L 10 AL 442/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 383/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 442/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7a AL 142/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.09.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen unrichtiger Angaben des Klägers zum Vermögen und die Rückforderung überzahlter Leistungen einschl. überzahlter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 23.583,23 DM.

Der 1968 geborene Kläger bezog nach einer abgebrochenen Ausbildung bei der Oberfinanzdirektion N. und nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld von der Beklagten u.a. vom 28.06.1994 bis 02.07.1994 (Bescheid vom 22.07.1994) und vom 22.12.1994 bis 09.12.1995 (Bescheid vom 02.02.1995) Anschluss-Alhi. Nach Erfüllung einer erneuten Anwartschaft zahlte die Beklagte vom 01.05.1998 bis zu dessen Erschöpfung Arbeitslosengeld und ab 03.02.2000 bis 02.04.2000 sowie vom 06.04.2000 bis 07.01.2001 Alhi. Ab 18.06.2001 bezog er Unterhaltsgeld.

Bei seinem Antrag auf Alhi vom 05.04.1994 für die Zeit ab 28.06.1994 legte der Kläger hinsichtlich seines Vermögens lediglich Bescheinigungen über ein Bausparguthaben von 3.482,00 DM sowie einen Gewinnsparbrief im Wert von 370,00 DM vor. Bei der Antragstellung für die Zeit ab 22.12.1994 gab er an, über kein Vermögen zu verfügen. Mit Bescheid vom 22.07.1994, 02.02.1995 und 19.06.1995 zahlte die Beklagte Alhi ohne Berücksichtigung von Vermögen.

Beim Antrag auf Alhi vom 29.12.1999 und 03.11.2000 für die Zeit ab 03.02.2000 bzw. 08.01.2001 gab der Kläger lediglich ein Bankguthaben von 300,00 DM bzw. 800,00 DM sowie ein Bausparguthaben in Höhe von 4.381,38 DM bzw. 5.685,51 DM an. Mit Bescheiden vom 13.03.2000, 19.05.2000 und 09.01.2001 bewilligte die Beklagte wiederum Alhi ohne Anrechnung von Vermögen.

Nachdem die Beklagte durch das Bundesamt für Finanzen von Freistellungsaufträgen des Klägers erfahren hatte und diesbezüglich beim Kläger mit Schreiben vom 28.11.2000 nachgefragt hatte, legte dieser verschiedene Bescheinigungen darüber vor, dass ihm das Geld nicht gehöre. Die Sparkasse O. teilte mit, der Kläger habe am 03.02.2000 über ein Vermögen von 75.512,81 DM verfügen können. Der Vater des Klägers erklärte hierzu am 23.01.2001 und 01.02.2001, das Vermögen habe dem Kläger nicht zugestanden, vielmehr habe er damit Mietrückstände an seine Schwester zu begleichen. Außerdem müsse er noch Forderungen seiner Mutter wegen angefallener Kosten für die Versorgung bezahlen. 1987 seien 30.000,00 DM von der Mutter auf den Namen des Klägers angelegt worden. Eine Verfügungsvollmacht hierüber habe der Kläger jedoch nicht gehabt. Dieses Geld habe der Kläger auf Weisung der Mutter an seine Nichte übertragen müssen. 40.000,00 DM schulde er seiner Schwester H. T. und seiner Mutter aus Miete und Verpflegung. 40.000,00 DM habe er seiner Schwester zum Hausbau zur Verfügung gestellt. Aus einer weiteren Bescheinigung der Sparkasse O. geht hervor, dass am 05.12.2000 vom Kläger auf seine Schwester M. S. 30.000,00 DM übertragen worden sind. Zudem teilte die Sparkasse O. mit, dass zum 28.06.1994 das Vermögen des Klägers 35.706,37 DM und zum 22.12.1994 41.141,77 DM betragen habe. Hierüber sei der Kläger allein verfügungsberechtigt gewesen.

Nach Anhörung nahm die Beklagte mit Bescheid vom 13.06.2001 die Bewilligung von Alhi mit Wirkung ab 08.01.2001 zurück. Mangels Bedürftigkeit bestehe kein Anspruch auf Alhi bis 12.09.2001.

Zudem nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi mit Bescheid vom 21.06.2001 für die Zeit vom 03.02.2000 bis 02.04.2000 und 06.04.2000 bis 07.01.2001 zurück. Unter Berücksichtigung des Freibetrages sei der Kläger für 82 Wochen nicht bedürftig. Die für die Zeit vom 03.02.2000 bis 07.01.2001 zu Unrecht überzahlten Leistungen in Höhe von 13.197,95 DM habe der Kläger zu erstatten. Auch habe er die überzahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4.557,44 DM zu erstatten (Bescheid vom 21.06.2001).

Den Widerspruch gegen die Bescheide vom 13.06.2001 und 21.06.2001 begründete der Kläger damit, 30.000,00 DM würden seiner Mutter gehören und weitere 45.000,00 DM habe er sich selbst angespart. Dem stünden jedoch Schulden in Höhe von 55.000,00 DM gegenüber seiner Mutter und Schwester gegenüber.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2001 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Über das vorhandene Vermögen sei der Kläger allein verfügungsberechtigt gewesen. Die angegebenen Schulden seien nicht glaubhaft. Durch die nunmehr erfolgte Übertragung des Vermögens auf andere Personen könne Bedürftigkeit nicht herbeigeführt werden.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) mit der Begründung erhoben, die von ihm in den Anträgen gemachten Angaben seien zutreffend gewesen.

Nach Anhörung hat die Beklagte mit weiterem, nach Auffassung des SG zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid vom 30.08.2001 die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 28.06.1994 bis 08.05.1995 aufgehoben. Der Kläger habe damals über ein Vermögen in Höhe von 27.706,37 DM verfügt, was zu einem Ruhen des Anspruches auf Alhi für 45 Wochen geführt habe. Überzahlte Leistungen sowie überzahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge habe er daher zu erstatten.

Die Sparkasse O. hat mit Schreiben vom 27.05.2002 und 10.06.2002 die Kontostände des Klägers für die Zeit vom 28.06.1994 bis 31.12.2001 dargelegt. Am 05.12.2001 seien 38.830,60 DM vom Kläger auf den Namen von M. S. geschrieben worden.

Das SG hat den Vater des Klägers uneidlich als Zeugen vernommen. Dieser hat ausgeführt, 30.000,00 DM seien von der Mutter des Klägers auf den Namen des Klägers aus steuerlichen Gründen angelegt worden. Über dieses Geld habe der Kläger nicht verfügen dürfen. Ein Wohnrecht im Haus der Schwester H. T. habe der Kläger nicht gehabt, so dass er noch jährliche Miete in Höhe von 4.000,00 DM geschuldet habe. Er habe auch Schulden wegen Verpflegungsleistungen in Höhe von 125,00 DM monatlich. Schriftliche Abmachungen hierüber gebe es jedoch nicht. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des Zeugen wird auf die beigezogene Akte des SG hingewiesen.

Der Kläger hat weiter ausgeführt, das auf seinem Namen lautende Vermögen habe er nicht angegeben, weil er durch familieninterne Abmachungen nicht über das Geld habe verfügen dürfen. Aus seiner Sicht sei es nicht sein Geld gewesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.09.2004 abgewiesen. Der Kläger habe zumutbar verwertbares Vermögen besessen, wobei seine Verfügungsmacht nicht eingeschränkt gewesen sei und zu berücksichtigende Verbindlichkeiten nicht bestanden hätten. Er sei als Vermögensinhaber anzusehen, insbesondere habe nicht lediglich ein Treuhandverhältnis bestanden. Für weitere Verbindlichkeiten (aus Miete, Verpflegung, Darlehen) habe er keine Nachweise über vertragliche Abreden erbringen können. Die Voraussetzungen der Rücknahme der Bewilligung und Rückforderung lägen somit für den Zeitraum ab 28.06.1994, 03.02.2000 und 06.04.2000 vor.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger vorgetragen: Er habe nicht grob fahrlässig gehandelt, zumal er aus dem Staatsdienst als Steueranwärter mangels erforderliche Kenntnisse ausgeschieden sei. Sein Vater als Vermögensverwalter der Familie möge als Zeuge geladen werden. Dieser hat mit Schreiben vom 03.02.2005 angegeben, 30.000,00 DM hätten dem Kläger nie gehört und weitere 40.000,00 DM habe er seiner Schwester und Mutter geschuldet.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.09.2004 sowie die Bescheide vom 13.06.2001 und 21.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2001 und den Bescheid vom 30.08.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Ein Befangenheitsantrag des Klägers "gegen das Gericht" wegen "Rechtsbeugung", nachdem dem Wunsch des Klägers nicht nachgekommen worden war, seinen Vater als Zeugen zu laden, wurde vom Senat als rechtsmissbräuchlich mit Beschluss in der mündlichen Verhandlung vom 31.05.2005 als unzulässig verworfen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Akte des SG Würzburg S 10 AL 480/04 und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage gegen die Bescheide vom 13.06.2001 und 21.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2001 und gegen den Bescheid vom 30.08.2001, der aus prozessökonomischen Gründen nach § 96 SGG einzubeziehen war, abgewiesen. Die Rücknahme bzw. Aufhebung der Bewilligungsbescheide ist rechtmäßig. Der Kläger hat überzahlte Leistungen in Höhe von ca. 23.583,23 DM zu erstatten. Er wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligung von Alhi vom 28.06.1994 stellt § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar, denn die Bewilligungsbescheide vom 22.07.1994 und 02.02.1995 waren von Anfang an rechtswidrig. Unschädlich ist dabei, dass die Beklagte die Rücknahme auf § 48 SGB X gestützt hat. Wegen in beiden Fällen nicht zu treffender Ermessensentscheidung (§ 330 Abs 2 und 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -) ist nämlich eine Umdeutung möglich (§ 43 SGB X).

Gemäß § 45 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist (§ 45 Abs 1 SGB X). In den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs 4 SGB X).

Die Bewilligung von Alhi ab 28.06.1994 war von Anfang an rechtswidrig gewesen, denn der Kläger verfügte zu dem Zeitpunkt, in dem er den Antrag auf Alhi gestellt hatte (§ 8 Satz 2 Arbeitslosenhilfeverordnung - AlhiV - in der Fassung vom 18.12.1992) über ein Vermögen in Höhe von 35.706,00 DM (Auskunft der Sparkasse O.). Den Antrag hatte er am 05.04.1994, also unmittelbar vor dem Zeitpunkt des von der Sparkasse O. angegebenen Vermögensstandes gestellt.

Gemäß § 134 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der damals geltenden Fassung hat Anspruch auf Alhi, er u.a. bedürftig ist. Der Arbeitslose ist nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf u.a. sein Vermögen die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt ist (§ 137 Abs 2 AFG). Unter welchen Voraussetzungen die Gewährung von Alhi mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse offenbar nicht gerechtfertigt ist, konkretisieren die §§ 6 ff der auf Grund der Ermächtigungsgrundlage in § 137 Abs 3 AFG erlassenen AlhiV vom 07.08.1974 in der Fassung vom 18.12.1992. Hiernach ist das Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar und die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, jeweils 8.000,00 DM nicht übersteigt (§ 6 Abs 1 AlhiV). Vermögen ist insbesondere verwertbar, soweit seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können. Es ist nicht verwertbar, soweit der Inhalt des Vermögens in der Verfügung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann (§ 6 Abs 2 AlhiV). Die Verwertung ist zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann (§ 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV).

Die Anhaltspunkte dafür, dass die auf den Namen des Klägers angelegten Vermögenswerte nicht verwertbar seien oder deren Verwertung unzumutbar sei, finden sich nicht. Ebensowenig finden sich Erkenntnisse und Angaben darüber, dass diese Vermögenswerte zur alsbaldigen Gründung eines angemessenen Hausstandes, für alsbaldige Berufsausbildung oder zur Alterssicherung dienen. Hierzu fehlen jegliche Angaben des Klägers. Vielmehr führt er an, diese Beträge anderen Familienmitgliedern zu schulden und diese Vermögenswerte seien lediglich aus steuerlichen Gründen auf den Namen des Klägers gelaufen (so die Angaben des Vaters als Vermögensverwalter der Familie). Sie können damit den o.g. Zwecken nicht gedient haben.

Bei dem vorhandenen Guthaben handelt es sich um Vermögen, das dem Kläger zusteht und ihm zurechenbar ist. Nach Angabe der Sparkasse O. lauten die entsprechenden Konten auf den Namen des Klägers und dieser ist in der Verfügung hierüber nach außen hin nicht beschränkt. Dies wird vom Kläger auch nicht bestritten.

Grundsätzlich trägt zwar die Beklagte bei einer auf § 45 SGB X gestützten Rücknahme die volle Beweislast für die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltunsaktes. Diesen Beweis hat die Beklagte unter Hinweis auf das Sparguthaben des Klägers erbracht. Dem Kläger trifft nunmehr allerdings im Wege der Umkehr der Beweislast die objektive Beweislast dafür, dass er trotz der Inhaberschaft der verschiedenen Konten zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Alhi bedürftig war mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht vorlagen (vgl hierzu: BayLSG, Urteil vom 09.12.2004 - L 11 AL 435/03 -, LSG Brandenburg, Urteil vom 28.08.1997 - E-LSG AL 165). Nach der Rechtsprechung des BSG ist Vermögen nicht verwertbar, das der Inhaber an den Eigentümer herauszugeben hat. So hat das BSG Geldmittel, die von Anfang an mit einer Rückzahlungspflicht verbunden sind, vom Einkommensbegriff ausgenommen, weil sie dem Arbeitlosen nicht endgültig zur Verfügung stehen und deshalb nicht zum Bestreiten des Lebensunterhalts herangezogen werden können (BSG SozR 4100 § 138 Nr 11; BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 12; BSG SozR 3-4200 § 6 Nr 8; BayLSG, Urteil vom 09.12.2004 - L 11 AL 435/03).

Diesen Nachweis hat der Kläger zur Überzeugung des Senates nicht erbracht. Ein Treuhandverhältnis zwischen Kläger und seiner Mutter oder seiner Schwester hat nicht bestanden. Insbesondere ist die Mutter nicht wirtschaftlicher Inhaber des Vermögens - es soll sich um 30.000,00 DM handeln - geblieben (Palandt/Basenge, BGB, 63.Aufl, § 993 RdNr 33; Schramm, Münchener Kommentar, 3.Aufl, Vor-§ 164 RdNr 27; BayLSG, Beschluss vom 11.08.2004 - L 10 B 213/04 AL ER). Dies ergibt sich bereits aus der fehlenden Kennzeichnung der Treuhand und der Verletzung des Offenkundigkeitsprinzips (BayLSG, Urteil vom 09.12.2004 - L 11 AL 435/03; Hessisches LSG, Urteil vom 09.05.2001 - L 6 AL 432/00 - ; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.08.2002 - L 12 AL 247/01) sowie daraus, dass der Kläger einen Freistellungsauftrag auf seinen Namen erteilt hat, er sich das Kapital und dessen Erträgnisse also mit steuerrechtlicher Wirkung selbst zurechnete.

Mangels vertragliche Abreden und schriftlicher Vereinbarungen geht der Senat nicht davon aus, dass eventuelle bestehende Verbindlichkeiten des Klägers gegenüber der Schwester (Miete) und Mutter (Verpflegung) unmittelbar auf dem Vermögen lasteten. Nach Auskunft des Vaters des Klägers seien seit 1994 30.000,00 DM auf den Namen des Klägers angelegt worden, um Steuern zu sparen. Die Zinsen hierfür seien an die Mutter gegangen. Hierdurch wird aber gerade deutlich, dass dieses Geld dem Kläger gehört haben soll und muss, denn ansonsten wäre es ihm steuerrechtlich nicht zurechenbar gewesen und die Absicht, Steuern zu sparen, wäre fehlgeschlagen. So hat der Kläger auch Freistellungsaufträge an die Sparkasse O. ab 1992 in Höhe von 6.100,00 DM (Freibetrag und pauschale Werbungskosten laut Einkommensteuergesetz) erteilt.

Die Verletzung des Offenkundigkeitsprinzips steht auf Grund der festgestellten Tatsachen fest und ist durch eine Zeugeneinvernahme, wie sie der Kläger gewünscht hat, nicht zu beseitigen. Der vom Kläger angegebene Zeuge, der bereits vom SG uneidlich vernommen worden ist, ist ein ungeeignetes Beweismittel bezüglich der Frage der Verletzung des Offenkundigkeitsprinzips und war daher insoweit nicht zu vernehmen. Auch wenn der Vater, wie im erstinstanzlichen Verahren in Ansätzen geschehen, weiteres dazu vorbringen würde, dass innerfamiliär aus steuerlichen Gründen Geld auf den Kläger übertragen worden ist, ändert dies nichts daran, dass ein Treuhandverhältnis nicht offengelegt wurde. Vielmehr legt es dann den Verdacht zumindest steuerdeliktischen Verhaltens aller beteiligten Familienmitglieder nahe, dem der Senat - da hier nicht entscheidungserheblich - nicht weiter nachgegangen ist. Es besteht kein Anlass, den angebotenen Zeugen erneut zu vernehmen, zumal es auf die rechtliche Zuordnung, nicht aber auf das evtl. Gewollte abzustellen ist. Auch hat der Kläger nicht angegeben, welche Angaben der Zeuge konkret machen soll.

Auch Verbindlichkeiten des Klägers stehen mit seinem Vermögen nicht in wirtschaftlicher Einheit (vgl hierzu: BSG vom 02.11.2000 - B 11 AL 35/00 R - SozR 3-4100 § 137 Nr 13; BayLSG Urteil vom 20.11.2003 - L 11 AL 215/02). Eine solche direkte und unmittelbare Verbindung zwischen den angegebenen Mietschulden und Schulden für Verpflegung etc. und dem bei ihm vorhandenen Vermögen ist nicht zu erkennen.

Das Vermögen ist nach alledem dem Kläger zurechenbar und bildet keine wirtschaftliche Einheit mit eventuell bestehenden Verbindlichkeiten.

Gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

In seinem Antrag vom 05.04.1994 hat der Kläger dieses Vermögen nicht angegeben. Er hat insofern - zumindest - grob fahrlässig falsche Angaben gemacht, die ursächlich für die Leistungsbewilligung durch die Beklagte gewesen sind. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Definition des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 HS 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Da die Konten bei der Sparkasse O. auf seinen Namen lauteten, hätte der Kläger dieses als sein eigenes Vermögen angeben müssen. Gegebenenfalls hätte er auf eventuelle Treuhandverhältnisse oder sonstige Schulden hinweisen können. Grobe Fahrlässigkeit ist bereits im Verschweigen von Auskünften im Rahmen eines Antrages auf einkommensabhängige Leistungen nämlich selbst dann anzunehmen, wenn deren Relevanz zweifelhaft sein könnte (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 45 SGB X RdNr 38).

Es sind insbesondere keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger auf Grund seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit und seines Einsichtsvermögens die leicht verständlich formulierten Fragen im Antragsformular nicht verstanden hat, zumal er zusätzlich auch die entsprechenden Merkblätter für Arbeitslose erhalten hat. Dabei ist nicht zu vergessen, dass der Kläger vorher eine Ausbildung zum Steueranwärter zumindest zeitweise absolviert hat. Die Tatsache, dass er diese Ausbildung mangels Kenntnisse abbrechen musste, bedeutet nicht, dass er nicht erkennen musste, dass er die auf seinem Namen lautende Vermögen anzugeben habe. Die rechtliche Würdigung, ob es sich um zu berücksichtigendes Vermögen handele, ist hingegen Sache der Beklagten, nicht aber Aufgabe des Klägers.

Der Kläger war auf Grund des Vermögens und unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 8.000,00 DM für 45 Wochen vom 28.06.1994 bis 08.05.1995 nicht bedürftig (35.706,37 DM abzüglich 8.000,00 DM: 610,00 DM = 45 Wochen abgerundet, § 9 AlhiV).

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligung ab 03.02.2000 und ab 06.04.2000 bis zuletzt 12.09.2001 findet sich ebenfalls in § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Kläger Vermögen in Höhe von 75.512,81 DM.

Auch dieses Vermögen stand dem Kläger als Eigentümer zur freien Verfügung. Zudem hat der Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens angegeben, die weitere 45.000,00 DM selbst angespart zu haben. Davon, dass ein Teil dieses Geldes der Schwester gehört habe, ist nicht die Rede. Im Übrigen ist auch nicht zu erkennen, dass der Kläger bei der Schwester M. S. gewohnt habe. Er will - wie sich auch aus seiner Adresse ergibt - bei der Schwester H. T. (laut Pachtvertrag vom 12.04.1992) gewohnt haben; damit bestünden aber lediglich Mietrückstände allenfalls gegenüber der Schwester H. T. nicht aber gegenüber M. S. , der er aber das Geld am 05.12.2000 übertragen hat.

Die Übertragung und Umschreibung von 40.000,00 DM am 05.12.2000 auf die Schwester M. S. erlangt keine Bedeutung. Insbesondere finden sich zunächst keine Anhaltspunkte oder Nachweise, dass dieser Betrag seiner Schwester M. S. gehört haben soll und damit am 05.12.2000 keine Schenkung durch den Kläger an die Schwester erfolgt sein soll. Bezugspunkt bleibt aber weiterhin der Zeitpunkt der Antragstellung bzw. des Beginns des Anspruches auf Alhi, somit also der Vermögensstand zum 03.02.2000 (vgl Ebsen in Gagel, SGB III, § 193 RdNr 131 a, Stand November 2003; Heugelhaupt in Haupt/Noftz, SGB III, § 193 RdNr 29). Der Anrechnungszeitraum lässt sich nach dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des damals anwendbaren § 9 AlhiV nicht mehr dadurch verkürzen, dass der Vermögensinhaber das berücksichtigte Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vorzeitig oder zu anderen Zwecken als zur Gestaltung des Lebensunterhaltes verbraucht. Dafür, dass sich die Vermögensgrundlage auf Grund äußerer Umstände verschlechtert habe, finden sich keine Anhaltspunkte. Es kommt vielmehr hier allein darauf an, für wieviele Wochen Alhi-Leistungen wegen vorhandenen Vermögens nicht ruhen kann. Dies gilt zumindest bis zum In-Kraft-Treten der AlhiV 2002.

Dabei ist das gesamte Vermögen in Höhe von 75.512,81 DM (sollte auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt werden, so wäre dies nach den Angaben der Sparkasse O. 77.242,40 DM) als Vermögen zu berücksichtigen. Zu einer Doppelanrechnung, die gemäß § 9 AlhiV nicht zulässig ist kommt es dabei nicht, obwohl bereits für den Zeitraum ab 28.06.1994 30.000,00 DM angerechnet worden sind. Der Kläger hat nämlich zwischenzeitlich erneut ein neues Stammrecht auf Alg und dann Alhi erworben. Es handelt sich also um die Neubewilligung von Alhi. Hierbei sind sämtliche materiellen Anspruchsvoraussetzungen erneut zu prüfen, so dass die Beklagte berechtigt war, das zum Zeitpunkt der Antragstellung ab 03.02.2000 tatsächlich vorhandene Vermögen zu berücksichtigen (vergleiche hierzu mwN zur Rechtsprechung: BayLSG Urteil vom 19.08.2004 - L 10 AL 373/02).

Der Kläger ist damit ab 03.02.2000 für 82 Wochen, also bis 12.09.2001, nicht bedürftig (75.512,81 DM abzügl. 8.000,00 DM: 117 = 82 Wochen abgerundet). Einen erneuten Anspruch auf Alhi hat der Kläger erst im Jahre 2002 dann geltend gemacht. Vorher hat er ab 18.06.2001 Unterhaltsgeld bezogen.

Weitere Voraussetzungen für die Rücknahme liegen jeweils vor (Anhörung, Einhaltung der Einjahresfrist). Ein Ermessen hat die Beklagte nicht auszuüben (§ 330 Abs 2 SGB III).

Die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 50 SGB X. Die Erstattung der überzahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge findet ihre Rechtsgrundlage in § 335 Abs 1 und 5 SGB III.

Nicht streitgegenständlich ist, ob dem Kläger ab 05.06.2004 Alhi zusteht (Bescheid vom 02.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2004). Diese Bescheide sind nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits geworden, denn sie umfassen einen späteren, völlig anderen Bewilligungszeitraum nach dem zwischenzeitlichen Bezug anderer Leistungen. Weder der Bewilligungsbescheid noch die diese betreffenden Aufhebungsbescheide ersetzen, ändern oder ergänzen einen der hier streitgegenständlichen Bescheide (§ 96 SGG). Es ist bereits ein weiteres gerichtliches Verfahren für einen späteren Zeitraum anhängig. Gegebenenfalls ist im Rahmen dieses Rechtsstreites der Bescheid vom 02.06.2004 einzubeziehen. Die Entscheidung hierüber hat jedoch das SG zu treffen.

Über den gestellten Befangenheitsantrag hat der Senat in der mündlichen Verhandlung entschieden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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