L 17 U 167/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 17/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 167/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.03.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 30.04.1990 im Wege des Zugunstenbescheides (§ 44 SGB X) streitig.

Der 1950 geborene Kläger, von Beruf Außendienstmitarbeiter in einer Getränkefirma, erlitt am 30.04.1990 einen Arbeitsunfall. Ein schwerer LKW fuhr ungebremst auf das Heck seines stehenden PKW s auf, in dem er angeschnallt am Steuer saß. Der Aufprall versetzte den PKW nach vorne, drückte das Heck ein und verbog die Nackenstütze. Der Kläger verspürte einen stechenden Schmerz im Nacken und war kurzzeitig benommen. Der Durchgangsarzt Dr.B. stellte beim Kläger eine Kontusion der linken Rippenseite und des rechten Ellenbogengelenkes sowie eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) fest (Berichte vom 30.04. und 04.05.1990). Die Arbeit nahm er am 02.05.1990 wieder auf.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Dr.N. vom 04.02.1993 ein. Dieser ging davon aus, dass der Kläger eine leichte bis mittelschwere Stauchung der HWS mit Verdrehungen erlitten habe und Dauerfolgen nicht verblieben seien. Die vom Kläger noch geklagten Beschwerden seien nicht mit eindeutig fassbaren Unfallverletzungen vereinbar. Sie seien auch durch degenerative Veränderungen im Zusammenhang mit der Konstitution des Klägers erklärbar. Eine MdE messbaren Grades liege nicht vor.

Mit Bescheid vom 24.03.1993 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente mit der Begründung ab, die geklagten Beschwerden seien ausschließlich auf seit langer Zeit vorbestehende krankhafte Veränderungen der HWS zurückzuführen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 15.09.1993).

Im anschließenden Klageverfahren (S 11/U 191/93) holte das Sozialgericht (SG) Würzburg ein Gutachten des Orthopäden Dr.E. vom 16.09.1996/27.01.1997 ein und zog ein Gutachten des HNO-Arztes Prof. Dr.C. vom 29.11.1995 (erstellt in der Schadensersatzstreitsache beim Landgericht D.) bei. Dr.E. sah als Unfallfolgen eine Distorsion des Nackens (HWS) nach Beschleunigungstrauma sowie eine Prellung des rechten Ellenbogengelenkes und linken Brustkorbes an. Es seien aber keine Folgen des Arbeitsunfalles mehr feststellbar. Degenerative Veränderungen i.S. einer Osteochondrose bei C 5/C 6 hätten bereits zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalles vorgelegen. Prof. Dr.C. ging von posttraumatischen multisensorischen neurootologischen Funktionsstörungen nach einem cerviko-enzephalen Beschleunigungstrauma mit progredient degenerativen und chronifizierendem Charakter aus und schätzte die MdE mit 60 vH ein. Das SG Würzburg folgte Dr.E. und wies die Klage mit Urteil vom 25.03.1997 ab.

Im anschließenden Berufungsverfahren (L 17/U 185/97) holte das Landessozialgericht (LSG) Gutachten des Orthopäden Dr.F. vom 05.01.1999 und des Nervenarztes Dr.K. vom 22.12.1998 ein. Dr.F. nahm auf Grund des langen schmerzfreien Intervalls und der blanken Erstsymptomatik keine wesentliche Verletzung der HWS durch den Arbeitsunfall an. Alle objektiven Untersuchungsmethoden hätten keinen Hinweis auf posttraumatische Veränderungen erbracht. Dr.K. unterstellte eine leichte Distorsionsverletzung der HWS. Eine unfallbedingte MdE sah er aus neurologischer Sicht nicht. Das LSG schloss sich den Sachverständigen Dr.F. und Dr.K. an und wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 12.04.2000 zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verwarf das Bundessozialgericht (B 2 U 212/00 B) als unzulässig.

Am 24.06.1999 hatte der Kläger ein weiteres HWS-Schleudertrauma erlitten, das die Beklagte mit Bescheid vom 15.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2002 als weiteren Arbeitsunfall ohne Rentenberechtigung anerkannte. Wegen dieses Unfalles ist eine Klage vor dem SG Würzburg (Az: S 5 U 239/02) anhängig.

Mit Schreiben vom 28.07.2000 stellte der Kläger erneut Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente. Er verwies auf ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MdK) vom 26.06.2000, in dem von "möglichen" Unfallfolgeschäden gesprochen wird. Mit Bescheid vom 21.08.2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 24.03.1993 ab. Das sozialmedizinische Gutachten des MdK Bayern habe keine neuen wesentlichen Erkenntnisse erbracht (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11.12.2000).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum SG Würzburg erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 24.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.1993 zurückzunehmen und ihm für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 30.04.1990 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 vH ab 01.01.1996 zu gewähren. Das SG hat die Akten des Landgerichts (LG) D. und Oberlandesgerichts (OLG) F. in der bürgerlich rechtlichen Unfallstreitsache 12 U 59/97 - 19 O-511/92 sowie die ärztlichen Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) beigezogen und mit Urteil vom 21.03.2002 die Klage unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG vom 12.04.2000 abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und u.a. auf ein für die Beklagte aus Anlass des Unfalles vom 24.06.1999 erstattetes Gutachten des Nervenarztes Dr.O. vom 11.12.2001 verwiesen. Dr.O. hatte in diesem Gutachten ein verletzungsbedingtes chronisches Schmerzsyndrom angenommen, das er mit einer MdE von 30 vH bewertete. Weiterhin hat der Kläger gerügt, dass seine Beschwerden auf HNO-ärztlichem Gebiet bislang unberücksichtigt geblieben seien. Hierzu hat er auf Arztberichte des Dr.B. vom 27.01.2000 und Dr.K. vom 18.02.2002 verwiesen. Der Senat hat eine Auskunft der Barmer Ersatzkasse A. vom 28.08.2002 über Erkrankungen des Klägers, die Akten des LG D. / OLG F. , die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung W. , einen Befundbericht der Allgemeinärztin Dr. C. vom 05.12.2002, die Akten der Beklagten zu dem weiteren Arbeitsunfall vom 24.06.1999, die Akten der BfA sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Der vom Senat mit Gutachten vom 26.06.2003 gehörte Chirurg Dr.K. hat eine Vorschädigung verneint und eine unfallbedingte HWS-Distorsion des Schweregrades I nach Erdmann angenommen. Eine unfallbedingte MdE hat er seit Januar 1996 verneint.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 05.08.2003 vorsorglich die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens beantragt. Desweiteren hat er Dr.B. und Dr.K. als Zeugen dafür benannt, dass er unmittelbar nach dem Unfallereignis über Beschwerden in der HWS geklagt habe. Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Chirurg PD Dr.I. hat in dem Gutachten vom 18.11.2003 als unfallbedingte Gesundheitsstörungen schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der HWS, einen paravertebralen Hartspann der Nackenmuskulatur sowie wesentliche vegetative Symptome mit Vertigo, chronische Kopfschmerzen, depressive Verstimmungszustände sowie Hör- und Gleichgewichtsstörungen diagnostiziert. Die Folgen des Unfalles hat er ab Januar 1996 mit 20 vH eingeschätzt. Der Senat hat von Amts wegen von dem Orthopäden Prof. Dr.S. ein Gutachten vom 23.01.2004 eingeholt. Dieser hat als Unfallfolge lediglich eine leichtgradige Distorsionsverletzung der HWS angenommen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe bereits ein degeneratives Bandscheibenleiden der HWS vorgelegen. Auch eine richtunggebende dauerhafte Verschlimmerung bestehe nicht, allenfalls eine vorübergehende Verschlimmerung von maximal eineinhalb bis zwei Jahre.

Mit Schreiben vom 10.03.2004 hat der Kläger die Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Prof. Dr.K. gemäß § 109 SGG beantragt. Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Dr.S. vom 25.01.2005 auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet eingeholt. Dieser hat als Folgen des Arbeitsunfalles eine allenfalls leichte Distorsionsverletzung der HWS, eine Kontusion des rechten Ellenbogens und des linken Thorax festgestellt. Eine richtungweisende Verschlimmerung des vorbestehenden degenerativen Bandscheibenleidens der HWS in den Segmenten C 5/6 und C 6/7 hat er nicht angenommen. Das Gutachten des Dr.O. vom 11.12.2001 hat er für nicht nachvollziehbar gehalten.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 21.03.2002 sowie des Bescheides vom 21.08.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2000 zu verurteilen, den Bescheid vom 24.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.1993 zurückzunehmen und ihm für die Folgen des Unfalls vom 30.04.1990 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 vH ab Januar 1996 zu gewähren. Hilfsweise beantragt er, ein Gutachten des Prof. Dr.K. auf orthopädischem Gebiet und des Dr.K. auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet - jeweils nach § 109 SGG - einzuholen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 21.03.2002 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Beklagtenakten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten des LG D. und des OLG F. 12 U 59/97 - 19 O 511/92 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente auf Grund des Arbeitsunfalles vom 30.04.1990, da die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind (§§ 539 Abs 1 Nr 1, 548 Abs 1 Satz 1, 581 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung [RVO] iVm § 44 Abs 1 SGB X).

Das Urteil des SG Würzburg vom 21.03.2002 sowie die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Eine Rücknahme des Bescheides vom 24.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.1993 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) kommt nicht in Betracht, da die Beklagte bei seinem Erlass das Recht nicht unrichtig angewandt hat und auch nicht von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist.

Streitgegenständlich ist der Unfall vom 30.04.1990. Es kann daher im vorliegenden Rechtsstreit dahingestellt bleiben, ob der Unfall vom 24.06.1999 (zeitlich begrenzte) Gesundheitsschäden verursacht hat.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sind die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die gesetzliche Unfallversicherung. Die am 01.01.1997 in Kraft getretenen Vorschriften des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) finden gemäß §§ 212, 214 Abs 3 SGB VII für vor dem 01.01.1997 eingetretene Versicherungsfälle nur Anwendung, wenn Rentenleistungen erstmals nach In-Kraft-Treten des SGB VII festzusetzen wären. Die vom Kläger begehrten Rentenleistungen wären jedoch - wenn der Rentenanspruch bestünde - schon für Zeiten vor dem 01.01.1997 erstmals festzusetzen.

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung werden gemäß § 547 RVO nach Eintritt eines Arbeitsunfalls gewährt. Gemäß § 548 Abs 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Erforderlich ist damit zunächst, dass ein Unfall vorliegt, d.h. ein von außen her auf den Menschen einwirkendes körperlich schädigendes plötzliches Ereignis. Weiter ist erforderlich, dass zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dieser ursächliche Zusammenhang muss auch zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung gegeben sein. Dabei müssen das Unfallereignis und die Gesundheitsstörung nachgewiesen sein, während es für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsstörung ausreicht, wenn eine Wahrscheinlichkeit vorliegt, weil es im Regelfall nicht mit einer jeden Zweifel ausschließenden vollkommenen Sicherheit möglich sein wird, die Kausalität nachzuweisen. Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei der Erwägung alle für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung der entscheidenden Stelle gegründet werden kann. Verletztenrente wird gemäß § 581 Abs 1 RVO gewährt, solange in Folge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten wenigstens um ein Fünftel (20 vH) gemindert ist. Der Anspruch besteht gemäß § 580 Abs 2 RVO ab dem Tage, der auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Verletzten folgt.

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen besteht zu Gunsten des Klägers kein Anspruch auf Verletztenrente gegen die Beklagte. Zwar stellt sich das Ereignis vom 30.09.1990 als Unfallereignis im Sinne der vorgenannten Definition dar, und der Kläger hat diesen Unfall im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit erlitten. Auch wenn damit die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles erfüllt sind, hat dieser Arbeitsunfall nicht die vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Störungen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung verursacht. Ursache im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ist stets dasjenige Ereignis, welches mit Wahrscheinlichkeit für den geltend gemachten Erfolg die wesentliche Bedingung gesetzt hat (Ricke in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB VII Rdnr 4 unter Bezug auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-), d.h. dem nach den Anschauungen des täglichen Lebens die wesentliche Bedeutung für den eingetretenen Erfolg zukommt. Wesentlich sind unter mehreren Bedingungen immer solche von derart überragender Bedeutung, dass ihnen gegenüber die anderen Bedingungen in ihrer Wirksamkeit in den Hintergrund treten (Kater/Leube, SGB VII, vor § 7 bis 13 RdNr 46 mwN).

Gemessen an diesen Kriterien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Arbeitsunfall vom 30.04.1996 nicht die für die bei dem Kläger festzustellenden gesundheitlichen Einschränkungen wesentliche Ursache gesetzt hat. Dies beruht auf den im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, vor allem aber sind Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS nicht mit Wahrscheinlichkeit unmittelbar oder mittelbar auf das Unfallereignis vom 30.04.1996 zurückzuführen. Das Unfallereignis stellt nicht die für die erstmalige Entstehung dieser Gesundheitsstörungen wesentliche Bedingung dar und hat auch nicht im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung zu einer dauerhaften Verschlimmerung der unfallunabhängig bestehenden Beschwerden geführt.

Die vom Senat gehörten medizinischen Sachverständigen Prof. Dr.S. und Dr.S. kommen in für den Senat nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass der Arbeitsunfall vom 30.04.1990 in keinem ursächlichen Zusammenhang mit den vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen steht. Dem Gutachten des PD Dr.I. vermag der Senat nicht zu folgen. Nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr.S. und Dr.S. lag beim Kläger lediglich eine leichtgradige Beschleunigungsverletzung des Schweregrades I nach Erdmann vor. Nach der herrschenden unfallmedizinischen Auffassung kommt bei einer Distorsion des Schweregrades I nach Erdmann nur eine Arbeitsunfähigkeit von ein bis drei Wochen und danach eine MdE von allenfalls 20 vH für einen Zeitraum von bis zu vier Wochen in Betracht; ein Anspruch auf zeitlich unbefristete Rente ist danach nur bei einer Distorsionverletzung des Schweregrades III denkbar (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S 562; Plagemann/ Hontschik 3.Auflage, S 154).

Die von Prof. Dr.S. erstellten Röntgendokumente haben einen weit fortgeschrittenen Verschleiß in den Bewegungssegmenten zwischen dem 5. und 6. sowie 6. und 7. Halswirbelkörper (HWK) gezeigt. Beim Vergleich mit den Röntgenbefunden vom 04.05.1990 war eine Progression erkennbar. Diese zwischenzeitlich entstandenen degenerativen Veränderungen sind einem physiologischen Verschleißprozess zuzuordnen, eine traumatisch bedingte richtunggebende Verschlimmerung eines degenerativen Bandscheibenleidens, wie sie Prof. Dr.K. im Gutachten vom 21.02.1999 angenommen hat, kann darin nicht gesehen werden. Bei einer Traumatisierung der HWS erfolgt diese bevorzugt in einem Segment. Der Bandscheibenverschleiß, der sich aktuell beim Kläger findet, ist jedoch in zwei Bandscheibensegmenten deutlich ausgeprägt. Dies ist für eine traumatische Genese ungewöhnlich. Im Übrigen entsprechen die in dem Bewegungssegment zwischen 5. und 6. sowie 6. und 7. HWK bestehenden Veränderungen den Bewegungssegmenten, die am Häufigsten von degenerativen Veränderungen betroffen sind, ohne dass hierbei traumatische Ursachen eine Rolle spielen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Röntgendokumente der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 07.05.2001 ebenfalls erhebliche degenerative Veränderungen aufweisen, ist zu schließen, dass es sich um eine anlagebedingte Reaktionsweise des Achsorgans der HWS handelt und eine traumatische Genese der degenerativen Veränderungen an der HWS ausscheidet.

Der Senat hält die Angaben des Klägers, dass er unmittelbar nach dem Unfall Schmerzen in der HWS verspürte, für glaubhaft. Der Unfall hat aber dennoch keine mittelgradige oder schwere Beschleunigungsverletzung verursacht. Zwar leitet Prof. Dr.S. aus den Aufzeichnungen anlässlich der Untersuchung beim Durchgangsarzt Dr.B. ab, dass ein beschwerdefreies Intervall von mindestens vier Stunden vorgelegen habe. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob ein solches Intervall tatsächlich vorgelegen hat. Nach den gutachtlichen Äußerungen des Prof. Dr.S. ist eine leichtgradige Beschleunigungsverletzung dann anzunehmen, wenn keine strukturellen Verletzungen der HWS nachweisbar sind. Hiervon ist beim Kläger auszugehen. Den am 04.05.1990 erstellten Röntgendokumenten waren strukturelle Verletzungszeichen nicht zu entnehmen. Auch im weiteren Krankheitsverlauf zeigten sich keine reaktiven Verknöcherungen weichteiliger Strukturen als Hinweis auf eine erlittene weichteilige Verletzung.

Dem Gutachten gemäß § 109 SGG des PD Dr.I. , der die Annahme einer richtungweisenden Verschlimmerung der vorbestehenden degenerativen Veränderungen vorgeschlagen hat, vermag der Senat unter Berücksichtigung der Ausführungen des Prof. Dr.S. nicht zu folgen. Zum Unfallzeitpunkt bestand nach allen in den bisherigen Verfahren gehörten Sachverständigen beim Kläger bereits ein degeneratives Bandscheibenleiden der HWS. Dies wird auch von Prof. Dr.K. in dem für das OLG F. erstatteten Gutachten vom 21.02.1999 beschrieben. Auch PD Dr.I. weist darauf hin, dass die Röntgenaufnahmen der HWS durchgehend ab Mai 1990 eine Osteochondrose bei C 5/C 6 zeigten. Der erkennende Senat sieht als wesentlich ursächlich für die nunmehr bestehenden Beschwerden nicht das erlittene Distorsionstrauma des Schweregrades I, sondern die vorbestehende Schädigung der HWS an. Die Auffassung des Sachverständigen Dr.K. , dass die HWS des Klägers keine Vorschädigung aufgewiesen habe, findet in den Befunden keine Stütze.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Dr.S. ist die klassische Symptomatik für einen Verletzungsgrad II nach Erdmann beim Kläger sicher auszuschließen. Ein Grad II nach Erdmann hätte nämlich zu einer sekundären Haltungsinsuffizienz der Halsmuskulatur führen müssen, die aber in den Vorbefunden ausdrücklich ausgeschlossen ist. Im HWS-Röntgenbefund ist initial keine Steilstellung zu sehen, ebenso nicht eine Verschmälerung der Zwischenwirbelräume, vielmehr war der HWS-Befund im Röntgenbild initial regelrecht und späterhin waren nur degenerative Veränderungen zu sehen, die nicht ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Dr.S. hat auch überzeugend darauf hingewiesen, dass die vom Kläger vorgebrachten weiteren Gesundheitsstörungen, z.B. auf HNO-ärztlichem Gebiet, Schwindel- und Hörstörungen bei einer Verletzung des Grades I nicht nachvollziehbar ursächlich auf das Unfallereignis zurückgeführt werden können.

Ein unfallanalytisches Gutachten zur Feststellung der Schwere des Unfalles bzw. der Aufprallgeschwindigkeit, wie dies der Kläger angeregt hatte, ist nicht erforderlich, denn dadurch kann nicht bewiesen werden, welche Verletzungsfolgen der Unfall herbeigeführt hat. Insofern ist allein entscheidend, dass schwerwiegende Verletzungsfolgen nicht nachgewiesen werden konnten.

Den mit Schreiben vom 10.03.2004 und in der mündlichen Verhandlung am 10.05.2005 gestellten Anträgen des Klägers, ein orthopädisches Gutachten nach § 109 SGG von Prof. Dr.K. einzuholen, musste der Senat nicht stattgeben. Das SG hat bereits ein Gutachten vom 18.11.2003 nach § 109 SGG durch den Chirurgen PD Dr.I. erstellen lassen. Einem wiederholenden Antrag muss der Senat nicht folgen, wenn bereits ein entsprechender Arzt gemäß § 109 SGG in der Vorinstanz gehört wurde (Meyer-Ladewig/Keller, Kommentar zum SGG, 8.Aufl, § 109 RdNr 11 b mwN). Einem wiederholenden Antrag muss nur gefolgt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Bei verwandten Fachrichtungen (z.B. Chirurgie/Orthopädie) ist in der Regel kein Grund für ein weiteres Gutachten gegeben (aaO RdNr 10 b mwN).

Der Antrag des Klägers vom 02.05.2005, ein Gutachten nach § 109 SGG von dem Nervenarzt Dr.K. erstellen zu lassen, war wegen Verspätung gemäß § 109 Abs 2 SGG abzulehnen. Das Gericht kann einen Antrag nach § 109 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Der Senat hat dem Kläger das Gutachten des Dr.S. vom 25.01.2005 mit Schreiben vom 14.02.2005 übersandt und unter Einräumung einer Frist von drei Wochen gebeten, mitzuteilen, ob die Berufung aufrecht erhalten werde. Der Kläger konnte spätestens nach Zugang dieses Schreibens erkennen, dass die Beweiserhebung durch den Senat abgeschlossen ist. Auch wenn das Gericht - wie vorliegend - keine Frist zur Stellung eines Antrags nach § 109 SGG stellt, ist ein Antrag verspätet, wenn der Kläger nicht innerhalb eines Monats einen solchen stellt (vgl Meyer-Ladewig/Keller aaO RdNr 11).

Nach alledem kommt eine Rücknahme des Bescheides vom 24.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.1993 nicht in Betracht. Der Bescheid vom 21.08.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2000 ist rechtens. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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