L 3 U 386/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 24 U 210/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 386/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.10.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit (BK) Nr.2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 1936 geborene Kläger war vom 01.01.1953 bis 17.11.1953 und vom 04.01.1954 bis 04.02.1955 als Weber, vom 08.02. 1955 bis 31.10.1956 als Gleisbauarbeiter beschäftigt. Von 1956 bis 1962 war er bei der Bundeswehr (Artillerie) und machte dort unter anderem eine Ausbildung zum Fahrlehrer. Seit 1962 war er als Fahrlehrer, vom 01.07.1992 bis 01.12.1996 als selbständiger Fahrlehrer tätig.

Mit Schreiben vom 20.11.1999 machte der Kläger bei der Beklagten eine berufliche Lärmschwerhörigkeit als BK geltend, die er auf die ständigen lauten Geräusche der Fahrzeuge bei seiner Fahrlehrertätigkeit zurückführte. In der Anzeige über eine BK vom 29.12.1999 führte er seine Schwerhörigkeit unter anderem auch auf die Lärmeinwirkung bei seinen Tätigkeiten als Weber und Gleisbauarbeiter zurück. Auch bei seiner Beschäftigung ab 1956 bis 1962 bei der Bundeswehr sei er Lärm ausgesetzt gewesen.

Nach Erhebung der Arbeitsanamnese, Einholung von Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 07.12.2000 und der Gewerbeärztin Dr.F. vom 22.01.2001 lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 08.02.2001 ab, eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit als BK anzuerkennen, weil der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit als Fahrlehrer einer Lärmeinwirkung von unter 85 dB(A) ausgesetzt gewesen sei und dadurch eine Schwerhörigkeit nicht verursacht werde. Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, dass auch vom 01.01.1953 bis 04.02.1955 eine große Lärmeinwirkung bei seiner damaligen Tätigkeit in einer Tuchfabrik bestanden habe. Die Schwerhörigkeit existiere bereits seit 1954. Die Beklagte holte eine Auskunft der vom Kläger benannten Praxis Dres.K. und P. ein und wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2002 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, ihm wegen einer Berufskrankheit nach der Nr.2301 der Anlage zur BKV die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Das SG hat ein Gutachten von Prof.Dr.S. , Klinik und Poliklinik für HNO-Kranke am Klinikum G. , vom 30.01.2003/ 30.04.2003 eingeholt. Die Sachverständige hat das Vorliegen einer BK der Nr.2301 verneint. Durch die Tätigkeit des Fahrlehrers sei wegen Fehlens der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Gehörschaden nicht entstanden und durch die Tätigkeit als Weber und Gleisbauarbeiter sei die Entstehung eines Gehörschadens zwar nicht völlig auszuschließen, dennoch sei aber der ursächliche Zusammenhang zu verneinen. In ihrer Stellungnahme vom 30.04.2003 zum von Dr.P. vorgelegten Tonschwellenaudiogramm von 1992 führte sie zusätzlich aus, dass dieses eine Schallleitungsschwerhörigkeit zeige, die nicht Folge einer Lärmschwerhörigkeit sei und ab 1992 bis zu ihrer Untersuchung am 23.01.2003 nochmals eine Zunahme der Schwerhörigkeit nachgewiesen sei, so dass die Schwerhörigkeit - weil sie nach dem Ausscheiden aus dem Lärm aufgetreten sei - keinesfalls als BK angesehen werden könne.

Mit Urteil vom 16.10.2003 hat das SG, gestützt auf die Ausführungen des Prof.Dr.S. , die Klage abgewiesen. Dem am 09.09. 2003 gestellten Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Anhörung des Prof. Dr.S. ist es nicht gefolgt, weil es den Antrag als verspätet angesehen hat.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und ausgeführt, er habe bereits unmittelbar nach Beendigung seiner Arbeit als Weber und Gleisbauarbeiter an einer Schwerhörigkeit gelitten, die durch das ständige Rauschen bei seiner Fahrlehrertätigkeit, vor allem durch die zeitweise Ausbildung von Motorradfahrern noch verschlimmert worden sei.

Auf den im Berufungsverfahren wiederholten Antrag nach § 109 SGG hat der Senat nach Beiziehung einschlägiger Befundberichte und Audiogramme ein Gutachten von Prof.Dr.S. , Direktor der HNO-Klinik und Poliklinik der Universität R. , vom 04.05.2005 eingeholt. Dieser verneinte das Vorliegen einer BK Nr.2301 beim Kläger.

Der Kläger legte einen Bericht des Prof.Dr.S. vom 15.05.2003 an den weiterbehandelnden Arzt mit der Diagnose "Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits, Verdacht auf Lärmschwerhörigkeit" vor.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 16.10.2003 und des Bescheides vom 08.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2002 zu verurteilen, ihm wegen einer Berufskrankheit Nr.2301 der Anlage zur BKV die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.10.2003 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat mit Recht die Klage abgewiesen, denn beim Kläger liegt keine BK nach § 9 Abs.1 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) i.V.m. Nr.2301 der Anlage 1 zur BKV vor.

Für das Vorliegen einer BK gemäß § 9 Abs.1 SGB VII ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, gilt hingegen grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG Urteil vom 27.06. 2000 B 2 U 29/99 R).

Im vorliegenden Fall ist der Senat - gestützt auf die Ausführungen des Prof.Dr.S. und des Prof.Dr.S. - zu der Auffassung gelangt, dass für die nachgewiesene Schwerhörigkeit des Klägers die berufliche Tätigkeit nicht mit Wahrscheinlichkeit als Ursache zu werten ist. Hinsichtlich der Fahrlehrertätigkeit fehlt es bereits am Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen (vgl. Stellungnahme des TAD und der Staatlichen Gewerbeärztin Dr.F.). Auch wenn man im Weiteren zu Gunsten des Klägers davon ausginge, dass bei den Tätigkeiten als Weber und Gleisbauer grundsätzlich die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK nach Nr.2301 angenommen werden können, ist gleichwohl die Schwerhörigkeit des Klägers nicht auf die Lärmeinwirkung auf diesen Arbeitsplätzen zurückzuführen. Denn die Mehrzahl der im Rahmen der Beurteilung relevanten Gesichtspunkte spricht gegen den ursächlichen Zusammenhang. Insoweit ist vor allem anzuführen, dass schon die Kurvenform im Tonschwellenaudiogramm uncharakterisch für eine Lärmschwerhörigkeit ist, da der Hörverlust im Mitteltonbereich zu ausgeprägt ist und weder eine C 5 Senke noch eine fis 5 Senke nachgewiesen werden konnte. Durch ein vom Kläger vorgelegtes Audiogramm 1992 ist, wie Prof.Dr.S. überzeugend ausgeführt hat, belegt, dass von diesem Zeitpunkt an bis zur Untersuchung durch sie am 23.01.2003 eine weitere Verschlechterung des Hörvermögens eingetreten ist. Gerade aber diese weitere Zunahme der Schwerhörigkeit nach dem Ausscheiden aus dem Lärm spricht nach herrschender medizinischer Lehrmeinung maßgeblich gegen die Annahme einer BK der Nr.2301. Auch fanden sich beim Kläger vestibuläre Zeichen, also Gleichgewichtsstörungen, die nicht zum Bild einer Lärmschwerhörigkeit passen. Prof.Dr.S. betont des Weiteren das Vorliegen einer Asymmetrie der Schwerhörigkeit, was ebenfalls gegen die Annahme einer BK spricht, weil die Einwirkung eines berufsbedingten Lärms regelmäßig zu einer seitengleichen Hörminderung führt. Betrachtet man die angegebenen Lärmtätigkeiten als Weber und Gleisbauer, die zwar für sich gesehen grundsätzlich für die Verursachung einer Lärmschwerhörigkeit in Betracht zu ziehen sind, so ist zum einen zu berücksichtigen, dass diese Tätigkeiten insgesamt nur eine Zeitdauer von zusammen 44 Monaten ausmachten, also für sich gesehen einen relativ kurzen Zeitraum, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt es nicht wahrscheinlich ist, dass die vorgenannten Tätigkeiten als Weber und Gleisbauer die Schwerhörigkeit des Klägers verursacht haben. Hinzu kommt nach den Angaben des Klägers, dass er bereits 1954 eine Hörminderung und einen Tinnitus bemerkt hat und es unwahrscheinlich ist, dass eine berufsbedingte Lärmschädigung schon nach einer Berufstätigkeit von lediglich zehn Monaten aufgetreten sein könnte.

Die Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Prof. Dr.S. erachtet der Senat im Ergebnis als unbehelflich. Soweit sie sich auf die Durchführung der Begutachtung beziehen, ist nicht ersichtlich, inwieweit sich hierdurch relevante Folgerungen hinsichtlich der Verwertbarkeit und Überzeugungskraft des Gutachtensergebnisses ergeben sollten. Denn der Sachverständige ist nicht etwa auf Grund falsch verstandener Angaben des Klägers zu dem für den Kläger nachteiligen Ergebnis gelangt, sondern hat vor allem die vorliegenden objektiven Befunde gewertet. Diese sind aber, wie oben ausgeführt, gerade nicht geeignet, eine BK der Lärmschwerhörigkeit zu begründen. Der Senat hat sich den Ausführungen des Prof.Dr.S. im Ergebnis auch deshalb angeschlossen, weil sie im Einklang mit den Beurteilungsgrundsätzen zur BK Nr.2301 stehen. Soweit der Kläger sich zur weiteren Begründung auf den vorgelegten Arztbrief des Prof.Dr.S. vom 15.02.2003 stützen möchte, sind die darin enthaltenen Ausführungen ebenfalls nicht geeignet, die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK zu begründen. Die dort wiedergegebene Diagnose erhärtet nicht die Annahme des Klägers, dass bei ihm eine Lärmschwerhörigkeit als BK vorliegt. Prof. Dr.S. äußert darin lediglich den Verdacht auf eine Lärmschwerhörigkeit. Auch die Ausführungen, dass eine Hörgeräteversorgung beiderseits indiziert ist, lässt keinen Rückschluss auf die Kausalität der Schwerhörigkeit zu.

Nach allem kann daher die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie ist zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat läßt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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