L 3 U 335/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 801/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 335/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.09.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger wegen eines im Jahre 1950 in der früheren DDR erlittenen Unfalls Verletztenrente zu gewähren hat.

Der 1933 geborene Kläger war vom 19.06.1950 bis 31.05.1951 in der ehemaligen DDR als Rangierer im Kalkwerk Ö., einem Teilbetrieb des VEB Maxhütte, beschäftigt. Nach eigenen Angaben will er dort im Oktober 1950 bei Rangierarbeiten einen Unfall erlitten und sich dabei Frakturen im Bereich des linken Beines zugezogen haben. Im Herbst 1952 verlegte er seinen Wohnsitz in die Bundesrepublik Deutschland. Am 24.06.1953 wanderte er nach Kanada aus und lebt seither dort.

Am 07.06.1994 wandte sich der Kläger an die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hamburg wegen Rentenleistungen. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalles beantragte er gegenüber der Stadt H. am 07.10.1994. Dort legte er ein Schreiben der Sozialversicherungskasse Saalfeld vom 04.01.1952 vor. Darin wird bescheinigt, dass ihm ab 24.03.1951 eine Unfall-Teilrente gewährt wurde. Die Beklagte holte Auskünfte des früheren Beschäftigungsbetriebs Maxhütte und des Institutes D. ein. Sie erhielt Lohnblätter aus den Jahren 1950 und 1951, die 81 bzw. 109 Tage Arbeitsunfähigkeit ausweisen. Eine Anfrage beim Krankenhaus P., in dem der Kläger nach seinen Angaben wegen der Unfallfolgen behandelt worden war, blieb ergebnislos, da dort Unterlagen nach Ablauf von 30 Jahren nicht mehr aufbewahrt werden. Der Kläger legte Erklärungen seiner Geschwister, J.D. und E.M. sowie ein Foto vor, das ihn im Krankenbett zeigt, sowie eine Erklärung des in Kanada lebenden G.D ... Während die Geschwister nur vom Hörensagen vom streitigen Unfall wussten, gab G.D. an, er habe den Unfall beobachtet und gesehen, wie sich der Kläger im Oktober 1951 bei Rangierarbeiten am linken Bein verletzte; der Kläger habe am linken Bein und Fuß Verbrennungen durch einen Dampfstoß erlitten. Weitere Nachforschungen der Beklagten bei Nachfolgebehörden und Instituten in Thüringen führten zu keiner weiteren Aufklärung.

Mit Bescheid vom 04.11.1998 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, weil die vorhandenen Unterlagen nicht ausreichten, um den behaupteten Arbeitsunfall zu beweisen. Im dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, sein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Unfalljahr sei bewiesen, ebenso die lange Arbeitsunfähigkeitszeit und die Unfallrentenzahlung in der früheren DDR. Damit seien alle Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt. Die Beklagte fragte nochmals bei verschiedenen Behörden nach und ermittelte lediglich, dass G.D. ebenso wie der Kläger im Kalkwerk Ö. und zwar ab 20.06.1950 beschäftigt war. Den Widerspruch wies die Beklagte am 23.09.1999 zurück, weil nach wie vor der Nachweis eines Arbeitsunfalls nicht geführt sei.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben und beantragt, ihm wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles vom Oktober 1950 entsprechende Entschädigungsleistungen zu zahlen. Er hat verlangt, G.D. als Zeugen einzuvernehmen, da dieser Augenzeuge des Arbeitsunfalles gewesen sei. Zudem hat er eine Erklärung seines Bruders C.D. vorgelegt, in der dieser den Unfall des Klägers im Oktober 1950 vom Hörensagen bestätigte. Der Kläger hat Röntgenaufnahmen aus Kanada und eine ärztliche Erklärung seines behandelnden Arztes übersandt. Er hat die Meinung vertreten, die Gesamtbeurteilung der vorhandenen Beweise sei ausreichend, um seinen Anspruch auf Verletztenrente zu begründen.

Nach Anhörung hat das SG die Klage mit Gesichtsbescheid vom 29.09.2003 abgewiesen, weil der Nachweis, dass ein Arbeitsunfall 1950 stattgefunden habe, nicht geführt sei.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und gerügt, das SG hätte bei der Bundesknappschaft, dem FDGB und dem Thüringischen Sozialministerium noch Ermittlungen anstellen sollen. Die Beklagte hat ihre Anfrage an die LVA Thüringen und deren Antwort, dass dort keine Unterlagen - insbesondere auch keine medizinischen Unterlagen - des Jahrgangs 1933 vorhanden seien, vorgelegt. Am 07.02.2005 hat der Senat daraufhingewiesen, dass, selbst wenn man den Nachweis eines Arbeitsunfalls für erbracht hielte, nicht belegbar sei, welche Gesundheitsstörungen der Kläger unmittelbar durch den Unfall erlitten habe.

Der Kläger beantragt, die Beklage unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 29.09.2003 sowie des Bescheids vom 04.11.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 22.09.1999 zu verurteilen, ihn wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom Oktober 1950 zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.09.2003 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente gemäß § 215 des Siebten Sozialgesetzbuchs (SGB VII) i.V.m. §§ 1150 Abs.2 Abs.2 Nr.1, 548, 580, 581 Reichsversicherungsordnung (RVO) wegen seines in der ehemaligen DDR erlittenen Unfalls zu, weil der Nachweis nicht geführt werden konnte, dass es sich hierbei um einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall handelte.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften der RVO, da der geltend gemachte Unfall bereits vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 01.01.1997 eingetreten war (Art.36 des Unfallversicherungs-Einordnungs-Gesetzes , § 212 ff. SGB VII). Nach § 215 Abs.1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 in der ehemaligen DDR eingetretenen Unfälle als Arbeitsunfälle nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs.2 und 3 RVO über das In-Kraft-Treten des SGB VII hinaus anzuwenden. Nach § 1150 Abs.2 Satz 1 RVO gelten unter anderem Unfälle, die vor dem 1. Januar 1993 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle waren, als Arbeitsunfälle im Sinn des Dritten Buches der RVO. Dies trifft nicht für solche Unfälle zu, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs.2 Satz 2 Nr.1 RVO). Der Unfall des Klägers soll sich im Oktober 1950 und damit vor dem 1. Januar 1992 ereignet haben. Mit seinem Entschädigungsbegehren ist der Kläger erstmals am 07.10.1994 an die Beklagte herangetreten, also nach dem 31. Dezember 1993. Damit muss, auch wenn bereits in der ehemaligen DDR eine Anerkennung als Arbeitsunfall vorgelegen hat, gemäß § 1150 Abs.2 Satz 2 Nr.1 RVO eine vollständige Überprüfung erfolgen, ob der Unfall nach den Vorschriften des Dritten Buches der RVO als Arbeitsunfall zu entschädigen wäre (vgl. BSG Urteil vom 26.06.2001 - B 2 U 31/00 R). Die Wiedervereinigung hat damit nicht die Wirkung, dass Arbeitsunfälle, die nach früherem DDR-Recht rechtsverbindlich anerkannt waren, in jedem Fall und ohne weitere Prüfung von einem Bundesdeutschen Unfallversicherungsträger entschädigt werden.

Die Prüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob die Voraussetzungen des § 548 RVO vorliegen. Danach ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Unfall ist dabei ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden führt. Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Nachweises. Voll bewiesen sein müssen das äußere Ereignis als Ursache und ein Körperschaden als Wirkung sowie die versicherte Tätigkeit. Voller Beweis verlangt die volle Überzeugung, das heißt eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit (Kassler Kommentar, Sozialversicherungsrecht SGB VII § 8 Anm.257 ff.).

Im hier zu entscheidenden Fall liegt die Schwierigkeit darin, dass der Körperschaden, der durch den Unfall verursacht worden ist, in keiner Weise dokumentiert ist. Dabei geht der Senat zu Gunsten des Klägers davon aus, dass er bei einer versicherten Tätigkeit, nämlich beim Rangieren verunglückte. Dies entnimmt er der schriftlichen Erklärung des G.D., dessen Einvernahme deshalb unterbleiben konnte. Trotz aller Bemühungen ließ sich nicht aufklären, welche Art von Verletzung sich der Kläger zuzog. Das behandelnde Krankenhaus verfügt nach mehr als fünfzig Jahren über keine medizinischen Unterlagen. Solche waren auch nicht über andere Behörden und Einrichtungen zu erhalten. Allein das vom Kläger vorgelegte Foto, das ihn mit einem Gipsverband in einem Krankenbett liegend, zeigt, reicht nicht aus, um die Unfallverletzung in ihrer Art und ihrem Ausmaß zu belegen. Ebenso wenig sind die Beobachtungen der damals noch jugendlichen Geschwister des Klägers hilfreich. Aus dem Schreiben der Sozialversicherungskasse Saalfeld vom 04.01.1952 ist kein Hinweis auf die stattgehabte Verletzung zu gewinnen. Ärztliche Bescheinigungen und Röntgenaufnahmen, die der Kläger über seine Behandlung ab 1980 in Kanada vorlegte, können über diese Beweisschwierigkeiten nicht hinweghelfen. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers zulässt, Indizien aneinander zu reihen, um so ein Gesamtbild zu erhalten, lässt sich keine Erkenntnis gewinnen, welche Gesundheitsstörungen unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten waren. Um das Ausmaß von Folgeschäden, die der Kläger nunmehr nach fast fünfzig Jahren geltend macht, beurteilen zu können, bedarf es jedoch des Nachweises des so genannten Primärschadens, das heißt des unmittelbar durch den Unfall hervorgerufenen Körperschadens (BSG-Beschluss vom 02.08.1993 - 2 BU 21/93). Hierzu sind trotz erheblicher Ermittlungsanstrengungen keine Erkenntnisse zu erlangen gewesen. Diesen Umstand hält der Senat für entscheidend, nicht hingegen die unterschiedlichen Angaben der Zeugen zum Unfalldatum. Irrtümer hierzu sind nach so langer Zeit verständlich. Insgesamt kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Nachweis eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls nicht geführt ist. Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seines Arbeitsunfalls gemäß der §§ 548, 580, 581 RVO ist nicht zu begründen. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.09.2003 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe, um die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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