L 18 SB 59/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SB 737/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 59/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.04.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger das Merkzeichen "Bl" zusteht.

Bei dem 1959 geborenen Kläger hatte das Versorgungsamt Nürnberg mit Bescheid vom 15.06.1981 als Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt: "Blindheit bei Farbstoffmangel, Albinismus" und die Merkzeichen "B, G, aG, Bl, H und RF" zuerkannt. Nach Anhörung hatte das Versorgungsamt (AVF) Nürnberg mit Bescheid vom 20.12.1989 den Bescheid vom 15.06.1981 wegen vorsätzlich unrichtiger Angaben des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit insoweit zurückgenommen als Blindheit als Behinderung festgestellt, der GdB mit 100 bewertet und die Merkzeichen "Bl" und "H" zuerkannt worden waren. Als Behinderungen stellte es nunmehr mit einem GdB von 90 fest: 1. Sehschwäche bei Farbstoffmangel, 2. geistige Behinderung und bejahte die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B, G und RF".

Auf einen Neufeststellungsantrag des Klägers vom 24.01.2002 stellte das AVF mit Änderungsbescheid vom 29.05.2002 für die Behinderungen 1. Sehminderung bei Farbstoffmangel (Einzel-GdB 100), 2. geistige Behinderung (Einzel-GdB 50) einen GdB von 100 fest. Zusätzlich gewährte es ab 29.01.2002 das Merkzeichen "H". Die Zuerkennung der Merkzeichen "Bl" und "aG" lehnte es ab. Den Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin P. vom 07.08.2002 mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2002 mit der Begründung zurück, beim Kläger liege auf dem besseren rechten Auge eine Sehschärfe von 1/20, also mehr als 1/50 vor.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) hat der Kläger beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.05.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2002 zu verurteilen, ihm ab 29.01.2002 das Merkzeichen "Bl" zuzuerkennen. Das SG hat Unterlagen der Augenklinik mit Poliklinik der F.-Universität E. vom 12.05.2000/14.11.2000, ein augenärztliches Gutachten des Prof. Dr.Dr.G. vom 14.02.2002 (Kopfklinikum W.) und des Augenarztes Dr.L. vom 04.02.2003 beigezogen. Der Beklagte hat an seiner Ablehnung der Gewährung des Merkzeichens "Bl" mit Schreiben vom 03.04.2003 festgehalten und sich auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Medizinaldirektorin P. vom 31.03.2003 berufen. Sodann hat das SG ein Gutachten der Augenärztin Dr.L. vom 24.07.2003/26.09.2003 eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass der Kläger bei der Überprüfung der Gesichtsfeldaußengrenzen Angaben gemacht habe, die nicht der Realität entsprächen. Die beim Kläger vorliegenden Behinderungen seien in dem angefochtenen Bescheid vollständig erfasst. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" lägen nicht vor.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20.04.2004 abgewiesen und sich dabei auf das Gutachten der Frau Dr.L. gestützt, wonach die zentrale Sehschärfe an beiden Augen mit 1/25 der Norm anzunehmen sei. Die genetisch bedingte und somit angeborene Situation des Klägers bedinge ein Sehen auf niedrigem Niveau. Erfahrungsgemäß liege die zentrale Sehschärfe bei den betroffenen Personen um 0,1 der Norm. Das Gesichtsfeld zeige im Prinzip freie Außengrenzen, wodurch sich diese Personen im freien Raum relativ gut bewegen könnten. Eine kritische Betrachtung der vielfältigen, im Laufe der Zeit von verschiedenen Gutachtern aufgenommenen Befunde zeige, dass aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" nicht vorlägen. Gegen das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" spreche ferner, dass eine Simulationsprüfung bei der Gesichtsfelduntersuchung am 29.04.2002 positiv gewesen sei. Zum selben Ergebnis sei auch ein augenärztliches Gutachten des Dr.H. vom 22.08.2000 gelangt. Diese Befunde entsprächen dem Krankheitsbild des Klägers, bei welchem ein weitgehend konstanter und in der Regel unveränderlicher Befund zu erwarten sei.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Der vom Senat mit augenärztlichem Gutachten vom 29.12.2004 gehörte Prof. Dr.R. hat beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" verneint: Der Kläger habe sich in den unbekannten Räumen der Universitäts-Augen-Klinik H. gut orientieren können. Dies wäre bei den von ihm angegebenen Funktionseinschränkungen vor allem seitens des Gesichtsfeldes kaum möglich gewesen. Die Untersuchungsergebnisse zur Gesichtsfelduntersuchung hätten eine erhebliche Diskrepanz zwischen objektiven und subjektiven Befunden und darüberhinaus deutliche Widersprüche bei letzteren gezeigt. Ein wesentlicher Gesichtsfeldausfall sei deshalb nicht glaubhaft. Die wechselnden Sehbefunde, d.h. eine Schwankung mit Verbesserung entsprächen nicht dem typischen Verlauf der beim Kläger vorliegenden Erkrankung.

Der Kläger hat noch eine Bescheinigung des Augenarztes Dr.L. vom 17.05.2005 vorgelegt. Nach dessen Auffassung lässt sich die schwankende Sehleistung einerseits durch den im Ausschlag schwankenden Nystagmus, andererseits durch den Diabetes erklären.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.04.2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 29.05.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2002 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" festzustellen, hilfsweise beantragt er, den Sachverständigen Prof.Dr.R. vor dem Senat zu hören.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.04.2004 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl".

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2 SGG).

Das Merkzeichen "Bl" ist in den Ausweis im Sinne des § 69 Abs 5 Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch blind ist im Sinne des § 72 Abs 5 des Zwölften Buches (XII) SGB oder entsprechender Vorschriften (§ 3 Schwerbehindertenausweis-Verordnung idF des Art 56 Nr 1 G vom 19.06.2001 I 1046 [1131] mWv 01.07.2001).

Gemäß § 72 Abs 5 SGB XII stehen Personen blinden Menschen gleich, deren beidäugige Gesamtschärfe nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzuachtende nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" setzt voraus, dass sich Blindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt. Gelingt der Nachweis von Blindheit als anspruchsbegründende Voraussetzung nicht, geht dies zu Lasten des Klägers (vgl BSG SozR 3-5920, § 1 Nr 1).

Der Kläger ist - unstreitig - nicht "blind" im Sinne des vollständigen Verlustes seines Sehvermögens. Er ist nach den Feststellungen des Prof. Dr.R. auch nicht als blind im Sinne einer hochgradigen Sehbehinderung anzusehen, da die Sehschärfe auf beiden Augen mehr als 1/50 beträgt und keine Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzuachten sind. Insbesondere ist keine so gravierende Gesichtsfeldeinschränkung erkennbar, dass diese im Zusammenhang mit dem beeinträchtigten Sehvermögen einem Sehverlust auf beiden Augen von 1/50 gleichzuachten wäre. Beim Kläger wurde anlässlich der Untersuchung bei Dr.L. wie auch bei der Begutachtung durch Prof. Dr.R. eine maximale Sehschärfe von 1/25 bzw 1/27 angegeben. Bei einer Sehschärfe von 1/27 würde nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (RdNr 23, S 33) ein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" nur bei gleichzeitiger Einengung des Gesichtsfeldes auf höchstens 15 Grad bestehen. Eine solche Einengung hat der Kläger bei der Begutachtung durch Prof. Dr.R. nicht angegeben. Damit sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" selbst unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers nicht erfüllt.

Beim Kläger besteht eine anlagebedingte, erbliche Erkrankung, die sich als Pigmentmangel an Haut und Haaren deutlich bemerkbar macht. An den Augen besteht dabei neben der offensichtlichen Pigmentarmut, die eine Durchleuchtbarkeit und damit einen erheblich höheren Lichteinfall in das Auge zur Folge hat, eine Fehlanlage der Makula, der Stelle des schärfsten Sehens. Dies ist die wesentliche Ursache der herabgesetzten Sehschärfe, die typischerweise - so auch beim Kläger - mit einem deutlichen Nystagmus (Augenzittern) einhergeht. Diese Erkrankung führt zu keiner Funktionsveränderung im Laufe des Lebens, d.h. eine bestehende Funktion wird typischerweise behalten. Zwar kann es auch bei Patienten mit eindeutig diagnostiziertem Albinismus zu einer deutlichen Funktionsverschlechterung kommen, ohne dass zusätzliche Veränderungen der Augen bestehen. Diese Verläufe sind jedoch nicht wechselnd, d.h. eine Schwankung mit Verbesserung ist nicht nachvollziehbar.

Beim Kläger bestand ab etwa 1980 eine Sehschärfe von 0,2 zumindest an einem Auge. Seit dem Jahr 2000 hat der Kläger keine Angaben der Sehschärfe gemacht, die nur annähernd an diese Sehschärfe heranreichen. Dr.L. hat anlässlich ihrer gutachterlichen Gesichtsfelduntersuchung für das SG mittels Simulationstest ebenso wie Dr.L. am 12.05.2000 falsche Angaben des Klägers sichern können. Darüberhinaus hat Prof.Dr.R. bei seiner Untersuchung mit Lesetafeln einen dreifachen Vergrößerungsbedarf festgestellt. Dies steht im erheblichen Widerspruch zu der vom Kläger angegebenen herabgesetzten Sehschärfe. Angesichts des morphologischen Befundes an den Augen des Klägers gibt es keine fassbaren Veränderungen, die eine erhebliche Verschlechterung der Sehschärfe in den letzten Jahren erklären würden. Bei der mehrmaligen Gesichtsfeldprüfung des linken Auges bei der Begutachtung im November 2004 hat sich ein spiralförmig immer kleiner werdendes Gesichtsfeld gezeigt, das schon bei Beginn der Untersuchung deutlich kleiner war, als zuvor angegeben. Ein solch eingeschränktes Gesichtsfeld hält der Sachverständige bei der Feststellung eines normalen Elektroretinogramms auf Netzhautebene für ausgeschlossen. Für eine andere Ursache solcher Ausfälle findet er keinerlei Anhalt.

Hinzu kommt, dass sich der Kläger in den unbekannten Räumen der Universitäts-Augenklinik H. gut orientieren konnte. Dies wäre bei den angegebenen Funktionseinschränkungen, vor allem seitens des Gesichtsfeldes, nicht möglich gewesen.

Der Senat hat keinen begründeten Anlass, an der Richtigkeit der Ausführungen von Prof. Dr.R. zu zweifeln. Sein Gutachten beruht auf der von ihm selbst durchgeführten Untersuchung und den weiteren aktenkundigen Untersuchungen des Klägers. Der Sachverständige hat alle Untersuchungsergebnisse sorgfältig und differenziert ausgewertet und für den Senat gut nachvollziehbar erläutert. Auch wenn man die Auffassung des behandelnden Augenarztes Dr.L. (Bescheinigung vom 17.05.2005) vertritt, dass wegen des Nystagmus und des Diabetes eine schwankende Sehleistung vorliegt, ergibt sich hierdurch kein Dauerzustand, der die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" rechtfertigen würde.

Aus der Sicht des Senats bestand deshalb kein Anlass zu weiteren Ermittlungen. Insbesondere sieht der Senat im Hinblick auf das schlüssige Gutachten des Prof. Dr.R. keine Notwendigkeit, den Sachverständigen mündlich zur Erläuterung seines Gutachtens zu hören.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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