L 1 RA 29/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RA 5701/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 29/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufs? bzw. Erwerbsunfähigkeit.

Der 1942 geborene Kläger lebt als österreichischer Staatsbürger in W. Er war nach dem Besuch der zweijährigen Handelsschule als Sekretär, Korrespondent, Assistent des Abteilungsleiters, kaufmännischer Angestellter im Außendienst, Disponent und Verkaufsleiter beschäftigt. Von 1971 bis 1992 arbeitete er unter Entrichtung von Pflichtbeiträgen zum österreichischen Rentenversicherungsträger als selbständiger Kaufmann (Handel mit Artikeln für Raumausstattung sowie Immobilienhandel). Für die Zeit danach weist der österreichische Versicherungsverlauf Beschäftigungszeiten nur noch von September 1994 bis Mai 1995 auf. Danach stand der Kläger von Dezember 1995 bis Oktober 1997 im Arbeitslosengeldbezug. Zur Beklagten entrichtete er für die Zeit von Januar 1963 bis Februar 1966 Pflichtbeiträge als kaufmännischer Angestellter.

Im Oktober 1997 beantragte der Kläger nach Abkommensrecht Erwerbsunfähigkeitspension bzw. Rente. Der österreichische Versicherungsträger gewährte ihm nach vorangegangenem Klageverfahren vor dem Arbeits? und Sozialgericht Wien durch Bescheide vom 26. November 1999 und 29. Januar 2000 ab November 1997 Erwerbsunfähigkeitspension. Die Beklagte stellte intern fest, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs? bzw. Erwerbsunfähigkeit zwischenstaatlich erfüllt seien, und lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 14. April 2000 aus medizinischen Gründen ab. Nach Auswertung der im Streitverfahren in Wien eingeholten Gutachten war sie zum Ergebnis gekommen, dass der Kläger weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig sei. Im bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 14. September 2000 führte sie aus, nach den medizinischen Feststellungen reiche das Leistungsvermögen des Klägers noch aus, die während des Erwerbslebens erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten in vollschichtiger Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten.

Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) Berlin holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Der Internist Dr. D und der Lungenfacharzt Prof. Dr. B bescheinigten dem Kläger, körperlich leichte Arbeiten noch vollschichtig verrichten zu können.

Der zum gerichtlichen Sachverständigen ernannte Internist und Arbeitsmediziner Dr. F stellte nach Untersuchung des Klägers und Auswertung der Vorbefunde und ?gutachten folgende Leiden fest: essentielle Hypertonie, chronisch obstruktive Atemwegserkrankung, Verdacht auf Sarkoidose bei mediastinaler und hilärer Lymphknotenvergrößerung sowie interstitieller Lungenstrukturveränderung, Hiatushernie, Dickdarmdivertikulose mit intermittierender okkulter Blutung und rezidivierende Synkopen. Er kam zum Ergebnis, dass der Kläger körperlich leichte ? gelegentlich auch mittelschwere ? Arbeiten ohne weitere körperliche und auch ohne seelische und geistige Einschränkungen noch unter den üblichen Arbeitsbedingungen verrichten könne. Arbeiten in ständiger Nässe und Kälte bzw. unter dauernder übermäßiger Staubbelastung seien allerdings auszuschließen (Gutachten vom 14. August 2002).

Der Berufskundliche Dienst der Beklagten nahm dahin Stellung, dass dem Kläger ein qualifizierter Berufsschutz zuzubilligen sei. Er sei der Gruppe mit dem Leitbild eines dreijährig ausgebildeten Angestellten zuzuordnen. Somit könne er zumutbar auf Tätigkeiten seiner Gruppe verwiesen werden. Insoweit sei er noch in der Lage, leichte kaufmännische Innendiensttätigkeiten vollschichtig auszuüben. Darüber hinaus sei er aber auch auf Tätigkeiten der oberen Anlernebene mit einer Ausbildungs? und Anlernzeit von 12 bis zu 24 Monaten verweisbar, z.B. auf eine Tätigkeit nach der Vergütungsgruppe VIII BAT. Dazu gehörten u.a. die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Registratur in Behörden und vergleichbaren Institutionen. Diese Tätigkeit entspreche dem körperlichen Leistungsvermögen des Klägers. Seine Vorbildung mache es ihm auch möglich, sie nach einer dreimonatigen Einarbeitungszeit vollwertig zu verrichten. Eine nennenswerte Zahl von Arbeitsstellen sei auf dem Arbeitsmarkt vorhanden.

Im Hinblick auf vom Kläger vorgelegte aktuelle Arztberichte ließ das SG von dem Internisten Dr. F noch ein Aktenlagegutachten erstatten. Er kam zum Ergebnis, dass sich gegenüber der Beurteilung von Dr. F mit Ausnahme neu beschriebener Herzrhythmusstörungen keine wesentlichen Änderungen erkennen ließen. Die Herzrhythmusstörungen des Klägers schränkten die unter Berücksichtigung seines Bluthochdrucks und seiner Lungenerkrankung ohnehin nur noch für körperlich leichte Tätigkeiten ausreichende Leistungsfähigkeit nicht weiter ein (Gutachten vom 12. August 2003).

Durch Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2003 wies das SG die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs? bzw. Erwerbsunfähigkeit. Das SG folgte den Ergebnissen der berufskundlichen und medizinischen Ermittlungen im Streitverfahren. Danach sei der Kläger weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, die von ihm beigefügten neuen Unterlagen belegten, dass er in regelmäßigen Abständen Ohnmachtsanfälle erleide. Diese hätten unmittelbar mit der Funktion seiner Lunge zu tun, wegen welcher er ja in Österreich als arbeitsunfähig in Pension geschickt worden sei. Er habe versucht, trotz seiner Krankheit geringfügige Beschäftigungen anzunehmen. Jedes Mal, wenn er einen Ohnmachtsanfall erlitten habe, sei ihm sofort gekündigt worden. Inzwischen nehme ihn aufgrund seiner Diagnosen niemand mehr. Er könne auch nicht mehr arbeiten, da das für seine Symptome zu gefährlich wäre.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. Dezember 2003 sowie den Bescheid vom 14. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die in der Berufungsbegründung angeführten Ohnmachtsanfälle seien bei den letzten Begutachtungen berücksichtigt worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG ? S 27 RA 5701/00 ?) und der Rentenakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger keine Rente wegen Berufs? bzw. Erwerbsunfähigkeit gemäß §§ 43 und 44 Sozialgesetzbuch (SGB) VI in der hier maßgeblichen bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.) zusteht.

Dabei kann dahinstehen, ob der Anspruch nicht schon daran scheitert, dass es an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ? nämlich drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls (§§ 43 Abs. 1 Nr. 2, 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI a.F.) fehlt. Die Beklagte hat die Erfüllung dieser Voraussetzungen zwar nach zwischenstaatlichem Recht angenommen, jedoch ohne Begründung. Nach dem vorliegenden österreichischen Versicherungsverlauf ist die Annahme der Beklagten für das Gericht nicht nachvollziehbar. Doch kann das dahinstehen.

Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig im Sinne der §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 SGB VI a.F. ist, weil er jedenfalls körperlich leichte Arbeiten, etwa im Bürobereich einer Handelsfirma oder als Mitarbeiter in einer Registratur in Behörden und vergleichbaren Institutionen, noch vollschichtig verrichten kann. Der Senat nimmt auf die diesbezüglichen, nicht zu beanstandenden Ausführungen des SG Bezug und sieht insoweit gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis zu gelangen.

Nach den überzeugenden Gutachten von Dr. F und Dr. F hindern die rezidivierenden Synkopen (Ohnmachtsanfälle) den Kläger nicht an der vollschichtigen Ausübung einer leichten Tätigkeit. Dies hängt damit zusammen, dass die Synkopen sich zwar wiederholen, aber regelmäßig nur in größeren zeitlichen Abständen von mindestens mehreren Monaten bis zu einem Jahr. Lediglich im Jahr 2003 kam es einmal zur Wiederholung der Synkopen im Monatsabstand. Insgesamt sind Synkopen (je einmal) im Mai und Dezember 2001, im April 2002 und im Mai und Juni 2003 aktenkundig. Nach den mit der Berufung eingereichten Unterlagen kann allenfalls eine weitere Synkope im Februar 2004 vermutet werden. Weitere Synkopen im Laufe des Jahres 2004 hat der Kläger weder belegt noch auch nur vorgetragen. Bemerkenswert erscheint, dass im neu vorgelegten Untersuchungsbericht des Lungenfacharztes Dr. K vom 30. Januar 2004 die Diagnose "rezidivierende Synkopen" nicht aufgeführt ist.

Im Übrigen mag es ? wie der Kläger vorträgt ? zwar zutreffen, dass die Ohnmachtsanfälle unmittelbar mit der Funktion seiner Lunge zu tun haben. Nicht richtig ist jedoch, dass er wegen der (herabgesetzten) Funktion seiner Lunge in Österreich als arbeitsunfähig in Frühpension geschickt worden sei. Nicht das Gutachten des Lungenfacharztes Dr. K vom 5. Oktober/24. November 1998 hat zur Berentung geführt, sondern das Gutachten des Internisten Dr. P vom 13. Januar 1999. Dieser hatte u.a. eine Herzmuskelschädigung, Herzerweiterung und Herzschwäche diagnostiziert und gemeint, der Kläger könne deshalb keine Arbeiten unter besonderem Zeitdruck mehr verrichten. Der berufskundliche Sachverständige in Österreich hatte dazu ausgeführt, bei allen in Betracht zu ziehenden Verweisungstätigkeiten sei mit phasenhaft auftretendem besonderen Zeitdruck zu rechnen, so dass rein fachbezogen keine weiteren Verweisungsberufe namhaft gemacht werden könnten. Auf der Grundlage dieser Ausführungen hatte das Arbeits? und Sozialgericht Wien dem Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension zugesprochen.

Demgegenüber schloss der kardiologisch besonders ausgewiesene gerichtliche Sachverständige Dr. F die vorgenannten Herzleiden "mit Sicherheit" aus. Dr. F folgte dem auf der Grundlage der vorliegenden medizinischen Befunde und bestätigte lediglich zwischenzeitlich aufgetretene Herzrhythmusstörungen, denen er in Ansehung der ohnehin vorliegenden Leiden bezüglich des Leistungsvermögens im Erwerbsleben aber kein eigenständiges Gewicht beimaß. Allerdings meint auch Dr. F dass der Kläger nicht unter Zeitdruck arbeiten sollte. Damit will er jedoch ? entsprechend der Fragestellung ? lediglich Arbeiten ausschließen, die wesensmäßig (und insofern ständig) mit Zeitdruck verbunden sind, wie etwa Akkord? und Fließbandarbeit. Auf die dem Kläger zumutbaren Verweisungstätigkeiten, wie sie das SG zutreffend benannt hat, trifft das nicht zu.

Soweit der Kläger ferner geltend macht, jedes Mal, wenn er während seiner geringfügigen Beschäftigungen einen Ohnmachtsanfall erlitten habe, sofort gekündigt worden zu sein, ist dies schwer nachvollziehbar. Sollten die Kündigungen wirklich wegen seiner gelegentlichen Ohnmachtsanfälle ausgesprochen worden sein, so wäre dies zu Unrecht geschehen, was nicht zu Lasten der Beklagten gehen kann. Plausibel und gerechtfertigt wären solche Kündigungen nur gewesen, wenn es sich um Beschäftigungen gehandelt hätte, die mit auch nur gelegentlich auftretenden Ohnmachtsanfällen unvereinbar sind, wie etwa mit dem Steuern eines Pkw verbundene Tätigkeiten. Solche Tätigkeiten hatte Dr. F wegen der berichteten Synkopen ausdrücklich ausgeschlossen.

Wenn der Kläger schließlich zu bedenken gibt, dass er auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen mehr habe, so fällt dies angesichts seiner noch vollschichtigen Einsatzfähigkeit nicht in den Risikobereich der Rentenversicherung.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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