L 7 KA 13/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 477/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 13/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2002 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat dem Beklagten dessen außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu er- statten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit.

Die 1959 geborene Klägerin wurde durch Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte (Zulassungsausschuss) vom 31. Januar 1996 vom 1. April 1996 an als praktische Ärztin im Zulassungsbezirk Berlin mit Praxissitz im Verwaltungsbezirk Charlottenburg zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die vertragsärztliche Tätigkeit übte sie bis Dezember 1998 aus. Seitdem ist die Praxis geschlossen.

Das Amtsgericht Schöneberg hat der Klägerin mit Beschluss vom 3. März 1999 einen Betreuer für die Aufgabenkreise "Wahrnehmung der Vermögens- und Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden" bestellt und mit Beschluss vom 10. Januar 2000 für den Aufgabenkreis "Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten" einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Seit dem 1. Juni 2000 bezieht die Klägerin von der Berliner Ärzteversorgung eine Berufsunfähigkeitsrente, die ihr befristet gewährt und jeweils verlängert worden ist.

Am 4. Mai 1999 beantragte der Betreuer der Klägerin das vorläufige Ruhen ihrer Zulassung für die Dauer von sechs Monaten. Diesem Antrag entsprach der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 19. Mai 1999. Er genehmigte das Ruhen der Zulassung für die Zeit vom 1. Mai 1999 bis zum 31. Dezember 1999. Am 29. Dezember 1999 beantragte der Betreuer der Klägerin das weitere Ruhen der Zulassung bis zum 30. Juni 2000. Daraufhin entzog der Zulassungsausschuss der Klägerin mit Beschluss vom 24. Mai 2000 ihre Zulassung mit Wirkung vom gleichen Tage an. Zur Begründung führte er aus: Ausschlaggebend für seine Entscheidung sei, dass die Klägerin seit mindestens 1999 über keinen Praxissitz mehr verfüge, dass aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung eine gesetzliche Betreuung gegen den Willen der Klägerin eingerichtet werden musste und dass in absehbarer Zeit mit einer Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit durch die Klägerin nicht zu rechnen sei. Ein Sofortvollzug dieser Entscheidung wurde nicht angeordnet.

Gegen diesen dem Betreuer der Klägerin am 30. Juni 2000 zugestellten Beschluss erhob die Klägerin persönlich am 10. Juli 2000 Widerspruch. Mit seinem bei dem Zulassungsausschuss am 14. Juli 2000 eingegangenen Schreiben vom 13. Juli 2000 teilte der Betreuer der Klägerin mit, dass er Kenntnis von dem von der Klägerin persönlich erhobenen Widerspruch habe. Er bat darum, ihn über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten.

Mit Beschluss vom 27. September 2000 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Wegen des mit der Betreuung verbundenen Einwilligungsvorbehalts für den Aufgabenkreis "Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten" bedürfe die Einlegung des Widerspruchs der Klägerin gegen den angefochtenen Beschluss des Zulassungsausschusses der Einwilligung ihres Betreuers. Diese Einwilligung sei aber nicht erteilt worden.

Mit ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Klage hat die Klägerin sinngemäß vorgetragen, dass sie berechtigt gewesen sei, auch ohne Einwilligung ihres Betreuers Widerspruch gegen die angefochtene Entscheidung des Zulassungsausschusses zu erheben. Der Einwilligungsvorbehalt beziehe sich lediglich auf den Bereich "Vermögensangelegenheiten". Selbst ihr Betreuer gehe davon aus, dass dieser Bereich vorliegend nicht tangiert sei. Darüber hinaus habe ihr Betreuer eine entsprechende Einwilligung erteilt. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses sei im Übrigen rechtswidrig. Die Entziehung ihrer Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit sei unverhältnismäßig. Der Zulassungsausschuss hätte das weitere Ruhen ihrer Zulassung aussprechen müssen. Ein solches Ruhen sei grundsätzlich bis zu einer Dauer von zwei Jahren zulässig. Der Zulassungsausschuss habe ihr die Zulassung bereits schon nach einem Jahr des Ruhens entzogen. Nach Ablauf von zumindest einem weiteren Jahr des Ruhens wäre zudem eine "wahrscheinlichere Prognose" hinsichtlich der Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in angemessener Frist möglich gewesen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 25. September 2002 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Bei der hier im Streit stehenden Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit handele es sich um eine Vermögensangelegenheit im Sinne des Betreuungsrechts. Denn die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung eröffne die Möglichkeit, Rechtsansprüche auf Zahlung von Vergütungen für vertragsärztliche Leistungen zu erwerben. Da für diesen Aufgabenkreis neben der Betreuerbestellung auch ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden und der Widerspruch der Klägerin gegen den angefochtenen Beschluss des Zulassungsausschusses ohne eine entsprechende Einwilligung ihres Betreuers erhoben worden sei, sei dieser Widerspruch von dem Beklagten zutreffend als unzulässig zurückgewiesen worden.

Gegen dieses ihr am 9. Januar 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 10. Februar 2003 (Montag). Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen: Der von ihr persönlich eingelegte Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24. Mai 2000 sei entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts zulässig. Denn die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit gehöre nicht zum Aufgabenkreis "Vermögensangelegenheiten". Auch sei die Zustimmung ihres Betreuers zur Einlegung des Widerspruchs schon deshalb entbehrlich gewesen, weil ihr dieser allenfalls einen rechtlichen Vorteil bringe. Die Zulassungsentziehung selbst sei auch rechtswidrig. Denn im Zeitpunkt der Beschlussfassung sei die Wiederaufnahme ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit in einer angemessenen Frist zu erwarten gewesen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer angemessenen Frist in diesem Sinne seien die Regelungen über das Ruhen der vertragsärztlichen Tätigkeit. Ein solches Ruhen sei bis zu einer Dauer von zwei Jahren und gegebenenfalls noch länger möglich. Vor Ablauf dieses Zeitraums sei die Zulassungsentziehung unverhältnismäßig, weil eine Verlängerung des Ruhens gegenüber der Entziehung der Zulassung das mildere Mittel sei.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung seinen Beschluss sowie den Beschluss des Zulassungsausschusses insoweit aufgehoben, als danach die Wirkung der Zulassungsentziehung zum 24. Mai 2000 gelten sollte. Klarstellend hat er darauf hingewiesen, dass die Zulassungsentziehung mit Eintritt der Bestandskraft der angefochtenen Entscheidungen wirksam werden solle. Im Hinblick hierauf haben die Klägerin und der Beklagte den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2002 und den Beschluss des Berufungsausschusses vom 27. September 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 24. Mai 2000 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet halten.

Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen hat und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Berufung im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Beschluss des Beklagten vom 27. September 2000 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Senat kann allerdings unentschieden lassen, ob die Klägerin zur Einlegung des Widerspruchs gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24. Mai 2000 aufgrund des vom Amtsgericht Schöneberg angeordneten Einwilligungsvorbehaltes für den Aufgabenkreis des Betreuers "Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten" der vorherigen Zustimmung ihres Betreuers bedurfte und, weil diese Zustimmung nicht vorlag, der Widerspruch deswegen von dem Betreuer der Klägerin noch gemäß § 108 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) genehmigt werden konnte oder, ob der Widerspruch wegen der fehlenden Zustimmung gemäß § 111 BGB unwirksam ist (vgl. Diederichsen in Palandt, BGB, 62. Auflage 2003, § 1903 RdNr. 14 f.). Denn jedenfalls hat der Betreuer der Klägerin mit am 14. Juli 2000 - also innerhalb der Widerspruchsfrist - bei dem Beklagten eingegangenen Schriftsatz vom 13. Juli 2000 erklärt, dass er Kenntnis von dem von der Klägerin persönlich eingelegten Widerspruch habe, und darum gebeten, ihn über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten. Diese fristgemäße Erklärung kann bei sachdienlicher und vernünftiger Auslegung nur dahingehend verstanden werden, dass der Betreuer das Vorbringen der Klägerin nicht nur nicht zu Eigen machen, sondern selbst dem Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24. Mai 2000 widersprechen wollte.

Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Zulassung ist § 95 Abs. 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 27 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV). Voraussetzung der Entziehung der Zulassung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist danach bei einer bereits aufgenommenen vertragsärztlichen Tätigkeit, dass diese Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird. Bei der Frage, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist allerdings nicht auf den Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung abzustellen, sondern maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sofern jedenfalls die angefochtene Entscheidung mangels Anordnung der sofortigen Vollziehung noch keine Rechtswirkung entfaltet (vgl. zur aufschiebenden Wirkung der Rechtsmittel in Zulassungsverfahren: § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB V und § 86 a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), der Arzt also weiter berechtigt war, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen (BSGE 73, 236 [243] m.w.Nachw.). Da die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung im hier vorliegenden Fall nicht angeordnet worden ist, ist auch hier für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Senats maßgebend. In diesem Zeitpunkt liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen der Zulassungsentziehung vor. Denn zu diesem Zeitpunkt war sie seit sechs Jahren nicht mehr als Vertragsärztin tätig. Weder hat sie zwischenzeitlich diese Tätigkeit wieder aufgenommen noch hat sie glaubhaft gemacht, dass sie diese Tätigkeit unverzüglich wieder aufnehmen werde. Der Senat kann daher offen lassen, ob im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung noch zu erwarten war, dass die Klägerin ihre vertragsärztliche Tätigkeit in einer "angemessenen Frist" wieder aufnehmen würde, und deshalb von dem Beklagten das Ruhen der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit als das gegenüber der Zulassungsentziehung mildere Mittel gemäß § 95 Abs. 5 SGB V in Verbindung mit § 26 Ärzte-ZV hätte angeordnet werden müssen. Zwar wird auch in der Literatur, wie von der Klägerin, teilweise die Meinung vertreten, dass als Anhaltspunkt für das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der "angemessenen Frist" als Voraussetzung einer Ruhensentscheidung gemäß § 95 Abs. 5 SGB V in Verbindung mit § 26 Ärzte-ZV die Vorschrift des § 81 Abs. 5 Satz 2 SGB V herangezogen werden könne, wonach als Disziplinarmaßnahme die Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu zwei Jahren zulässig ist (Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, Kommentar, 4. Auflage 2004, § 26 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV RdNr. 579). Aber die Klägerin hat auch diese Frist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bei weitem überschritten.

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 3 SGB V den Vertragsarzt nicht ausschließlich berechtigt, an der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mitzuwirken, sondern ihn vor allem auch vor dem Hintergrund des der gesetzlichen Krankenversicherung auferlegten Sicherstellungsauftrags verpflichtet, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen (Urteil des Senats vom 24. April 2002 - L 7 KA 15/01 -). Diese Verpflichtung darf nur in engen zeitlichen Grenzen suspendiert werden. Soll das (weitere) Ruhen letztlich nur dem Zweck dienen, den Vertragsarztstatus als "Hülse" zu erhalten, um sich im Falle eines an sich angezeigten Zulassungsverzichts später nicht noch einmal einem Zulassungsverfahren mit möglicherweise verschärften Anforderungen stellen zu müssen, kommt ein Ruhen nicht (mehr) in Betracht (Urteil des Senats vom 24. April 2002 - L 7 KA 15/01 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG in der bis zum In-Kraft-Treten des 6. SGG-Änderungsgesetzes geltenden Fassung.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved