L 8 B 35/04 AL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AL 6818/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 B 35/04 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2004 wird aufgehoben. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Die Verteilung der außergerichtlichen Kosten gemäß § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) richtet sich nach billigem Ermessen. Dabei ist, wie das Sozialgericht bereits ausgeführt hat, vor allem zu berücksichtigen, in welchem Umfang der Kläger nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits voraussichtlich mit seinem Begehren Erfolg gehabt hätte und ob die Beklagte durch ihr vorprozessuales Verhalten Anlass zur Klage gegeben hat. Weil der Kläger keine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) erhoben hat, kann dahingestellt bleiben, ob das Auskunftsbegehren der Beklagten vom 9. Oktober 2003 einen Verwaltungsakt darstellt (s. dazu BSG SozR 4100 § 144 Nr. 1) und ob folglich die von der Beklagten in ihrem Widerspruchsbescheid vom 19. November 2003 vertretene Auffassung zutrifft. Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 SGG) ist statthaft. Denn die Beklagte hat in dem Auskunftsbegehren die Auffassung vertreten, dass den Kläger auf Grund von § 315 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) eine ihr gegenüber bestehende Rechtspflicht zur Erteilung von Auskünften trifft. Damit hat sie das Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG behauptet. Anders als das Sozialgericht meint, lässt sich die Statthaftigkeit der Feststellungsklage nicht mit der Begründung in Frage stellen, dass sie gegenüber einer Anfechtungsklage subsidiär ist. Wenn die Beklagte die Rechtsauffassung vertritt, dass das vom Kläger angefochtene Verwaltungshandeln keinen Verwaltungsakt darstellt, dann besteht für den Kläger kein Hinderungsgrund, den Rechtsbehelf zu wählen, der gegeben ist, wenn die Auffassung der Beklagten zutrifft. Für die Feststellungsklage bestand auch ein berechtigtes Interesse (§ 55 Abs. 1 letzter Teilsatz SGG; s. dazu Castendiek in Handkommentar SGG, § 55 Rz. 10 ff.), denn wäre die Auffassung der Beklagten zur Pflicht des Klägers zutreffend gewesen, hätte sie daraus weitere Rechtsfolgen ableiten, im Besonderen die Vollstreckung nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch i.V.m. dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz einleiten können. Anders als die Beklagte meint, ist das Feststellungsinteresse nicht davon abhängig, ob in den Schreiben vom 9. Oktober und 26. November 2003 Verwaltungsakte zu sehen sind oder nicht (zu der Frage, ob sie einen erlassen darf, s. BSG a.a.O.). Denn jedenfalls ist den Schreiben zu entnehmen, dass sie eine Pflicht des Klägers für gegeben hält, die sie aus dem Gesetz ableitet. Bereits dies reicht aus, um das Feststellungsinteresse zu begründen. Darüber hinaus bestand ein berechtigtes Interesse gerade an gerichtlichem Rechtsschutz auch deshalb, weil die Beklagte in dem Schreiben vom 9. Oktober 2003 keinen Zweifel daran gelassen hat, dass sie den Kläger für unterhalts- und damit für auskunftspflichtig hält. Ohne jegliche weitere Ermittlungen hat sie sogar noch in dem Schreiben vom 26. November 2003 ihre Auffassung aus dem Schreiben vom 9. Oktober 2003 wiederholt, obwohl der Kläger bereits in seinem Widerspruchsschreiben vom 27. Oktober 2003 Ausführungen dazu gemacht hat, dass ihn keine Unterhaltspflicht mehr treffe. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, sie habe den Kläger deshalb nicht zur Unterhaltspflicht anhören müssen, weil sie keinen Verwaltungsakt gesetzt habe, verkennt, dass sie unabhängig von der Art ihres Handeln von Amts wegen prüfen muss, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die von ihr gewählte Handlungsweise vorliegen. Ob die Beklagte die ihr obliegende Prüfung bereits im Vorfeld des Auskunftsersuchens vornehmen (und den Kläger förmlich "anhören") musste oder mit dem Auskunftsersuchen hätte verbinden können, kann dahingestellt bleiben. Denn im vorliegenden Fall ist beides nicht geschehen, obwohl dazu angesichts des Lebensalters des Sohnes des Klägers Anlass bestand (s. dazu etwa Born in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 8, 4. Auflage 2002, § 1610 Rz. 22 ff., 207 ff.). Vielmehr hat die Beklagte die Unterhaltspflicht des Klägers als bestehend dargestellt, ohne sich auf eine tatsächliche Grundlage stützen zu können. Schon deshalb, weil der Sohn des Klägers volljährig und somit nicht mehr in jedem Fall unterhaltspflichtig ist, ist auch keine Rechtsgrundlage für die von der Beklagten offenbar angenommene Pflicht des Klägers zu sehen, den Nachweis zu führen, dass ihn die von der Beklagten behauptete Auskunftspflicht nicht trifft. Ein berechtigtes Interesse lässt sich ferner nicht mit der Begründung verneinen, dass der Kläger gegen einen Bußgeldbescheid Rechtsbehelfe hätte einlegen können. Das Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) ist nicht das für die Kontrolle des Verwaltungshandelns vorgesehene Rechtsschutzverfahren und es ist auch nicht das Verfahren zur Durchsetzung einer nach behördlicher Auffassung bestehenden Pflicht des Klägers. Es wäre mit dem grundgesetzlichen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz; dazu ausführlich etwa Schultze-Fielitz in Dreier, Grundgesetz, Band I, 2. Auflage 2004, Artikel 19 IV Rz. 106, 108, 111 ff.) nicht vereinbar, die fachgerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns davon abhängig zu machen, dass das Nichtbefolgen öffentlich-rechtlicher Pflichten mit einer strafrechtlichen oder strafrechtsähnlichen Sanktion verbunden ist. Dabei wird der Beklagten, anders als sie scheinbar meint, nicht unterstellt, dass sie Ordnungswidrigkeiten willkürlich verfolgt. Jedoch gilt bei der Verfolgung nicht nur das Legalitätsprinzip, sondern auch das Opportunitätsprinzip (§ 47 Abs. 1 OWiG), so dass die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden kann, ob und (im Rahmen der Verjährungsregelungen) wann sie eine Ordnungswidrigkeit verfolgt. Damit aber würde der Zugang zum fachgerichtlichen Rechtsschutz vom Willen der Beklagten abhängig. Die Feststellungsklage wäre auch begründet gewesen. Indem die Beklagte die Schreiben vom 9. Oktober 2003 und 26. November 2003 für gegenstandslos erklärt hat, hat sie selbst eingeräumt, dass die Voraussetzungen der von ihr geltend gemachten Auskunftspflicht nicht vorliegen. Die Pflicht der Beklagten zur Kostenerstattung kann auch nicht mit dem Rechtsgedanken des § 93 Zivilprozessordnung (sofortiges Anerkenntnis) in Frage gestellt werden. Zwar hat die Beklagte die vom Kläger beanstandeten Schreiben vom 9. Oktober und 26. November 2003 bereits weniger als zwei Wochen nach Erhebung der Klage für gegenstandslos erklärt. Indem sie aber noch in dem Schreiben vom 26. November 2003 an ihrer in dem Schreiben vom 9. Oktober 2003 geäußerten Rechtsauffassung festgehalten hatte, hatte sie dem Kläger Veranlassung gegeben, die Klage zu erheben. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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