L 6 (10) V 70/96

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 31 (38) V 255/92
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 (10) V 70/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.10.1996 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.01.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1992 verurteilt, dem Kläger ab 01.04.1987 Rentenberufsschadensausgleich zu gewähren. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rentenberufsschadensausgleich (BSchA) nach § 30 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der am 14.10.1926 geborene Kläger bezieht eine Grundrente gemäß § 31 Abs. 1 BVG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. Im Jahre 1953 ist rückwirkend ab 1947 eine Lungen- und Knochentuberkulose als Kriegsschädigungsfolge anerkannt worden, die zu erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten und zu geringeren Beitragsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung geführt hatte.

Der Kläger war vom 17.09.1945 bis 30.09.1948 als Arbeiter und vom 01.10.1948 bis 31.10.1955 als Angestellter im Dienst der Deutschen Bundesbahn. Am 01.11.1955 wurde er als Bundesbahnassistent in das Beamtenverhältnis übernommen und ist am 30.04.1987 als Bundesbahnoberinspektor in den Ruhestand getreten. Der Kläger bezieht neben seiner Beamtenpension Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (vorher rückwirkend ab 01.12.1986 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, ab 01.11.1991 Altersruhegeld). Die Beamtenpension des Klägers und seine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigen die in § 55 Abs. 2 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) bestimmte Höchstgrenze, die beim Kläger dem höchstmöglichen Ruhegehalt in seiner Besoldungsgruppe entspricht. Die Beamtenversorgung des Klägers ruht in Höhe von 60 v.H. des diese Grenze übersteigenden Betrages (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG in Verbindung mit Art. 2 § 2 Abs. 1 Satz 3 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes), d.h. in Höhe von 60 v.H. seiner Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Nachdem der Kläger mit einem Antrag vom 09.04.1987 auf Gewährung von Berufsschadensausgleich (BSchA) nach § 30 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 BVG ("Normal-BSchA") keinen Erfolg hatte (Bescheid vom 20.11.1987, Widerspruchsbescheid vom 26.09.1988), verpflichtete sich der Beklagte, über einen Anspruch auf Renten-BSchA zu entscheiden. Mit Bescheid vom 20.01.1992 lehnte der Beklagte einen Anspruch auf Renten-BSchA mit der Begründung ab, die schädigungsbedingten Fehlzeiten fänden bei der Berechnung der Beamtenversorgung bereits Berücksichtigung; versicherungsrechtliche Vorschriften glichen eine berufliche schädigungsbedingte Beeinträchtigung aus.

Der Kläger trug zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs vor, die fraglichen Zeiten seien zwar bei der Beamtenversorgung mitgerechnet, der unterstellte Ausgleich sei jedoch nicht bewirkt worden. Bei 43 ruhegehaltfähigen Dienstjahren habe die Anrechnung der krankheitsbedingten Fehlzeiten keinen Einfluss mehr auf das Ruhegehalt gehabt, da dessen Endstand bereits mit 35 ruhegehaltfähigen Dienstjahren ohne die zusätzliche Anrechnung von Krankheitszeiten erreicht gewesen sei. Der Verlust bei der schädigungsbedingt geminderten Rente werde somit nicht durch ein höheres Ruhegehalt ausgeglichen.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.1992 zurück. Er räumte ein, dass die Miteinbeziehung der krankheitsbedingten Fehlzeiten möglicherweise zu keiner höheren Versorgung nach dem BeamtVG geführt habe. Er hielt jedoch für wichtig, dass diese nach versicherungs- bzw. beamten rechtlichen Bestimmungen vorzunehmende Berechnung der Ruhestandsbezüge der Entscheidung der zuständigen Versicherungsträger unterliege. Ob und inwieweit die krankheitsbedingten Fehlzeiten als Ausfallzeiten bei der Rentenberechnung berücksichtigt würden - auch wenn diese Zeiten sich bei der Berechnung der Versorgungsbezüge nicht auswirkten - gehöre daher in den Zuständigkeitsbereich der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bzw. der Bundesbahn.

Der Kläger hat mit seiner am 04.11.1992 erhobenen Klage im wesentlichen zusätzlich vorgetragen: Neben den vollen Monaten Ausfallzeit lägen schädigungsbedingt weitere nicht voll mit Pflichtbeiträgen belegten Monate vor, im Versicherungsverlauf würden dafür volle Pflichtbeitragsmonate anerkannt. Doch ohne den schädigungsbedingten Ausfall hätte er - der Kläger - höhere Pflichtbeiträge geleistet, die sich erhöhend auf die BfA-Rente ausgewirkt hätten.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.01.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1992 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 4 Satz 3 BVG zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 07.10.1996 abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, dass Beamte, die ihre volle Pension erhielten, grundsätzlich keinen Renten-BSchA geltend machen könnten.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 25.11.1996 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.12.1996 Berufung eingelegt. Er trägt zur Begründung der Berufung vor, er habe in den Jahren 1945 bis 1955 Einkommenseinbußen gehabt, die sich letztlich auf die Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung negativ ausgewirkt hätten. Dass er neben der Pension die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehe, schließe einen Schaden nach § 30 Abs. 3 Satz 4 BVG nicht aus.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.10.1996 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 20.01.1992 und 30.09.1992 zu verurteilen, dem Kläger ab April 1987 Rentenberufsschadensausgleich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für richtig. Er meint, dass Ausfallzeiten sich grundsätzlich nicht rentenmindernd auswirkten. Dass im konkreten Fall die Nichtberücksichtigung von Ausfallzeiten (§ 37 c Angestelltenversicherungsgesetz) nicht zu einer Erhöhung der Beamtenversorgung geführt habe, sei rechtlich unerheblich. Jedenfalls sei es nicht zu einer schädigungsbedingten Einbuße in der aus Beamtenpension und Altersrente bestehenden Gesamtversorgung gekommen. Dass die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung allein schädigungsbedingt gemindert sei, sei nicht erheblich. Die Versorgungsverwaltung sei aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 18.06.1996 - VI 1-53055 - gehalten, bei der Ermittlung des Renten-BSchA nach dieser Rechtsauffassung zu verfahren.

Der Senat hat bei der Bahnversicherungsanstalt (BVA) eine Auskunft dazu eingeholt, ob die vom Kläger seit 01.04.1987 bezogene Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (später: Altersruhegeld/Altersrente) höher wäre, wenn an Stelle der in den Jahren 1947 bis 1953 angefallenen, nach § 37 c Angestelltenversicherungsgesetz nicht als Ausfallzeiten zu berücksichtigenden Zeiten der Arbeitsunfähigkeit Beitragszeiten vorliegen würden. Die BVA hat diese Frage in ihren Auskünften vom 04.11.1999, 10.01.2000 und 12.04.2000 bejaht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den übrigen Inhalt der Streitakte, auf die Versorgungsakten des Beklagten, die Akten der BVA und die Personalakte des Klägers Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Der Kläger hat ab April 1987 (Antragstellung) Anspruch auf Renten-BSchA. Das Urteil des SG war daher entsprechend abzuändern.

Anspruch auf Renten-BSchA hat ein Kriegsbeschädigter, wenn seine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert ist, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war (§ 30 Abs. 4 Satz 3 BVG). Diese Rentenminderung ist der Einkommensverlust, der nach § 30 Abs. 3 Satz 1 BVG zu 42,5 v.H. ersetzt wird.

Eine solche schädigungsbedingte Einkommensminderung liegt beim Kläger vor. Wegen der als Schädigungsfolge anerkannten Lungen- und Knochen-Tbc war er in den Jahren 1947 bis 1953 wiederholt arbeitsunfähig krank. Die BVA hat in ihren Probeberechnungen diese beitragsfreien Zeiten in Anlehnung an die vor und nach den Ausfallzeiten vorhandenen Entgelte mit Beiträgen aufgefüllt. Dabei hat sich für April 1987 eine fiktive Rente von 351,10 DM gegenüber der tatsächlich gezahlten Rente von 349,30 DM ergeben (Auskunft der BVA vom 26.04.2000); für den Monat November 1991 betrug die fiktive Rente 442,65 DM und die tatsächlich gezahlte Rente 440,42 DM (Auskunft der BVA vom 10.01.2000). Im Hinblick auf diese Rentenminderung besteht ein Anspruch auf Renten-BSchA dem Grunde nach. Über die Höhe des monatlichen Rentenanspruchs hat der Senat nicht zu entscheiden (Grundurteil nach § 130 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Der Auffassung des SG, dass Beamte, die ihre volle Pension erhalten, Renten-BSchA grundsätzlich - also unabhängig davon, ob die Rente gemindert ist - nicht geltend machen können, vermag der Senat nicht zu folgen.

Auf den Kommentar von Rohr-Sträßer zum Bundesversorgungsrecht (§ 30 - K 147, Stand März 1991) kann das SG sich nicht mit Erfolg berufen. So heißt es dort, auf Beamte und selbständig Tätige finde die Ausnahmeregelung des § 30 Abs. 4 Satz 3 BVG keine Anwendung. Damit ist aber offensichtlich nur gemeint, dass bei einer Minderung in der Beamtenversorgung dieser Versorgungsschaden nicht im Sinne eines Renten-BSchA geltend gemacht werden kann; zum Anspruch von Beamten auf Renten-BSchA wegen einer schädigungsbedingten Minderung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nimmt der Kommentar von Rohr-Sträßer gar nicht Stellung.

Dass beim Renten-BSchA nur der Schaden in der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. § 30 Abs. 4 Satz 3 BVG lautet: "Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfasst, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust." Danach geht es aussschließlich um die Minderung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. diese Rentenminderung ist der Einkommensverlust, der zu dem in § 30 Abs. 3 BVG genannten Prozentsatz von 42,5 zu ersetzen ist.

Diese sich am Wortlaut des Gesetzes orientierende Auslegung des § 30 Abs. 4 Satz BVG entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). In dem am 24.11.1998 entschiedenen Fall (SozR 3100 § 30 Nr. 75) ging es darum, ob eine Betriebsrente den Rentenschaden mindern kann. Das BSG hat dazu ausgeführt, der Renten-BSchA berücksichtige lediglich Einbußen in der gesetzlichen Rentenversicherung und spare dementsprechend sämtliche sonstigen Einkünfte aus. Ebenso hat das BSG am 26.11.1991 (SozR 3-3100 § 30 Nr. 5) beim Bestehen einer Zusatzversorgung aus dem öffentlichen Dienst neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente entschieden: Die Berechnungsmethode des § 30 Abs. 4 Satz 3 BVG schließe aus, gegen über dieser Rentenminderung sonstige Einkünfte, z. B. die Zusatzversorgung, zum Schadensausgleich heranzuziehen. Der Renten-BSchA berücksichtige lediglich Einbußen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er spare sämtliche sonstigen Einkünfte aus der Berechnung aus. Eine Abweichung vom klaren Wortlaut des Gesetzes sei nicht statthaft. Unter Bezugnahme auf diese beiden Entscheidungen hat das BSG am 28.04.1999 (SozR 3-3100 § 30 Nr. 21) erneut klar gestellt, dass die Eigenständigkeit des Renten-BSchA es verbiete, die errechnete Rentenminderung durch sonstige Alterseinkünfte zu kompensieren.

Der erkennende Senat folgt dieser ständigen höchstrichterlichen Rechtssprechung. Die entgegenstehende Auffassung des Beklagten ist nach Auffassung des Senats mit Wortlaut und Sinn der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht vereinbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Rechtssache nicht grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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