L 1 B 102/05 KR-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 269/05 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 B 102/05 KR-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Dronabinol-Tropfen (Cannabinoid) zur Schmerztherapie gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 30. Mai 2005 wird auf-gehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 22. April 2005 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerdegegnerin (Bg.) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Versorgung mit Dronabinol-Tropfen.

Die am ... 1960 geborene Bg., die bei der Beschwerdeführerin (Bf.) versichert ist, leidet seit ihrem 17. Lebensjahr an einer Trigeminusneuralgie rechts. Im August 1996 wurde bei ihr eine hirnstammnahe Operation nach Janetta durchgeführt. Nach Durchtrennung der sensorischen Trigeminuswurzel am Hirnstamm im Oktober 1996 kam es zu einer post-operativen Nachblutung. Infolge dieser Blutung besteht seit Februar 1997 zusätzlich eine halbseitige Schmerzsymptomatik der gesamten linken Körperseite, arm- und beinbetont, zusätzlich zu den Lähmungserscheinungen ebenfalls auf der linken Körperseite (sog. zentraler Schmerz, ausgelöst durch Läsionen von Schmerzbahnen im Zentralnervensystem). Vom 21. März 2003 bis Mitte Januar 2005 hat die Bf. die Kosten für ölige Dronabinol-Tropfen 2,5 % übernommen.

Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) ist der Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa und seit dem Jahr 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz ver-wendet werden. In der Bundesrepublik Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Drona-binol zugelassen. Als Fertigarzneimittel ist der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Drona-binol unter dem Warennamen Marinol in den USA zugelassen, das gemäß § 73 des Arz-neimittelgesetzes im Inland verordnet und importiert werden kann. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbeding-tem Erbrechen. Außerdem ist in Großbritannien, Irland und Kanada ein weiteres Cannabinoid namens Nabilon (synthetischer 9-THC-Abkömmling mit leicht veränderter Molekül-struktur, Warenname Cesamet) zugelassen und kann ebenfalls importiert werden. Die Bg. erhielt Dronabinol als Zubereitung verordnet (Herstellung als Rezepturarzneimittel durch einen Apotheker). Die Kosten für dreimal Dronabinol-Tropfen 2,5 % (20 g) be-trugen Mitte November 2004 1.047,09 EUR (vgl. Quittung der S ...-Apotheke in O ...vom 17. Januar 2005).

Nachdem die Bf. gegenüber dem behandelnden Arzt Dipl.-Med. J1 ... (Facharzt für Anäs-thesiologie an der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie des Städtischen Klinikums G ...) gegenüber mit Schreiben vom 18. Januar 2005 eine weitere Kostenübernahme der Verordnung von Dronabinol abgelehnt hatte, stellte dieser am 28. Januar 2005 bei der Bf. einen Antrag auf Kostenübernahme der Verordnung des Medikaments Dronabinol. Medi-kamentöse Behandlungsversuche, Neurolysen mit Glyzerol am Ganglion gasseri sowie eine Hirnstammnahe Operation nach Janetta seien nur wenig wirksam gewesen. Bei der Bg. seien alle zugelassenen möglichen medikamentösen und nichtmedikamentösen schmerzlindernden Verfahren versucht worden. Sogenannte periphere Analgetika seien wirkungslos gewesen, auch der Einsatz von retardierten Opioiden hätten die Schmerzen nicht wesentlich beeinflussen können. Bei den Co-Analgetika sei es bei den trizyklischen Antidepressiva zu nicht tolerablen Nebenwirkungen gekommen. Die Antikonvulsiva hät-ten teilweise zu allergischen Reaktionen sowie zu Koordinationsstörungen geführt. Beim Einsatz von Lokalanästhetika seien kardiale Nebenwirkungen aufgetreten. TENS, Aku-punktur und physiotherapeutische Maßnahmen seien in Bezug auf den Schmerz wirkungs-los gewesen. Aus diesem Grunde und der in kleineren Studien beschriebenen Wirksamkeit von Dronabinol bei zentralen Schmerzzuständen bzw. neuropatischen Schmerzen sei das Medikament über ihre Ambulanz verordnet worden. Es sei von der Bg. nach einer Phase der Dosisfindung gut vertragen worden. Unter der Therapie sei es zu einer deutlichen Schmerzlinderung von über 50 % gekommen, auch Schmerzspitzen seien weniger häufig und weniger stark aufgetreten. Es sei nun ein wirksames und verträgliches Medikament gefunden worden. Eine stabile Schmerzeinstellung verhindere die aufwendige Suche nach einer wirksamen schmerzlindernden Therapie (ambulant und stationär). Einen entsprechenden Antrag auf Kostenübernahme für Dronabinol hat die Bg. selbst am 09. März 2005 gestellt.

Die Bf. holte daraufhin ein Gutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenversiche-rung (MDK) ein (Gutachten Dr. M1 ... vom 09. März 2005). Die Sachverständige hat darin ausgeführt, die Verordnungsfähigkeit von Rezepturarzneimitteln bestehe nach § 135 Fünf-tes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erst nach Anerkennung des diagnostischen und thera-peutischen Nutzens sowie der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Der Einsatz von Dronabinol in der Schmerztherapie könne aus sozialmedizinischer Sicht derzeit nicht befürwortet werden, da valide klinische Untersuchungen im Vergleich zu den etablierten Schmerzbehandlungsschemata fehlten.

Die Bg. hat die Grundsatzstellungnahme des MDK "Medizinischer Einsatz von Cannabis und Cannabinoiden" im Auftrag des AOK-Bundesverbandes vom 12. August 2004 und die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter zum Einsatz von Cannabis-Wirkstoffen in Arzneimitteln (BT-Drs. 15/2331) beigezogen und im Nachfolgenden mit Bescheid vom 09. März 2005 den Antrag der Bg. abgelehnt: Es bestehe keine Leistungspflicht der Krankenkasse für Arzneimittel, die im Inland nicht zugelassen seien und nach § 72 Abs. 3 Arzneimittelgesetz aus dem Ausland bezogen werden könnten.

Dagegen hat die Bg. mit Schreiben vom 03. April 2005 Widerspruch eingelegt, woraufhin ihr die Bf. mit Datum vom 15. April 2005 ein weiteres Aufklärungsschreiben übersandte.

Am 22. April 2005 stellte die Bg. beim Sozialgericht Dresden (SG) einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Bg. verschiedene Unterlagen vorgelegt: Information der Firma D ... GMBH "Das Cannabinoid Dronabinol als Rezepturarzneimit-tel", Befundbericht Dipl.-Med. M2 ... (Facharzt für Innere Medizin in E ...) vom 03. Juli 2001, einen Opioid-Ausweis, Entlassungsbericht der TCM Klinik K ... vom 25. Februar 1998, eine Darstellung der Einkommensverhältnisse ihrer Familie vom 26. April 2005, eine Quittung der S ...-Apotheke in O ... vom 17. Januar 2005, Befundbericht von Dr. Z1 ... (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie in S ...) vom 28. März 2002 und einen Bericht der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie des Städtischen Klini-kums G ... vom 01. April 2003, Entlassungsberichte der Klinik und Poliklinik für Neurochi-rurgie der G ...-Universität G ... vom 22. Februar 1996 und 14. Mai 1996, Entlassungs-berichte des Städtischen Klinikums G ... vom 13. September 1996 und 12. November 1996 sowie den Entlassungsbericht einer neurologischen Klinik (Name der Einrichtung unleserlich) vom 18. April 2001.

Die Bf. hat die Grundsatzstellungnahme "Medizinischer Einsatz von Cannabis und Canna-binoiden" des MDK vom 12. August 2004 sowie einen Aufsatz von Prof. Dr. R1 ..., Als Arzneimittel nur von geringerem therapeutischen Nutzen (Deutsches Ärzteblatt, Jg. 1997, Heft 51 bis 52, 25. Dezember 2000, B 2918 bis 2920), sowie einen Auszug aus der Herstel-lerinformation aus der Firma D ... GMBH vorgelegt.

Die Bf. erklärte sich im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens bereit, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, die Kosten für das Medikament bis zum 13. Mai 2005 zu übernehmen.

Mit Beschluss vom 30. Mai 2005 hat das SG die Bf. verpflichtet, vorläufig bis zum rechts-kräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens bzw. eines etwaigen Hauptsacheverfah-rens die Bg. bei Vorlage einer entsprechenden Verordnung mit dem Medikament Dronabi-nol zu versorgen. Der zulässige Antrag sei begründet. Vorliegend bestünden Anordnungs-anspruch und Anordnungsgrund für eine Regelungsanordnung. Es sei der Bg. nicht zumut-bar, eine Entscheidung über den von ihr verfolgten Anspruch im laufenden Widerspruchs-verfahren bzw. einem etwaigen Hauptsacheverfahren abzuwarten, weil zwar die Er-folgsaussichten der Klage derzeit offen seien, eine Folgenabwägung jedoch ein Überwie-gen der Interessen der Bg. ergebe. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sei die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens derzeit offen. Vorliegend begehre die Bg. die Versorgung mit einem Rezepturarzneimittel. Demnach dürfte Dronabinol, weil es nicht nach den Grundsätzen der Fertigarzneimittel zu beurteilen sei, in der Gesetzlichen Kran-kenversicherung grundsätzlich nur nach Prüfung und Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss angewandt werden und eine derartige Empfehlung liege nicht vor. Eine Ausnahme kann jedoch dann bestehen, wenn als sogenannter Systemmangel eine rechts-widrige Untätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses vorläge. Ein Systemmangel liege nur dann vor, wenn die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses trotz Erfüllung der für die Überprüfung neuer Behandlungsmethoden formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich und aus sachfremden Erwägungen heraus unterblieben oder verzögert worden wäre. Ob dies der Fall sei, könne im Rahmen des Verfahrens des einst-weiligen Rechtschutzes nicht geklärt werden, obwohl die Beteiligten vielfältiges Material vorgelegt hätten. Nötig sei jedenfalls zumindest eine Anfrage beim Gemeinsamen Bundes-ausschuss, die im Hauptsacheverfahren erfolgen müsse, ggf. auch die Einholung eines ge-richtlichen Sachverständigen-Gutachtens. Diese Ermittlungen könnten nicht nach dem Studium der vorgelegten Grundsatz-Stellungnahme des MDK vom 12. August 2004 unter-bleiben. Diese sei einerseits knapp ein Jahr alt und es könnten sich Fortschritte in der Er-probung ergeben haben. Andererseits können sich Umstände ergeben, nach denen ein ge-richtliches Sachverständigen-Gutachten eingeholt werden müsse. Ein solches könne die Grundsatz-Stellungnahme nicht ersetzen. An der Beurteilung ändere sich auch nichts, dass das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 25. April 2003 (L 4 KR 3828/01, bestätigt durch das BSG mit Beschluss vom 06. Januar 2005 – B 1 KR 51/03 B) eine Verpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse zur Versorgung eines Versicherten mit dem hier streitge-genständlichen Medikament Dronabinol abgelehnt habe. Dabei sei es nicht um die Linde-rung von Schmerzen, sondern um eine Therapie eines an Multipler Sklerose erkrankten Versicherten gegangen. Ob ein Systemmangel vorliege, müsse vor einer neuartigen Be-handlungsmethode für jede einzelne Therapierichtung gesondert ermittelt werden.

In den Fällen, in denen erst durch umfangreiche Ermittlungen eine endgültige Klärung des materiell-rechtlichen Anspruchs herbeigeführt werden könne, habe das Gericht in Anleh-nung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Folgenabwägung vorzu-nehmen. Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) verlange von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache immer dann, wenn Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohten, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheide. Abzu-wägen seien die Folgen, die einträten, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zustehe, gegenüber den Nachteilen, die entstün-den, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl sie hierauf keinen Anspruch hätten. Für das vorläufige Rechtschutzverfahren bedeute dies, dass die Gerichte die Grund-rechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen hätten, dabei aber die ebenfalls der Sicherung des Artikels 2 Satz 2 Absatz 2 GG dienende Pflicht der Gesetzlichen Krankenkassen, ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, wozu die verfassungsrechtliche besonders geschützte Stabilität der gesetzlichen Kranken-versicherung nicht aus den Augen verlieren dürften. Bestehe die Gefahr, dass der Versi-cherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsachever-fahrens sterbe oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erlei-de, sei ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt sei, dass die begehrte Leistung unwirk-sam oder medizinisch nicht iniziert sei oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftet sei, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkung der Behandlung auf andere Weise zu ver-wirklichen. Bestehe die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhalte, ohne dass sie da-durch für ihn grundsätzlich an Wert verliere, weil die Beeinträchtigung der in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden könne, dürften die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenab-wägung versagen.

Bei der somit gebotenen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Bg. ohne das Medikament Dronabinol nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen schwere Schädigungen durch erhebliche Schmerzen drohten, die nicht durch andere Therapien mit tolerablen Nebenwirkungen abzuwenden seien. Durch die plötzlich eintretenden unerträg-lichen Schmerzen sei sie erheblich in ihrer Lebensführung eingeschränkt. Es lägen schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen vor und mithin ein schwerer und unzumutbarer Nach-teil. Dieser könne nicht anders abgewendet werden, insbesondere weil nach den glaubhaft gemachten Angaben ersichtlich sei, dass es der Bg. auch nicht möglich sei, die Kosten für das Medikament bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Ausweislich der vorgelegten Apotheken-Quittung betrügen die Kosten pro 20 g etwa 1.047,09 EUR. Diese reichten wohl etwa sechs Wochen, weil im Jahr 2004 zweimal 37,933 g und viermal 20 g abgegeben worden seien. Die monatliche Belastung betrage mithin etwa 700 EUR, fast die komplette Rente der Bf ...

Das Gericht sei nicht aufgrund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt, dass die begehr-te Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert sei oder ihr Einsatz mit dem Risi-ko behaftet sei, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Die Bg. nehme das Medikament regelmäßig seit zwei Jah-ren, toleriere es gut und leide unter deutlich weniger Schmerzatacken, deutlich minderer Intensität. Dies sei durch die Vorlage der ärztlichen Stellungnahme glaubhaft gemacht. Die Beeinträchtigung werde nicht durch eine eventuelle spätere Versorgung mit dem Medika-ment ausgeglichen. Die Schmerzen, die die Bg. wahrscheinlich zu erleiden hätte, könnten nicht im Nachhinein beseitigt oder wieder gut gemacht werden.

Demgegenüber wären die wirtschaftlichen Folgen für die Bf. – bzw. für die Versicherten-gemeinschaft – im Falle eines späteren endgültigen Unterliegens der Bg. im Hauptsache-verfahren relativ gering. Die Kosten für das Arzneimittel in Höhe von etwas mehr als 1.000,00 EUR pro 20 g alle sechs Wochen seien im Vergleich zum Gesamthaushalt der Bf. verhältnismäßig gering. Es entstünde der Bf. außerdem kein schwerwiegender wirtschaftli-cher Schaden, weil bei einer ablehnenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren ggf. nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 945 Zivilprozessordnung (ZPO) ein Anspruch gegen die Bg. auf Ersatz des entstandenen Schadens beststehe.

Durch die getroffene Anordnung werde die Hauptsache nicht vorweggenommen. Die An-ordnung gelte nur für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfah-rens oder einer Hauptsacheklage, ggf. mit einem Anspruch auf Rückerstattung der Kosten.

Gegen den am 03. Juni 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 08. Juni 2005 beim SG eingelegte Beschwerde, der dieses nicht abgeholfen hat.

Der Widerspruch der Bg. ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2005).

Die Bf. ist der Ansicht, es wäre dem SG ohne weiteres möglich gewesen, bereits im Rah-men des Antragsverfahrens eine kurzfristige Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesaus-schusses einzuholen. Die vom SG vorgenommene Folgenabwägung sei nicht sachgerecht erfolgt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass eine Schmerzreduzierung auch durch herkömmli-che Schmerzmittel erreicht werden könne. Weiterhin hätte das ausführliche MDK-Gutachten vom 12. August 2004 bei der Folge- und Güteabwägung nicht gänzlich außer Betracht bleiben dürfen. Eine zum Zeitpunkt des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerade einmal acht Monate alte Stellungnahme mit dem penibel darin aufgelis-teten Bedenken gegen Dronabinol könne ernsthaft wohl kaum als veraltet bzw. überholt angesehen werden. Im Ergebnis hätten daher die Interessen der Solidargemeinschaft der Versicherten höher eingestuft werden müssen als die Interessen der Bg. Wenn die Bg. zum einen mitteile, dass eine Schmerzreduzierung nur durch das Medikament Dronabinol er-reicht werden könne, andererseits aber, dass sie auf ein anderes, ihr noch nicht bekanntes Schmerzmittel umgestellt werden solle, lasse sich daraus folgern, das zugelassene Arznei-mittel als Alternative zu Dronabinol bei der Bg. bisher noch nicht hinreichend ausgetestet worden seien. Ferner bestehe auch eine Gefährdung durch das in Dronabinol enthaltene Suchtpotential hinsichtlich möglicher Spätfolgen.

Die Bf. beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 30. Mai 2005 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 22. April 2005 abzulehnen.

Die Bg. beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, eine Schmerzreduzierung könne nur durch das Medikament Dronabinol erreicht werden. Andere Schmerzmittel hätten zu keiner Verbesserung, sondern vielmehr zu einer ständigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes geführt (durch Nebenwir-kungen bzw. fehlende Wirksamkeit der Schmerzmittel). Anfang August sei definitiv die letzte Flasche aufgebraucht. Der behandelnde Arzt werde ihr kein Dronabinol mehr ver-ordnen. Vielmehr soll sie auf ein anderes, ihr noch nicht bekanntes Schmerzmittel "umge-stellt" werden. Da die Auswirkungen dieser "Umstellung" unvorhersehbar seien, soll sie hierzu vier Wochen stationär aufgenommen werden. Zwar datiere das MDK-Gutachten vom 12. August 2004, stelle jedoch auf Literaturauffassungen und Studien aus dem Jahr 1975 ab. Die in Bezug genommenen Schmerzstudien seien überwiegend 15 bis 25 Jahre alt. Unberücksichtigt sei in dem Gutachten auch geblieben, dass im internationalen Be-reich, namentlich in den USA und in Großbritannien bereits das Medikament Dronabinol als Fertigmedikament zugelassen sei und seine Verbreitung finde. Aufgrund der insoweit durchgeführten Zulassungsverfahren in beiden vorgenannten Ländern sei davon auszuge-hen, dass neuere Erkenntnisse durch neue Studien belegt, international verfügbar seien und daher das MDK-Gutachten insoweit keinen Aussagewert ausweise, da es auf 25 Jahre alte Studien verweise und hinsichtlich aktueller internationaler Studien, die vorliegen müssten, keine Aussage treffe. Ihr Anspruch könne nicht daran scheitern, dass es bisher keine Lang-zeitstudien gäbe. Vom Gemeinsamen Bundesausschuss sei in seiner Stellungnahme nicht dargelegt worden, dass er seinerseits tätig geworden sei. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass er sich über den Ausgang der mehrfach im Urteil des LSG Baden-Württemberg zitier-ten Studie in England in Kenntnis gesetzt habe. Sie sei im vorliegenden Fall offenbar Op-fer des Umstandes, dass die Anzahl der Patienten, bei denen das Medikament medizinisch indiziert zum Einsatz käme, in Deutschland gering sei.

Der Senat hat vom Gemeinsamen Bundesausschuss eine Auskunft zur Antragslage auf Zulassung einer Arzneimitteltherapie mit Dronabinol – auch für die bei der Bg. vorliegen-de Erkrankung – eingeholt (Auskunft vom 27. Juli 2005). Der Gemeinsame Bundesaus-schuss hat im Wesentlichen mitgeteilt, bislang sei noch kein Antrag auf Überprüfung einer Behandlung mit dem Arzneimittel "Dronabinol" nach § 135 Abs. 1 SGB V beim Gemein-samen Bundesausschuss gestellt worden. Er habe auch nicht von Amts wegen ein Bewer-tungsverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V eingeleitet. Er sei erst dann verpflichtet, sich mit der Überprüfung einer neuen Therapie zu befassen, wenn wissenschaftlich begründete Aussagen zur Wirksamkeit einschließlich eventueller Risiken überhaupt getroffen werden könnten. Die Therapie müsse in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Der Erfolg müsse sich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelnden Fälle und die Wirksam-keit der Methode ablesen lassen. Einem Bericht im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2001 zufolge habe die wissenschaftliche Datenlage zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausgereicht, um den therapeutischen Nutzen von Cannabinoiden in der Schmerztherapie beurteilen zu können. Ausgehend von diesem Befund seien der Geschäftsstelle des Ge-meinsamen Bundesausschusses in der Zwischenzeit keine Studien bekannt geworden, aus denen sich wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zu Nutzen und Risiken des Einsatzes von Cannabinoiden in der Schmerztherapie, insbesondere zur Behandlung der Trigeminus-neuralgie, ableiten ließen. Daraus werde deutlich, dass die streitige Therapie die Phase der Erprobung noch nicht überschritten habe, was allein schon unter diesem Gesichtspunkt die Leistungspflicht der beklagten Krankenkasse ausschließe. Denn nach dem Sinn und Zweck des § 2 SGB V seien noch im Prüfstadium befindliche Behandlungsmethoden nicht Ge-genstand der vertragsärztlichen Versorgung. Nach der gesetzlichen Begründung dieser Vorschriften dürften sich neue Behandlungsmethoden nicht mehr im Erprobungsverfahren befinden, da es nicht Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung sei, die medizinische Forschung zu finanzieren. Wegen des weiteren Einzelheiten der Auskunft wird auf Blatt 37 bis 55 der LSG-Akte Bezug genommen.

Eine telefonische Auskunft hat der Senat von Prof. Dr. S ... (Universitätsklinik für Anäs-thesiologie des Universitätsklinikums U ...) zum Ergebnis einer klinischen Prüfung mit Dronabinol bei der Indikation "chronischer Schmerz" eingeholt (Auskunft vom 16. August 2005). Wegen des Inhalts der Auskunft wird auf Blatt 66 der LSG-Akte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte der Bf. Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Voraus-setzungen für die von der Bg. begehrte einstweilige Anordnung für eine Kostenübernahme der Bf. für eine Versorgung mit Dronabinol liegen nicht vor.

Einer Beiladung des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 75 SGG bedurfte es nicht. Im Rechtsstreit zwischen einer Versicherten und seiner Krankenkasse über die Leistungs-pflicht von einzelnen Behandlungsmaßnahmen ist eine normgebende Institution (Gemein-samer Bundesausschuss) nicht notwendig beizuladen (vgl. BSG, Beschluss vom 06. Januar 2005, Az. B 1 KR 51/03 B).

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine Einstweilige Anord-nung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstel-lers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Re-gelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Regelung in § 86 b Abs. 2 SGG unterscheidet ebenso wie § 123 Verwaltungsgerichts-ordnung (VwGO) zwei Typen der einstweiligen Anordnung. Die Sicherungsanordnung nach Satz 1 soll der "Veränderung eines bestehenden Zustandes" vorbeugen, dient also einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden und scheidet hier aus. Vielmehr kommt nur die auf eine Veränderung des Status quo abzie-lende Regelungsanordnung in Betracht, weil das Begehren der Bg. auf ein Handeln der Bf. – die Übernahme der Behandlung mit Dronabinol als Sachleistung – ausgerichtet ist. Hier sind grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines An-ordnungsgrundes erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den geltend ge-machten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird. Die erforder-liche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungs-grund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Diese allgemeinen Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – 2. Senat, Beschluss vom 25. Oktober 1999 – 2 BvR 745/88 = BVerfGE 79, 69).

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens liegen in der Sicherung der Ent-scheidungsfähigkeit und der prozessualen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nicht anderes, als allein wegen der Zeitdi-mension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwick-lungen zu sichern und irreparable Folgen auszuschließen und der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umge-hung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfahrens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab zu realisieren.

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Gewährleis-tung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt grundsätzlich die Mög-lichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbe-reiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfGE 79, 69, 74; 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Ent-scheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilver-fahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsache-verfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, um so weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesa-chen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 79, 69, 74; 94, 166, 216). Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientie-ren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufi-gen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juli 1996 – 1 BvR 638/96 = NVwZ 1997, 479).

Die Prüfung der Gerichte über die Verpflichtung der Krankenkasse zur vorläufigen Über-nahme der Kosten für die Versorgung mit einem Arzneimittel hat dabei Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Blick zu haben. In der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland ha-ben Leben und körperliche Unversehrtheit hohen Rang. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt allgemein die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen. Behördliche und gerichtliche Verfahren müssen der im Grundrecht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit enthaltenden grundlegenden objektiven Wertentscheidung (BVerfGE 39, 1, 41) gerecht werden (BVerfGE 53, 30, 55).

Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, an-ders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die auch später nicht mehr rückgän-gig gemacht werden können, ist bei einer Orientierung der Entscheidung an den Er-folgsaussichten nicht nur die Sach- und Rechtslage summarisch, sondern abschließend zu prüfen ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. März 2004 – 1 BvR 131/04 = NJW 2004, 3100, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. No-vember 2002 – 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236 = NZS 2003, 253). Dabei dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren nicht überspannt werden. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der An-tragsteller mit seinem Begehren verfolgt (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 2004, 95).

Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilver-fahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Be-schluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NVwZ RR 2001, 694). Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers in die Abwägung einzubeziehen.

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Bf. im Wege der einstweiligen Anordnung nicht zu einer Kostenübernahme für die Versorgung mit Dronabinol zu verpflichten. Bereits im Eilverfahren konnte aufgrund der vorliegenden Unterlagen und eingeholten Auskünfte eine abschließende Entscheidung getroffen werden. Eine Beweiserhebung im Eilverfahren ist zulässig, sie kann sogar notwendig sein (vgl. Meyer/Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 86 b RdNr. 16 m. w. N.). Dronabinol gehört nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenver-sicherung. Das Begehren der Bg. scheitert bereits am Vorliegen eines Anordnungsan-spruchs.

Vorliegend war bereits eine vollständige Aufklärung der Sachlage und eine sichere Prog-nose der Erfolgsaussichten im Eilverfahren möglich. Der in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Er-kenntnisse entspricht. Bei der Arzneimittelversorgung knüpft das Krankenversicherungs-recht an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vor-schreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklich-keit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs. 2 AMG).

Zulassungspflichtig sind gemäß § 21 Abs. 1 AMG – von einer hier nicht einschlägigen Ausnahme abgesehen – nur Fertigarzneimittel. Das sind Arzneimittel, die im Voraus her-gestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs. 1 AMG). Bei den hier streitigen Dronabinol-Tropfen handelt es sich dagegen um speziell für den Versicherten hergestellte sogenannte Rezepturarzneimit-tel, für die lediglich eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG erforderlich ist (vgl. S. 2 der Information der Firma D ... "Das Cannabinoid Dronabinol als Rezepturarzneimit-tel" sowie Seite 14 der Grundsatzstellungnahme des MDK vom 12. August 2004).

Soweit die Versorgung mit Dronabinol in Form des Fertigarzneimittels Marinol in Frage stehen sollte, fehlt es an der erforderlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, da für das entsprechende Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts keine Zulas-sung erteilt worden ist. Die Anforderungen des SGB V an Pharmakotherapien mit Medi-kamenten, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfen, sind nur erfüllt, wenn sie eine solche Zulassung besitzen. Ohne die notwendige arzneimittel-rechtliche Zulassung kann das Mittel in Deutschland nicht legal beschafft werden, denn der Verkauf und die Abgabe sowie die Vorratshaltung zu diesem Zweck sind mit Strafe be-droht (§ 96 Nr. 5 in Verbindung mit § 21 Abs. 1, § 4 Abs. 17 AMG) (vgl. BSGE 93, 236 ff.). Das BSG hat dazu u. a. in seinem Urteil vom 19. Oktober 2004 (B 1 KR 27/02 R = BSGE 93, 236 ff.) ausgeführt: Da es bei dem für die Zulassung erforderlichen Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments (§ 21 Abs. 2 AMG) im Kern um die selben Kriterien gehe, an denen auch die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden müssten, handele es sich bei einer Therapie, die sich in der Anwendung eines für die betreffende Indikation zugelassenen neuartigen Arzneimittels erschöpfe, nicht um "neue Methoden" im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber alle neuen Medikamente neben einer arzneimittelrechtlichen einer zusätzlichen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätsprüfung nach den selben Maßstä-ben unterwerfen wollte. Im Ergebnis verzichte das Krankenversicherungsrecht bei der Ver-sorgung mit zulassungspflichtigen Arzneimitteln weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Im Falle der arzneimittelrechtichen Zulassung sei infolge dessen grundsätzlich davon auszugehen, dass zugleich der Mindeststandard einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt sei. Dies gelte unbeschadet der zusätzlichen Regelung des Krankenversicherungs-rechts über die (ökonomisch verstandene) Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne (vgl. § 12 Abs. 1, § 31, §§ 33 a bis 35 a, § 84 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Absatz 2 SGB V). Deshalb sei es nicht Aufgabe des Bundesausschusses, zulassungspflichtige Arzneimittel für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung einer nochmaligen, gesonderten Be-gutachtung zu unterziehen und die arzneimittelrechtliche Zulassung durch eine für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Empfehlung zu ergänzen bzw. zu ersetzen.

Marinol als Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol verfügt nicht über eine arz-neimittelrechtliche Zulassung nach den Vorschriften des AMG. Es ist daher nicht zu Las-ten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Dem steht nicht entgegen, dass Marinol in den USA zugelassen ist. Diese Zulassung ist einer Zulassung nach den Vorschriften des AMG nicht gleichzusetzen. Die außerhalb des Geltungsbereichs des AMG erfolgte Zulassung führt lediglich dazu, dass das Arzneimittel auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 AMG für den Einzelfall verordnet und importiert werden darf. Diese grund-sätzliche Verordnungsfähigkeit bedeutet nicht gleichzeitig, dass das Arzneimittel auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. April 2003, L 4 KR 3828/01 – die dagegen eingelegte Nicht-zulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss des BSG vom 06. Januar 2005, B 1 KR 51/03 B, als unzulässig verworfen). Aus den vorliegenden Unterlagen und dem Vorbringen der Beteiligten ergeben sich keine Anhaltspunkte, das weder das Bundesinstitut für Arzneimit-tel und Medizinprodukte noch die Komission der EG oder der Rat der EU das In-Verkehr-Bringen des Mittels genehmigt haben (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1, § 37 Abs. 1 AMG), insbesondere ist auch eine Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 AMG) nach der die in den USA für das Arzneimittel erteilte Zulassung generell auch in Deutschland gelten könnte, nicht ersichtlich. Selbst die nationale Zulas-sung eines Arzneimittels in einem einzelnen EU-Mitgliedsstaat entfaltet nicht ohne weiteres Rechtswirkung auch in allen anderen Mitgliedsstaaten (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, a. a. O.).

Hinzu kommt, dass Marinol in den USA nur für folgende Indikationen zugelassen ist: Ano-rexie mit Gewichtsverlust bei Aids-Patienten sowie bei Übelkeit und Erbrechen im Zu-sammenhang mit einer Chemotherapie bei einer Krebserkrankung. Die Zulassung ist je-doch nicht für die bei der Bg. vorliegenden Erkrankungen erfolgt.

Soweit das BSG in seinem Urteil vom 19. März 2002 (B 1 KR 37/00 R = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8) die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen in eng begrenzten Aus-nahmefällen auf den sogenannten Off-Label-Gebrauch eines Arzneimittels ausgedehnt hat, lassen sich die in jener Entscheidung entwickelten Grundsätze auf den vorliegend zu beur-teilenden Sachverhalt nicht schon deshalb übertragen, weil das in jener Entscheidung streitbefangene Fertigarzneimittel Sandoglobulin für bestimmte Anwendungsgebiete über eine arzneimittelrechtliche Zulassung nach den Vorschriften des AMG verfügt. Bei dem Fertigarzneimittel Marinol ist dies – wie bereits oben ausgeführt – jedoch nicht der Fall.

Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich auch nicht für Dronabinol als Rezepturarzneimittel in Form von "Dronabinol-Tropfen".

Neuartige Arzneitherapien sind vom Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V nicht grundsätzlich ausgenommen. Durch das Erfordernis der vorherigen Prüfung und Anerken-nung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden soll die Qualität nicht nur der ärzt-lichen Leistung im engeren Sinne, sondern aller für die vertragsärztliche Versorgung rele-vanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gewährleistet werden. Deshalb sind zumindest solche Pharmakotherapien der Kontrolle durch den Bundesausschuss zu unterwerfen, bei denen das eingesetzte Medikament keiner arzneimittelrechtlichen Zulas-sung bedarf, weil andernfalls die Qualitätsprüfung bei neuen Behandlungsmethoden lü-ckenhaft bliebe und die gesetzliche Regelung teilweise leer liefe (vgl. BSGE 82, 233, 238; SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135 Abs. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Diese Bestimmung regelt nicht nur die Modalitäten der Leistungserbringung, sondern legt für ihren Anwendungsbe-reich zugleich den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen fest (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und Nr. 14). Da der Gemeinsame Bundesausschuss – mangels Vorliegens eines entsprechenden Antrags (vgl. Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 27. Juli 2005) keine Empfehlung zugunsten einer Therapie mit Dronabinol – unabhängig von der bei der Bg. zu behandelnden Erkrankung – abgegeben hat, gehört die Behandlung mit Dronabinol nicht zum Leistungskatalog der ge-setzlichen Krankenversicherung. Die Kosten hierfür dürfen von der Bf. nicht übernommen werden.

Ein Kostenübernahmeanspruch des Versicherten kann allerdings ausnahmsweise in Be-tracht kommen, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode darauf zurückzufüh-ren ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird. In einem solchen Fall widerspricht die Nichtberück-sichtigung der Methode höherrangigem Recht, nämlich der Garantie eines den Anforde-rungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprechenden Krankenbehandlungsanspruchs nach § 27 Abs. 1 SGB V. Das präventive Verbot in § 135 Abs. 1 SGB V dient allein der Qualitätssicherung. Nur soweit es dieser Zweck erfordert, ist der Ausschluss ungeprüfter und nicht anerkannter Heilmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Wird dagegen die Einleitung oder die Durchführung des Verfahrens willkürlich oder sachfremden Bewegungen blockiert oder verzögert und kann deshalb eine für die Behandlung benötigte neue Therapie nicht eingesetzt werden, widerspricht dies dem Auftrag des Gesetzes. Eine sich daraus ergebende Versorgungslücke muss zu Gunsten des Versicherten mit Hilfe des § 13 Abs. 3 SGB V geschlossen werden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und Nr. 14).

Letztlich kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob ein Mangel des gesetzlichen Leis-tungssystems darin zu sehen ist, dass der Gemeinsame Bundesausschuss nicht von Amts wegen oder aufgrund von Versäumnissen der nach § 135 Abs. 1 SGB V antragsberechtig-ten Stellen bisher keine Entscheidung zur Behandlung mit Dronabinol getroffen hat. Die in diesem Fall ersatzweise anzustellende Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass die Behand-lungsmethode bislang nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkennt-nisse entspricht. Die Wirksamkeit der Anwendung von Dronabinol bei der bei der Bg. vor-liegenden Schmerzerkrankung ist nicht hinreichend belegt. Auch für Fälle eines "System-versagens" muss die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wis-senschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5). Nur ausnahmsweise, wenn ein Wirkungsnachweis wegen der Art oder des Verlaufs der Erkrankung oder den unzureichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, darf darauf abgestellt werden, ob sich die in Anspruch genommene Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und SozR 3-2500 § 18 Nr. 3).

Erhebliche Schwierigkeiten beim Wirksamkeitsnachweis sind für Krankheiten bejaht wor-den, bei denen Entstehung und Verlauf ungeklärt sind, die sich nicht gezielt beeinflussen lassen und bei denen auch Ansätze einer symptomatischen Behandlung nur eine vorüber-gehende und begrenzt objektivierbare Wirkung entfalten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und Urteil vom 16. September 1997 – 1 RK 17/95). Eine entsprechende Situation ist bei der Schmerzerkrankung der Bg. nicht gegeben. Für diese Erkrankung stehen verschiedene Therapien zur Verfügung (vgl. Schreiben Dipl.-Med. J1 ... vom 25. Januar 2005; www.netdoktor.de/krankheiten/fakten/schmerz chronischer.htm, Stand: 18. April 2005), die bei der Bg. jedoch nicht erfolgreich gewesen sind. Der behandelnde Schmerztherapeut benennt als Ursache der Erkrankung Läsionen von Schmerzbahnen im Zentralnervensys-tem (vgl. Schreiben Dipl.-Med. J1 ... vom 25. Januar 2005). Da mindestens acht Millionen Bundesbürger an schweren Dauerschmerzen leiden (vgl. www.netdoktor.de, a. a. O.), ist chronischer Schmerz auch keine so selten vorkommender Krankheitszustand, dass von daher eine wissenschaftlich fundierte Wirksamkeitsprüfung von Dronabinol ausgeschlos-sen wäre.

Ein danach grundsätzlich möglicher und deshalb zu fordernder Nachweis der Wirksamkeit einer Therapie mit Dronabinol ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht erbracht. Die vor-liegenden Unterlagen sind nicht geeignet, die Wirksamkeit von Dronabinol bei den Er-krankungen der Bg. nachzuweisen. Dr. M1 ... hat in ihrem Gutachten vom 09. März 2005 ausgeführt, hinsichtlich des Einsatzes von Dronabinol in der Schmerztherapie fehlten vali-de klinische Untersuchungen im Vergleich zu den etablierten Schmerzbehandlungsschema-ta. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat unter dem 12. Januar 2004 auf die kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter des Deutschen Bundestages zum Einsatz von Cannabis-Wirkstoffen in Arzneimitteln (BT-Drs. 15/2331) ausgeführt, der medizinische Nutzen von Cannabinoiden in der Schmerzindikation sei derzeit nicht zu begründen. Plausibel erschienen jedoch aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse Überle-gungen, cannabinoidhaltige Arzneimittel könnten einen positiven Beitrag in der Kombina-tionsbehandlung mit anderen Analgetika entfalten. Diese Anwendung sei jedoch noch nicht ausreichend untersucht. Ob Cannabinoide ein klinisch sinnvoll zu nutzendes schmerzlinderndes Potential hätten, müsse daher weiter als unzureichend untersucht ange-sehen werden.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Grundsatzstellungnahme des MDK vom 12. August 2004 über den medizinischen Einsatz von Cannabis und Cannabinoiden. Zusammenfassend ist darin ausgeführt, die Anwendung von Cannabinoiden zur Schmerz-therapie bei mäßigen Schmerzen sei der Wirksamkeit von Plazebo überlegen und der von Codein gleichwertig. Die erheblichen Nebenwirkungen relativierten die Nutzen-Risiko-Relation und ließen keine Notwendigkeit erkennen, die Cannabinoide in die international etablierten Schemata zur Schmerzbehandlung aufzunehmen. Formal seien die vorhanden, gegen Placebo geführten Wirksamkeitsnachweise als Evidenzklasse I einzuordnen. Verfäl-schende Studieneffekte schränkten jedoch die Aussagekraft der Studien ein. Der randomi-sierte, kontrollierte Studienvergleich von Cannabis bei starken Schmerzen mit einem etab-lierten, hochwirksamen Therapiestandard Morphin stoße auf ein ethisches Problem: Hier seien die Überlegenheit der etablierten Standards anzunehmen, so dass eine kontrollierte klinische Prüfung ethisch kaum vertretbar erscheine. Damit sei vermutlich auch das Fehlen von Studien bei starken Schmerzen zu erklären, die in Indikationen wie Schmerztherapie, u. a. die Wirksamkeit von Cannabis/Cannabinoiden mit den international etablierten Stan-dards verglichen.

Prof. Dr. R1 ... kommt in seinem Aufsatz "Als Arzneimittel nur von geringem therapeuti-schen Nutzen" (Deutsches Ärzteblatt, Jg. 97, Heft 51 – 52, 25. Dezember 2000, B 2918 bis 2920) zu dem Ergebnis, THC (Dronabinol) mehrmals täglich verabreicht, habe keine oder nur geringe psychotrope Wirkung, es sei auch therapeutisch kaum von Nutzen. Es könne versuchsweise zur Muskelrelaxation sowie bei Übelkeit, Glaukom und Appetitlosigkeit eingesetzt werden. Wissenschaftliche Untersuchungen weiterer Inhaltsstoffe von Cannabis sollten mit dem Ziel durchgeführt werden, Cannabinoide mit weiteren Indikationen nach-zuweisen – wie Anxiolyse oder Antidepression –, die keine oder geringe dysphorisierende Eigenschaften bei erwünschter medizinischer Wirksamkeit zeigten.

Selbst die Firma D ... führt in einem Anhang zu Produktinformation zu Dronabinol aus, für den Einsatz von Dronabinol bei Schmerz- und MS-Patienten sowie bei Spastiken gebe es einzelne Untersuchungen und gute klinische Erfahrungen sowie pharmakologische Da-ten. Auch hier sei die Wirksamkeit noch nicht zweifelsfrei publiziert worden. Aus einem Artikel in der Ärztezeitung vom 11. Oktober 2004 "Cannabinoide werden jetzt bei Schmerzen geprüft" ist zu entnehmen, dass im Tiermodell zwar analgetische und entzün-dungshemmende Effekte von Cannabinoiden nachgewiesen worden seien (unter Bezug-nahme auf Äußerungen von Prof. K1 Medizinische Universität W ..., beim Deutschen Schmerzkongress in Leipzig). Ergebnisse klinischer Studien nach modernem Studiende-sign gäbe es jedoch bislang nicht. Eine Metanalyse von fünf klinischen Studien aus den 70iger Jahren zur schmerzlindernden Wirkung von Cannabinoiden bei insgesamt 128 Tu-morpatienten lasse keine Rückschlüsse auf die Effizienz der Therapie zu, da die Studien aus heutiger Sicht methodische Mängel aufwiesen. Aus neuen klinischen Studien ergäben sich Hinweise auf die schmerzlindernde Wirkung von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzen. Es sollten demnächst die Ergebnisse einer kleinen kontrollierten Studie mit Cross-over-Design, in der Dronabinol bei Patienten mit Armplexus-Wurzelausriss ver-wendet worden sei, veröffentlicht werden. Die neuropathischen Schmerzen seien durch die Therapie mit Dronabinol in dieser Studie signifikant reduziert und der Nachtschlaf signifi-kant gebessert worden. Da Tumorschmerzen häufig auch neuropathische Komponenten hätten, könnte die Substanz auch bei solchen Schmerzen wirksam sein und als Co-Analgetikum zu einer Opioid-Therapie angewandt werden. Entsprechende Studien stünden allerdings noch aus. Dem entspricht es, wenn der Behandler der Bf. unter dem 25. Januar 2005 selbst von einer mageren Studienlage beim therapeutischen Schmerz berichtet.

Auf telefonische Anfrage des Berichterstatters des Senats hat Prof. Dr. S1 ... (Universitäts-klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums U ...) unter Bezugnahme auf die im MDK-Gutachten vom 12. August 2004 genannte Studie (dort Seite 45 bis 46) mitgeteilt, sein Prüfteam hätte insgesamt 35 Patienten, die bereits auf einem Schmerzschema gewesen seien (Behandlung mit Schmerzmitteln, Opioiden und Zusatzstoffen) zusätzlich mit Dro-nabinol für einen Zeitraum von drei Wochen behandelt. Bei etwa 50 bis 60 % der Patienten sei eine zeitliche Wirksamkeit festgestellt worden. Das schriftliche Ergebnis der Studie läge noch nicht vor, es sei noch nicht veröffentlicht. Nach seiner Ansicht lägen bisher kei-ne "harten" Hinweise vor, dass mit Dronabinol Schmerzen besser behandelt werden könn-ten, als mit anderen Schmerzmitteln.

Zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Risiko des streitigen Arzneimittels bei der Erkrankung der Bg. liegen damit noch nicht vor. Nach alledem kann von einer therapeutischen Zweckmäßigkeit der Behandlungsweise bislang nicht ausgegangen werden. Auch dem Gemeinsamen Bundesausschuss sind keine Studien bekannt, aus denen sich wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zu Nutzen und Risiko des Einsatzes von Cannabinoiden in der Schmerztherapie ableiten ließen (vgl. Auskunft vom 27. Juli 2005).

Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf Behandlungsmethoden, die sich jedoch erst im Stadium der Erforschung oder Erprobung befinden und (noch) nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, lässt das Gesetz auch bei schweren und vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätz-lich nicht zu (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14).

Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, den Leistungsumfang der Krankenversicherung auch bei besonders schweren Krankheiten auf Behandlungsmethoden zu erstrecken, deren the-rapeutischer Nutzen noch nicht ausreichend gesichert ist, lässt sich auch verfassungsrecht-lich nicht begründen (vgl. BSG a. a. O.).

Aus Artikel 2 Abs. 1 Satz 1 GG kann kein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesund-heitsleistungen hergeleitet werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 05. März 1997 – 1 BvR 1071/95 und 1 BvR 1953/97, sowie Beschluss vom 15. Dezember 1997 – 1 BvR 1953/97). Das BSG hat in seinem Urteil vom 18. März 2000 (B 1 KR 11/98 R = SozR 3-2500 § 135 Nr. 14) dazu ausgeführt: Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründe zwar keine objektiv rechtli-che Pflicht des Staates, sich schützend oder fördernd vor das Rechtsgut Leben bzw. körper-liche Unversehrtheit zu stellen. Daran habe sich auch die Auslegung des geltenden Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu orientieren. Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch sei jedoch im Hinblick auf die den zuständigen Stel-len einzuräumende weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflicht nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts treffe, die nicht völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich seien. Dies sei im SGB V durch die Bereitstellung von Leistungen, die dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen, geschehen. Durch die Rechtsprechung des BSG zum Systemversagen werde im Übrigen sicher gestellt, dass ein ausreichend erprobte bzw. bewährte Methode auch dann dem Versicherten zur Verfügung stehe, wenn sie – aus Gründen, die in den Verant-wortungsbereich der Ärzte und Krankenkassen fielen – noch nicht in die Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aufgenommen worden seien. Soweit der Versicherte auch die Bereitstellung von nicht ausreichend erprobten Me-thoden begehre, stehe dem das öffentliche Interesse am Schutz des Versicherten vor unbe-kannten Nebenwirkungen sowie am Erhalt der finanziellen Stabilität der Krankenversiche-rung entgegen. Das in § 12 Abs. 1 SGB V enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot markiere die finanziellen Grenzen, die der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung von einer Belastbarkeit der Beitragszahler und der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft ge-zogen würden. Das BVerfG habe es daher für mit der Verfassung vereinbar gehalten, die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts zu verknüpfen und die Verordnungsfähigkeit eines zulassungspflichtigen Arzneimittels zu verneinen, wenn und solange dieses nicht arznei-mittelrechtlich zugelassen und damit nicht auf seine Unbedenklichkeit, Qualität und Wirk-samkeit geprüft worden sei (Beschlüsse vom 05. März 1997 a. a. O.). Im Bereich des zu-lassungsfreien Arzneimittels könne insoweit nichts anderes gelten: Auch hier müsse es dem Gesetzgeber angesichts der Belastung für die Beitragszahler und der Gefahr für den Versicherten freistehen, nur erprobte und bewährte Methoden als wirtschaftlich anzusehen und in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. Das Vor-liegen einer Krankheit mit tödlichem Verlauf, für die keine den medizinischen Standards entsprechende Behandlungsmethode existiere, zwinge nicht zu einer anderen Betrach-tungsweise. Das BVerfG habe in den genannten Entscheidungen, die ebenfalls noch nicht ausreichend erprobte Arzneimittel zur Bekämpfung von Krebs betroffen hätten, keine Ver-anlassung gesehen, bei der Beurteilung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf diesen Aspekt näher einzugehen. Im Ergebnis stehe damit die Gewährung von Leistungen für die individuellen Heilversuche im Ermessen des Gesetzgebers.

Diese Rechtsansicht macht sich der Senat zu eigen. Zu berücksichtigen war hier ferner, dass es sich bei der Erkrankung der Bg. nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung han-delt. Aus einem Bericht Dipl.-Med. J1 ... vom 01. April 2003 ergibt sich im Übrigen, dass sich eine Therapie mit Valoron-Tropfen und Ibuprofen auch als einigermaßen wirksam dargestellt hat und auch eine Austestung einer intraventikulären Morphingabe denkbar wäre. Die Bg. selbst hat im Beschwerdeverfahren angegeben, sie solle auf ein anderes, ihr noch nicht bekanntes Schmerzmittel "umgestellt" werden.

Es führt nicht schon zur Leistungspflicht der Bf., dass die Therapie mit dem streitigen Arz-neimittel im konkreten Einzelfall der Bg. positiv gewirkt hat und sie bei ihr nach Ansicht des behandelnden Arztes einer herkömmlichen Schmerztherapie vorzuziehen ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5, BSG, Urteil vom 18. Mai 2004, Az. B 1 KR 21/02 R). Vielmehr muss es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Keine Berücksichtigung findet auch, dass die Bf. gegenüber der Bg. die Kosten für die streitige Arzneimitteltherapie vom März 2003 bis Januar 2005 bzw. 13. Mai 2005 über-nommen hat. Es besteht über die insoweit freiwillig geleistete Versorgung hinaus kein Kostenübernahmeanspruch, denn die Versorgung mit Dronabinol gehört – wie bereits oben ausgeführt – nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).

Habelt Steinmann-Munzinger Strahn
Rechtskraft
Aus
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