L 1 RJ 9/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 RJ 1308/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 9/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. August 2003 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am XX.XXXX 1948 in der Türkei geborene Klägerin erlernte keinen Beruf. Sie war von 1972 bis 1987 mit Unterbrechungen u. a. als Küchenhilfe und Wäschereiarbeiterin beschäftigt. Nachdem ein 1991 gestellter Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Beklagten mangels Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bestandskräftig abgelehnt worden war, arbeitete sie von Februar 1998 bis Mai 1999 als Reinigungskraft in einem Krankenhaus. Danach war sie arbeitsunfähig und arbeitslos bei fortan geschlossenem Versicherungsverlauf (Krankengeld, AFG-Leistungsbezug). Ihren Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 5. Februar 2001 lehnte die Beklagte nach Untersuchung der Klägerin durch den Internisten Dr. T. mit Bescheid vom 29. März 2001 ab. Weder die versicherungsrechtlichen noch die medizinischen Voraussetzungen für eine Rentengewährung seien erfüllt.

Auf den Widerspruch der Klägerin lehnte die Beklagte die beantragte Rente mit Bescheid vom 31. Juli 2001 erneut ab. Lediglich die medizinischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2001 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht hat der Neurologe und Psychiater Dr. N. nach Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 27. Januar 2003 erstellt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sie leichte körperliche Tätigkeiten mit gewissen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. August 2003 abgewiesen. Die Klägerin sei nicht vermindert erwerbsfähig, da sie noch mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten verrichten könne.

Gegen das ihr am 23. Januar 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Februar 2004 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass sich ihre psychischen Beschwerden erheblich verschlimmert hätten. Auch Dr. N. sei in seinem Gutachten von einer ungünstigen Prognose ausgegangen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. August 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2001 in der Gestalt des Bescheides vom 31. Juli 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. März 2001 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten darüber einzuholen, dass das hier heute in der Verhandlung aufgetretene Anfallsleiden bei einer Verrichtung einer Arbeitstätigkeit der Klägerin immer wieder auftreten wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Facharzt für Psychiatrie Dr. G. hat unter dem 10. Juni 2005 ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattet. Er hat bei der Klägerin nach Untersuchung eine rezidivierende depressive Störung in einer gegenwärtig mittelgradigen Episode diagnostiziert. Ihr Leistungsvermögen sei aufgehoben.

In seinem Gutachten vom 18. August 2005 hat der Neurologe und Psychiater Dr. B. nach Untersuchung der Klägerin angegeben, diese leide an einer depressiv getönten Anpassungsstörung. Eine schwerwiegende Depressivität oder eine andere psychische Erkrankung, die ein aufgehobenes Leistungsbild begründeten, könne er mit Sicherheit verneinen. Der Gutachter ist wie Dr. N. zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin körperlich leichte Arbeiten einfacher geistiger Art und mit geringer Verantwortung in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere psychische Belastungen, witterungsgeschützt und zu ebener Erde vollschichtig verrichten könne.

In der mündlichen Verhandlung hat Dr. B. sein Gutachten erläutert und zum Leistungsvermögen der Klägerin ergänzend Stellung genommen. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Klägerin hat während der Verhandlung einen hysterieformen Ausnahmezustand erlitten.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen und zusammen mit den Prozessakten zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29. März 2001 in der Gestalt des Bescheides vom 31. Juli 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2001 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Fassung ab 1. Januar 2001 (n. F.), weil sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI n. F. sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n. F. bei Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI n. F. nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Danach ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert. Für den Senat steht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest, dass sie leichte Tätigkeiten mit den von Dr. N. und Dr. B. aufgeführten Einschränkungen noch vollschichtig ausüben kann.

Übereinstimmend sind die Gutachter Dr. N. und Dr. B. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten mit gewissen Einschränkungen noch vollschichtig und damit mindestens sechs Stunden täglich ausführen kann. Dr. B. stellt klar, dass sich die depressive Anpassungsstörung, die er bei der Klägerin diagnostiziert hat, aus bewusstseinsnahen Prozessen speist, so dass die Klägerin willentlich steuernden Einfluss darauf hat. Dr. B. Ausführungen, dass eine schwerwiegende Depressivität mit Sicherheit verneint werden könne, sind insofern nachvollziehbar, als er die Klägerin als ausgesprochen interessiert, aufgeschlossen und hochkonzentriert beschreibt. Ihre kognitiven Fähigkeiten sind in keiner Weise gestört. Selbstwertgefühl, Selbstbehauptungswillen, Durchsetzungsvermögen und Konfliktlösungsrepertoire sind altersgemäß gut entwickelt. Zwar ist die Klägerin durch situative Umstände erheblich belastet und fühlt sich subjektiv überfordert, nach objektiven Gesichtspunkten ist ihr aber "lediglich" eine im Wesentlichen persönlichkeitsgetragene Anpassungsstörung zu bescheinigen. Für die Einschätzung von Dr. B., dass die Klägerin auf ihr Verhalten willentlich steuernden Einfluss habe, spricht außerdem, dass sie bei anderer Motivationslage im Jahre 1997, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verloren gegangen waren, aus eigener Kraft in der Lage gewesen ist, die einer Arbeitsaufnahme entgegenstehenden psychischen Hemmnisse zu überwinden.

Dem Gutachter Dr. G. vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Ihm ist entgegen zu halten, dass die verbliebenen psychischen Basisfunktionen des Erlebens, Handelns, Gestaltens und Wollens nach den überzeugenden Angaben von Dr. B. noch soweit erhalten sind, dass die Klägerin in der Lage ist, willentlich steuernden Einfluss auf ihr Verhalten zu nehmen. Dies ist nachvollziehbar, zumal auch Dr. G. nur eine leichtgradige Minderung der Konzentrationsfähigkeit beschrieben hat. Aufmerksamkeitsfähigkeit und Lang- und Kurzzeitgedächtnis sind auch nach seiner Auffassung nicht eingeschränkt. Seine Beschreibung der Klägerin ist inhaltlich vergleichbar mit den Beschreibungen der Vorgutachter und Dr. B ... Dass Dr. G. bei ähnlicher Befundlage zur Feststellung eines aufgehobenen Leistungsvermögens aufgrund einer mittelgradigen depressiven Störung kommt, ist nicht nachvollziehbar. Das von ihm angeführte Argument der Sprachbarriere überzeugt nicht. Denn nach den Ausführungen von Dr. B. ist die Verständigung mit der Klägerin gut gewesen.

Der Sachverhalt ist bezüglich des "Anfallsleidens" der Klägerin, wie sie es in der mündlichen Verhandlung am 7. September 2005 gezeigt hat, durch das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. und dessen ergänzende Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung ausreichend aufgeklärt. Der Senat ist daher dem Antrag der Klägerin auf Einholung eines weiteren Gutachtens nicht gefolgt. Nach Dr. B. Ausführungen ist die von der Klägerin gezeigte Reaktionsweise zukünftig zwar nicht ausgeschlossen und könnte deshalb auch bei der Ausübung einer leidensgerechten Beschäftigung auftreten. Das wirkt sich jedoch auf das objektiv zu beurteilende Leistungsvermögen der Klägerin nicht aus. Nach der Einschätzung von Dr. B., die den Senat überzeugt, ist nämlich nicht zu erkennen, dass bei Ausübung einer leidensgerechten Beschäftigung allein aus dieser Symptomatologie mit übergebührlich häufigen oder unvertretbar langen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen ist. Im Übrigen hat der medizinische Sachverständige diesbezüglich darauf hingewiesen, dass das im Termin gezeigte Verhaltensmuster ganz überwiegend willentlich getragen ist.

Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung, die die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden, liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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