L 16 RA 165/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 3173/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 165/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Landessozialgericht Berlin
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Hr

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte befugt war, die Vormerkung von Beitragszeiten im Sinne des § 15 Fremdrentengesetz (FRG) aufzuheben.

Die 1945 in W geborene Klägerin besitzt die polnische Staatsangehörigkeit und lebt seit November 1982 in Deutschland. Sie war in Polen nach einem Studium an der Akademie der Künste in W vom 21. Juni 1970 bis zu ihrer Übersiedlung als Grafikerin selbständig tätig gewesen. Zudem hatte sie vom 14. September 1970 bis zum 31. Dezember 1973 als Grafikerin im Verlagshaus "E" in W (Arbeitsbescheinigung vom 10. November 1983) gearbeitet. Für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis zum 31. Dezember 1982 hatte die Klägerin Pensionsbeiträge nach den polnischen Vorschriften über die Pensionsversorgung von Schöpfern und ihren Familien entrichtet (Bescheinigung der Sozialversicherungsanstalt - Filiale W - vom 18. Mai 1983).

Mit Bescheid vom 22. März 1984 stellte die Beklagte u.a. Beitragszeiten der Klägerin nach § 15 FRG vom 14. September 1970 bis zum 31. Dezember 1974 und vom 13. März 1975 bis 31. Dezember 1982 fest. Zugleich wies die Beklagte darauf hin, dass die genannten Zeiten nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (DPSVA 1975 - BGBl. 1976 II, S. 396) zu berücksichtigen, aus technischen Gründen aber als Zeiten nach dem FRG gekennzeichnet seien. Der weitere Vormerkungsbescheid der Beklagten vom 15. August 1986 wies in dem beigefügten Versicherungsverlauf insoweit dieselben Beitragszeiten aus.

Mit Bescheid vom 7. August 2000 hob die Beklagte den Bescheid vom 22. März 1984 nach § 149 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) auf, "soweit er nicht dem geltenden Recht entspricht". Die bislang vorgemerkten Zeiten vom 14. September 1970 bis 31. Dezember 1982 könnten nicht als rentenrechtliche Zeiten anerkannt werden, weil sie von Artikel 4 Abs. 2 des DPSVA 1975 oder von Artikel 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zu diesem Abkommen nicht erfasst seien und die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem FRG ebenfalls nicht erfüllt seien. Im Übrigen könnten diese Zeiten auch deshalb nicht anerkannt werden, weil derartige Zeiten bzw. Tatbestände im Bundesgebiet bzw. nach dem FRG ebenfalls nicht anrechenbar seien. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2002 unter Hinweis auf Artikel 38 Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) zurück.

Die auf eine erneute Vormerkung der streitigen Zeiten als rentenrechtliche Zeiten gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 4. November 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Vormerkung der in Polen vom 14. September 1970 bis zum 31. Dezember 1974 und vom 13. März 1975 bis zum 31. Dezember 1982 zurückgelegten Zeiten als rentenrechtliche Zeiten. Die Beklagte habe zu Recht die früheren und bindenden Vormerkungsbescheide gemäß Artikel 38 RÜG überprüft und als Folge der Überprüfung abgeändert. Denn Abkommenszeiten könnten nach der Änderung von Artikel 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 12. März 1976 zum DPSVA 1975 (BGBl. 1976 II, S. 393; ZustG-DPSVA 1975) durch Artikel 20 Rentenreformgesetz (RRG) 1992 vom 18. Dezember 1989, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (BGBl. I S. 2261), nur noch berücksichtigt werden, wenn sie auch die Voraussetzungen für eine Anrechnung nach dem FRG erfüllten. Dies sei hier nicht der Fall. Denn die Klägerin unterfalle schon nicht dem persönlichen Geltungsbereich des FRG gemäß § 1 FRG. Darüber hinaus seien die streitigen Zeiten auch keine Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten nach dem FRG. Beitragsunterlagen würden nicht vorliegen. Im Übrigen handele es sich bei der Pensionskasse für die Schöpfer und ihre Familien nicht um einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Bindungswirkung der früher erteilten Feststellungsbescheide berufen. Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten in dem angefochtenen Feststellungsbescheid vom 7. August 2000 sei hinreichend bestimmt. Die Beklagte habe darin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die bislang bindend vorgemerkten, in Rede stehenden Zeiten nicht mehr als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigen werde. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung dieser Zeiten seien nicht ersichtlich.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und macht weiterhin im Wesentlichen verfassungsrechtliche Bedenken geltend.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2003 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2002 insoweit aufzuheben, als die Beklagte darin entschieden hat, dass die Zeiten vom 14. September 1970 bis 31. Dezember 1974 und vom 13. März 1975 bis 31. Dezember 1982 nicht als rentenrechtliche Zeiten vorgemerkt werden und der Bescheid vom 22. März 1984 über die Feststellung dieser Zeiten aufgehoben wird, soweit er nicht dem geltenden Recht entspricht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorlegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, mit der sie bei verständiger Würdigung (vgl. § 123 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ihres Begehrens die erstinstanzlich erhobene und statthafte isolierte Anfechtungsklage i.S. von § 54 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 SGG gegen die Aufhebungsentscheidung der Beklagten weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Die Beklagte war gemäß § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI i.V.m. Artikel 38 RÜG berechtigt, den bestandskräftigen Vormerkungsbescheid vom 22. März 1984 in dem im Klageantrag bezeichneten Umfang aufzuheben, ohne dass es einer vorherigen Anhörung der Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) bedurft hätte.

Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung auf Grund der Versicherungsunterlagen-Verordnung oder des Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, sind gemäß Artikel 38 RÜG zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des SGB VI und des Fremdrentenrechts übereinstimmen. Beginnt eine Rente nach dem 31. Juli 1991, ist die für diese Rente nach diesem Zeitpunkt maßgebende Fassung des SGB VI und des Fremdrentenrechts von ihrem Beginn an auch dann anzuwenden, wenn der Feststellungsbescheid nach Satz 1 noch nicht durch einen neuen Feststellungsbescheid ersetzt ist; der Feststellungsbescheid ist im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen der §§ 24 und 48 SGB X aufzuheben. Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend auf Feststellungsbescheide anzuwenden, die - wie hier - auf Grund des Gesetzes vom 12. März 1976 zum DPSVA 1975 nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S. 393), geändert durch Artikel 20 RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261; 1990 I S. 1337), ergangen sind (Artikel 38 Satz 3 RÜG). In Übereinstimmung damit bestimmt § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, dass bei Änderungen der dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden Vorschriften der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist; die §§ 24 und 48 SGB X sind nicht anzuwenden.

Die Beklagte hat nach Maßgabe der genannten Vorschriften den Feststellungsbescheid vom 22. März 1984 überprüft und als Folge der Überprüfung die bestandskräftige Vormerkung der in Polen zurückgelegten Beitragszeiten nach den Vorschriften des FRG vom 14. September 1970 bis zum 31. Dezember 1974 und vom 13. März 1975 bis zum 31. Dezember 1982 aufgehoben. Sie hat in dem angefochtenen Bescheid gemäß § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt verlautbart, welche Tatbestände von gleichgestellten Beitragszeiten ab wann und in welchem Umfang aufgehoben werden sollen. Zwar reicht der Hinweis in dem Bescheid vom 7. August 2000, der Bescheid vom 22. März 1984 werde aufgehoben, "soweit er nicht dem geltenden Recht entspricht", hierfür nicht aus. Denn dieser Passus stellt zwar eine Regelung dar, deren Inhalt ist jedoch entgegen § 33 Abs. 1 SGB X nicht hinreichend bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2004 -B 4 RA 46/02 R- nicht veröffentlicht). Durch die zusätzlich erfolgte konkrete Benennung der rentenrechtlichen Zeiten, deren (weitere) Vormerkung sie abgelehnt hat, hat die Beklagte aber zweifelsfrei und nachvollziehbar zu erkennen gegeben, welche Tatbestände von Beitragszeiten nicht mehr zu berücksichtigen sind. Damit waren zugleich Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung hinreichend bestimmt. Einer ausdrücklichen Aufhebung des weiteren Vormerkungsbescheides vom 15. August 1986 hat es schon deshalb nicht bedurft, weil dieser Bescheid zu den vorliegend in Rede stehenden Beitragszeiten der Klägerin in Polen keine (erneute) Regelung i.S. von § 31 Satz 1 SGB X enthält.

Die Vormerkung von Tatbeständen gleichgestellter Beitragszeiten vom 14. September 1970 bis zum 31. Dezember 1974 und vom 13. März 1975 bis zum 31. Dezember 1982 kommt nicht mehr in Betracht, weil auf die Klägerin das FRG nicht anwendbar ist. Nach Artikel 2 Abs. 1 ZustG-DPSVA 1975, geändert durch Artikel 20 RRG 1992 vom 18. Dezember 1989, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (BGBl. I S. 2261), sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, bei der Feststellung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in Anwendung des FRG und des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes zu berücksichtigen, so lange der Berechtigte - wie die Klägerin - im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 2. Oktober 1990 wohnt. Die von der Klägerin in Polen zurückgelegten Beitragszeiten können in Anwendung des FRG schon deshalb nicht mehr berücksichtigt werden, weil auf die Klägerin das FRG nicht anwendbar ist. Die Klägerin gehört nicht zu den in § 1 Buchst. a bis Buchst. d FRG bezeichneten Personen. Sie zählt auch nicht zu dem Personenkreis des § 17a FRG bzw. des § 20 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung.

Scheitert eine Berücksichtigung der in Rede stehenden Beitragszeiten schon mangels Anwendbarkeit des FRG auf die Klägerin, weist der Senat indes darauf hin, dass auch nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 22. März 1984 geltenden Rechtsgrundlagen die seinerzeit erfolgte Vormerkung durch die Beklagte objektiv rechtswidrig war. Denn auch seinerzeit konnten nach Artikel 4 Abs. 2 DPSVA 1975 nur die nach dem Abkommen rechtserheblichen polnischen Zeiten berücksichtigt werden. Da die Klägerin ab 1. Januar 1974 den polnischen Vorschriften über die Pensionsversorgung von Schöpfern und ihren Familien unterlag, hätten diese Zeiten in einem besonderen polnischen System nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn die Klägerin zuletzt in Polen als Arbeitnehmerin dem gesetzlichen Rentenversicherungssystem der Arbeitnehmer in Polen zugehörig gewesen wäre. Etwaige vor der zuletzt ausgeübten Arbeitnehmerzeit zurückgelegte Zeiten auf Grund der besonderen Vorschriften des Sondersystems wären dann als hinzurechenbare Zeiten im Rahmen von Artikel 13 Abs. 3 Ziffer 5 und Ziffer 6 des polnischen Gesetzes über die Rentenversorgung der Arbeitnehmer und ihrer Familien vom 14. Dezember 1982 in Betracht gekommen. Die Klägerin war aber zuletzt vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik ausschließlich in das Sondersystem für Kunstschaffende gemäß dem Gesetz vom 27. September 1973 über die Rentenversorgung der schöpferisch Tätigen und ihrer Familien, in Kraft getreten am 1. Januar 1974, einbezogen. Eine Berücksichtigung nach dem DPSVA 1975 wie auch nach dem FRG scheidet damit auch für die Beitragszeiten der Klägerin als Arbeitnehmerin vom 14. September 1970 bis zum 31. Dezember 1973 von vornherein aus (vgl. die Übersicht bei Poletzky, Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, 2. Auflage 1990, 8.2.4, S. 106/107). Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren darauf verwiesen hat, dass die von ihr zu dem Sondersystem entrichteten Beiträge an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung in Polen gezahlt worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass dies für Beiträge von Kunstschaffenden tatsächlich der Fall war. Diese organisatorische Zuordnung führte aber nicht dazu, dass es sich bei diesen Zeiten in einem Sondersystem um - nach dem DPSVA 1975 anrechenbare - Zeiten nach den Vorschriften der Rentenversorgung der Arbeitnehmer (Gesetz über die Rentenversorgung der Arbeitnehmer und ihrer Familien vom 14. Dezember 1982, in Kraft getreten am 1. Januar 1983) handelte.

Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die der Aufhebungsentscheidung der Beklagten zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften sind nicht ersichtlich. Der Senat nimmt diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil (S. 8 2. Absatz Zeile 1 bis S. 9 Ende des 2. Absatzes) gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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