L 15 BL 11/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 BL 6/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 11/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11. Mai 2004 und der Bescheid der Beklagten vom 30. April 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1999 insoweit aufgehoben, als darin die Bewilligung von Blindengeld für die Zeit vor 1. Juni 1999 zurückgenommen wurde. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. II. Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zur Hälfte zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Dem 1921 geborenen und am 08.01.2000 verstorbenen F. S. , dem Ehemann der Klägerin, wurde mit Bescheid vom 15.12.1997 ab August 1997 Blindengeld (DM 1.066,00 abzüglich DM 320,00 wegen Pflegeversicherung Stufe II/III) gewährt.

Auf Anfrage des Beklagten vom 03.03.1998, ob bei F. S. seit der Bewilligung des Blindengeldes im Jahr 1997 zwischenzeitlich eine Augenoperation durchgeführt worden sei oder eine das Sehvermögen verbessernde sonstige ärztliche Behandlung stattgefunde habe, teilte die Klägerin mit einem am 12.03.1998 beim Beklagten eingegangenen Schreiben mit, F. S. sei im Dezember 1997 in der Univ.-Augenklinik W. operiert worden. Aus dem vom Beklagten beigezogenen Bericht der Augenklinik vom 08.01.1998 ergibt sich, dass am 12.12.1997 am linken Auge eine extrakapsuläre Cataract-Extraktion mit Hinterkammerlinsenimplantation durchgeführt worden war. Bei Aufnahme sei links nur Lichtscheinwahrnehmung möglich gewesen, bei Entlassung habe der Visus links 1/35 (Metervisus) betragen; die Sehfähigkeit des rechten Auges sei aufgehoben.

Im Auftrag des Beklagten erstattete der Augenarzt Dr. R. am 27.05.1998 ein Gutachten. Die (korrigierte) Sehschärfe auf dem linken Auge betrug 0,08 bei weitgehendem Ausfall der oberen Gesichtsfeldhälfte (Goldmann-Perimeter für Marke III/4). Der Sachverständige vertrat die Auffassung, dass keine Blindheit mehr vorläge; diese habe allerdings bis zum Erhalt der von ihm am 27.05.1998 verordneten Fernbrille bestanden. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.08.1998 vertrat Dr.N. die Auffassung, bereits der bei der Entlassung aus der Univ.-Augenklinik W. festgestellte linkssei- tige Visus von 1/35 habe das Vorliegen von Blindheit ausgeschlossen; dies gelte auch, wenn man die von Dr. R. festgestellte Gesichtsfeldeinschränkung mitberücksichtige.

Mit Schreiben vom 14.09.1998 erfolgte die Anhörung von F. S. nach § 24 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X). Darin wies der Beklagte darauf hin, dass sich das Sehvermögen von F. S. durch eine Operation insoweit wesentlich gebessert hätte, als ab 05.12.1997 die Sehschärfe auf dem rechten Auge "kein Lichtschein" und auf dem linken Auge 1/35 bis 2/25 betragen habe, so dass bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 15.12.1997 Blindheit im Sinne des Gesetzes nicht mehr gegeben gewesen sei. Blindheit habe somit seit dem 05.12.1997 nicht mehr vorgelegen. Es sei daher beabsichtigt, den Bescheid vom 15.12.1997 mit Wirkung vom 01.01.1998 zurückzunehmen, so dass ab diesem Zeitpunkt kein Blindengeld mehr zustehe. F. S. äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 05.10.1998. Er trug insbesondere vor, es sei unrichtig, dass sich seine Sehfähigkeit in dem vom Beklagten angegebenen Ausmaß gebessert habe. Im Gegenteil sei es so, dass das rechte Auge blind sei und auf dem linken Auge ebenfalls eine Sehfähigkeit nicht gegeben sei; auf diesem Auge könne er nur Umrisse erkennen. Eine nochmalige Begutachtung durch Dr. R. lehne er ab, da dieser ihn nicht entsprechend einer normalen Untersuchung behandelt habe.

Mit Bescheid vom 30.04.1999 nahm der Beklagte den Bescheid vom 15.12.1997 mit Wirkung ab 01.01.1998 zurück. Ab diesem Zeitpunkt entfalle der Anspruch auf Blindengeld; die inzwischen eingetretene Überzahlung in Höhe von DM 12.704,00 sei zu erstatten. Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 15.12.1997 sei § 45 SGB X. Auf Vertrauen könne sich F. S. nicht berufen, weil er die Operation nicht unverzüglich mitgeteilt und der vorgenannte Bescheid deshalb auf unvollständigen Angaben beruht habe. Die Jahresfrist sei gewahrt. Die Rücknahme erscheine auch bei Anwendung pflichtgemäßen Ermessens erforderlich.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (Medizinaldirektorin Dr.L. vom 14.07.1999) mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.1999 zurück.

Dagegen hat F. S. am 09.08.1999 Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben und die Aufhebung der Bescheide vom 30.04./27.07.1999 beantragt: Entsprechend der Bestätigung des Augenarztes Dr. R. sei davon auszugehen, dass Blindheit bis 27.05.1998 vorgelegen habe. Ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschweigen der Staroperation vom Dezember 1997 könne ihm schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil der vorgenannte Augenarzt bereits unter dem 25.11.1997 dem Beklagten mitgeteilt habe, dass für Mitte Dezember 1997 bei ihm eine Cataractextraktion links geplant sei.

Am 08.01.2000 verstarb F. S ...

Das Sozialgericht hat die einschlägige Blindengeldakte sowie die Schwerbehindertenakte des Beklagten beigezogen und ein von dem Augenarzt Dr.L. am 01.12.2003 erstattetes Gutachten eingeholt. Der Sachverständige vertrat die Auffassung, das am 27.05.1998 festgestellte linksseitige Gesichtsfeld könne wegen wahrscheinlich vorhandener Blutungsreste nicht ohne weiteres auf die Zeit unmittelbar nach der Cataractoperation übertragen werden. Daraus folge, dass der Wegfall von Blindheit bei F. S. erst ab dem 27.05.1998 nachgewiesen sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2004 einigten sich die Beteiligten im Rahmen eines gerichtlichen Teilvergleiches dahingehend, dass die angefochtenen Bescheide nicht mehr auf § 45, sondern auf § 48 SGB X gestützt würden und Blindengeld bis Ende Mai 1998 zugestanden habe.

Mit Urteil vom 11.05.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Diese sei über den abgeschlossenen Teilvergleich hinaus nicht begründet. Der Beklagte sei berechtigt, infolge der am 27.05.1998 nachgewiesenen Besserung des Sehvermögens das vom 01.06.1998 bis 31.05.1999 gewährte Blindengeld rückwirkend zu entziehen und einen Rückerstattungsanspruch in Höhe von DM 8.974,00 festzusetzen. Die Umdeutung des angefochtenen Rücknahmebescheides nach § 45 SGB X in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Neufeststellung ab dem Zeitpunkt der wesentlichen Änderung der Sehverhältnisse im Sinne von § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X seien gegeben; denn F. S. habe spätestens seit der augenärztlichen Untersuchung durch Dr. R. am 27.05.1998 von der durch die Cataractoperation bedingten Besserung der Sehfähigkeit gewusst. Diese Besserung der Sehverhältnisse habe er zumindest grob fahrlässig dem Beklagten nicht zeitgerecht mitgeteilt. Hinweise, die auf eine so erhebliche körperliche oder geistige Beeinträchtigung des F. S. schließen ließen, dass ein Ausschluss der subjektiven groben Fahrlässigkeit angenommen werden müsste, bestünden nicht. Auch läge keine atypische Fallkonstellation vor, aufgrund deren Ermessenserwägungen hätten angestellt werden müssen.

Gegen diese Urteil hat die Klägerin - im Wesentlichen unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens sowie dem Vortrag, wegen Mittellosigkeit ihres Ehemannes und wegen Mitverschuldens des Beklagten habe eine atypische Fallkonstellation vorgelegen - Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Der Senat hat die F. S. betreffende Blindengeldakte sowie die Schwerbehindertenakte des Beklagten beigezogen und Dr. R. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Auf entsprechende Fragen bekundete der Zeuge am 15.07.2005, er habe F. S. nach Durchführung der Begutachtung vom 27.05.1998 nicht darüber informiert, dass bei diesem ein Anspruch auf Blindengeld nicht mehr bestehe. Ein Patient sei im Allgemeinen nicht in der Lage, zu beurteilen, ob bei ihm Blindheit im Sinne des Gesetzes vorliege. In den meisten Fällen werde Blindheit schon bei einer Sehschärfe angenommen, die deutlich über 1/50 liege. Er gehe deshalb davon aus, es sei F. S. nicht bewusst gewesen, dass nach der Staroperation kein Anspruch auf Blindengeld mehr bestanden habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2005 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 30.04./27.07.1999 insoweit zurückgenommen, als für Zeiten vor dem 01.10.1998 eine Neufeststellung des Bescheides vom 15.12.1997 mit entsprechenden Erstattungsforderungen erfolgt ist.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2004 sowie den Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 30.04./27.07.1999 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

weil das angefochtene Urteil weitgehend der Sach- und Rechtslage entspreche. Lediglich der Zeitpunkt, ab dem bei F. S. Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich des Wegfalls der Voraussetzungen für den Bezug von Blindengeld vorgelegen habe, sei auf den Zugang des Anhörungsschreibens vom 14.09.1998 zu verschieben. Eine Atypik des Falles begründende Umstände lägen nicht vor.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der zu Beweiszwecken beigezogenen Akten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -; Art.7 Abs.2 BayBlindG); sie ist auch zum Teil - was die Neufeststellung für die Vergangenheit (bis 31.05.1999) betrifft - begründet.

Zwischen den Beteiligten ist zuletzt streitig, ob der Beklagte berechtigt war, das dem Ehemann der Klägerin seit 01.08.1997 gewährte Blindengeld mit Wirkung ab 01.10.1998 zu entziehen.

Dies hat der Senat - im Unterschied zum Sozialgericht - für die rückwirkende Entziehung (01.10.1998 bis 31.05.1999) verneint.

Der angefochtene Bescheid vom 30.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1999, der sich von Anfang an unzutreffenderweise auf § 45 SGB X als Rechtsgrundlage stützte (der Bescheid vom 15.12.1997 gewährte zu Recht ab 01.08.1997 Blindengeld und war deshalb nicht von Anfang an rechtswidrig), konnte, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, zulässigerweise in einen Neufeststellungsbescheid nach § 48 SGB X umgedeutet werden (§ 43 SGB X).

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs.1 Satz 1 SGB X). Soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (§ 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X).

Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Entziehung des Blindengeldes mit Wirkung für die Vergangenheit (bezogen auf den Zeitpunkt des Zuganges des Entziehungsbescheides vom 30.04.1999 bei F. S.) sind jedoch nicht gegeben. Zwar ist durch die Gutachten des Dr. R. vom 27.05.1998 und des gerichtlichen Sachverständigen Dr.L. vom 01.12.2003 bewiesen, dass ab Ende Mai 1998 bei F. S. die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld nicht mehr vorlagen und damit eine wesentliche Änderung (Besserung) im Sinn des § 48 Abs.1 SGB X eingetreten war. Die weitere Voraussetzung des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X, wonach F. S. wissen hätte müssen oder grob fahrlässig darüber in Unkenntnis hätte sein müssen, dass er nicht mehr blind im Sinn des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG war, ist aber zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt.

F. S. wusste in dem fraglichen Zeitraum bis zum Zugang des Entziehungsbescheides vom 30.04.1999 nicht positiv, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld nicht mehr vorlagen und damit kein diesbezüglicher Anspruch mehr bestand. Auch das Vorliegen grob fahrlässiger Unkenntnis diesbezüglich ist nicht bewiesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieser Nachweis im Sinne des Vollbeweises, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu führen ist und dass im Fall der Unmöglichkeit eines derartigen Nachweises die sog. "objektive Beweislast" beim Beklagten liegt. Zu dem Zeitpunkt, als Blindheit im Sinne des BayBlindG bei F. S. weggefallen war (Begutachtung durch Dr. R. am 27.05.1998) war dies F. S. nicht bewusst. Denn Dr. R. hatte ihn, wie er als sachverständiger Zeuge glaubhaft versichert hat, darüber nicht informiert. Irgendwelche anderen Umstände, aus denen gefolgert werden könnte, F. S. habe vom Wegfall der Blindheit im Sinn des BayBlindG gewusst, sind nicht ersichtlich.

Grob fahrlässige diesbezügliche Unkenntnis kann ebenfalls nicht angenommen werden. Grobe Fahrlässigkeit kann in diesem Rahmen nur dann bejaht werden, wenn unter Berücksichtigung der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit in außergewöhnlich hohem Maße Sorgfaltspflichten verletzt wurden, wenn außer Acht gelassen wurde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (Wiesner in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, Rdnr.25 zu § 48; Rdnr.24 zu § 45). Unter Berücksichtigung der Aussage des Dr. R. , wonach Patienten im Allgemeinen nicht in der Lage seien, zu beurteilen, ob bei ihnen Blindheit im Sinne des Gesetzes vorliege, weil in den meisten Fällen Blindheit bereits bei einer deutlich über 1/50 liegenden Sehschärfe angenommen werde, sowie unter Berücksichtigung des Alters und des Gesundheitszustandes von F. S. (GdB 100; Merkzeichen "H", "aG", "RF", "G", "B") hält der Senat die Voraussetzungen grob fahrlässiger Unkenntnis bei F. S. keinesfalls für gegeben.

Auch durch das Anhörungsschreiben des Beklagten vom 14.09.1998 ist F. S. nicht in einer Weise über den Wegfall der Voraussetzungen für den Bezug von Blindengeld informiert worden, dass seitdem bei ihm diesbezüglich von einem positiven Wissen oder einer grob fahrlässigen Unkenntnis ausgegangen werden könnte. Denn in diesem Anhörungsschreiben wurde F. S. lediglich darüber informiert, dass durch die Augenoperation ab "05.12.1997" eine Besserung des Sehvermögens auf dem linken Auge eingetreten sei und deshalb seit diesem Zeitpunkt (05.12.1997) keine Blindheit mehr vorgelegen habe. Unstreitig sind diese Informationen aber zum größten Teil unzutreffend. Blindheit im Sinn des BayBlindG lag nämlich bis Ende Mai 1998 vor. Zutreffend ist zwar, dass - wenn auch nicht ab 05.12.1997 (Operationsdatum war der 12.12.1997) - eine Besserung des Sehvermögens auf dem linken Auge eingetreten war. Diese war aber nicht dergestalt, dass dadurch keine Blindheit im Sinn des BayBlindG mehr vorgelegen hätte. Es ist daher nicht einsehbar und insbesondere nicht nachgewiesen, dass F. S. durch dieses in weiten Teilen unzutreffende Anhörungsschreiben in einen Zustand der Bösgläubigkeit im Sinn des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X versetzt worden wäre. Denn die diesbezüglichen Informationen (Wegfall der Blindheit im Sinn des BayBlindG durch die Operation) waren unzutreffend. Aus welchen Gründen F. S. positiv hätte wissen sollen oder grob fahrlässig nicht wusste, dass zu einem späteren Zeitpunkt (Begutachtung durch Dr. R.) dieser Wegfall eintrat, ist nicht erkennbar. Im Gegenteil, F. S. hat in seiner Stellungnahme vom 05.10.1998 zu dem Anhörungsschreiben des Beklagten betont, es sei unzutreffend, dass Blindheit im Sinn des BayBlindG bei ihm nicht mehr vorliege; denn nach wie vor sei er auf dem rechten Auge blind und auf dem linken Auge sei ebenfalls keine Sehfähigkeit gegeben, er könne dort nur Umrisse erkennen. Diese Aussage steht in Übereinstimmung mit der Bekundung des sachverständigen Zeugen Dr. R. , wonach davon auszugehen ist, dass F. S. der Wegfall der Voraussetzungen für den Bezug von Blindengeld nicht bewuss war.

Da nach alldem die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X auch ab der Anhörung nicht vorlagen, durfte der Beklagte das Blindengeld nicht rückwirkend entziehen. Der angefochtene Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 30.04./27.07.1999 war deshalb insoweit aufzuheben.

Keinen Bedenken begegnet allerdings die Entziehung des Blindengeldes für die Zukunft, das heißt mit Wirkung ab 01.06.1999 (Art.7 Abs.1 Satz 1, Art.5 Abs.2 Satz 2 BayBlindG, § 37 Abs.2 Satz 1 SGB X). Denn Blindheit im Sinn des BayBlindG und damit die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld lagen bei F. S. umstreitig seit Ende Mai 1998 nicht mehr vor. Der Wegfall der Voraussetzungen für den Bezug von Blindengeld wurde jedoch erst im Mai 1999 - mit Zugang des Entziehungsbescheides vom 30.04.1999 - wirksam. Was die Entziehung des Blindengeldes für die Zeit ab 01.06.1999 betrifft, waren der Bescheid vom 30.04.1999 und der Widerspruchsbescheid vom 27.07.1999 daher rechtmäßig. Die auf eine vollständige Aufhebung dieser Bescheide gerichtete Berufung musste folglich insoweit zurückgewiesen werden.

Aufgrund des Fehlens der Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X für eine rückwirkende Entziehung bestand keine Veranlassung, auf die Frage einzugehen, ob es sich vorliegend um einen atypischen Fall gehandelt und ob der Beklagte gegebenenfalls das dann erforderliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Dahingestellt konnte - u.a. wegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärten teilweisen Rücknahme der angefochtenen Bescheide - auch bleiben, ob das umfassende Vergleichsangebot des Beklagten vom 20.01.2004 ohne Änderungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht als Teilvergleich übernommen werden konnte und insoweit ein wirksamer Prozess-Teilvergleich zustande gekommen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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