L 20 R 137/05 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 438/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 137/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.10.2004 - Az.: S 4 RJ 438/02 - wird bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt (§ 199 Abs.2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat mit Urteil vom 19.10.2004 die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab Antragstellung eine Witwenrente gemäß § 243 SGB VI zu gewähren. Das SG stützt seine Entscheidung in erster Linie darauf, dass es sich bei dem Unterhaltsverzicht der Klägerin um eine lediglich deklaratorische Erklärung gehandelt habe, weil der verstorbene frühere Ehemann zu keiner Zeit unterhaltsfähig gewesen sei.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 04.01.2005 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie auf ihre abweichende Beurteilung der Unterhaltsfähigkeit des verstorbenen Versicherten und früheren Ehemannes der Klägerin verweist.

Mit der Berufungseinlegung beantragt die Beklagte auch, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil auszusetzen. Das Urteil sei wegen der unzutreffenden Beurteilung des Unterhaltsverzichts der Klägerin fehlerhaft. Eine eventuelle Rückforderung überzahlter Leistungen sei nicht erfolgversprechend.

Nach § 154 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Keine aufschiebende Wirkung tritt dagegen kraft Gesetzes für die Zeit nach Erlass des Urteils ein, wenn ein Versicherungsträger verurteilt wurde, dem Kläger eine Rente zu zahlen. Der Versicherungsträger ist daher verpflichtet, die sog. "Urteilsrente" einzuweisen, die der Kläger aber wieder zu erstatten hat, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in einem evenutellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.

Auf Antrag oder von Amts wegen kann jedoch der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats des Landessozialgerichts gemäß § 199 Abs 2 SGG durch einstweilige Anordnung die Voll- streckung aus dem Urteil aussetzen - soweit die Berufung gemäß § 154 Abs 2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) soll eine Aussetzung allerdings nur dann erfolgen, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSG 12, 138; 33, 118, 121). Nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist der Auffassung des BSG nicht uneingeschränkt zu folgen und eine Aussetzung der Vollstreckung auch dann anzuordnen, wenn es nur überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Leistungsträger mit seinem Rechtsmittel jedenfalls in wesentlichem Umfang Erfolg haben wird (s. Niesel, der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, Rdnr 400; Meyer-Ladewig, SGG, 7.Auflage, § 199, Rdnrn 8 und 8a mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob in der Zwischenzeit geleistete Beträge nach Aufhebung des Urteils dann eingetrieben werden können. Das Interesse des Leistungsträgers an der Rüccerstattung der Leistung ist umso höher zu bewerten, je größer die Erfolgsaussichten der Berufung des Leistungsträgers einzuschätzen sind. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass insbesondere dann, wenn in absehbarer Zeit ein Anspruch auf Altersrente entsteht, der Versicherungsträger nach § 51 Abs 2 SGB I aufrechnen kann bzw. sonst nach § 52 SGB I eventuell einen anderen Leistungsträger mit der Verrechnung beauftragen kann.

Vorliegend lässt sich die Erfolgsaussicht der Berufung nur schwer beurteilen, da vom Senat noch weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer und tatsächlicher Hinsicht durchzuführen sind. So ist noch zu klären, ob die Klägerin bereits ab Antragstellung erwerbsgemindert bzw. berufsunfähig war. Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das SG im Oktober 2004 lagen allerdings unstreitig eine befristete volle Erwerbsminderung und eine unbefristete teilweise Erwerbsminderung der Klägerin vor. Vor allem ist aber noch eine weitere Sachaufklärung wegen des Unterhaltsverzichts der Klägerin auch für den Fall des Notbedarfs erforderlich. So sind noch die Akten des Landgerichts A. zu dem Ehescheidungsverfahren aus dem Jahre 1975 beizuziehen und Ermittlungen bezüglich Unterhaltsfähigkeit des verstorbenen Versicherten und früheren Ehemannes der Klägerin sowie der Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin durchzuführen. Die gebotene kursorische Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes der Beklagten schließt einen zumindest teilweisen Erfolg der Berufung nicht aus. Somit ist auch das Interesse des Leistungsträgers an der Rückerstattung zu berücksichtigen. Bei einer möglicherweise erfolgreichen Berufung des Leistungsträgers ist auch zu beachten, dass die Klägerin, wenn sie ohne die vom SG zugesprochene Leistung sozialhilfeberechtigt ist, durch die Ablehnung der Aussetzung unter Umständen schlechter gestellt wird. Sie muss nämlich die zugesprochene Leistung ("Urteilsrente") grundsätzlich erstatten und evtl. kann eine Verrechnung bei der eigenen Rente erfolgen, wenn das Urteil des SG aufgehoben wird. Andererseits besteht ein Anspruch auf rückwirkende Gewährung von Sozialhilfe nicht, dagegen muss die LVA die Rente für die Vergangenheit nachzahlen, wenn ihre Berufung erfolglos ist. Es sind dann nur Erstattungsansprüche des Sozialhilfeträgers zu berücksichtigen.

Unter diesen Umständen sind unter Abwägung einerseits des Interesses der Klägerin an der Vollstreckung des Urteils und andererseits des Interesses der Beklagten daran, vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage nicht leisten zu müssen, die Voraussetzungen für die Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten (siehe BayLSG NZS 97, 96) beruht auf der Erwägung, dass der Antrag der Beklagten erfolgreich ist.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar, er kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs 2 Satz 3 SGG).

Der Vorsitzende des 20. Senats
Rechtskraft
Aus
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