin überwiegen würden. Denn als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II habe der Antragsteller in jedem Fall – unabhängig von der letztlich zuständigen Krankenkasse – Anspruch auf Krankenversicherungsschutz als Pflichtversicherter. Es sei ihm als vermögenslosen Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht zumutbar, die Kosten von Krankenbehandlungen und täglich notwendigen Medikamenten auszulegen, während umgekehrt die Antragsgegnerin für den Fall, dass sich die Zuständigkeit der Beigeladenen herausstelle, sich von dieser die aufgewandten Leistungen erstatten lassen könne. Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller chronisch krank und auf regelmäßige ärztliche Behandlung angewiesen sei, bestehe auch ein Anordnungsgrund.

Gegen diesen ihr am 5. Juli 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 13. Juli 2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, eine Mitgliedschaft des Antragstellers bei ihr sei nicht begründet worden. § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V schreibe ausdrücklich vor, dass die Ausübung des Krankenkassenwahlrechts gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären sei. Eine gegenüber der Kreisagentur für Beschäftigung abgegebene Erklärung sei daher nicht ausreichend. Bei jeder anderen Auslegung sei dem Missbrauch im Rahmen des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen Tür und Tor geöffnet. Da es somit an einer Krankenkassenwahl durch den Antragsteller fehle, sei die Kreisagentur für Beschäftigung nach § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V verpflichtet gewesen, diesen bei der Beigeladenen anzumelden, bei der der Antragsteller zuletzt versichert gewesen sei. Nach den gesetzlichen Regelungen komme es nicht darauf an, ob der Kreisagentur für Beschäftigung die anderweitige Vorversicherung bekannt gewesen sei oder nicht, sondern allein auf den objektiven Tatbestand einer anderweitigen Vorversicherung.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Juli 2005 aufzuheben und den Antrag auf einstweilige Anordnung abzuweisen.

Der Antragsteller und Beschwerdegegner als auch die Beigeladene haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie die beigezogene Akte des Landkreises D. Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, den Antragsteller bis zur rechtskräftigen Feststellung der Mitgliedschaft des Antragstellers in einer gesetzlichen Krankenkasse als pflichtversichertes Mitglied zu führen und ihm die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen.

Die Voraussetzungen einer so genannten Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind gegeben. Eine vorläufige Regelung in Bezug auf den Krankenversicherungsschutz des Antragstellers ist, wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, erforderlich, um von diesem unzumutbare Nachteile abzuwenden. Denn er ist chronisch krank und auf ärztliche und medikamentöse Behandlung angewiesen, was der vermögenslose Antragsteller aus den laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II in Höhe von 345,00 EUR monatlich nicht finanzieren kann.

Im Fall des Antragstellers besteht auch ein Anordnungsanspruch. Nach dem derzeit bekannten Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seinem Begehren, seine Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin festzustellen, auch im Hauptsacheverfahren Erfolg haben wird.

Der Antragsteller ist Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und als solcher seit dem 1. Januar 2005 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Für die Durchführung dieser Versicherung ist die Krankenkasse zuständig, die der Antragsteller wählt (§ 173 Abs. 1 SGB V). Die Ausübung des Wahlrechts ist gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären, welche die Mitgliedschaft nicht ablehnen darf (§ 175 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V). An die Wahl der Krankenkasse ist der Versicherungspflichtige mindestens 18 Monate gebunden (§ 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V).

Im Fall des Antragstellers war eine derartige Krankenkassenwahl zum 1. Januar 2005 erforderlich, weil dieser bis zu diesem Zeitpunkt in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versichert war. Bis dahin bezog er laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Gemäß § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V hatte er deshalb gegen die Antragsgegnerin als von ihm gewählter Krankenkasse (§ 264 Abs. 3 Satz 1 SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung. Dieser Anspruch auf Krankenbehandlung von Empfängern von Sozialhilfe ist jedoch, wie § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V klarstellt, keine echte Versicherung und begründet dementsprechend auch keine vollgültige Mitgliedschaft bei der Krankenkasse (Kasseler Kommentar – Peters, § 264 Rdnr. 4).

Im Fall des Antragstellers war deshalb eine Wahlentscheidung zu Gunsten der Antragsgegnerin vonnöten, um bei dieser Mitglied zu werden. In rechtlicher Hinsicht ist dieser Aufnahmeantrag eine (öffentlich-rechtliche) empfangsbedürftige Willenserklärung, welche mit Zugang bei der gewählten Krankenkasse wirksam wird und unmittelbar die Mitgliedschaft begründet (Hauck-Haines, Kommentar zum SGB V, § 175 Rdnr. 3, 7). Ob eine solche Beitrittserklärung vorliegt, ist entsprechend den allgemein für Willenserklärungen geltenden Regeln zu ermitteln. Danach ist in Zweifelsfällen der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –).

Hiervon ausgehend wertet der Senat die Angaben des Antragstellers in dem Antrag auf Leistungen nach SGB II dahingehend, dass dieser damit die Antragsgegnerin wählen wollte. In dem Antragsformular des Landkreises D. für den Bezug von Arbeitslosengeld II wird im Zusammenhang mit dem Krankenversicherungsschutz ausgeführt, dass die bisherigen Empfänger von Sozialhilfe für den Bezug von Arbeitslosengeld II eine Krankenkasse wählen müssten. Anschließend bietet das Formular zwei Auswahlmöglichkeiten an: Wer in einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert oder familienversichert ist wird aufgefordert, diese Krankenkasse anzugeben; diejenigen Personen, die bisher nicht krankenversichert waren, werden aufgefordert, eine Krankenkasse zu wählen und sodann eine Mitgliedsbescheinigung vorzulegen. Der Antragsteller hat die erste Alternative angekreuzt und als seine Krankenkasse die "AOK – B." benannt. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sieht der Senat darin nicht lediglich eine Mitteilung (im Sinne einer Wissenserklärung) des Antragstellers über seinen derzeitigen versicherungsrechtlichen Status, sondern gleichzeitig die Bekundung des Willens, den Krankenversicherungsschutz auch in der Zukunft von der Antragsgegnerin zu erhalten. Denn der Antragsteller hatte bereits auf die entsprechende Anfrage des Sozialhilfeträgers mit schriftlicher Erklärung vom 21. Mai 2004 die Antragsgegnerin als für ihn zuständige Krankenkasse zur Durchführung der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 3 SGB V gewählt. Seitens der Antragsgegnerin muss er dementsprechend eine Krankenversicherungskarte mit der Statusbezeichnung "Mitglied" erhalten haben (§ 264 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V). Es ist daher unmittelbar nachvollziehbar, dass der Antragsteller davon ausging, er sei bei der Antragsgegnerin bereits versichert, so dass für ihn kein Anlass bestand, beim Ausfüllen des Antragsformulars auf Leistungen nach SGB II das Formularfeld "Ich war bisher nicht krankenversichert" anzukreuzen. Nur für diesen Fall verwies das Antragsformular aber auf die Notwendigkeit, zunächst eine Krankenkasse zu wählen und deren Mitgliedsbescheinigung vorzulegen. Dass der Antragsteller stattdessen das Formularfeld "Ich bin in einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert oder familienversichert" ankreuzte, beruhte offenkundig auf seiner Annahme, er sei bereits bei der Antragsgegnerin krankenversichert und könne diesen Versicherungsschutz ohne weiteres beibehalten. Den Wechsel zu einer anderen Krankenkasse hat der Antragsteller, wie sein gesamtes weiteres Verhalten zeigt, auch zu keinem Zeitpunkt in Betracht gezogen. Der Anmeldung bei der Antragsgegnerin durch die Kreisagentur für Beschäftigung, die ihm durch den Bewilligungsbescheid vom 7. Januar 2005 bekannt gegeben wurde, hat er nicht widersprochen und im Schreiben vom 26. April 2005 an die Antragsgegnerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anmeldung zur Antragsgegnerin auf seinen Wunsch hin erfolgt sei. Bei zusammenfassender Würdigung dieser Aspekte unterliegt es daher keinen Bedenken, die Angabe im Antrag auf Arbeitslosengeld II als Wahlentscheidung zu Gunsten der Antragsgegnerin anzusehen.

Die Wirksamkeit dieser Wahlentscheidung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass diese zunächst nicht gegenüber der Antragsgegnerin, sondern gegenüber der Kreisverwaltung D. erklärt wurde. Die Wahl muss gegenüber der gewählten Krankenkasse nicht höchstpersönlich erklärt werden, sondern kann auch durch einen Stellvertreter erfolgen (Kasseler Kommentar – Peters, § 175 Rdnr. 7). Insoweit erscheint es bedenkenswert, in der Anmeldung des Antragstellers bei der Antragsgegnerin durch den Landkreis D. die stellvertretende Ausübung des Krankenkassenwahlrechts zu sehen. Auf die damit zusammenhängenden Fragen – insbesondere ob in den Umständen der Antragstellung eine (konkludente) Bevollmächtigung des Landkreises D. gesehen werden kann – kommt es jedoch schon deshalb nicht an, weil die Wahlentscheidung des Antragstellers im Antrag auf Arbeitslosengeld II vom 20. Oktober 2004 bereits zu diesem Zeitpunkt Wirkung gegenüber der Antragsgegnerin entfaltete.

Nach § 16 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind Anträge auf Sozialleistungen zwar beim zuständigen Leistungsträger zu stellen, sie werden jedoch auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen mit Aufenthaltsort im Ausland von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen. Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I gilt dabei der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei den oben genannten Stellen eingegangen ist.

Zwar bezieht sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur auf Anträge auf Sozialleistungen, während es vorliegend um eine Wahlerklärung geht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist diese Vorschrift aber im Wege der Lückenfüllung entsprechend auf andere Anträge anzuwenden, die für die Stellung als Versicherter Bedeutung haben (Urteil vom 22. September 1988 – 2/9b RU 36/87 = Breithaupt 1989, 454 m.w.N.). Dementsprechend hat das BSG § 16 SGB I auch auf den Fall einer Erklärung angewandt, mit der ein Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitrat (SozR 1200 § 16 Nr. 8).

Diese Rechtsprechung ist zu § 310 Abs. 1 Satz 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) ergangen, wonach "der Beitritt durch schriftliche oder mündliche Anmeldung beim Vorstand oder der Meldestelle der Kasse" geschehen konnte. Für den Senat gibt es keinen Gesichtspunkt, weshalb im Hinblick auf § 175 Abs. 1 SGB V, wonach die Ausübung des Wahlrechts "gegenüber der gewählten Krankenkasse" zu erklären ist, etwas anderes gelten sollte. Insbesondere lässt sich aus § 175 Abs. 3 SGB V kein anderes Ergebnis herleiten.

Nach dieser Vorschrift haben Versicherungspflichtige der zur Meldung verpflichteten Stelle unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung vorzulegen. Wird die Mitgliedsbescheinigung nicht spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht vorgelegt, hat die nach §§ 198 ff. SGB V zur Meldung verpflichtete Stelle (also bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber bzw. bei Sozialleistungsempfängern der jeweilige Träger) den Versicherungspflichtigen ab Eintritt der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse anzumelden, bei der zuletzt eine Versicherung bestand bzw., wenn vor Eintritt der Versicherungspflicht keine Versicherung bestand, den Versicherungspflichtigen bei einer wählbaren Krankenkasse anzumelden (§ 175 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V).

Sinn und Zweck dieser Regelung ist, kurzfristig Klarheit über die für die Durchführung der Pflichtversicherung zuständige Krankenkasse herzustellen. Macht der Versicherte von seinem Wahlrecht innerhalb der Frist von zwei Wochen keinen Gebrauch, tritt an die Stelle seines Wahlrechts die Anmeldepflicht der meldepflichtigen Stelle (Kasseler Kommentar - Peters, § 175 Rdnr. 25). Vorrangig ist aber zunächst stets zu klären, ob der Versicherte innerhalb der zweiwöchigen Frist eine Krankenkasse gewählt hat. Die Pflicht zur Vorlage der Mitgliedsbescheinigung der gewählten Krankenkasse bei der meldepflichtigen Stelle innerhalb der Zwei-Wochen-Frist hat nämlich nicht die Bedeutung, dass nur hierdurch der Beitritt zu der gewählten Krankenkasse wirksam wird, sondern dient lediglich dazu, gegenüber der meldepflichtigen Stelle die vorgenommene Krankenkassenwahl nachzuweisen. Hat der Versicherte fristgerecht eine wählbare Krankenkasse gewählt und versäumt er es lediglich, die Mitgliedsbescheinigung rechtzeitig bei der meldepflichtigen Stelle vorzulegen, so bleibt die getroffene Wahl dennoch wirksam, weil diese Wahlentscheidung dem Verfahren nach § 175 Abs. 3 SGB V vorgeht (Krauskopf – Baier, Soziale Krankenversicherung, § 175 Rdnr. 19). Erst recht gilt dies, wenn der Versicherte eine Wahl innerhalb der Zwei-Wochen-Frist unmittelbar gegenüber der meldepflichtigen Stelle vornimmt und diese die Wahlentscheidung des Versicherten an die gewählte Krankenkasse weiterleitet.

Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber meint, ausschließlich die Wahlerklärung gegenüber der gewählten Krankenkasse sei formwirksam, weil "bei jeder anderen Auslegung dem Missbrauch im Rahmen des Wettbewerbs Tür und Tor geöffnet wäre", ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn es ist nicht zu erkennen, welche Missbrauchsmöglichkeiten dadurch entstehen können, dass die Antragsgegnerin eine Krankenkassenwahl auch dann gegen sich gelten lassen muss, wenn diese nicht unmittelbar bei ihr, sondern bei einer der in § 16 Abs. 2 SGB I genannten Institutionen abgegeben wird. Falls die Antragsgegnerin damit aber ihre Befürchtung zum Ausdruck bringen will, dass die Überführung der bisherigen Sozialhilfeempfänger in das Leistungsrecht des SGB II aufgrund der Beratungs- und Bearbeitungspraxis der Agenturen für Arbeit regelhaft zur Folge haben könnte, dass ein Großteil des Personenkreises der bisherigen Sozialhilfeempfänger (bei denen es sich aus der Sicht der Antragsgegnerin typischer Weise um "schlechte Risiken" handeln dürfte) die Antragsgegnerin als zuständige Krankenkasse wählt, können derartige, von finanziellen Interessen getragene Überlegungen im Rahmen einer rechtlichen Würdigung keinen Platz haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved