L 4 B 467/04 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 KR 873/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 467/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 9. August 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, für den Antragsteller die Kosten für ambulante permanente Brachy- therapie bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen.

Der 1934 geborene Antragsteller ist bei der Beklagten versichert. Er leidet an einem organbegrenzten Prostatakarzinom, das der niedrigen Risikokategorie zuzuordnen ist. Der Antragsteller hat am 26.03.2004 bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme der interstitiellen Brachytherapie beantragt. Die Antragsgegnerin hat nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (Dr.S.) die Kostenübernahme mit Bescheid vom 09.06.2004 abgelehnt. Daraufhin wurde am 19.07.2004 die Kostenübernahme im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Zur Begründung wurde ausgeführt, für den Antragsteller gebe es drei gleichwirksame Therapiemodalitäten, nämlich radikale Prostatektomie, perkutane Bestrahlung und permanente Seed-Implantation. Nach Auffassung des Facharztes für Urologie Priv.Doz.Dr.B. sei die permanente Brachytherapie (bei diesem Verfahren werden unter Ultraschallkontrolle radioaktive Isotope in die Prostata eingebracht, die den Tumor vor Ort bestrahlen) die Behandlungsmethode mit der geringeren Komplikationsrate und einer sehr guten Fünf- und Zehnjahresüberlebensrate. Auch wenn es sich hierbei um eine neue Behandlungsmethode handele, für die der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Empfehlung abgegeben habe, komme ein Kostenübernahmeanspruch deshalb in Betracht, weil ein Systemversagen vorliege. Das Anerkennungsverfahren sei zu spät eingeleitet worden. Im stationären Bereich sei die Behandlungmethode abrechnungsfähig. Der Gesetzgeber gehe also davon aus, dass eine Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens bestehe. Eine diesbezügliche Entscheidung des Bundesausschusses müsse nicht mehr abgewartet werden.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 9. August 2004 den Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt. Unbeschadet eines Anordnungsgrundes sei vorliegend jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht erkennbar. Die ambulante permanente bzw. interstitielle Brachytherapie zähle nicht zum Sachleistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen. Es handele sich unstreitig um eine sog. neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 SGB V. Solche Behandlungsmethoden dürften in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss hierzu in Richtlinien eine Empfehlung abgegeben habe. Eine solche positive Empfehlung liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme den Richtlinien Rechtsnormcharakter zu. Die fehlende positive Empfehlung des Bundesausschusses sei für die Krankenkassen wie für die Gerichte bindend. Eine Leistungspflicht der Krankenkassen für Methoden, die sich erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befinden und noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, gebe es auch bei schweren und vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht. Auch ein Systemversagen könne nicht festgestellt werden. Für die beim Kläger bestehende Krankheit gebe es ausreichende und wirtschaftliche Behandlungsalternativen in Form einer Prostatektomie oder einer perkutanen Radiatio. Ein Versorgungsmangel liege nicht vor. Nach den Urteilen des BSG vom 16.09.1997 könne ein Systemmangel daneben auch bestehen, wenn das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für die Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt werde. Der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss habe das Beratungsthema interstitielle Brachytherapie bei lokal begrenztem Prostatakarzinom nach Vorlage entsprechender Unterlagen mit Beschluss vom 02.09.2003 zur Beratung angenommen. In der bisher elfmonatigen Verfahrensdauer könne insbesondere im Hinblick auf die mit dem GKG-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 auf den Gemeinsamen Bundesausschuss zusätzlich übertragenen Aufgaben eine willkürliche Verfahrensverzögerung keinesfalls erkannt werden.

Hiergegen richtet sich die am 30. August 2004 beim Sozialgericht München eingegangene Beschwerde. Sie wird damit begründet, ein Systemmangel liege deshalb vor, weil das Antragsverfahren gemäß § 135 Abs.1 SGB V nicht zeitgerecht beantragt worden sei. Die permanente Brachytherapie habe unzweifelhaft seit langer Zeit eine nicht unerhebliche Resonanz in der medizinischen Fachdiskussion gefunden. Hinsichtlich der drei definitiven Therapiealternativen bestehe Äquieffektivität. Allein aufgrund der in der Vergangenheit gestellten Kostenübernahmeanträge hätte ein entsprechender Antrag früher gestellt werden müssen. Die Behandlungsmethode werde innerhalb des stationären Bereichs unzweifelhaft anerkannt. Das Systemversagen werde auch dadurch begründet, dass die Brachytherapie bei Krankheiten und Störungen der männlichen Geschlechtsorgane mit Implantation von Seed ausdrücklich in der Verordnung zum Fallpauschalensystem des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 13.10.2003 als DRG-Abrechnungsziffer M07Z aufgenommen wurde. Damit könne nicht mehr im Zweifel stehen, dass es sich um eine Methode mit therapeutischem und diagnostischem Nutzen handele. Dies stehe auch für den ambulanten Bereich zweifelsfrei fest. So sehe § 116b Abs.2 SGB V vor, dass Krankenkassen oder ihre Verbände mit zugelassenen Krankenhäusern in Ergänzung zur vertragsärztlichen Versorgung Verträge über die ambulante Erbringung hoch spezialisierter Leistungen schließen könnten. Als solche werde hier ausdrücklich die fragliche Brachytherapie definiert. Es müsse deshalb eine Entscheidung des Bundesausschusses nicht mehr abgewartet werden, sie hätte längst positiv getroffen worden sein müssen. Letztlich bleibe dem Antragsteller aber nicht die Möglichkeit, die Leistung ambulant in einem Krankenhaus in Anspruch zu nehmen, wenn entsprechende Angebote noch nicht bestehen und Fachkenntnisse gerade bei den spezialisierten Vertragsärzten im ambulanten Bereich zu finden seien.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei auch geboten, weil die baldige Behandlung des Antragstellers aus medizinischer Sicht dringend erforderlich ist. In der momentanen Situation habe der Antragsteller noch eine sehr hohe Heilungsrate bei einer Behandlung seiner Krebserkrankung mit der permanenten Seed-Implantation, da er aufgrund der klinischen Parameter ideal für diese Therapieform sei. Ein weiteres Zuwarten würde dazu führen, dass sich der Antragsteller auf die weniger erfolgversprechende und mit erheblich höherem Komplikationsrisiko behaftete Behandlungsmethode, wie z.B. einen tumorchirurgischem Eingriff mit der großen Gefahr der Inkontinenz und Impotenz, verweisen lassen müsste.

Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 09.08.2004 im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs.2 SGG zu verpflichten, die Kosten für die permanente Brachytherapie bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

An ihrer im Antragsverfahren vor dem Sozialgericht geäußerten Auffassung habe sich nichts geändert.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Dem Senat liegen die Akten der Antragsgegnerin sowie des Sozialgerichts S 19 KR 873/04 ER vor. Auf den Inhalt wird Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG). Sie ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs.2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Arten einstweiliger Anordnung setzen einen Anordnungsanspruch - dies ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht - und einen Anordnungsgrund voraus, der insbesondere in der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung besteht. Beide Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs.2 ZPO). Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Unbestritten ist, dass der Antragsteller wegen des bei ihm vorliegenden organbegrenzten Prostatakarzinoms mit niedriger Risikokategorie Anspruch hat auf Krankenbehandlung gemäß § 11 Abs.1 Nr.4 i.V.m. § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB V. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (siehe z.B. SozR 3-2500 § 13 Nr.4) enthält § 27 SGB V jedoch nur ein subjektiv öffentlich-rechtliches Rahmenrecht, aus dem erst unter Einschluss weiterer im SGB V bestimmter Voraussetzungen ein konkreter Anspruch hergeleitet werden kann. Grundsätzlich hat das Gesetz die Konkretisierung und Erfüllung des subjektiv öffentlichen Rechts auf ambulante Krankenbehandlung der kassenärztlichen Versorgung übertragen. Die vom behandelnden Urologen des Antragstellers vorgeschlagene permanente bzw. interstitielle Brachytherapie gehört nicht zur ambulanten kassenärztlichen Versorgung. Gemäß § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 Empfehlungen abgegeben hat. Diese Empfehlungen liegen noch nicht vor. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat jedoch am 2. September 2003 bekannt gegeben, dass er als weiteres anstehendes Thema "permanente interstitielle Brachytherapie mit der Implantation zugelassener Isotope bei lokal begrenztem Prostatakarzinom" beraten werde. Damit steht für den Senat fest, dass es sich bei der beantragten Methode um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handelt. Wie das Sozialgericht unter Bezugnahme auf das Bundessozialgericht zutreffend ausführt, ist die fehlende positive Empfehlung des Bundesausschusses für Krankenkassen wie für die Gerichte bindend. Damit kann die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Sachleistungserbringung, wenn überhaupt, nur dann verpflichtet werden, wenn neben der begehrten neuen Behandlungsmethode keine Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V zur Verfügung steht. Dies ist im Falle des Antragstellers nicht gegeben. Es bestehen vielmehr, wie der Bevollmächtigte des Antragstellers mehrfach ausführt und der Facharzt für Urologie Dr.B. bestätigt, drei Behandlungsmöglichkeiten (radikale Prostatektomie, perkutane Bestrahlung und permanente Seed-Implantation). Diese drei definitiven Therapiealternativen sind etwa gleich wirksam. Bei gleicher Wirksamkeit ist nachvollziehbar, dass der Antragsteller eine radikale Operation aus Furcht vor Folgekomplikationen (Inkontinenz) ablehnt. Es verbleibt damit als vertragliche Behandlungsmethode die externe Bestrahlung. Es ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, weshalb diese Behandlung, die unbestritten gleich wirksam ist, nicht durchgeführt werden sollte. Es kann deshalb, dem Sozialgericht folgend, nicht von einem Systemversagen ausgegangen werden. Unter diesen Umständen ist im Anordnungsverfahren nicht zu überprüfen, ob wegen fehlender Anerkennung der neuen Methode ein Systemmangel vorliegt. Diese Überprüfung wäre im Hauptsacheverfahren vorzunehmen, wobei die einfache Gleichung, was im stationären Bereich als Leistung erbracht werden kann, kann auch ambulant beansprucht werden, nicht aufgeht. Hier nicht entscheidungserheblich ist auch, ob es dem Antragsteller nicht zuzumuten wäre, ggf. mit Hilfe der Antragsgegnerin Behandlungsmöglichkeiten gemäß § 116b SGB V zu finden oder aber die gewünschte Behandlung stationär durchführen zu lassen.

Wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs braucht nicht überprüft zu werden, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Eine einstweilige Anordnung kann nicht erlassen werden.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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