L 1 P 8/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 P 35/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 P 8/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2003 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2003.

Die am XX.XXXXX 1947 geborene Klägerin leidet an einem chronischen Schmerzsyndrom im Lendenwirbelbereich mit Ausstrahlung in beide Beine, einer Fußheberschwäche links, Problemen bei der Darmentleerung und an einer Depression. Sie wohnt in der dritten Etage ohne Fahrstuhl. Ihren Antrag auf Gewährung von Pflegegeld vom 5. Dezember 2000 lehnte die Beklagte nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 24. Januar 2001 ab. Die Klägerin habe in der Grundpflege lediglich einen Hilfebedarf von 37 Minuten täglich. Mit Bescheid vom 7. Mai 2001 lehnte die Beklagte Pflegeleistungen nach weiterer Begutachtung erneut ab und wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2001 als unbegründet zurück.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 8. Januar 2002 beim Sozialgericht Klage erhoben. Am 30. März 2003 hat sie einen Sturz erlitten und musste sich am 2. Mai 2003 einer Knieoperation unterziehen. Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 9. Mai 2003 ausgeführt, es bestehe ein Hilfebedarf in der Grundpflege von täglich 92 Minuten. Der Gutachter Dr. M. ist unter dem 7. Oktober 2003 auf einen täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 34 Minuten gekommen.

Mit Urteil vom 5. November 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Pflegeleistungen bestehe nicht, da der Hilfebedarf in der Grundpflege nur 32 Minuten täglich betrage.

Dagegen hat die Klägerin am 15. Dezember 2003 fristgerecht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass vor allem beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung und beim Gehen innerhalb der Wohnung ein höherer Hilfebedarf bestehe. Die Stuhlentleerungs-probleme hätten sich seit den Gutachten des MDK erheblich verschlechtert. Insgesamt sei dem Gutachten von Dr. V. zu folgen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2003 und die Bescheide der Beklagten vom 24. Januar 2001 und 7. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2003 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Dr. B. hat in ihrem Gutachten vom 28. Mai 2005 einen täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 34 Minuten ermittelt. Nach Eingang des Gutachtens hat die Klägerin ihr Klagebegehren auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I für die Zeit von April bis September 2003 beschränkt. Nach ihrem Sturz sei sie am 2. Mai 2003 am Knie operiert worden. Dr. V. habe darauf hin einen Hilfebedarf von 92 Minuten in der Grundpflege attestiert. Die Beklagte selbst habe unter dem 22. Mai 2003 einen Hilfebedarf von 63 Minuten eingeräumt.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und zusammen mit den Prozessakten S 23 P 35/03, L 1 P 8/03 und S 31 SB 341/01 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I für die Zeit von April bis September 2003.

Gemäß § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) sind Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson hierfür benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI für die Anerkennung der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen. Dabei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Im streitigen Zeitraum betrug der berücksichtigungsfähige Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege nach Überzeugung des Senats nicht mehr als 45 Minuten täglich. Dabei folgt der Senat größtenteils den gerichtlichen Sachverständigen Dr. M. und Dr. B ... Diese haben ausführlich und nachvollziehbar den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen dargelegt.

Für das Duschen ist ein Hilfebedarf von 4 Minuten täglich zu berücksichtigen. Die Klägerin hat täglich geduscht. Dies ist aufgrund der Adipositas und der Inkontinenz erforderlich gewesen. Da sie mit den Händen die Füße und Unterschenkel nicht erreichen konnte, hat sie Hilfe beim Waschen der Beine und Füße benötigt. In Unterschied zu den Gutachten des MDK aus dem Jahre 2001, in denen ein deutlich höherer Hilfebedarf Berücksichtigung fand, hat die Klägerin im Jahre 2003 einen Duschsitz benutzt. Insoweit ist nachvollziehbar, dass die Sachverständigen Dr. M. und Dr. B. einen Zeitaufwand für die Beaufsichtigung wegen Sturzgefahr nicht berücksichtigt haben. Beide haben für einen Duschvorgang lediglich 4 Minuten veranschlagt. Dies ist angesichts des Zeitkorridors für eine Teilwäsche Unterkörper von 12 bis 15 Minuten nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass es sich nur um eine Teilübernahme handelt.

Bei der Darm- und Blasenentleerung hat der Senat einen Zeitaufwand von 2 Minuten täglich zugrunde gelegt. Die Klägerin hat eine leichte Harninkontinenz und angegeben, Vorlagen zu tragen. Diese konnte sie selbst wechseln. Außerdem hat sie Probleme bei der Darmentleerung. Sie nimmt Abführmittel und benötigt alle drei Tage einen Darmeinlauf. Gegenüber Dr. V. hatte die Klägerin im Mai 2003 angegeben, dass sie den Einlauf selbst vornehme. Im streitigen Zeitraum ergibt sich daher diesbezüglich kein Hilfebedarf. Zu berücksichtigen war lediglich ein Hilfebedarf bei der Intimhygiene. Gegenüber Dr. M. hat die Klägerin angegeben, dass sie sich wegen der Inkontinenz sechsmal täglich unter der Dusche reinigen müsse. Sie benötige dann Hilfe beim Abtrocknen der Füße. Dr. M. hat dafür insgesamt 12 Minuten täglich veranschlagt. Dies stimmt mit Dr. V. überein. Angesichts der Tatsache, dass die Klägerin Vorlagen benutzte, die sie selbst wechseln konnte, ist die zusätzliche Wäsche nicht nachvollziehbar. Im Übrigen sind die Angaben der Klägerin widersprüchlich. Gegenüber Dr. B. hat sie angegeben, sie dusche zusätzlich zur morgendlichen Reinigung jeweils nach einem Darmeinlauf (dreimal pro Woche) und einmal wöchentlich bei Durchfall. Das hatte sie auch schon früher gegenüber dem MDK angegeben. Dr. B. hat dafür täglich 4 Minuten angerechnet. Dabei ist sie allerdings von einem Duschen zweimal täglich ausgegangen. Berücksichtigt man mit jeweils 4 Minuten eine Intimhygiene entsprechend den Angaben der Klägerin viermal pro Woche, ergeben sich täglich 2 Minuten.

Für das An- und Auskleiden ist ein Hilfebedarf von 14 Minuten täglich zu berücksichtigen. Aufgrund ihrer Bewegungseinschränkungen benötigte die Klägerin Hilfe beim An- und Ausziehen von Hose, Socken, Schuhen, Schiene und Bandage. Der Zeitkorridor für Ankleiden Teilkörper beträgt 5 bis 6 Minuten, für Auskleiden Teilkörper 2 bis 3 Minuten. Die MDK-Gutachter und Dr. V. haben übereinstimmend für das Ankleiden 6 Minuten und für das Auskleiden 3 Minuten einmal täglich angegeben. Der Gesamtwert erhöht sich bei Dr. M. und Dr. B. dadurch, dass bei zusätzlicher Intimhygiene auch ein An- und Auskleiden berücksichtigt worden ist. Da dies wie oben festgestellt viermal wöchentlich zu veranschlagen ist, ergibt sich ein Hilfebedarf von zusätzlich 5 Minuten, also insgesamt 14 Minuten.

Ein Hilfebedarf beim Gehen ist nicht zu berücksichtigen. Mit Ausnahme von Dr. V. haben alle Gutachter bestätigt, dass sich die Klägerin in der Wohnung selbständig bewegen konnte. Dr. V. hat ihr Gangbild als unsicher mit Sturzgefährdung beschrieben. Dieses sei auf die unmittelbar zuvor erfolgte Knieoperation bzw. den Sturz der Klägerin mit Knieverletzung zurückzuführen. Er hat einen Hilfebedarf für sieben Toilettengänge und dreimaliges Gehen in die Küche zu den Mahlzeiten mit jeweils 2 Minuten, also täglich 20 Minuten, ermittelt. Ob ein solcher Hilfebedarf zum Zeitpunkt der Begutachtung bestanden hat, kann dahin gestellt bleiben. Denn dieser Hilfebedarf hat jedenfalls nicht auf Dauer, also voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestanden. Zwar hat Dr. V. angegeben, dass eine Verschlechterung der Mobilität für länger als sechs Monate zu erwarten sei. Dies ist jedoch angesichts der Ausführungen im OP-Bericht des M. Krankenhauses vom 2. Mai 2003, der Dr. V. bei Erstellung seines Gutachtens nicht vorgelegen hat, nicht nachvollziehbar. Aus dem Bericht ergeben sich keine schwerwiegenden Befunde, die auf eine längerandauernde Bewegungseinschränkung schließen lassen. Es ist lediglich eine Gelenkspülung durchgeführt worden. Die Wahrscheinlichkeit der Dauerhaftigkeit des Hilfebedarfs war daher im April 2003 nicht gegeben. Dies bestätigt sich schließlich dadurch, dass die Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. M. im Oktober 2003 keine Einschränkungen im Kniebereich mehr geltend gemacht hat.

Für die Verrichtung des Stehens ist ein täglicher Hilfebedarf von 3 Minuten zugrunde zu legen. Nach überwiegender Ansicht der Gutachter benötigt die Klägerin Hilfe beim Transfer auf den Duschsitz und herunter für jeweils 1 Minute. Dies ist aufgrund der Muskelschwäche im linken Bein nachvollziehbar. Bei elfmaligem Duschen pro Woche ergeben sich damit 3 Minuten täglich. Somit ergibt sich für die Zeit vom April bis September 2003 ein Gesamthilfebedarf in der Grundpflege von 23 Minuten täglich. Es kann dahin gestellt bleiben, ob für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ein weiterer Hilfebedarf zu berücksichtigen ist. Denn für diese Verrichtung wären maximal 15 Minuten täglich zu berücksichtigen. Auch damit ergäbe sich kein Gesamthilfebedarf in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten täglich.

Die Klägerin musste einmal wöchentlich einen Arzt aufsuchen. Berücksichtigt man nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 6. 8. 98 – B 3 P 17/97 R, SozR 3-3300 § 14 Nr. 6) eine Wartezeit von in der Regel 30 bis 45 Minuten und eine Fahrzeit von jeweils 30 Minuten pro Fahrstrecke (inklusive 3 Minuten für das Treppensteigen nach den überzeugenden Angaben von Dr. B.), ergibt sich ein wöchentlicher Hilfebedarf von 105 Minuten, also täglich 15 Minuten. Der Senat hat jedoch Zweifel daran, dass tatsächlich einmal wöchentlich eine Pflegeleistung zum Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erforderlich gewesen ist. Denn die Klägerin hat angegeben, dass sie nur dann öffentliche Verkehrsmittel benutzt hat, wenn sie aufgrund ihrer Medikamente an Schwindel oder Übelsein gelitten habe. Bei sonstigen Fahrten habe sie das eigene Auto benutzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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