L 2 P 49/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 116/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 49/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.07.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1944 geborene Klägerin bezieht seit 01.04.1995 Leistungen der Pflegestufe III als Geldleistung. Mit Bescheid vom 05.03.2002 bewilligte die Beklagte einen außergewöhnlich hohen Hilfebedarf gemäß § 30 Abs. 4 SGB 11 (Pflegestufe IV, Härtefallregelung) rückwirkend ab 01.10.2000.

Ein bereits 1996 gestellter Antrag auf Übernahme der Kosten für "Esemtan" Pflegeschaum wurde im Hinblick auf eine Stellungnahme des MDK vom 18.10.1996, dass es sich nach dem Pflegehilfsmittelverzeichnis i.d.F. vom 14.03.1996 nicht um Pflegehilfsmittel zum Verbrauch handele, mit Bescheid vom 21.10.1996 abgelehnt. Dem Widerspruch der Klägerin, ein Wundliegen sei nur mit großer Mühe zu vermeiden, half die Beklagte ab. Die Kosten für "Esemtan" in Höhe von 36,08 DM wurden der Klägerin in Höhe von 36,00 DM erstattet. Am 10.02.2002 beantragte die Klägerin wiederum die Erstattung der Kosten für "Esemtan Reinigungs- und Pflegeschaum" in Höhe von 18,44 Euro. Der MDK äußerte in der Stellungnahme vom 22.02.2002, es handle sich um kein Pflegehilfsmittel. Die Körperreinigung könne mit jeder beliebigen Seife oder Waschlotion erfolgen und sei unabhängig von der Schwere der Erkrankung.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05.03.2002 die Übernahme der Kosten für den Pflegeschaum ab. Erstattungsfähige Pflegehilfsmittel seien Einmalhandschuhe, Einmalwaschlappen u.ä.; auch Desinfektionsmittel könnten abgerechnet werden. Bei dem Pflege- und Reinigungsschaum handle es sich aber um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, daher sei eine Erstattung grundsätzlich nicht möglich. Da bei der letzten Abrechnung der Reinigungsschaum erstattet worden sei, würden die Kosten letztmalig erstattet.

Die Klägerin machte mit Widerspruch vom 18.03.2002 geltend, sie sei harn- und stuhlinkontinent. Bei "Esemtan" handele sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, sondern um ein Pflegemittel, das zur Reinigung gerade bei Inkontinenz angezeigt sei. Bisher sei dieses Mittel auch von der Beklagten erstattet worden. Hierzu führte der MDK im Schreiben vom 08.04.2002 aus, eine Reinigung mit Wasser und Seife reiche aus und sei genauso effektiv. Die Klägerin übersandte ein Verzeichnis zur "Hilfsmittelverordnung von Pflegeheimbewohnern", aus dem sich ergibt, dass "Pflegehilfsmittel zur Körperpflege" zur Erleichterung der Körperpflege und Hygiene dienten und zur Entlastung des Pflegepersonals beitragen würden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2002 zurück.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage führte die Klägerin aus, der Pflegeschaum sei von 1992 bis 2001 von der Beklagten bezahlt worden. Er diene der Erleichterung der Pflege.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14.07.2003 den Bescheid der Beklagten vom 05.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2002 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Kosten für "Esemtan" als Hilfsmittel gemäß § 41 Abs. 1 SGB 11 zu erstatten. Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.

Zur Begründung der Berufung führte die Beklagte mit Schreiben vom 09.02.2004 aus, das BSG habe in seinem Urteil vom 24.09. 2002 (Az.: B 3 P15/01 R) die Auffassung vertreten, nach den gesetzgeberischen Materialien würden Mittel, die zum täglichen Lebensbedarf gehörten, nicht berücksichtigt, auch wenn sie die Pflege erleichterten. Die Gewährung von Gegenständen des täglichen Lebensbedarfs falle auch dann nicht unter die Leistungspflicht der Pflegekassen, wenn der Versicherte, wäre er gesund, die Materialien nicht oder jedenfalls nicht in diesem Umfang verwendet hätte. "Esemtan Reinigungs- und Pflegeschaum" sei laut Indikation vorgesehen zur schonenden, gründlichen, geruchsbindenden Reinigung der Haut (z.B. bei Durchfall); unter Leistung sei vermerkt:" effektive, schnelle und schonende Hautreinigung, bindet Geruch sofort, antimikrobiell, hautpflegend, rückfettend". Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sei der "Esemtan Reinigungs- und Pflegeschaum" zwar geeignet, die Pflege der Klägerin zu erleichtern; es stehe aber nicht fest, dass dieses Produkt kein Mittel des täglichen Lebensbedarfs ist. Es sei nicht ausschließlich für Schwer- oder Schwerstpflegebedürftige entwickelt worden. Die Körperreinigung könne mit jeder beliebigen Seife oder Waschlotion erfolgen; auch bei Inkontinenz reiche Reinigung mit Wasser und Seife aus.

Die Klägerin wandte ein, "Esemtan" sei "CE"-gekennzeichnet und damit ein Medizinprodukt der Klasse 1. Es sei kein Mittel des täglichen Lebensbedarfs für Gesunde, das man in jedem Laden kaufen könne. Außerdem erweiterte sie die Klage und begehrte die Erstattung der Kosten für den "Mirfulan SprayN". Sie übersandte Prospektmaterial der Herstellerfirma, in dem ausgeführt wurde, alle "Esemtan-Auflagen" seien "CE"-gekennzeichnet und Medizinprodukte Klasse 1. In dem gleichen Prospekt wurde ausgeführt, alle "Esemtan-Präparate" seien dermatologisch geprüft, die Deklaration der Inhaltsstoffe erfolge nach der neuesten Kennzeichnung kosmetischer Mittel.

Die Beklagte wandte mit Schreiben vom 30.07.2004 ein, die "CE"-Kennzeichnung beziehe sich eindeutig nur auf die Auflagen und könne mit den anderen Präparaten nicht in Zusammenhang gebracht werden. Sie verwies darauf, dass die Deklaration der Inhaltsstoffe entsprechend kosmetischen Produkten erfolge. Eine Klageerweiterung bezüglich des Sprays sei nicht möglich, da kein Antrag auf Kostenübernahme vorliege. Hierzu erklärte die Klägerin, sie habe die Kostenübernahme für den Spray mit Schreiben vom 21.01.2004 beantragt. Dies sei mit Schreiben vom 03.02. 2004 abgelehnt worden.

Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 14.10.2004 mitgeteilt, dass bezüglich der "Mirfulan"-Salbe noch keine anfechtbare Entscheidung vorliege. Gegen diese wären selbstständig Widerspruch und Klage zu erheben.

Die vom Senat zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin Dr. B. kam im Gutachten nach Aktenlage vom 07.01.2005 zusammenfassend zu dem Ergebnis, laut Produktbeschreibung falle der Reinigungsschaum unter die Rubrik Körperreinigung und -pflege, er sei somit als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu sehen und kein Sonderbedarf von Kranken oder Behinderten. Die Pflege lasse sich durch den Pflegeschaum nicht erleichtern. Er finde in erster Linie Anwendung zur Geruchsbindung, auch zur Beseitigung von angetrocknetem Stuhl. Wenn in diesem Fall Pflegeschaum verwendet werde, sei immer ein Nacharbeiten mit Wasser und Seife erforderlich und im Anschluss daran intensive Hautpflege, um eine Hautaustrocknung zu vermeiden. Bei bestehender Schwerstpflegebedürftigkeit mit Härtefall sei nicht davon auszugehen, dass es bei solcher intensiven Pflege überhaupt zur Antrocknung von Stuhl komme. Im Übrigen könne für diesen seltenen Fall als bessere Alternative Körperöl verwendet werden. Linderung von Beschwerden werde durch den Pflegeschaum nicht erreicht, im Gegenteil komme es eher zu einer Erhöhung von Hautbeschwerden, falls keine Nachreinigung und anschließende Hautpflege erfolge. Bei Anwendung von Pflegeschaum sei von einer Pflegezeiterhöhung auszugehen, denn die Nachreinigung mit Wasser und die anschließende Hautpflege führe zu einer Verdoppelung der Pflegezeit. Die Verwendung von Seife oder Waschlotion sei in gleicher Weise geeignet, die Folgen der Inkontinenz zu beseitigen; es seien die gleichen Tätigkeiten erforderlich, wie bei Anwendung des Pflegeschaums. Die Sachverständige fügte Auszüge aus einem Bericht des Deutschen Netzwerkes für Qualitätssicherung in der Pflege vom August 2000 bei; als Dekubitusprophylaxe sei in der Pflege zur Hautreinigung klares Wasser und bei Bedarf die Verwendung von pH-neutralen Waschzusätzen ausreichend.

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 08.02.2005 geltend, in vielen Kliniken und Pflegeheimen werde "Esemtan" erfolgreich angewandt, auch zur Dekubitusprophylaxe. Weiter begehrte sie Klageerweiterung bezüglich des "Mirfulan"-Sprays.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und sachlich begründet.

Der begehrte "Estemtan-Reinigungs- und Pflegeschaum" ist kein Hilfsmittel der Pflegeversicherung.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind. Unstreitig scheitert der Anspruch gegen die Pflegeversicherung nicht daran, dass die Krankenversicherung vorrangig zu leisten hatte.

Im Hinblick auf das überzeugende Gutachten der ärztlichen Sachverständigen Dr. B. handelt sich bei dem "Esemtan-Reinigungs- und Pflegeschaum" um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht um einen Sonderbedarf von Kranken und Behinderten. Dies ergibt sich auch aus der vorliegenden Produktbeschreibung der Herstellerfirma, die den Schaum in dem Bereich "Körperreinigung und -pflege" aufführt und als Indikation schonende, gründliche, geruchsbindende Reinigung der Haut, z. B. bei Durchfall, angibt. Der Schaum ist ausdrücklich nicht im Bereich Dekubitusprophylaxe aufgeführt. Als besondere Vorzüge sind Schonung und Pflege der Haut beim Reinigen angegeben. Diese Vorzüge sind aber auch bei der Körperreinigung und -pflege von Gesunden wünschenswert, dagegen sind sie nicht speziell nur für Kranke und Behinderte erforderlich. Dass Mittel mit ähnlichem oder sogar demselben Wirkungsspektrum werbend als "medizinische Hilfsmittel" bezeichnet werden, spielt keine Rolle, weil es nicht auf die Art des Herstellers und den konkreten Vermarktungsweg ankommt. Auch wird eine Linderung von Beschwerden durch den Pflegeschaum nicht erreicht. Wie die ärztliche Sachverständige betont, ist im Gegenteil eher von einer Erhöhung von Hautbeschwerden auszugehen, falls keine Nachreinigung und anschließende Hautpflege erfolgt. Im Hinblick darauf ist durch die Anwendung des Reinigungschaums auch keine Pflegeerleichterung zu erreichen, denn, so Dr. B. , es ist eher von einer Pflegezeiterhöhung auszugehen, da es wegen der Nachreinigung und der anschließende Hautpflege zur Verdoppelung der Pflegezeit kommt.

Im Hinblick darauf, dass weder ein Bescheid der Pflegekasse noch eine erstinstanzliche Entscheidung über die beantragte Kostenerstattung für "Mirfulan-Spray" vorliegt, hält der Senat eine diesbezügliche Klageänderung nicht für sachdienlich (§ 99 Abs.1 SGG).

Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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