L 5 B 260/05 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 AS 820/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 260/05 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Ham¬burg vom 17. August 2005 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anord¬nung verpflichtet, der Antragstellerin die Zusicherung zu den Aufwendungen für das möb¬lierte Zim¬mer S. Straße, H. - bei K. – zu erteilen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 30. August 2005 gegen den Beschluss des Sozialge¬richts Hamburg (SG) vom 17. August 2005, der das SG nicht abgeholfen und die es dem Landessozialge¬richt (LSG) zur Entschei¬dung vorge¬legt hat, ist statthaft (§ 172 Sozialge¬richts¬gesetz - SGG -), form- und fristge¬recht ein¬gelegt worden (§ 173 SGG) und auch sonst zuläs¬sig. Sie ist auch begründet. Dem vom SG abgelehnten Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war in dem sich aus der Entscheidungsformel ergeben¬den Umfang zu entsprechen.

Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Der durch den beantragten vor¬läufigen Rechtsschutz zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendig¬keit einer vorläufigen Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen. Dies ist im Falle der Antragstellerin geschehen. Nach dem Sachverhalt, wie er sich im Beschwerdeverfahren aufgrund summarischer Prüfung darstellt, bestehen sowohl ein Anordnungsanspruch wie auch ein Anordnungsgrund.

Vorab ist klarzustellen, dass die von der Antragsgegnerin durch Bescheid vom 13. Juni 2005 erklärte und durch Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2005 bestätigte Ablehnung der von der Beschwerdeführerin beantragten Zusicherung der Übernahme von Kosten einer Unter¬kunft nicht bindend geworden ist. Wäre dies geschehen, so läge schon allein deswegen kein Anordnungsgrund vor. Jedoch hat die Antragstellerin bei ihrer persönlichen Vorsprache in der Antragstelle des SG am 8. August 2005 - also innerhalb der Klagefrist – nicht nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, sondern gleichzeitig Klage gegen die o. g. Bescheide erhoben. Der seinerzeit von ihr zur Niederschrift gestellte Antrag, die Antrags¬geg¬nerin zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialge¬setzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zu gewäh¬ren, bein¬haltet zumindest auch eine Klage gegen die von ihr gleichzeitig vorgelegten ablehnenden Bescheide. Der Antrag ist von der aufnehmenden Stelle wohl wegen der von der Antragstel¬lerin betonten Eilbedürftigkeit als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bezeich¬net und behandelt worden. Sie hat es versäumt, ihn auch als Klage zu behandeln. Hierfür hätte umso mehr Anlass bestanden, als der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne die An¬fechtung des Widerspruchsbescheides hätte erfolglos bleiben müssen.

Des Weiteren ist die Antragstellerin nicht schon wegen der von ihr betriebenen Ausbildung aus dem durch § 7 Abs. 1 bis 3 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) defi¬nierten Kreis der nach diesem Gesetz Anspruchsberechtigten ausgeschlossen. Zwar haben Auszubil¬dende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesaus¬bildungsförderungsgeset¬zes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist – was hier gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG für die Schulaus¬bildung der Antragstellerin am Wirtschafts¬gymnasium zutrifft - keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 7 Abs. 5 SGB II) und können damit auch die zu diesen Leistungen gehörenden angemesse¬nen Kosten für Unterkunft und Hei¬zung (§ 19 SGB II) nicht bean¬spruchen. Diese Bestim¬mung findet hier jedoch keine Anwen¬dung, da der Anspruch der Antragstellerin auf Leistun¬gen der Ausbildungsförderung durch § 2 Abs. 1a BAföG ausge¬schlossen ist. Dieser Bestim¬mung zufolge wird für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Ausbildungsstätten Ausbildungsförderung nur geleistet, wenn der Auszubil¬dende nicht bei seinen Eltern wohnt und 1. von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist, 2. einen eigenen Haushalt führt und verheiratet ist oder war, 3. einen eigenen Haushalt führt und mit mindestens einem Kind zusammenlebt. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Antragstellerin nicht erfüllt. Für die Voraussetzun¬gen unter Nr. 1 gilt dies im Hinblick auf den Umstand, dass die Mutter der Antragstellerin dieser das Wohnrecht mit Wirkung zum 31. August 2005 wegen ständiger Differenzen und Unverträglichkeiten schriftlich gekündigt hat, d. h. die Antragstellerin auf Dauer aus der bis dahin gemeinsam genützten Wohnung gewiesen hat, und das Jugendamt A. am 30. August 2005 den problematischen familiären Hintergrund der Antragstellerin bestätigt und die räumliche Trennung unter jugendhilferechtlichen Gesichtspunkten befürwortet hat. Von der Ermächtigung durch § 2 Abs. 1a Satz 2 BAföG, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass über Satz 1 hinaus Ausbildungsförderung für den Besuch der in Absatz 1 bezeichneten Ausbildungsstätten auch in den Fällen zu leisten ist, in denen die Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung der Eltern aus schwer¬wiegenden sozi¬alen Gründen unzumutbar ist, hat die Bundesregierung bislang keinen Gebrauch gemacht.

Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft sollen erwerbsfähige Hilfebedürf¬tige die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unter¬kunft einholen. Dieser ist zur Zusiche¬rung nur verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unter¬kunft angemessen sind (§ 22 Abs. 2 SGB II). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nachdem die 19 Jahre alte Antragstellerin die mit der Mutter genutzte Wohnung auf deren Veranlassung verlassen musste, stellt sich nicht mehr die Frage nach der Notwendigkeit eines Umzugs, son¬dern nur die Frage nach der Notwendigkeit der Anmietung einer eigenen Wohnung bzw. einer eigenen Unterkunft. Diese Notwendigkeit hält der Senat für gegeben. Sie wird insbesondere durch den von ihr mitge¬teilten Umstand, dass sie zur¬zeit bei einer Freundin schlafen darf, nicht in Frage gestellt, denn sie benö¬tigt als Schülerin der 11. Klasse des Wirtschaftsgymnasiums nicht nur eine Schlafgele¬genheit, son¬dern einen Raum, in den sie sich zurückziehen und ungestört lernen und Hausaufgaben erle¬digen kann. Zudem han¬delt es sich insofern um eine Notlö¬sung zur Ver¬meidung einer ansons¬ten eintretenden Obdachlosigkeit der Antragstellerin, um eine Gefälligkeit ihrer Freundin, die die Allgemeinheit nicht zur Ver¬meidung eigener diesbezüglicher Aufwendungen unbefristet erwarten darf.

Der Senat hat auch keine durchgreifenden Zweifel an der Angemessenheit der Kosten der von der Antragstellerin in Betracht gezogenen Unterkunft. Die von ihr beabsichtigte Anmie¬tung eines Zimmers von 20 qm für 260 EUR inklusive Strom und Heizkosten zur Untermiete bleibt in jeder Hinsicht innerhalb des von den Fachlichen Vorgaben der Antragsgegnerin zu § 22 SGB II - Leistungen für Unterkunft und Heizung - vom 15.10.2004 – gezogenen Rah¬mens. Der Senat braucht sich deshalb mit den dort unter Ziffer 2 formulierten besonderen Maßstäben für die Angemessenheit des Wohnraums für junge, allein stehende Hilfebedürf¬tige nicht ausei¬nanderzusetzen.

Schließlich dürfte die Antragstellerin auch hilfebedürftig im Sinne des § 22 Abs. 2 SGB II sein, da sie ihren notwenigen Bedarf zumindest gegenwärtig nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berück¬sichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistun¬gen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).

Es besteht nach dem Ausscheiden aus dem Haushalt der Mutter zunächst ein Hilfebedarf in Höhe der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, d. h. von 345 EUR. Ferner besteht ein Bedarf in Höhe der Kosten von Unterkunft und Heizung in Höhe von 244 EUR. Es kann insofern nicht die volle vom künftigen Vermieter mit 260 EUR bezifferte Miete berücksichtigt werden, denn diese enthält auch die Kosten für (elektrische) Energie, die bereits mit dem Regelsatz abgegolten sind. Da die monatlich anfallenden Energie- bzw. Stromkosten nach Auskunft des Ver¬mieters nicht mit einem bestimmten Betrag getrennt ausgewiesen werden können, hält es der Senat für angemessen, diese auf der Grundlage einer telefoni¬schen Aus¬kunft der Ham¬burgischen Elektrizitätswerke (HEW) mit 16 EUR zu veranschlagen. Es handelt sich dabei um die Hälfte des Betrages, den die HEW bei der Anmeldung eines Zwei-Perso¬nen-Haushalts, der über E-Herd, Kühlschrank und Waschmaschine verfügt und in dem Warmwasserbereitung und Heizung nicht durch Strom betrieben werden, als monatliche Vor¬auszahlung fordern. Dem Gesamtbedarf in Höhe von 589 EUR stehen als Einkünfte der Antragstellerin gegenüber das Kindergeld in Höhe von 154 EUR und der von der Mutter der Antragstellerin unter Berufung auf eine entsprechende Information durch das Jugendamt zugesagte Unterhalt in Höhe von 306 EUR monatlich, insgesamt also 460 EUR. Es ergibt sich ein nicht gedeckter Bedarf in Höhe von 129 EUR. Zwar ist ein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin in dieser Höhe nach der zur Berechnung von Unterhaltsansprüchen zumeist verwendeten so genannten Düsseldorfer Tabelle nicht nachvollziehbar. Diese weist – in der ab dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung - für ein Netto¬einkommen zwischen 1500 und 1700 EUR monatlich, wie es die Mutter der Antragstellerin nachgewiesen hat, einen Unterhaltsanspruch für ein Kind nach Vollendung des 18. Lebens¬jahres in Höhe von 382 EUR aus. Es bedarf jedoch keiner Feststellungen des Senats zur exakten Höhe des Unterhaltsanspruchs, denn bei der Prüfung der gegenwärtigen Bedürftigkeit kann allenfalls der von der Mutter zugesagte und deshalb wahrscheinlich ohne Verzögerung zu realisierende Unterhalt als Einkommen unter¬stellt werden. Sollte die Antragsgegnerin zur Überzeugung gelangen, dass der Antragstellerin ein höherer Unterhaltsanspruch zusteht, kann sie diesen gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 zweiter Halbsatz Buchst. b SGB II auf sich überlei¬ten. Aus gegebenem Anlass ist allerdings klarzustellen, dass die Mutter der volljährigen Antragstellerin dieser entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist, denn ihre Tochter lebt nicht mehr in ihrem Haus¬halt und gehört deshalb auch nicht zum Kreis der so genannten privile¬gierten Volljährigen. Ferner ist dem unterhaltsberechtig¬ten Kind – hier der Antragstel¬lerin – ausge¬zahltes Kindergeld gemäß § 1612b Abs. 3 Bürgerli¬ches Gesetzbuch (BGB) in voller Höhe auf den Unterhalt anzurechnen.

Ebenso wenig kann eine Verminderung oder gar Aufhebung der Bedürftigkeit der Antrag¬stellerin durch Einkommen aus einer geringfügigen Erwerbstätigkeit unterstellt werden. Der Senat hat schon erhebliche Zweifel, ob von der Antragstellerin als Schülerin der 11. Klasse eines Gymnasiums eine solche Erwerbstätigkeit verlangt werden kann. Abgesehen davon ist in keiner Weise belegt, dass sie ein solches Ein¬kommen tatsächlich schon erzielt.

Angesichts der ohne die Gefälligkeit ihrer Freundin drohenden Obdachlosigkeit der Antrag¬stellerin ist die beantragte einstweilige Anordnung zur Vermeidung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin auch notwendig.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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