L 11 AL 326/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 197/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 326/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Urteilstenor berichtigt durch Beschluss vom 21.07.20

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.05.2003 sowie die Bescheide vom 06.11.2000/09.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach bis 30.11.2001 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte erstattet dem Kläger 1/5 seiner außergerichtlichen Kosten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 01.11.2000.

Der 1940 geborene Kläger bezog von der Beklagten laufend Alhi (zuletzt 295,26 DM/Woche). Am 19.06.2000 forderte diese ihn auf, innerhalb eines Monats einen Rentenantrag zu stellen, da er in absehbarer Zeit ungeminderte Altersrente beanspruchen könne. Der Kläger ließ der Beklagten mitteilen, dass er Rente nicht beantragen werde. Zur Antragstellung sei er nicht verpflichtet, da er eine Erklärung nach § 428 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) nicht abgegeben habe. Im Übrigen übersteige die Alhi die zu erwartende Rente (600,80 DM/Monat) deutlich (Rentenauskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angelstellte [BfA] vom 13.07.2000).

Mit Bescheid vom 25.08.2000 entzog die Beklagte dem Kläger die Alhi mit Wirkung ab 01.08.2000 wegen fehlender Mitwirkung. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er legte eine Bestätigung des Versicherungsamtes der Stadt B. vom 06.09.2000 über einen am 31.07.2000 gestellten formlosen Rentenantrag vor. Die förmliche Antragstellung sei am 13.09.2000 erfolgt. Er stehe der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung. Mit Bescheid vom 05.10.2000 half die Beklagte dem Widerspruch ab, hob den Bescheid vom 25.08.2000 auf und gewährte dem Kläger Alhi ab 01.08.2000 (Bewilligungsbescheid vom 09.10.2000).

Die BfA bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 24.10.2000 ab 01.08.2000 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit als Vollrente in Höhe von monatlich 618,03 DM (Zahlbetrag 570,45 DM). Den Beginn der laufenden Rentenzahlung setzte sie auf den 01.12.2000 fest. Für die Zeit vom 01.08.2000 bis 30.11.2000 bewilligte die BfA eine Nachzahlung in Höhe von 2.281,80 DM.

Mit Bescheid vom 06.11.2000 hob die Beklagte die Alhi-Bewilligung mit Wirkung ab 01.08.2000 gemäß §§ 142 SGB III, 48 Abs 1 Satz 2 Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) iVm § 330 SGB III auf, weil der Kläger Anspruch auf Altersrente habe. Einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.711,35 DM machte die Beklagte mit Bescheid vom 09.11.2000 geltend und forderte diesen sowie Beiträge zur Kranken/Pflegeversicherung (insgesamt 1.996,83 DM) beim Rentenversicherungsträger an.

Gegen den Bescheid vom 09.11.2000 legte der Kläger Widerspruch ein. Die Beklagte habe angesichts des vorliegenden Sonderfalls - die Altersrente sei niedriger als die gezahlte Alhi - den in § 202 SGB III eingeräumten Ermessensspielraum überschritten. Alhi sei daher in unveränderter Höhe weiterzuzahlen und der Bescheid vom 19.06.2000 gemäß § 44 SGB X aufzuheben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Feststellung eines atypischen Falls sei die Höhe der zu erwartenden Rente nicht zu berücksichtigen, denn die Nachrangigkeit der Alhi bestehe unabhängig von der Rentenhöhe. Im Übrigen sei die Aufforderung zur Rentenantragstellung entgegen der Auffassung des BSG kein Verwaltungsakt, der nach § 44 SGB X zurückzunehmen wäre, sondern lediglich eine vorbereitende Maßnahme.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Die Argumentation der Beklagten stelle lediglich eine Polemik gegen das BSG-Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 42/99 R - dar. Vorliegend betrage der Unterschied zwischen Alhi und Rente ca. 700,00 DM/Monat, so dass bereits auf dem ersten Blick klar sei, dass eine Ermessensentscheidung nur zu seinen Gunsten ausfallen könne.

Mit Urteil vom 20.05.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe über den 01.08.2000 hinaus keinen Anspruch auf Alhi mehr, weil er Altersrente beziehe und daher sein Alhi-Anspruch gemäß § 142 Abs 1 Nr 4 iVm § 198 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB III ruhe. Das Ruhen sei nicht von der Höhe der zuerkannten Rente abhängig. Der Ruhensfolge komme Tatbestandswirkung zu.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe übersehen, dass der Bescheid der BfA vom 24.10.2000 noch nicht rechtskräftig sei (beim SG weiterhin anhängiges Klageverfahren Az S 2 RA 101/01). Mit dem Begriff der Zuerkennung sei nur eine positive rechtskräftige Entscheidung gemeint. Vorliegend liege ein atypischer Fall im Sinne der Rechtsprechung des BSG vor. Die Beklagte hätte daher vor ihrer Aufforderung Ermessen ausüben müssen. Auch hätte sie ihn wenigstens darauf hinweisen müssen, dass er sich bei einer Rentenantragstellung den Gefahren des § 142 SGB III aussetze. Damit sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu erwägen. Rückfragen bei der BfA hinsichtlich der Auswirkungen eines Rentenverzichts hätten zu keiner abschließenden Klärung geführt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.05.2003 sowie die Bescheide vom 06.11.2000/09.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.10.2000 hinaus Alhi zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Wesentlichen für zutreffend. Aus der BSG-Entscheidung vom 27.07.2000 ergebe sich eindeutig, dass die Berufung ins Leere laufe. In Anwendung der o.g. Entscheidung sei jedoch noch für den Monat November 2001 Alhi zu leisten und zwar in Höhe der Differenz zwischen Alhi und Rente.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nur teilweise begründet. Für die Zeit vom 01.08.2000 bis 30.11.2000 verletzt der Bescheid vom 06.11.2000 § 142 Abs 1 Nr 4 SGB III, weil die Altersrente für diesen Zeitraum noch nicht zuerkannt war.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Bewilligung von Alhi stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr 48). Dabei richtet sich die Feststellung einer wesentlichen Änderung nach dem für die Leistung maßgeblichen Recht. Vorliegend ist mit Wirkung ab 01.12.2000 (laufende Rentenzahlung) eine wesentliche Änderung eingetreten.

Rechtsgrundlagen für die Entziehung der Alhi sind §§ 198 Satz 2 Nr 6, 142 Abs 1 Nr 4 SGB III. Danach ruht der Anspruch auf Alhi während der Zeit, für die dem Kläger Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Zuerkannt im Sinne § 142 Abs 1 SGB III ist ein Anspruch dann, wenn der Leistungsträger infolge der Zuerkennung Zahlungen zu erbringen hat (BSG SozR 3-4100 § 118 Nr 3). Diese Voraussetzungen liegen hier ab 01.12.2000, dem Beginn der laufenden Rentenzahlung, vor (BSG vom 20.09.2001 - B 11 AL 87/00 R; BSG SozR 3-4300 § 142 Nr 1). Zuerkannt ist eine Rente nicht bereits schon dann, wenn die Rente zwar bewilligt, aber zur Befriedigung von Ersatzansprüchen einbehalten wird (BSG SozR 3-4100 § 118 Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 142 Nr 1).

Der Einwand des Klägers, er sei durch eine rechtswidrige Aufforderung der Beklagten zur Rentenantragstellung veranlasst worden, greift nicht durch. Zwar stellt die Aufforderung vom 19.06.2000 einen Verwaltungsakt dar, der - weil ein atypischer Fall vorlag - die Beklagte vor der Aufforderung zur Ausübung von Ermessen verpflichtete (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 22). Das Ruhen des Leistungsanspruchs ist jedoch trotz der fehlenden Ermessensausübung eingetreten, denn die Rechtsfolge knüpft nicht an die Aufforderung zur Rentenantragstellung an, sondern ausschließlich an die Zuerkennung der Rente (BSG SozR 3-4300 § 142 Nr 1). Die Rechtswidrigkeit der Aufforderung begründet nicht die Nichtigkeit des Zuerkennens von Rente (§ 40 SGB X; BSG aaO).

Der Zuerkennung der Rente kommt Tatbestandswirkung zu (BSG SozR 3-4100 § 118 Nr 3), mit der Folge, dass die Entscheidung der BfA über die Zuerkennung von Altersrente ohne Rücksicht auf ihre Rechtmäßigkeit von der Beklagten wie eine unbestrittene Tatsache zu beachten ist (BSG aaO; BSG SozR 3-4300 § 142 Nr 1).

Vorliegend ist die Rente zuerkannt, obwohl gegen die Rentenbewilligung selbst beim SG ein Klageverfahren anhängig ist, das derzeit ruht. Denn Einwendungen des Klägers, die die Rechtmäßigkeit der Rentenbewilligung in Frage stellen können, sind unerheblich (BSG aaO). Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Zuerkennens der Rente durch die BfA hat der Kläger - soweit ersichtlich - nicht erhoben.

Die Tatbestandswirkung entfällt allenfalls dann, wenn die Altersrente nicht mehr zuerkannt ist. Dazu bedarf es einer Entscheidung der BfA, die die Tatbestandswirkung der Rentenbewilligung beseitigt (BSG SozR 3-4300 § 142 Nr 1; BSG Urteil vom 20.09.2001 - B 11 AL 87/00 R). Eine solche Entscheidung ist vorliegend nicht ergangen. Der Kläger hat den Rentenantrag auch nicht zurückgenommen.

Einen Rentenverzicht hat der Kläger nicht erklärt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass § 202 Abs 1 SGB III die Dispositionsbefugnis von Versicherten über die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht nur hinsichtlich der Anträge auf Altersrente, sondern auch gegenüber dem Verzicht auf bewilligte Renten einschränkt (Gewährleistung des Nachrangs der Alhi gegenüber Versicherungsleistungen aus der Rentenversicherung - BSG aaO mwN). Damit wäre ein Herstellungsanspruch - wie vom Kläger offenbar erwogen - erfolglos, denn dieser könnte nur Erfolg haben, wenn die angestrebte Regelung mit dem geltenden Recht in Einklang steht (BSG SozR 3-1200 § 142 Nr 29 mwN).

Da der Kläger das Teilanerkenntnis der Beklagten vom 30.07.2004 nicht angenommen hat, war über den gesamten Streitgegenstand durch Urteil zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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