L 5 B 33/05 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 SF 5094/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 B 33/05 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 15.12.2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz.
III. Der Streitwert wird auf 470.588,30 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist eine auf Eisenverlegearbeiten spezialisierte Bauunternehmung mit Sitz in P ... Sie begehrt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anzuordnen, dass die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen Beitragsbescheid hergestellt wird.

Nach den Ergebnissen von Ermittlungen des Hauptzollamts L. sowie der Staatsanwaltschaft L. habe die Antragstellerin wenigstens zwischen dem 20.06.1996 und 20.06.2003 Werkverträge mit in der Türkei ansässigen Firmen geschlossen, die kein eigenes Personal beschäftigt und keine eigene Betriebsstruktur aufgewiesen hätten, um so den Einsatz von türkischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Diese Arbeitnehmer seien nur zum Scheine im Rahmen von Werkvertragsvereinbarungen beschäftigt worden, tatsächlich aber von der Antragstellerin wie eigene Arbeitnehmer auf Baustellen eingesetzt worden, wo sie den Weisungs- und Kontrollrechten der Antragstellerin unterlegen hätten. Die eingesetzten Arbeitnehmer seien in Deutschland bar ausbezahlt worden, der gezahlte Lohn habe aber nicht die tarifliche Mindestlohnhöhe erreicht. Die Arbeitnehmer seien deshalb auch nicht im Rahmen von Werkverträgen tätig geworden für die türkischen Firmen, sondern tatsächlich als Arbeitnehmer der Antragstellerin eingesetzt worden. Es hätten deshalb nach deutschem Sozialversicherungsrecht beitragspflichtige Beschäftigungen vorgelegen. Die wöchentliche Arbeitszeit der türkischen Arbeitnehmer habe durchschnittlich 45 Stunden und im letzten halben Jahr ca. 55 Stunden in der Woche betragen. Ausgehend von den anzusetzenden Arbeitsstunden und einem tariflichen Stundenlohn ergäben sich ingesamt Arbeitsentgelte in Höhe von 2.025.102,43 Euro, aus denen Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.

Zudem hatten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft L. und des Hauptzollamtes L. auch im Rahmen von Telefonüberwachungen ergeben, dass Arbeitnehmer der Antragstellerin, deren Arbeitsverhältnis in den Wintermonaten gekündigt gewesen seien, während des Bezuges von Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei der Antragstellerin weiter beschäftigt worden seien. Diese hätte die Arbeitnehmer bar entlohnt, ohne aus den Vergütungen die fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge abzuführen. Insoweit seien Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 99.265,56 Euro nachzuentrichten.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 13.11.2003 erließ die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin am 14.04.2004 einen Beitragsnachforderungsbescheid für den Prüfzeitraum 20.06.1996 bis 20.06.2003 und machte darin eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen über 975.243,08 Euro sowie Säumniszuschläge über 436.521,83 Euro geltend. In der Anlage listete sie insgesamt 1.056 Fälle der Scheinwerkverträge auf sowie 95 Fälle der Beschäftigung während der Arbeitslosigkeit (davon 77 namentlich benannte Arbeitnehmer).

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2005 als unbegründet zurück. Dagegen hat die Antragstellerin mit Eingang 01.03.2005 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben (S 8 SF 5015/05).

Anträge vom 21.04.2004 und 30.04.2004, die sofortige Vollziehung des Betriebsprüfungsbescheides auszusetzen, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 30.04.2004 und 25.05.2004 ab.

Mit Schreiben vom 07.07.2004 beantragte die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 14.04.2004 herzustellen. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung und die Vollziehung des Nachforderungsbescheides habe eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interesse gebotene Härte zur Folge.

Der Bescheid sei mangels vorheriger Anhörung der Antragstellerin verfahrensfehlerhaft. Es treffe nicht zu, dass die Werkverträge über Scheinfirmen und nur zum Scheine abgeschlossen worden seien. Vielmehr seien die türkischen Arbeitnehmer bei Subunternehmern der Antragstellerin beschäftigt gewesen. Diese seien nur im Rahmen von Gewerkerstellungen für die Antragstellerin tätig geworden, nicht jedoch als deren weisungsgebundende Arbeitnehmer. Die Beschäftigung von Arbeitnehmern während des Bezuges von Arbeitslosengeld habe tatsächlich stattgefunden, insoweit mache die Antragsgegnerin jedoch überhöhte Beträge geltend. Im Übrigen sei die Nachforderung durch eine hinterlegte Kaution beim Amtsgericht R. - Strafgericht - in Höhe 250.000,00 Euro gesichert. Schließlich sei die Antragstellerin auch nicht in der Lage, die entsprechenden Beitragsnachforderungen wirtschaftlich zu erbringen, es drohe ihre Insolvenz.

Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes hat die Antragstellerin eine eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers M. C. vom 09.07.2004 vorgelegt, wonach der Tatsachenvortrag im Antragsschriftsatz vom 07.07.2004 richtig sei.

Das SG hat am 08.11.2004 den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Daraufhin hat die Antragstellerin eine Bestätigung des Steuerberaters F. T. vorgelegt, wonach die Verbindlichkeiten der Antragstellerin deren Leistungsfähigkeit übersteige. Aufträge für das Kalenderjahr 2005 seien nicht vorhanden.

Mit Beschluss vom 15.12.2004 hat das Sozialgericht Landshut den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches abgelehnt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung seien keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Betriebsprüfungsbescheides vom 14.04.2004 zu erkennen. Nach den in den Ermittlungsakten festgehaltenen Ergebnissen sowie den dortigen Eingeständnissen des Geschäftsführers der Antragstellerin und des E. O. habe die Antragsgegnerin zutreffend im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass die türkischen Arbeitnehmer nicht im Rahmen von Werkverträgen, sondern als Arbeitnehmer der Antragstellerin beschäftigt waren. Die Nachforderungen aus der Beschäftigung während der Bezugszeit von Arbeitslosengeld seien ebenfalls zu Recht festgestellt worden. Die Höhe der Beitragsnachforderungen und der Säumniszuschläge ergebe sich aus dem angegriffenen Bescheid, zu weiteren Ermittlungen Anlass gebende Einwendungen habe die Antragstellerin nicht erhoben. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung des Beitragsbescheides, weil ein Fall der gewerbsmäßigen illegalen Beschäftigung von Ausländern vorliege, bei welchem eine Beitragsnachforderung auch der Erhaltung des sozialen Sicherungssystems der Bundesrepublik Deutschland diene.

Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Betriebsprüfungsbescheides vom 14.04.2004. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens seien durch sprachliche Mißverständnisse beeinträchtigt. Die Unternehmen in der Türkei seien nicht zum Schein gegründet worden, sondern hätten tatsächlich bestanden, so dass auch ordnungsgemäße Werkverträge mit diesen zustande gekommen seien. Die im Rahmen der Werkverträge beschäftigten türkischen Arbeitnehmer seien bei Erbringung der Arbeiten nicht in die Betriebsorganisation der Antragstellerin eingegliedert gewesen. Das Sozialgericht habe zudem die Hinterlegung einer Kaution von 250.000,00 Euro beim Amtsgericht R. für die Außervollzugsetzung eines Haftbefehles unberücksichtigt gelassen. Das Sozialgericht habe nicht ausreichend das öffentliche Interesse am Vollzug der Verwaltungsentscheidung mit der drohenden Insolvenz der Antragstellerin abgewägt. Im Übrigen hat die Antragstellerin auf das Vorbringen im Verfahren vor dem Sozialgericht Landshut Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde gem. Verfügung vom 25.01.2005 nicht abgeholfen.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Betriebsprüfungsakten, auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht gemäß Verfügung vom 25.01.2005 nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Antragstellerin ist durch den Beitragsbescheid vom 14.04.2004 beschwert, auch wenn mittlerweile der Widerspruchsbescheid vom 27.01.2005 ergangen ist, gegen welche die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben hat.

Die Beschwerde erweist sich jedoch als unbegründet. Der Senat weist die Beschwerde im wesentlichen aus den Gründen des Beschlusses des Sozialgerichts Landshut zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 142 Abs.2 SGG). Denn das SG hat zu Recht - ausgehend von § 86b, § 86a SGG - im Rahmen einer summarischen Überprüfung festgestellt, dass weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Nachforderungsbescheides bestehen, noch dass eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte aus dieser Verwaltungsentscheidung folgen würde. Anhand der gebotenen summarischen Überprüfung hat der Senat nach den vorgelegten Akten keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderung. Insoweit ist das SG zudem zutreffend davon ausgegangen, dass bei dem Tatbestand einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung das öffentliche Interesse an der rechtzeitigen und vollständigen Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge gegenüber dem Aufschubinteresse der Antragstellerin vorrangig ist.

Im Hinblick auf die Beschwerdebegründung ist ergänzend lediglich darauf hinzuweisen, dass nach den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft L. und des Hauptzollamtes L. die türkischen Firmen wohl über keine eigene Betriebsorganisation verfügt hatten, so dass sie als Arbeitgeber nicht in Betracht kommen konnten (vgl. BAG NZA 1984, 2912). Insoweit ist es nicht erforderlich, dass diese Firmen türkischen Rechts allein mit dem Zwecke einer Scheingründung existiert hatten; maßgeblich ist allein die Tatsache der fehlenden eigenen Betriebsorganisation. Aus dem Akteninhalt und den dort festgehaltenen Aussagen ergibt sich auch, dass die sogenannten "Werkvertragsarbeitnehmer" nicht strikt von Arbeitnehmern der Antragstellerin getrennt beschäftigt wurden und für nur einzelne Gewerke tätig waren, sondern dass diese gleichsam vermischt mit den Beschäftigten der Antragstellerin arbeiteten. Die Hinterlegung einer Kaution im Strafverfahren durch eine andere Person als die Antragstellerin beeinflusst die Frage der sofortigen Vollziehbarkeit einer Beitragsnachforderungsentscheidung nicht. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Vollziehung des Bescheides habe eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Im Falle illegaler Arbeitnehmerüberlassung, worum es sich nach dem gesamten Akteninhalt hier handeln wird, gebietet es die Stabilität des Sozialversicherungssystems, Beitragsansprüche grundsätzlich zeitnah geltend zu machen und durchzusetzen. Hierdurch werden Wettbewerbsnachteile vermieden, die andernfalls für Arbeitgeber entstünden, die ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen und dadurch im Vergleich zur Antragstellerin einen Kostennachteil erleiden. Es bestünde nämlich andernfalls die Gefahr, dass diese Arbeitgeber nicht mehr wettbewerbsfähig würden, ihren Betrieb einstellen und keine Beiträge mehr abführen könnten. Das öffentliche Interesse am Einzug der Beiträge und Säumniszuschläge überwiegt daher die von der Antragstellerin geltend gemachte drohende Insolvenz. Für einen Ausnahmefall, der ein Abweichen von diesem Grundsatz ermöglichte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das Sozialgericht in Anbetracht des Massenverfahrens zu Recht der Eilbedürftigkeit des Antragsverfahrens den Vorzug gegeben hat vor der - im Übrigen grundsätzlich erforderlichen - Beiladung der weiteren Betroffenen des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs.1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Streitwert entspricht dem vom Sozialgericht zutreffend festgesetzten (§ 197a SGG i.V.m. §§ 13, 20 Gerichtskostengesetz).

Dieser Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht weiter angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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