L 6 V 15/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 16 V 68/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 V 15/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 21.02.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Witwenversorgung für die Zeit vom 01.12.1944 bis 31.12.1964.

Die Klägerin ist die Tochter der 1916 geborenen und am 09.02.2002 verstorbenen ...M ... (M).

M bezog nach ihrem am 18.10.1942 als Soldat der deutschen Wehrmacht gefallenen Ehemann ... M ... ab 01.01.1965 durchgehend Witwenteilversorgung. Die Versorgung war mit Bescheid vom 15.11.1965 aufgrund eines im Januar 1965 gestellten Antrags bewilligt worden.

1997 beantragte M., ihr auch für die Zeit vom 01.12.1944 bis 31.12.1964 Hinterbliebenenversorgung zu zahlen. Hierzu trug sie vor, dass sie nach dem Tod ihres Ehemannes vom 01.11.1942 bis 30.11.1944 aus Berlin eine monatliche Kriegsopferversorgung erhalten habe. Diese Zahlungen seien eingestellt worden, nachdem die sowjetische Armee im November 1944 ihren Wohnort besetzt habe. Anschließend habe sie keine Kriegsopferversorgung und keinerlei Unterstützung aus Deutschland mehr erhalten. Sie vertrat die Auffassung, die ihr zustehende Rente sei zu Unrecht einbehalten worden.

Der Beklagte lehnte es ab, den Bewilligungsbescheid vom 15.11.1965 nach § 44 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückzunehmen und Witwenversorgung auch für den Zeitraum vor Januar 1965 zu gewähren (Bescheid vom 25.11.1997 und Widerspruchsbescheid vom 09.03.1998).

Im anschließenden Klageverfahren hat M weiterhin die Aufassung vertreten, der Beklagte sei verpflichtet, ihr auch für die Zeit vom 01.12.1944 bis 31.12.1964 Hinterbliebenenversorgung zu zahlen. Sie habe bereits früher eine Rente aus Berlin erhalten. Diese Rente sei zu Unrecht zurückbehalten worden.

M hat beantragt,

den Bescheid vom 25.11.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.03.1998 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.12.1944 bis 31.12.1964 Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 21.02.2000 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet und die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die noch von M eingelegte Berufung. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass die zu Unrecht einbehaltene Witwenversorgung für den Zeitraum von Dezember 1944 bis Dezember 1964 nachträglich zu zahlen sei. Die früher vom Deutschen Reich gezahlte Witwenversorgung hätte weiter gezahlt werden müssen, ohne dass es hierzu eines Antrags bedurft hätte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 21.02.2000 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 25.11.1997 und 19.03.1998 zu verurteilen, ihr unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 15.11.1965 für die Zeit vom 01.12.1944 bis 31.12.1964 Hinterbliebenen versorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die Inhalte der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kann das Streitverfahren als Sonderrechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter fortführen, weil sie zum Zeitpunkt ihres Todes mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide sind, wie vom Sozialgericht zutreffend entschieden, nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, für den Zeitraum vom 01.12.1942 bis 31.12.1965 Witwenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte ist nicht verpflichtet, den bindend gewordenen Bescheid vom 15.11.1965 (teilweise) zurückzunehmen. Auch eine etwaige frühere vom Deutschen Reich bewilligte Kriegsopferrente ist nicht geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu begründen.

Eine Rücknahme des Bescheides vom 15.11.1965 nach § 44 SGB X ist schon wegen der Verfallsklausel des § 44 Abs. 4 SGB X schlechthin ausgeschlossen, so dass es bereits einer Überprüfung des Bescheides vom 15.11.1965 nicht bedarf. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB X werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und durch einen Zugunstenbescheid ersetzt wird, längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Erbringen bedeutet in diesem Sinn tatsächliches Leisten.

Diese Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X war im Hinblick auf die angestrebte Witwenversorgung für den Zeitraum vor 1965 bei der Antragsstellung im Jahre 1997 längst verstrichen. Hieraus folgt, dass selbst dann, wenn man - wofür sich hier im Übrigen aus den vom Sozialgericht angeführten Gründen keine Anhaltspunkte finden - eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 19.11.1965 bezüglich des Zahlungsbeginns unterstellen würde, jedenfalls keine Leistungen für den Zeitraum vor 1965 zu erbringen wären. Wegen des ausgeschlossenen Zahlungsanspruchs wäre damit die Rücknahme des Bescheides vom 19.11.1965 wirkungslos. Wenn aber die Rücknahme eines Verwaltungsaktes wegen Ablauf der Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X keine Auswirkungen mehr haben kann, besteht von vornherein kein Überprüfungsanspruch mehr (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.1991 - 9 bRAr 7/90 - in SozR 3-1300 § 44 Nr. 1; Urteil vom 26.10.1994 - 8 BH (Kn) 1/94 - in SozR 3-6610 Art. 5 Nr. 1 jeweils m.w.N.).

Soweit die Klägerin geltend macht, dass bereits vom Deutschen Reich eine Hinterbliebenenversorgung bewilligt und eine Versorgungsrente bis November 1944 gezahlt worden sei, vermag dieser Gesichtspunkt den geltend gemachten Anspruch nicht zu begünden. Auch wenn man die entsprechenden Angaben über die frühere Rente als zutreffend unterstellt bzw. als glaubhaft im Sinne des § 14 Verwaltungsverfahrensgesetz-Kriegsopferversorgung ansieht, folgt hieraus kein Zahlungsanspruch für die Zeit vor 1965.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war die frühere Versorgungsrente nicht weiter zu zahlen. Die auf reichtsgesetzlichen Bestimmungen beruhenden Bewilligungen einer Kriegsopferversorgung haben grundsätzlich ihre Rechtswirksamkeit verloren, so dass auf Grund dieser früheren Bewilligungen keine Versorgungsleistungen mehr zu erbringen sind.

Durch Art. III Kontrollratsgesetz - KRG - Nr. 34 vom 20.08.1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 172) sind alle Gesetze, welche die rechtliche und wirtschaftliche Stellung von Angehörigen oder ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und deren Familien betreffen, mithin alle bis dahin geltenden Versorgungsgesetze, aufgehoben worden. Dieses Gesetz brachte, nachdem die früheren Versorgungsgesetze praktisch jede Bedeutung verloren hatte, die Aufhebung dieser Gesetze in eine gesetzgeberische Form. An der durch die Außerkraftsetzung der früheren Versorgungsgesetze geschaffenen Rechtslage hat sich auch nichts durch das Gesetz der Aliierten Hohen Komission - AHK - Nr. 16 vom 16.12.1949 (Amtsblatt der AHK 1949 S. 72) geändert. Zwar hat durch Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzes das KRG Nr. 34 seine Wirksamkeit verloren. Jedoch ist in Absatz 3 dieses Artikels bestimmt, dass die Rechtsfolgen von Maßnahmen, die aufgrund der aufgehobenen Rechtsvorschriften getroffen worden sind, unberührt bleiben. Es verblieb also bei der durch das KRG Nr. 34 herbeigeführten Aufhebung der früheren Versorgungsgesetze.

Mit dem Außerkrafttreten der früheren Versorgungsgesetze waren aber auch alle aufgrund dieser Gesetze ergangenen Entscheidungen hinfällig geworden. Dem stand nicht die Rechtskraft der früherer Entscheidungen entgegen. Die Wirksamkeit der nach reichsgesetzlichen Bestimmungen ergangenen Versorgungsbescheide war von dem Fortbestand ihrer gesetzlichen Grundlage abhängig, soweit sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergab. Fällt aber durch die nach 1945 erfolgten Änderungen der Gesetzgebung die Rechtsgrundlage eines festgestellten Versorgungsanspruchs fort, so wird damit in der Regel der künftigen Versorgung der Rechtsgrund entzogen (BSG vom 04.09.1956 - 10 RV 70/54 - in BSGE,3, 251 ff., 255).

Damit waren von Beschädigten und Hinterbliebenen nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reich geltend gemachte Versorgungsansprüche mit dem Inkrafttreten neuer versorgungsrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich wie neue Ansprüche zu behandeln. Ein solcher neuer Versorgungsanspruch ist hier erst auf Grund der Antragstellung im Januar 1965 entstanden.

Nachdem zuvor in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedliche Regelungen galten (u.a. in der amerikanischen Zone das Gesetz über Leistungen an Körperbehinderte - KBLG -, in der britischen Zone die verschiedenen Sozialversicherungsdirektiven und in der französischen Zone das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges), wurde mit dem mit Wirkung vom 01. Oktober 1950 in Kraft getretenen Bundesversorgungsgesetz - BVG - (BGBl. I S. 791) eine einheitliche Regelung des Versorgungsrechts für das gesamte Gebiet der westdeutschen Bundesrepublik einschließlich des Landes Berlin geschaffen. Dieses Gesetz eröffnete grundsätzlich auch Ansprüche für Berechtigte im Ausland, wobei der Anspruch auf Versorgung ruhte, jedoch Versorgung gewährt werden konnte (§ 64 BVG a.F.).

Eine Weiterzahlung der bisherigen nach reichsgesetzlichen Vorschriften bewilligten Versorgung, wie sie sich die Klägerin vorstellt, sieht das BVG nicht vor. Das BVG führt die Versorgung nach früherem Recht nicht fort, sondern regelt unabhängig von den bisherigen Gesetzen die Versorgung neu. Es stellt in den §§ 1 bis 5 BVG neue Tatbestände auf, welche die alleinige Grundlage für die Versorgung von Inkrafttreten des Gesetzes sind (vgl. BSG vom 20.09.1955 - 9 RV 62/55 - in BSGE 1, 210 f., 215). Dementsprechend sind in § 84 Abs. 2 BVG a.F. die früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen außer Kraft gesetzt worden, soweit sie dem BVG entgegenstehen oder nicht schon aufgehoben worden sind (wie durch Art. III KRG Nr. 34).

Die in § 85 Satz 1 BVG a.F. ausgesprochene Bindung an die nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangenen Entscheidungen beinhaltet lediglich, dass die bisherige Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BGV verbindlich sein soll. Hierbei handelt es sich nicht um die Bestands- oder Rechtskraftwirkung der früheren Entscheidung über den Anspruch als solchen, sondern nur um die Wirkung eines Teils der Entscheidung (vgl. BSG vom 04.09.1956 a.a.O.).

Ein Anspruch nach dem BVG auf Gewährung von Witwenrente im Wege der Teilversorgung war erst aufgrund der Antragsstellung im Januar 1965 gegeben. Denn das BVG macht die Gewährung von Leistungen von einem Antrag abhängig (§ 1 Abs. 1 BVG, vgl. auch § 88 BVG a.F.). Dabei hat die Antragstellung materiell-rechtliche Bedeutung, d.h. der Anspruch auf Versorgung entsteht nicht schon mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, vielmehr muss zu den erforderlichen Tatbestandsmerkmalen der Antrag des Berechtigten als weiterer rechtsbegründender Faktor hinzukommen. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 BVG, wo der Antrag als gleichwertig mit den übrigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs erwähnt ist (BSG vom 23.03.1956 - 10 RV 385/55 - in BSGE 2, 290 f.).

Die für Leistungen nach dem BVG notwendige Antragstellung ist nicht wegen einer früheren nach reichsgesetzlichen Bestimmungen erfolgten Leistungsbewilligung entfallen.

Von der grundsätzlich erforderlichen Antragstellung sah nur die bis zum 31.05.1960 geltende Übergangsvorschrift des § 86 Abs. 1 Satz 1 BVG a.F. eine Ausnahme vor. Nach dieser Bestimmung wurden die aufgrund der bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften zu zahlenden Versorgungsbezüge so lange weitergezahlt, bis die Bezüge nach dem BVG festgestellt waren. Die hiernach für eine Weiterzahlung bisheriger Versorgungsbezüge erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. § 86 Abs. 1 Satz 1 BVG a.F. sollte den nach bisherigem Recht bereits versorgungsberechtigten Personen im Rahmen der Umanerkennung der nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften gewährten Versorgung auf den durch das BVG geschaffenen neuen Rechtszustand die Möglichkeit geben, sich auf die Rechtslage und etwaige abweichende Zahlbeträge einzustellen. Voraussetzung für die sich hieraus ergebende Vergünstigung war aber, dass unmittelbar vor Inkrafttreten des BVG am 01.10.1950 tatsächlich Versorgung gezahlt worden ist. § 86 Abs. 1 Satz 1 BVG a.F. spricht ausdrücklich von den nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften zu zahlenden Versorgungsbezügen. Zu "zahlen" waren aber im Augenblick der Umanerkennung nach dem BVG nur Renten, die nach den dem BVG unmittelbar vorausgehenden Versorgungsgesetzen, also den versorgungsrechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Besatzungszonen, bewilligt worden waren. § 86 Abs. 1 Satz 1 BVG a.F. betrifft daher nur die zeitlich (unmittelbar) vor dem Inkrafttreten des BVG in Geltung gewesenen Versorgungsgesetze (BSG vom 27.01.1960 - 10 RV 570/57 -). Demgegenüber wurden nach früheren reichsgesetzlichen Bestimmungen bewilligte Versorgungsrenten nicht von § 86 Abs. 1 Satz 1 BVG a.F. erfasst. Denn diese Leistungen waren wegen der aus Art. III KRG Nr. 34 folgenden Rechtsunwirksamkeit der früheren Bewilligungen bei Inkrafttreten des BVG nicht zu zahlen.

Da hier bei Inkrafttreten des BVG am 01.10.1950 keine Versorgung gezahlt wurde, war für eine Umstellung der Bezüge nach § 86 BVG a.F. kein Raum.

Ein neuer Versorgungsanspruch nach dem BVG konnte damit erst aufgrund der Antragstellung im Januar 1965 entstehen, so dass für die Zeit vor dieser Antragstellung kein Versorgungsanspruch besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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