L 5 KR 70/04

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 5 KR 474/02
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 70/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 6. April 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Beginn der Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Der 1931 geborene und bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied gesetzlich versicherter Kläger erhielt seit 1. November 1994 eine monatliche Altersrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Höhe von zunächst 3.225,86 DM sowie eine Betriebsrente von zunächst 1.876,50 DM. Am 8. Juni 1994 erfolgte die Meldung zur KVdR durch die BfA bei der Beklagten. Nach den Angaben zum Krankenversicherungsverhältnis des Klägers war dieser von 1969 bis Januar 1994 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Mit Bescheid vom 8. Juni 1994 lehnte die Beklagte wegen nicht ausreichender Vorversicherungszeit die Mitgliedschaft in der KVdR ab. Hiergegen legte der Kläger mit der Bitte Widerspruch ein, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Die Beklagte führte die Versicherung des Klägers als freiwillige Mitgliedschaft, die soziale Pflegeversicherung als versicherungspflichtig fort. Mit Bescheid vom 4. Februar 2002 unterrichtete die Beklagte den Kläger über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000. Der Kläger erfülle ab 1. April 2002 die Voraussetzung für die Pflichtversicherung in der KVdR und zahle ab diesem Zeitpunkt entsprechende Beiträge. Mit Bescheid vom 27. Februar 2002 setzte die Beklagte die entsprechenden Beiträge fest. Gegen die Bescheide vom 4. und 27. Februar 2002 legte der Kläger Widerspruch ein. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich die Verpflichtung der Beklagten, ihn bereits rückwirkend ab 1994 als pflichtversichertes Mitglied zu führen. Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich festgestellt, dass lediglich bestandskräftige Bescheide nicht durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen betroffen seien. Dies führe dazu, dass die von ihm gezahlten Beiträge teilweise überzahlt worden seien. Er beantrage die Erstattung in Höhe von 4.336,55 EUR. Dieser Auffassung widersprach die Beklagte. Das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber bis zum 31. März 2002 Zeit gegeben, für eine verfassungskonforme Neuregelung zu sorgen. Für den Fall einer Nichtänderung des Gesetzes habe das Bundesverfassungsgericht vorgesehen, dass ab 1. April 2002 wieder das bereits bis 1992 gültige Krankenversicherungsrecht der Rentner wirksam werde. Damit habe es eine Rückwirkung ausgeschlossen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Der Kläger hat am 11. Oktober 2002 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben und ergänzend vorgetragen: Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich festgestellt, dass § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) in der Fassung vom 21. Dezember 1992 verfassungswidrig sei. Die Vorschrift sei nur zur Vermeidung einer Regelungslücke und eines völlig ungeregelten Zustandes bis längstens zum 31. März 2002 weiter anzuwenden. Aus diesem Grund hätte die Beklagte bei ihrer Widerspruchsentscheidung § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des Gesundheitsreformgesetzes anwenden müssen.

Der Kläger hat beantragt,

1.die Bescheide der Beklagten vom 4. und 27. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit Wirkung vom 1. Februar 1994 an als Pflichtversicherten einzustufen und zu führen, 2.die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.336,55 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24. Februar 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. April 2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides verwiesen und ergänzend ausgeführt: Zwar habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auf der Grundlage der verfassungswidrigen Vorschrift des Art. 56 Abs. 3 Halbsatz 1 des Gesundheitsreformgesetzes in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) ergangene und im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung bereits bestandskräftige Bescheide unberührt blieben; daraus folge jedoch nicht, dass für noch nicht bestandskräftige Bescheide die für verfassungswidrig, allerdings bis zum 31. März 2002 noch für anwendbar erklärte alte Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht anzuwenden gewesen sei. Denn das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich dem Gesetzgeber für die Neuregelung einen Gestaltungsspielraum eingeräumt und dazu ausgeführt, die Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbsatz 1 SGB V a. F. führe nicht zu dessen Nichtigkeit, sondern werde für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz erklärt. Damit könne sie bis zur gesetzlichen Neuregelung, längstens bis 31. März 2002, ausnahmsweise weiter angewendet werden. Erst ab 1. April 2002 habe die Ursprungsfassung nach dem GSG gegolten. Mit diesem Zeitpunkt habe der Kläger den Zugang zur KVdR als Pflichtmitglied erhalten.

Gegen das ihm am 10. Mai 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 11. Juni 2004. Er beantragt, ihm wegen des verspäteten Eingangs der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, und begründet dieses näher. Die sozialgerichtliche Entscheidung sei aufzuheben. Sowohl das Sozialgericht als auch die Beklagte übersähen die Besonderheit des Falles, die darin liege, dass der Gesetzgeber von seiner Regelungskompetenz keinen Gebrauch gemacht und damit inzident erklärt habe, dass er die Regelung, die bis zum 31. Dezember 1992 gegolten habe, als sachgerecht anerkenne und wiederum gelten lassen wolle. Die Auslegung des Sozialgerichts und der Beklagten führe zu einer Benachteiligung gegenüber den Rentnern, die vor dem 1. Januar 1993 oder nach dem Stichtag 31. März 2002 Rentner geworden seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 6. April 2004 und die Bescheide der Beklagten vom 4. und 27. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn ab 1. November 1994 als Pflichtversicherten einzustufen und 4.336,55 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24. Februar 2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat eine Auskunft der Deutschen Post über die Laufzeiten der beförderten Briefe eingeholt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der von der Beklagten geführten Verwaltungsakte und die Gerichtsakte verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Zwar ist sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt worden und erfüllt damit nicht die Voraussetzung des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dem Kläger ist hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäss § 67 SGG zu gewähren. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Kläger hat ohne Verschulden die Berufungsfrist versäumt. Nach seiner Einlassung und der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Frau G vom 20. Juli 2004 geht der Senat davon aus, dass die Berufungsschrift noch am 9. Juni 2004 bei der Post zur Übersendung durch Einwurf in den dortigen Briefkasten aufgegeben wurde, und zwar vor der Leerung um 18.15 Uhr. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte sich im Hinblick auf den Zusammenhang mit dem Geburtstag seines Vaters an den Vorgang gut erinnern und es ist kein Grund ersichtlich, warum dieses Schreiben nicht mit der üblichen Post rechtzeitig, also vor der Leerung, eingeworfen worden war. Dann aber konnte der Kläger ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Berufungsschrift am nächsten Tag und damit rechtzeitig beim Landessozialgericht eingehen werde. Dafür spricht sowohl das Hinweisschild am Briefkasten als auch die Mitteilung der Deutschen Post gegenüber dem Senat.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Die Abweisung der Klage durch das Sozialgericht ist rechtmäßig. Zu Recht hat die Beklagte eine Versicherung in der KVdR für den Kläger vor dem 1. April 2002 abgelehnt.

Zutreffend hat das Sozialgericht zur Begründung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)vom 15. März 2000 hingewiesen. Darin hat das BVerfG unmissverständlich ausgeführt, dass die festgestellte Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V a. F. nicht zu dessen Nichtigkeit führe. Vielmehr hat es die Vorschrift als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz erklärt und bestimmt, dass die Norm bis zur gesetzlichen Neuregelung, längstens bis 31. März 2002, ausnahmsweise weiter angewendet werden darf. Zu einer gesetzlichen Neuregelung ist es unstreitig nicht gekommen. Damit kann kein Zweifel daran bestehen, dass die vom BVerfG aufgezeigte Alternative eingreift, wonach die (verfassungswidrige) Regelung bis 31. März 2002 gilt. Damit konnte der Kläger auch erst von diesem Zeitpunkt an (ab 1. April 2002) Pflichtmitglied in der KVdR werden.

Die vom Kläger vertretene gegenteilige Auffassung lässt sich dem Beschluss des BVerfG nicht entnehmen. Zwar hat der Gesetzgeber keine Regelung getroffen. Für diesen Fall hat das BVerfG aber gerade bestimmt, das, wie von der Beklagten zutreffend umgesetzt, die bis zum 31. Dezember 1992 geltende Regelung ab April 2002 gilt (Orientierungssatz 5a). Soweit der Kläger meint, damit seien die Rentner benachteiligt, die vom 1. Januar 1993 bis 31. März 2002 Rentner würden, trifft dies zu. Das hat das BVerfG aber als nicht verfassungswidrig angesehen.

Entsprechend hat das BSG in seinem Beschluss vom 26. Mai 2004 (B 12 KR 1/04 R) zu einem gleich gelagerten Fall die Zulassung einer Revision abgelehnt, weil nach der zitierten Entscheidung des BVerfG die Krankenkassen § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbsatz 1 SGB V a. F. trotz seiner Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz in vollem Umfang bis 31. März 2002 weiter anwenden durften. Dieser Entscheidung folgt der erkennende Senat in vollem Umfang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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