L 2 U 5/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 145/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 5/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2002 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Verletztenteilrente wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1940 geborene, aus Polen stammende Kläger arbeitete von 1973 bis Februar 1997 mit Unterbrechungen als Eisenflechter, bis 1992 übte er diese Tätigkeit in P aus. Seit 3. Februar 1997 war er wegen eines zervikalen Bandscheibenschadens mit Diskusprolaps und Postlaminektomie arbeitsunfähig krankgeschrieben. Im Februar 1997 wurden im V-Klinikum eine interlaminäre Fensterung LWK 4/5 und eine Diskektomie vorgenommen (Entlassungsbericht vom 24. Februar 1997). Seit April 1998 bezieht der Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und seit Anfang 2000 Altersrente.

Durch Berufskrankheitenanzeige vom 29. Dezember 1997 äußerte die AOK B den Verdacht, dass Ursache der seit 3. Februar 1997 bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine Berufskrankheit sei. Nach Angaben des Klägers habe er Eisenstangen mit einer Länge von bis zu 12 Metern (m) und einem Gewicht von bis zu 70 kg sowie – teilweise zu dritt oder viert – Eisenmatten von unterschiedlicher Größe und Gewicht tragen und heben müssen, beim Flechten des Eisens habe er zudem stundenlang in gebückter Haltung oder mit erhobenen Armen gearbeitet. An Rückenschmerzen habe er vor Aufnahme der beruflichen Tätigkeit nicht gelitten. Die Beklagte nahm u. a. einen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik L vom 9. Mai 1997, ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK B vom 28. Januar 1998 sowie Kurzberichte des V-Klinikums vom 18. und 20. November 1997 sowie einen Kurz-Entlassungsbericht derselben Klinik vom 11. Dezember 1997, ein undatiertes versorgungsärztliches Gutachten und einen Magnetresonanztomographie(MRT)-Befund der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 7. Oktober 1997 zur Akte. Ihr Technischer Aufsichtsdienst (TAD) sah die arbeitstechnischen Voraussetzungen in seiner Stellungnahme vom 2. Juni 1999 für die Zeit vom 9. September 1973 bis 28. Februar 1989 und vom 6. Mai 1993 bis 30. November 1997 als erfüllt an. In ihrem auf Anregung des Arbeitsmediziners Dr. R (Stellungnahme vom 20. Februar 1998) im Auftrag der Beklagten erstellten orthopädischen Zusammenhangsgutachten vom 27. August 1999 kamen Dres. Prof. W und K zu dem Ergebnis, bei dem Kläger lägen degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule vor, radiologisch ließen sich im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) ausgeprägte degenerative Veränderungen der mittleren BWS sowie deutliche mediale Bandscheibenprotusionen und eine ausgeprägte Spondylose im Bereich C 4 bis C 7 nachweisen. Es bestehe eine monosegmentale Erkrankung im Segment L 4/ 5, die übrigen Bandscheibenetagen der LWS stellten sich als nicht das Altersmaß überschreitend degenerativ verändert dar. Es sei lediglich möglich, nicht jedoch wahrscheinlich, dass die nachgewiesene monosegmentale Bandscheibenerkrankung L 4/5 auf die berufliche Tätigkeit als Eisenflechter im Wesentlichen zurückzuführen sei.

Nach Stellungnahme der Gewerbeärztin P vom 27. September 1999, die die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKV ebenfalls nicht für gegeben hielt, lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen Nr. 2108 der Anlage zur BKV mit Bescheid vom 25. Oktober 1999 ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch, mit dem der Kläger Einwände gegen das Gutachten Prof. Dr. W erhob und die Ansicht vertrat, die Art seiner Tätigkeit habe zwangsläufig zu einer Schädigung seiner Wirbelsäule führen müssen, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2000).

Mit seiner beim Sozialgericht erhobenen Klage, zu deren Begründung er eine Stellungnahme des Dr. Kretschmar vom 7. April 2000 einreichte, trug er u. a. vor, der Bandscheibenschaden habe sich bei der Tätigkeit als Eisenflechter als Folge eines Arbeitsunfalls ereignet. Das Sozialgericht holte Befundberichte der behandelnden Orthopäden Dr. K vom 10. Juli 2000 und Dr. Svom 25. August 2000 ein und nahm einen Entlassungsbericht der Klinik Bvom 17. April 1997 sowie aus der Rentenakte der Landesversicherungsanstalt Berlin u. a. Gutachten des Neurochirurgen Dr. Z vom 24. Januar 1997, der Dr. W vom 7. April 1998 und des Arztes Lukas vom 2. Juni 1998 zur Akte. Anschließend holte es ein orthopädisches Gutachten der Dres. Prof. N und S vom 3. Januar 2001 ein, die feststellten, dass der klinische und radiologisch dokumentierte Verlauf dem – in der Praxis häufig anzutreffenden – Verlauf eines Versicherten ohne die berufsspezifische Anamnese des Klägers gleiche. Zwar könne bezüglich des Lumbalsyndroms die langjährige Tätigkeit als Eisenflechter als wesentliche Teilursache für die Entstehung angeschuldigt werden, dem stünden jedoch nicht-belastungskonforme degenerative Veränderungen an BWS und LWS gegenüber. Wenn man die langjährige Tätigkeit als Eisenflechter als Ursache für das Lumbalsyndrom sehe, müsse man unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Literatur auch das Altersmaß überschreitende degenerative Veränderungen belastungskonform an der Wirbelsäule fordern, die bei dem Kläger nicht vorlägen.

Zu den vom Kläger gegen das Gutachten erhobenen Einwänden äußerten sich Dres. Prof. mit Schreiben vom 18. Juni 2001.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht ein Gutachten des Orthopäden Dr. M vom 30. Mai 2002 ein, in dem dieser ausführt, dass die Diagnosen Postdiskektomiesyndrom mit pseudoradikulärer Irritation S 1 links, Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation im Segment L 4/5 seiner Ansicht nach berufsabhängige Leiden und ursächlich auf die Tätigkeit als Eisenflechter zurückzuführen seien, da der Kläger bis zu 50 mal pro Arbeitsschicht Gewichte von mehr als 20 kg gehoben und getragen habe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab Dezember 1997 30 v. H ...

Die Beklagte wandte gegen dieses Gutachten ein, Dr. Mbejahe Nr. 2108 der Anlage zur BKV ohne medizinisch-wissenschaftliche Begründung, seinen Ausführungen lasse sich nicht entnehmen, inwieweit sich hier - bei ausreichender Arbeitsbelastung - ein fehlendes primäres bandscheibenbedingtes Erkrankungsbild in dem am meisten belasteten Segment L 5/S 1 erklären lasse. Das Gutachten enthalte auch keine Ausführungen zu einem belastungskonformen bandscheibenbedingten Erkrankungsbild mit altersvorauseilenden Schäden. In der mündlichen Verhandlung am 29. November 2002 erklärte der Vertreter der Beklagten, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Nr. 2108 der Anlage zur BKV seien bislang nicht nachgewiesen, der interne Aktenvermerk habe keinen verbindlichen Charakter und somit keine Außenwirkung.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 29. November 2002 unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Oktober 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2000 verurteilt, als Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV eine bleibende Taubheit des linken Beines, bleibende Fußsenker- und Fußheberschwäche, intermittierende Blasen- und Mastdarmschwäche sowie Wirbelsäulenbeschwerden festzustellen und dem Kläger eine Rente auf der Grundlage einer MdE von 30 v. H. zu gewähren. Auf der Grundlage der arbeitstechnischen und medizinischen Erkenntnisse des gesamten Verfahrens sei das Gericht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des Berufskrankheitentatbestandes der Nr. 2108 der Anlage zur BKV erfüllt seien. Am außerdem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der gefährdenden Tätigkeit und der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS habe es lediglich so geringe Zweifel, dass jedenfalls eine rechtlich wesentliche Teilursächlichkeit als hinreichend wahrscheinlich erscheine. Es treffe zwar zu, dass die die arbeitstechnischen Voraussetzungen bejahende interne Stellungnahme des TAD vom 2. Juni 1999 keine rechtliche Bindungswirkung entfalte, sie beruhe jedoch auf einer Dokumentation der Arbeitsgemeinschaft der Beklagten zu den typischen Belastungen eines Eisenflechters bzw. "Beton- und Stahlbauers - Armierers", die einen Zeitanteil belastender Tätigkeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeiten in extremer Rumpfbeuge von ca. 45 % der gesamten Arbeitszeit dokumentiere, aufgrund derer in anderen Streitigkeiten der gefährdende Charakter der Tätigkeit eines Eisenflechters zu keinem Zeitpunkt in Frage gestanden habe. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei seiner konkreten beruflichen Tätigkeit geringeren Belastungen ausgesetzt gewesen wäre. Keinesfalls gegen eine berufliche Verursachung spreche die zeitliche Manifestation der Schädigung der LWS, denn sie könne im Sinne einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS bzw. erheblich über das Altersmaß hinausgehenden Bandscheibendegeneration frühestens mit dem Nachweis einer Bandscheibenprotusion bei L 4/5 in den Computertomographie(CT)-Aufnahmen vom 19. Juli 1993 angenommen werden. Es müsse als spekulativ und nicht nachvollziehbar bewertet werden, wenn sowohl Prof. Dr. W als auch Prof. Dr. N aus den angeblich bereits 1970 bzw. 1978/79 aufgetretenen Rückenschmerzen auf eine erhebliche Anlage des Klägers für vorzeitige Verschleißerscheinungen schlössen und dies als erhebliches Indiz gegen eine berufliche Verursachung bewerteten. Es bestünden auch keine erheblichen Wirbelsäulendegenerationen in belastungsfernen Abschnitten, insbesondere der Hals- und Brustwirbelsäule, oder ein dem altersgemäßen Zustand vorauseilender Verschleiß der großen Gelenke. Vielmehr betreffe die Bandscheibenschädigung mit dem Segment L 4/5 belastungskonform eines der beiden Segmente der unteren LWS, die durch Belastungen im Sinne der Nr. 2108 der Anlage zur BKV am stärksten betroffen seien. Den Gutachten von Prof. Dr. W und Prof. Dr. N folge die Kammer nicht, weil sie der Problematik des monosegmentalen Schadensbildes ein zu großes Gewicht beigemessen und insbesondere die Möglichkeit einer rechtlich wesentlichen Teilursächlichkeit nur unzureichend erörtert und diskutiert hätten. Wegen der MdE-Bewertung folge die Kammer dem Gutachten des Orthopäden Dr. M.

Gegen das am 9. Januar 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. Januar 2003 eingegangene Berufung der Beklagten, mit der sie unter Vorlage eines Aktenlagegutachtens des Orthopäden Dr. O vom 13. Mai 2003 vorträgt, dass erheblich dem Alter vorauseilende Veränderungen nur im Segment L 1/2 und im operierten Segment L 4/5 anzutreffen seien. Vor der Bandscheibenoperation im Segment L 4/5 seien auch in diesem Segment keine belastungsinduzierten Veränderungen an den Abschlussplatten zu erkennen gewesen, der Bandscheibenvorfall sei somit - wie typischerweise beim schicksalhaften Bandscheibenschaden - ohne zuvor erkennbare belastungsinduzierte Veränderungen entstanden. Die Veränderungen im Segment L1/2 entsprächen nicht dem Schwerpunkt der Belastung. Aus röntgenmorphologischen Gesichtspunkten - die das Gutachten des Dr. M nicht berücksichtige - lasse sich ein Ursachenzusammenhang auch bei erfüllten arbeitstechnischen Voraussetzungen somit nicht wahrscheinlich machen. Zudem sei nach den Stellungnahmen des TAD vom 27. Mai 2003 und 10. Februar 2004 bei einer Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) der Orientierungswert von 25 Mega-Newtonstunden (MNh) durch die Tätigkeit nicht annähernd erreicht worden und damit auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung der Berufskrankheit nicht erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und trägt vor, dass es sich bei dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. O um ein Parteigutachten handele, dass wegen der Parteilichkeit für die Entscheidung des Rechtsstreits außer Betracht zu bleiben habe. Allein maßgeblich sei das Gutachten des Dr. M. Zudem seien die Stellungnahmen des TAD vom 27. Mai 2003 und 10. Februar 2004 grob fehlerhaft und unvollständig, die Stablängen hätten bis zu 12 m betragen, die Verarbeitung 12 m langer Stähle bilde auch keine absolute Ausnahme. Die angegebene Arbeitszeit von 3.9 Stunden sei bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 8 Stunden nicht nachvollziehbar, statt 25 Matten seien zu zweit durchschnittlich 60 Matten verarbeitet worden, es seien nicht nur Matten mit einem Gewicht von 34 kg, sondern auch solche mit einem Gewicht bis 90 kg verarbeitet worden, Betonstahl sei bis 100 kg zu zweit auf der Schulter getragen worden. Die angegebene Entfernung von 20 m sei unzutreffend, die Trageentfernung habe bis zu 50 m, die durchschnittliche Trageentfernung 40 m betragen. In Polen seien die Belastungen deutlich höher gewesen als in Deutschland und es hätten weniger Transport- und Hebemöglichkeiten zur Verfügung gestanden. Er habe nicht eine sondern vier bis sieben Stunden täglich in extremer Rumpfbeuge gearbeitet. Die unter Nr. 2 - 5 angegebene Häufigkeit der Hebe- und Tragevorgänge treffe nicht zu, statt 25 und 20 mal habe sie im Durchschnitt 60 mal pro Schicht betragen. Durch ungünstige Bedingungen auf den Baustellen seien die Arbeitsbedingungen deutlich ungünstiger gewesen als von der Beklagten angenommen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Außerdem wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß erhobene Berufung ist zulässig und begründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner bandscheibenbedingten Schädigung der LWS als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV, weil weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen erfüllt sind.

Anspruch auf Rente haben gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit - um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität). Danach müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreicht (Bundessozialgericht (BSG), SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. Nachweisen).

Nr. 2108 der Anlage zur BKV fordert als Verursachungsmoment das langjährige Heben und Tragen schwerer Lasten. Hierbei handelt es sich um auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe ohne genau festgelegte Grenzwerte, um die Berücksichtigung neuer - im Wesentlichen medizinischer - Erkenntnisse zu ermöglichen. Das BSG hat inzwischen wiederholt entschieden (Urteile vom 18. März 2003 – B 2 U 13/02 – und 31. Oktober 2003 – B 2 U 1/02 R), dass das MDD rechtlich nicht zu beanstanden und zumindest derzeit ein geeignetes Modell zur Beschreibung der versicherten Einwirkung im Sinne der Berufkrankheit Nr. 2108 ist, wenn es auch der Überprüfung und Weiterentwicklung bedarf. Es basiert auf der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch äußere Einwirkungen verursacht werden können und dafür eine gewisse Belastungsdosis im Sinne eines Drucks auf die Bandscheiben notwendig ist. Insofern handelt es sich um die Zusammenfassung medizinischer Erfahrungstatsachen. Nach dem MDD sind, stark vereinfacht dargestellt, bei Männern Trage- und Hebevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3200 Newton (N) auf die Bandscheibe L 5/S 1 führen. Diese Hebe- und Tragevorgänge werden unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer pro Arbeitstag aufaddiert und, wenn sie eine Tagesdosis von 5500 Newtonstunden (Nh) überschreiten, wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulenbelastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 25 MNh wird das Vorliegen einer Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit 2108 bejaht.

Dass die so definierten arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen, konnte durch die unter Einbeziehung des Klägers geführten Ermittlungen des TAD nicht bestätigt werden. Nach den Feststellungen des TAD in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2004 erreichte die Teiltätigkeit "Eisen biegen, schneiden, bündeln und positionieren" in der Zeit zwischen 1973 und 1989 eine Tagesdosis von 4663,62 Newtonstunden (Nh) und in der Zeit von 1990 bis 1991 von 4829,73 Nh. Sie blieb damit hinter dem Grenzwert von 5.500 Nh zurück. Bei der Teiltätigkeit "Eisenflechter auf der Baustelle" wurde in der Zeit von 1973 bis 1989 eine Tagesdosis von 6796,64 Nh und in der Zeit von 1990 bis 1997 eine Tagesdosis von 7678,28 Nh erreicht. Die Gesamtbelastungsdosis ermittelte die Beklagte zuletzt mit DH = 19,42 MNh, so dass der Grenzwert für Männer von 25,00 MNh deutlich unterschritten ist. Die von dem Kläger gegen die Berechnungen des TAD im Einzelnen erhobenen Einwände führen nicht zur Berücksichtigung einer höheren Gesamtbelastung. Es mag zutreffen, dass vereinzelt, möglicherweise auch über einen Teilzeitraum, stärkere Belastungen als die vom TAD bei der Berechnung angenommenen Durchschnittswerte bestanden haben. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die Durchschnittswerte in Frage zu stellen, die der TAD aufgrund seiner Erfahrungen und Erkenntnisse aus Vergleichsarbeitsplätzen und den Angaben des Klägers gewonnen hat. Der Kläger selbst hat beispielsweise in seinem Schreiben an die Beklagte vom 6. Mai 2003 auf die Frage, wie häufig und über welche Entfernungen Lasten getragen wurden, lediglich angegeben, die Entfernung habe 5 bis maximal 50 m betragen. Wenn die Beklagte hier einen Mittelwert von 20 m annimmt ist dies nicht zu beanstanden und durch die pauschale Angabe des Klägers, die durchschnittliche Trageentfernung habe 40 m betragen, nicht entkräftet, denn er selbst hat nur eine Spanne angegeben, ohne die von ihm erbetene Konkretisierung vorzunehmen. Der Ermittlung einer Durchschnittsbelastung können aber nicht die jeweils geleisteten Maximalbelastungen zugrunde gelegt werden, da sonst ein verfälschtes Belastungsprofil entstünde. Da für die Mehrzahl der Arbeitsplätze keine genauen Aufzeichnungen über den qualitativen und quantitativen Umfang der Tätigkeiten geführt werden, wird die Erstellung eines Belastungsprofils notwendigerweise von Durchschnittswerten ausgehen müssen. Auch die Behauptung des Klägers, er habe 4 bis 7 Stunden täglich in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet, vermag die Ermittlungen des TAD nicht zu entkräften, denn in seinem Schreiben vom 6. Mai 2003 hatte er vorgetragen, er habe je nach Situation stehend, kniend, hockend gebückt gearbeitet, der Anteil der Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung habe je nach Arbeitsschicht zwischen einer halben Stunde und mehreren Stunden betragen. In seinen Erstangaben gegenüber der AOK B hatte er zudem vorgetragen, dass er stundenlang in gebückter Haltung gearbeitet habe, die Arbeit in gebückter Haltung ist aber gerade keine Tätigkeit in extremer Rumpfbeuge, die eine Körperneigung von mehr als 90° im Stehen erfordert. Wenn also die Beklagte als Durchschnittswerte für die unterschiedlichen Teiltätigkeiten 0,5 bzw. 1,25 Stunden in extremer Rumpfbeugehaltung berücksichtigt, und sich hierfür auf ihre Branchenkenntnisse stützt, ist dies nachvollziehbar. Auch bei den Angaben des Klägers, dass 12 m lange Stähle verarbeitet worden seien, handelt es sich nicht um einen Durchschnitts- sondern um einen Höchstwert. Seinem eigenen Vortrag zufolge kam dies zwar auf einzelnen Baustellen häufiger vor, gibt jedoch nicht den repräsentativen Durchschnitt wieder. Zudem hat er gegenüber der AOK B angegeben, dass Eisenmatten teilweise zu dritt oder zu viert gehoben und getragen worden seien, während er im Berufungsverfahren vorgetragen hat, diese zu zweit verlegt zu haben, so dass sich im Hinblick auf die Belastungssituation deutliche Widersprüche ergeben. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger Dr. M mitgeteilt hatte, dass er als Eisenflechter bis zu 50 mal pro Arbeitsschicht Gewichte von mehr als 20 kg gehoben und getragen habe, was mit seinen jetzigen Angaben von 60 Hebe- und Tragevorgängen in Einklang steht. Hiermit korrespondieren aber auch die Ermittlungen des TAD, der für die Teiltätigkeit Eisen biegen etc. von insgesamt 90 bzw. 120 Hebe- und Tragevorgängen ausgeht und für die Teiltätigkeit auf der Baustelle von 120 bis 130 Hebe- und Tragevorgängen, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger den Hebe- und Tragevorgang als einheitlichen Vorgang sieht, während der TAD diesen in Heben und Tragen aufteilt. Schließlich vermag auch die pauschale Behauptung, die Belastungen in Polen seien deutlich höher als in Deutschland gewesen, zumal nicht so viele Transport- und Hebemöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, nicht die Ermittlungen des TAD zu entkräften. Hier widerspricht sich der Kläger, da er an anderer Stelle behauptet, die auf den Baustellen vorhandenen Hilfsmittel – wie etwa Krane – seien für sein Gewerk nicht verfügbar gewesen.

Anders als das Sozialgericht, vermochte sich der Senat auch nicht vom Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zu überzeugen. Alle Gutachter haben zwar übereinstimmend eine Schädigung im LWS-Segment L 4/5 festgestellt, während sich die übrigen Segmente der LWS mit Ausnahme des Segments L1/2 als nicht das Altersmaß überschreitend degenerativ verändert darstellten, so dass grundsätzlich von einer monosegmentalen Schädigung auszugehen ist, die nach der wohl herrschenden Meinung in der medizinisch-juristischen Fachliteratur die Ablehnung eines Ursachenzusammenhangs wegen nur monosegmentaler Verteilung nicht zu begründen vermag. Aus rechtlicher Sicht kann somit ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang zwischen einem schwerpunktmäßig auf die beiden unteren Segmente der LWS konzentrierten Schaden und einer langjährigen äußeren Einwirkung nicht mit dem Hinweis ausgeschlossen werden, dass in der ganz überwiegenden Zahl der in der Gesamtbevölkerung angetroffenen Bandscheibenveränderungen im Bereich der LWS ebenfalls diese beiden unteren Segmente schwerpunktmäßig betroffen sind (Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheitenverordnung, M 2108 Anm. 7.1, S. 28). Bei dem Kläger ist die Bandscheibenschädigung jedoch nicht auf das Segment L 4/5 beschränkt. Vielmehr finden sich nach den von Prof. Dr. W, Prof. Dr. N und Dr. O ausgewerteten Röntgenbefunden degenerative Veränderungen auch im Segment L 1/2 und nach dem von Prof. Dr. W in seinem Gutachten erwähnten CT-Befund vom 6. Februar 1996 außerdem deutliche mediale Bandscheibenprotusionen und eine ausgeprägte Spondylose im Bereich C 4 bis C 7. Dieser Befund korrespondiert mit den Angaben im Befundbericht der Orthopädin Dr. S, die ein chronisches Cervikalsyndrom diagnostiziert hatte, und dem Gutachten des Neurochirurgen Dr. Z, demzufolge auch im HWS-Bereich Beschwerden bestünden, die CT-graphisch objektiviert seien. Da somit in Bezug auf die gesamte Wirbelsäule von einer polysegmentalen Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung auch der HWS auszugehen ist, ist kein Ursachenzusammenhang zwischen der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule und der beruflichen Belastung anzunehmen. Eine Anerkennung der beruflichen Belastung als wesentliche Teilursache ist vor diesem Hintergrund nur in Ausnahmefällen möglich, wenn nämlich ausgeprägte berufliche Belastungen vorgelegen haben (Mehrtens/Perlebach aaO., S. 30), was hier jedoch - wie die arbeitstechnischen Ermittlungen zeigen - nicht der Fall war. Die Ausführungen des Dr. M vermögen die übereinstimmenden Bewertungen der übrigen Gutachten nicht zu entkräften, weil er weder eine Auswertung des röntgenmorphologischen Erkrankungsbildes vorgenommen hat noch eine nachvollziehbare Begründung seiner als subjektiv dargestellten positiven Einschätzung des Ursachenzusammenhangs gegeben hat.

Da somit weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen vorliegen, musste die Berufung der Beklagten Erfolg haben, so dass das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben war.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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