L 13 KN 3/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 283/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 KN 3/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Bergmannsvollrente.

Der 1946 geborene Kläger stellte am 13. März 1995 bei der Landesversicherungsanstalt Schwaben (LVA) einen Antrag auf Kontenklärung und gab an, er sei im Beitrittsgebiet von 1963 bis 1974 als Lehrling und Hauer sowie von 1977 bis 1990 als Steiger im Bergbau beschäftigt gewesen. Er legte u.a. ein Zeugnis über einen Fachschulabschluss als Ingenieur für Bergbautechnik/Tiefbau vom 19. Juli 1977 und Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung - ausgestellt am 1. September 1963 und 4. Mai 1982 - vor, die für die Zeit vom 1. September 1963 bis 31. Juli 1965 eine Ausbildung im Erzbergbau, anschließend bis 27. August 1974 eine Tätigkeit als Hauer im Bergbau, bis 31. August 1977 ein Studium an einer Ingenieurschule und bis 29. Juni 1990 eine Tätigkeit als Steiger im Bergbau ausweisen.

Die LVA übersandte dem Kläger einen Versicherungsverlauf vom 2. Juni 1995, stellte gemäß § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) die darin für die Zeit bis zum 31. Dezember 1988 enthaltenen Daten verbindlich fest (Bescheid vom 2. Juni 1995) und erteilte dem Kläger eine "Auskunft über die zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten sowie über die Voraussetzungen für eine Rentenzahlung" (vom 2. Juni 1995), wonach beim Kläger die Wartezeit für eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, eine Regelaltersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres, Renten wegen Todes und eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder für Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahres erfüllt, die Wartezeit für eine Altersrente an langjährig Versicherte und für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige dagegen nicht erfüllt sei. Die Auskunft enthält darüber hinaus Hinweise auf die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit sowie darauf, dass die Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres und die Altersrente für langjährig Versicherte mit Vollendung des 63. Lebensjahres bezogen werden kann, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Hinweise darauf, dass beim Kläger (auch) eine Zuständigkeit der Bundesknappschaft für die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen könnte und Angaben zu den Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung sowie Leistungen nach dem Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) enthält die Auskunft nicht.

Am 4. Mai 1998 (Eingang bei der Beklagten) stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Gewährung einer Bergmannsvollrente. Er erfülle die Voraussetzungen für die Übergangsregelung für Bergleute des Beitrittsgebiets. Er habe das 50. Lebensjahr bis zum 30. November 1996 vollendet, am 30. Juni 1990 einen festen Wohnsitz im Beitrittsgebiet gehabt, 25 Jahren im Bergbau gearbeitet und davon 15 Jahre bergmännische Tätigkeit unter Tage verrichtet. Den Antrag stelle er erst jetzt, weil ihm die Übergangsregelung erst jetzt bekannt geworden sei. Die LVA habe ihn 1995 nicht darauf aufmerksam gemacht, dass seine Rentenunterlagen von der Beklagten bearbeitet werden müssten.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab (Bescheid vom 4. Juni 1998). Gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG hätten Person Anspruch auf Renten, deren Rente unter anderem in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1996 beginne. Aufgrund der Antragstellung am 29. April 1998 (Datum des Antragsschreibens) könne beim Kläger - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - die Bergmannsvollrente aber frühestens ab dem 1. April 1998 beginnen. Damit bestehe kein Anspruch auf Rente nach dem RÜG. Die Klärung des Versicherungsverlaufs durch die LVA habe auf diese Entscheidung keinen Einfluss. Die Regelung des Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 RÜG gelte für alle Renten des Rentenrechts der ehemaligen DDR und nicht nur für Renten aufgrund von Tätigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben der ehemaligen DDR. Die Anspruchsvoraussetzungen der Rente für Bergleute wegen Vollendung des 50. Lebensjahres und einer Wartezeit von 25 Jahren (300 Kalendermonate) mit Arbeiten unter Tage nach § 45 Abs. 3 SGB VI seien ebenfalls nicht erfüllt, da der Kläger insgesamt nur 268 Kalendermonate mit Arbeiten unter Tage zurückgelegt habe.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, aus den 1995 auf Aufforderung der LVA dort eingereichten Rentenunterlagen sei eindeutig hervorgegangen, dass er 27 Jahre seines Berufslebens bergbaulich tätig gewesen sei. Die Unterlagen seien bearbeitet und ihm zurückgesandt worden, ohne ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er versicherungsrechtlich der Bundesknappschaft angehöre und seine Rentenunterlagen dort bearbeitet werden müssten. Wäre dies geschehen, wäre ihm das Rentenüberleitungsgesetz bekannt geworden und er hätte rechtzeitig einen Rentenantrag stellen können. Er bitte deshalb um Rückversetzung in den vorigen Stand.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1999). Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung würden im allgemeinen nur auf Antrag geleistet. Dies gelte auch für Ansprüche nach dem RÜG. Der Antrag auf Kontenklärung vom 13. März 1995 stelle keinen Rentenantrag dar. Darauf sei im Antrag auf Kontenklärung eindeutig hingewiesen worden. Eine Rentenantragstellung sei daher erst am 4. Mai 1998 erfolgt. Eine Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht nach den §§ 13 bis 15 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) liege nicht vor, da seitens des Rentenversicherungsträgers keine Verpflichtung bestanden habe und bestehe, den Versicherten ausgehend von einem Antrag auf Kontenklärung über einen möglichen Rentenanspruch für die Zeit ab 1. Dezember 1996 zu informieren. Deshalb komme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht in Betracht. Im Übrigen könne bei einem Inkrafttreten des RÜG am 1. Januar 1992 davon ausgegangen werden, dass Versicherte innerhalb von 4 Jahren Kenntnis von dessen Vorhandensein erlangen.

Anschließend erteilte die Beklagte dem Kläger eine vorläufige Rentenauskunft (vom 13. Juli 1999). Die Auskunft enthält insbesondere "Hinweise zum Rentenanspruch und zu den Wartezeiten" für eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, eine Regelaltersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres, Renten wegen Todes, eine Rente für Bergleute, eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit oder für Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahres, eine Altersrente an langjährig Versicherte und für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige, eine Altersrente für langjährig unter Tage Beschäftigte Bergleute nach Vollendung des 60. Lebensjahres, eine Rente für Bergleute sowie eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau. Im dort beigefügten Versicherungsverlauf sind die Versicherungszeiten des Klägers als Zeiten der Rentenversicherung der Arbeiter ausgewiesen.

Gegen die Rentenablehnung hat der Kläger am 25. Februar 1999 (Eingang bei Gericht) beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben mit der Begründung, die LVA habe es versäumt, ihn auf die Zuständigkeit der Bundesknappschaft und ein mögliches Antragsrecht auf Bergmannsvollrente hinzuweisen. Dies sei ursächlich für seine verspätete Antragstellung gewesen. Das Fehlverhalten der LVA müsse sich die Beklagte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zurechnen lassen und im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ab 1. Dezember 1996 Bergmannsvollrente gewähren.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, es habe im Rahmen der am 13. März 1995 beantragten Kontenklärung weder für sie noch für die LVA Anlass bestanden, den Kläger auf einen möglichen Rentenanspruch ab 1. Dezember 1996 aufmerksam zu machen. Zu beachten sei, dass der Anspruch auf Bergmannsvollrente gemäß § 6 Art. 2 RÜG nicht nur von der Vollendung des Lebensalters abhänge, sondern auch von der Erfüllung der besonderen wartezeitrechtlichen Voraussetzungen, so dass ein möglicher Anspruch nicht ohne konkrete Prüfung des Einzelfalles feststellbar beziehungsweise erkennbar sei. Im Übrigen sei es nicht einzusehen, warum immer dem Versicherungsträger mangelnde Beratung unterstellt werde, wenngleich der einzelne Versicherte genügend Möglichkeiten gehabt habe, sich über seine Rechte und Pflichten zu informieren.

In einem Erörterungstermin am 26. Mai 2003 hat sich die Beklagte im Wege des Vergleichs verpflichtet, über den Rentenanspruch des Klägers nach Art. 2 § 6 RÜG erneut zu entscheiden, nachdem der Vorsitzende darauf hingewiesen hatte, dass im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch von einer rechtzeitigen Antragstellung des Klägers auszugehen sei, die Beklagte aber die Wartezeit von 25 Jahren nicht erfüllt sah.

Die Beklagte ermittelte bei der anschließenden Prüfung der Wartezeit für einen Anspruch auf Bergmannsvollrente beim Kläger 321 Monate anrechenbare Zeiten einer bergbaulichen Versicherung sowie 22 Jahre Tätigkeit unter Tage und lehnte den Rentenantrag des Klägers erneut mit der Begründung ab, wegen der verspäteten Antragstellung seien die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG (Rentenbeginn bis zum 31. Dezember 1996) nicht erfüllt (Bescheid vom 28. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2003).

Gegen die erneute Rentenablehnung hat der Kläger am 28. November 2003 (Eingang bei Gericht) Klage zum SG erhoben und weiterhin geltend gemacht, die Beklagte sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verpflichtet, von einer rechtzeitigen Antragstellung auszugehen.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2003 verurteilt, dem Kläger ab 1. Dezember 1996 Bergmannsvollrente entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren (Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2004). Die Voraussetzungen des Art. 2 § 6 Nr. 1 bis 3 RÜG seien erfüllt. Der Kläger habe mit dem Ablauf des 1. November 1996 das 50. Lebensjahr vollendet, mit insgesamt 321 Monaten anrechenbarer Zeiten einer bergbaulichen Versicherung die Wartezeit von 25 Jahren erfüllt und mindestens 15 Jahre Tätigkeiten unter Tage verrichtet. Der Anspruch scheitere nicht an Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG, wonach nur Personen Anspruch auf Rente hätten, wenn die Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1996 beginne. Der Kläger sei aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob er seinen Antrag so rechtzeitig gestellt hätte, dass sich ein Rentenbeginn am 1. Dezember 1996 ergebe. Es liege eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung der LVA vor, weil diese das Kontenklärungsverfahren 1995 nicht unverzüglich an die Beklagte abgegeben habe, obwohl diese gemäß § 137 Nr. 2 SGB VI zuständig gewesen sei, da der Kläger mit 268 Monaten Arbeiten unter Tage überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichtet gehabt habe. Die Pflichtverletzung der LVA, Bescheide nur im Rahmen der eigenen Zuständigkeit zu erteilen, sei auch kausal für die unterlassene Rentenantragstellung geworden. Bei einer unverzüglichen Abgabe an die Beklagte hätte diese in einem von ihr zu erteilenden Feststellungsbescheid den Kläger darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Wartezeit für die Bergmannsvollrente ab Vollendung des 50. Lebensjahres erfüllt sei. Die Beklagte informiere, wie sich aus dem Herstellungsbescheid vom 13 Juli 1999 deutlich ergebe, ihre Versicherten über die Erfüllung von Wartezeiten auch im Hinblick auf die nur von ihr gewährten knappschaftlichen Sonderleistungen. Jedenfalls hätte die LVA, soweit sie sich für zuständig halte, einen Hinweis auf die Erfüllung der Wartezeit für eine Bergmannsvollrente geben müssen. Wenn die LVA Auskünfte darüber gebe, für welche Rentenarten die Wartezeit erfüllt sei, so müssten diese Hinweise umfassend und richtig sein. Dass die Wartezeit erfüllt war, habe sich auch allein aus den Unterlagen entnehmen lassen, die der LVA 1995 vorlagen. Es stehe für das Gericht außer Zweifel, dass der Kläger auch ohne weitere Beratung durch den Rentenversicherungsträger rechtzeitig einen Antrag gestellt hätte, wenn ihm im Herstellungsbescheid verdeutlicht worden wäre, dass die Wartezeit für die Bergmannsvollrente ab Vollendung des 50. Lebensjahres erfüllt ist. Die Hinweise zur Erfüllung der Wartezeit dienten gerade dem Zweck, den Versicherten über Rentenarten zu informieren, deren Wartezeit erfüllt sei, und deren Beantragung grundsätzlich (bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen wie etwa dem Erreichen einer Altersgrenze) in Betracht komme. Eigenes Verschulden des Klägers an der Versäumung des Antrags schließe den Herstellungsanspruch nicht aus. § 109 Abs. 4 S. 2 SGB VI stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, denn die LVA habe keine Rentenauskunft im Sinne des §§ 109 Abs. 1 bis 3 SGB VI erteilt.

Gegen das ihr am 12. Januar 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Januar 2001 (Eingang bei Gericht) beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Der Kläger habe erstmals am 4. Mai 1998 Bergmannsvollrente beantragt. Anspruch hierauf hätten aber nur Personen, die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Wohnsitz im Beitrittsgebiet hatten und deren Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1996 beginne. Die persönlichen Voraussetzungen für eine Bergmannsvollrente seien beim Kläger mit Vollendung des 50. Lebensjahres am 1. November 1996 erfüllt gewesen, doch habe die Rente nicht spätestens am 31. Dezember 1996 begonnen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht. Voraussetzung hierfür sei eine falsche Beratung oder eine zwingende, aber unterbliebene Beratung über eine ganz offensichtliche Gestaltungsmöglichkeit. Der Kläger habe sich aber vor 1998 zu keiner Zeit an einen Versicherungsträger mit der Frage eines vermeintlichen Rentenanspruchs auf Übergangsrenten des Beitrittsgebietes gewandt. Hierzu habe es im Vorfeld auch keiner Kontenklärung bedurft, da diese für einen individuellen Rentenanspruch unbedeutend sei.

Auch wenn der Beklagten die wartezeitrechtlichen Daten vollständig und rechtzeitig bekannt gewesen wären, hätte dies im Übrigen nicht zu einer Aufklärung über einen vermeintlichen Erstrentenanspruch geführt. Dazu habe weder ein Anlass noch eine rechtliche Verpflichtung bestanden. Jeder Versicherte sei im Rahmen seiner persönlichen Individualvorsorge verpflichtet, die sich ihm bietenden Möglichkeiten einer rechtlichen Gestaltung in Anspruch zu nehmen oder zu unterlassen. Die Bevölkerung der Bundesrepublik sei in jahrelangen und groß angelegten Medienkampagnen durch Presse, Fernsehen und diverse Schriften auf ihre rentenrechtlichen Möglichkeiten hingewiesen worden. Die Rechtsunkenntnis über die vermeintliche Rentenleistung sei daher allein dem Kläger zuzuschreiben.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20. Dezember 2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2003 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für gegeben.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG (Az.: S 4 Kn 41/99 und Az.: S 4 KN 283/03) beigezogen und auf Antrag der Beklagten die Vollstreckung aus dem angefochtenen Gerichtsbescheid bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt (Beschluss vom 15. Februar 2005, Az. L 13 KN 2/05 ER). Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 105 Abs. 2 S. 1, 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 28. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2003, mit dem es die Beklagte (erneut) abgelehnt hat, dem Kläger ab 1. Dezember 1996 Bergmannsvollrente nach Art. 2 § 6 RÜG zu zahlen. Das SG hat der dagegen erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung einer Bergmannsvollrente ab 1. Dezember 1996.

Gemäß Art. 2 § 1 RÜG haben Anspruch auf Rente nach den Vorschriften des Art. 2 RÜG Personen,

1. die die in diesem Artikel geregelten Anspruchsvoraussetzun gen erfüllen,

2. die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufent halt im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs. 3 des Vierten Buches So zialgesetzbuch) hatten und

3. deren Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. De zember 1996 beginnt,

wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben (Abs. 1).

Versicherte im Sinne dieses Artikels sind Personen, die vor Rentenbeginn rentenrechtliche Zeiten haben (Abs. 2).

Dass der bis zum 26. August 1990 im Beitrittsgebiet bergbaulich tätige Kläger am 8. Mai 1990 seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet hatte und die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 2 § 6 RÜG für eine Bergmannsvollrente erfüllt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach den zutreffenden Feststellungen der Beklagten hat der Kläger am 1. November 1996 das 50. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit einer bergbauliche Versicherung von 25 Jahren erfüllt und mehr als 15 Jahre unter Tage Tätigkeiten ausgeübt. Damit sind ab 1. Dezember 1996 die Anspruchsvoraussetzungen für eine Bergmannsvollrente (sog. Rentenstammrecht) und bei rechtzeitiger Antragstellung (Art. 2 § 44 Abs. 1 RÜG in Verbindung mit § 99 Abs. 1 SGB VI) auch die Voraussetzungen für den Beginn der Rente (Art 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG) im Sinne der Entstehung des ersten monatlichen Zahlungsanspruchs erfüllt.

Zwar hat der Kläger erst am 4. Mai 1998 (Eingang bei der Beklagten) Antrag auf Bergmannsvollrente gestellt, so dass gemäß § 44 Abs. 1 RÜG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ein Zahlungsanspruch erst ab 01. Mai 1998 bestehen würde. Er hat aber - wie das SG zutreffend festgestellt und begründet hat - Anspruch darauf, im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er diesen Leistungsantrag spätestens im Februar 1997 gestellt.

Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass

- der Anspruchsteller ein bestimmtes soziales Recht (oder ein bundesgesetzlich ausgestaltetes Verfahrensrecht) innehat (oder innegehabt hat), das sich gerade gegen den Leistungsträger richtet, von dem er Herstellung begehrt,

- er in diesem sozialen Recht dadurch beeinträchtigt worden ist, dass der verpflichtete Leistungsträger durch ein ihm sozialrechtlich zuzurechnendes rechtswidriges Verhalten (Eingriff, Behinderung oder Unterlassen einer gebotenen Förderung) eine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis verletzt hat, die ihm gerade gegenüber dem Anspruchsteller zum Schutz des Rechts oblag und

- die Pflichtverletzung die wesentliche, d.h. zumindest gleichwertige Bedingung dafür gewesen ist, dass das beeinträchtigte Recht (ggf. für den jeweiligen Zeitraum) dem Rechtsinhaber nicht, nicht mehr oder nicht in dem vom Primärrecht bezweckten Umfang zusteht.

Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist grundsätzlich und soweit notwendig sowie rechtlich und tatsächlich möglich der Zustand wieder herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre und der Sozialleistungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte (vgl. SozR 4-1200 § 46 Nr 1).

Das SG hat zutreffend festgestellt, dass die LVA im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens 1995 die ihr als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber dem Kläger obliegende Pflicht zur Auskunft (§ 15 SGB I) verletzt hat.

Für die LVA war aufgrund der Tatsache, dass der Kläger nach den von ihm vorgelegten Arbeitsausweisen mit Ausnahme der Studienzeit ausnahmslos im Bergbau beschäftigt war, ohne weiteres erkennbar, dass für die Erteilung eines Vormerkungsbescheides nach § 149 Abs. 5 SGB VI nicht die Zuständigkeit der LVA, sondern gemäß § 137 Nr. 2 SGB VI die alleinige Zuständigkeit der Beklagten gegeben war. Sie war daher verpflichtet, das von ihr initiierte Kontenklärungsverfahren nach Eingang der Versicherungsunterlagen des Klägers unverzüglich an die Beklagte als zuständigen Rentenversicherungsträger abzugeben. Soweit die LVA unter Außerachtlassung ihrer Unzuständigkeit dem Kläger im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens mit Schreiben vom 2. Juni 1995 eine Auskunft über die von ihm zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten sowie über die Voraussetzungen für eine Rentenzahlung erteilt hat, war sie verpflichtet, diese Auskunft umfassend und richtig zu erteilen. Für den Kläger war aus der erteilten Auskunft weder ersichtlich, dass diese von einem unzuständigen Leistungsträger erteilt wurde, noch, dass sich die Auskunft auf Rentenansprüche mit Ausnahme knappschaftlicher Rentenleistungen beschränkte.

Dieses pflichtwidrige Unterlassen der LVA muss sich die Beklagte zurechnen lassen, denn im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung wirken die Rentenversicherungsträger innerhalb der ihnen gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeiten arbeitsteilig an der Verwirklichung der sozialen Rechte der Versicherten mit. Ergeben sich dabei - wie hier - Überschneidungen der Zuständigkeitsbereiche, weil der kontoführende Leistungsträger (LVA) nicht mit dem zuständigen Leistungsträger (Beklagte) identisch ist, so muss der zuständige Leistungsträger auch Pflichtverletzungen des kontoführenden Leistungsträgers, die sich nachteilig auf die Gestaltungsrechte des Versicherten gegenüber dem zuständigen Leistungsträger auswirken, gegen sich gelten lassen.

Sowohl bei Abgabe des Kontenklärungsverfahrens an die Beklagte als auch bei vollständiger Auskunftserteilung über die auf den festgestellten Versicherungszeiten beruhenden Anwartschaften des Klägers wäre dieser in die Lage versetzt worden, die Beratung der Beklagten über die Gewährung knappschaftlicher Rentenleistungen, insbesondere der hier streitigen Bergmannsvollrente, in Anspruch zu nehmen und nach pflichtgemäßem Hinweis auf die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen einen entsprechenden Leistungsantrag rechtzeitig zu stellen.

Dass die Beklagte den Kläger nach Abgabe des Kontenklärungsverfahrens im Rahmen der ihr als zuständigem Leistungsträger obliegenden Rentenauskunft über die Erfüllung oder Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (auch) für knappschaftliche Rentenleistungen informiert hätte, geht aus der dem Kläger tatsächlich am 13. Juli 1999 erteilten Rentenauskunft hervor. In den Jahren 1995 und 1996 hätte die Auskunftspflicht der Beklagten auch Rentenleistungen nach Art. 2 § 6 RÜG umfasst, da der Kläger die versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine solche Rente nach Art. 2 § 1 RÜG zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der im Kontenklärungsverfahren festzustellenden Versicherungszeiten bereits erfüllt hatte und die Erfüllung der Altersvoraussetzung zum 1. November 1996 ohne weiteres erkennbar war. Die Beklagte wäre auch in der Lage gewesen, anhand dieser Versicherungszeiten die Erfüllung der besonderen knappschaftlichen Wartezeit und die Dauer der Tätigkeit unter Tage festzustellen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie in der dem Kläger erteilten vorläufigen Rentenauskunft vom 13. Juli 1999, die in ihrem Aufbau der von der LVA erteilten Auskunft entspricht, im maschinellen Verfahren ohne individuelle Prüfung des Versicherungsverhältnisses bezüglich einer Altersrente für langjährig unter Tage Beschäftigte Bergleute nach Vollendung des 60. Lebensjahres, einer Rente für Bergleute sowie einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau Angaben zur Dauer der beim Kläger auf die knappschaftliche Wartezeit anrechenbaren Monate und die Dauer seiner Tätigkeit unter Tage gemacht hat.

Die Auffassung der Beklagten, sie sei selbst bei Übernahme des Kontenklärungsverfahrens nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf die mögliche Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Bergmannsvollrente hinzuweisen, ist daher unzutreffend. Bereits aus den Angaben in den Arbeitsausweisen war die rechtzeitige Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für einen Rentenbeginn vor dem 31. Dezember 1996 für die Beklagte ohne weiteres erkennbar. In diesem Fall bedarf es bei einer Erstfeststellung der Versicherungszeiten weder eines Auskunftsersuchens noch eines Beratungsersuchens des Versicherten, um jedenfalls eine Auskunftspflicht der Beklagten zu begründen, durch deren Erfüllung der Kläger in die Lage versetzt worden wäre, zum Zwecke der rechtzeitigen Antragstellung eine Beratung in Anspruch zu nehmen.

Da die Erteilung von Rentenauskünften gerade dazu dient, den Versicherten über die Erfüllung oder Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Renten zu informieren um ihn in die Lage zu versetzen, sich (auch) über mögliche Leistungsansprüche beraten zu lassen und gegebenenfalls rechtzeitig entsprechende Leistungsanträge zu stellen, der Kläger aber infolge der unvollständigen Rentenauskunft der LVA über die Anwartschaft auf Bezug einer Bergmannsvollrente nicht informiert war, war die Pflichtverletzung der LVA kausal dafür, dass der Kläger - in Unkenntnis der Zuständigkeit der Beklagten und der ihr gegenüber möglicherweise bestehenden Leistungsansprüche - weder eine Beratung der Beklagten in Anspruch genommen noch rechtzeitig Antrag auf Bergmannsvollrente gestellt hat. Der Grundsatz der Publizität von Gesetzen steht dem nicht entgegen. Auch wenn der Kläger grundsätzlich die Möglichkeit hatte, vom Inhalt des RÜG nach dessen Veröffentlichung Kenntnis zu nehmen, wird die Pflicht des Rentenversicherungsträgers, den Versicherten im Rahmen einer Rentenauskunft vollständig und richtig über bestehende Anwartschaften zu informieren, davon nicht beeinflusst. Die Beklagte kann sich daher nicht darauf berufen, der Kläger habe sich unabhängig von Kontenklärung und Rentenauskunft Kenntnis über die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Bergmannsvollrente verschaffen können.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger vor dem 1. März 1997 sein Antragsrecht bewusst nicht wahrgenommen hat oder bei ordnungsgemäßer Auskunft weder eine Beratung in Anspruch genommen noch Antrag auf Bergmannsvollrente gestellt hätte, liegen nicht vor.

Im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist der Kläger zur Herstellung des Zustandes, der bei ordnungsgemäßer Rentenauskunft bestanden hätte, so zu stellen, als habe er vor dem 1. März 1997 Antrag auf Bergmannsvollrente gestellt, denn es ist davon auszugehen, dass der Kläger in Kenntnis der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rente einen rechtzeitigen Leistungsantrag gestellt hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor. Das Bundessozialgericht hat bereits in mehreren Entscheidungen bestätigt, dass auch die Verletzung von Auskunfts- und Beratungspflichten durch einen anderen Sozialleistungsträger einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen den leistungsverpflichteten Sozialleistungsträger begründen kann (vgl. grundlegend BSGE 51,89; zur Beratungspflicht des Renten- und des Krankenversicherungsträgers über die Auswirkungen eines Leistungsbezuges auf Leistungsansprüche gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit BSG SozR 3-4100 § 105 a Nr. 2; zur Beratungspflicht des Arbeitsamtes über den Verlust der Anwartschaft auf Rente bei Ablehnung von Arbeitslosengeld BSGE 73, 56). Dies muss erst recht gelten, wenn die betroffenen Sozialleistungsträger - wie hier - aufgrund sich überschneidender Zuständigkeiten als kontoführender Leistungsträger einerseits und zuständiger Leistungsträger andererseits im selben Sozialversicherungsverhältnis tätig werden.
Rechtskraft
Aus
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