L 2 U 119/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 270/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 119/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) und die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1941 geborene Kläger war in der Zeit von Januar 1963 bis März 1976 bei diversen Firmen überwiegend als Kohlenträger beschäftigt, anschließend als Kraftfahrer tätig, davon von März 1976 bis Februar 1987 beim VEB W. Zuletzt war er vom 20. Dezember 1989 an bei der Firma V als Auslieferungsfahrer tätig, wobei er von September 1995 bis März 1997 Auslieferungen zu Einzelkunden vorgenommen hat. Das Beschäftigungsverhältnis endete im März 1997.

Am 23. Juni 1995 erstattete die AOK Berlin eine Verdachtsanzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit, da der Kläger seit dem 9. Juni 1995 wegen eines Cervikalsyndroms, einer Suboccipitalneuralgie ( unter dem Hinterhaupt gelegenes Schmerzsyndrom), eines Trapeziusrandsyndroms und einer Gonalgie beidseits arbeitsunfähig erkrankt sei. Abgesehen von dieser Zeit der Arbeitsunfähigkeit sei der Kläger vom 16. bis zum 23. April 1993 wegen einer Lumbalgie krankgeschrieben gewesen. Die Beklagte holte Befundberichte des den Kläger seit Juni 1995 behandelnden Orthopäden Dr. L ein, der deutliche Bewegungseinschränkungen für Dreh- und Neigbewegungen im Bereich der Halswirbelsäule mit Schmerzausstrahlungen in beide Schultern und Oberarme, druckschmerzhafte Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich sowie Druckschmerzhaftigkeit suboccipital beidseits mitteilte, sowie der Internistin Dr. B ein. Dr. Bgab eine erstmalige Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden am 19. Juni "1985” (gemeint: 1995) und als Befund Druckschmerz, Klopfschmerz untere Lendenwirbelsäule, keine Sensibilitätsstörungen an. Nach einem Ermittlungsbericht des Technischem Aufsichtsdienstes vom 8. Januar 1996 übte der Kläger bei der Firma V keine gefährdende Tätigkeit im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 aus, weil die Häufigkeit des Hebens und Tragens nicht die vorgegebenen Kriterien erfülle.

Die von der Beklagten angehörte Gewerbeärztin Dr. S konnte keine haftungsausfüllenden Befunde für eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 bzw. 2109 feststellen.

Mit Bescheid vom 12. Februar 1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Wirbelsäulen-erkrankung als Berufskrankheit ab. Die Voraussetzungen der Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach Nr. 2108 BKVO und einer Erkrankung der Halswirbelsäule nach Nr. 2109 BKVO seien nicht erfüllt. Der Staatliche Gewerbearzt habe festgestellt, dass die Erkrankung nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei.

Mit seinem Widerspruch verwies der Kläger auf ein Attest von Dr. L vom 5. Oktober 1995, nach dem er an degenerativen Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule leide. Es komme zu schmerzhaften Wurzelirritationen im Sinne von cervikalen Schulter-Armsyndromen und Lumbalgien mit ischialgieformen Beschwerden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12. März 1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die von dem Kläger angegebenen Beschwerden seien nach den fachärztlichen Befunden eindeutig auf schicksals- und anlagebedingte sowie degenerative Leiden zurückzuführen. Der vom Kläger vorgelegte Bescheid des Versorgungsamtes ändere an dieser Einschätzung nichts, weil für die Anerkennung einer Berufskrankheit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflich bedingten schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung nachgewiesen sein müsse.

Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte berücksichtige nicht, dass er von frühester Jugend an körperlich schwer gearbeitet habe. Die von ihm ausgeübte Auslieferungstätigkeit sei vom TAD nicht ausreichend bewertet worden. So habe er ca. 19 Paletten à 400 bis 800 kg zunächst zu beladen, dann mit Hilfe einer "Ameise” zu dem LKW zu bewegen und dort erneut zu verladen gehabt. Bei den Kunden seien die Waren teilweise mit einer Sackkarre in die Räumlichkeiten zu verbringen gewesen. Das Sozialgericht hat ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Berlin zur Akte genommen und Befundberichte zu Leiden des Skelettsystems von Dr. L und Dr. B eingeholt. Nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 3. August 1998 angegeben hatte, von April bis Juli 1989 40 Säcke mit rotem Tennisbelag à 50 kg pro Tag auf der Schulter getragen zu haben, hat das Sozialgericht eine Auskunft der Gartenbau- Berufsgenossenschaft vom 28. September 1998 eingeholt. Danach lasse sich nicht ausschließen, dass der Kläger Säcke habe manuell abladen müssen, wobei auch Tragstrecken von 10 bis 20 m vorgekommen sein könnten. Es sei auch nicht auszuschließen, dass auch Zementsäcke zu tragen gewesen seien. Jedenfalls könne es sich aber nicht um 40 Säcke pro Tag gehandelt haben. Nachdem der Kläger die während seines gesamten Arbeitslebens ausgeübten wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten in einem Fragebogen dargelegt hatte, hat das Sozialgericht von dem Orthopäden Dr. Vein Zusammenhangsgutachten erstatten lassen. Dr. V hat in seinem Gutachten vom 18. Oktober 2000 ausgeführt, der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, die Rückenschmerzen tief unten im Rücken hätten in den siebziger Jahren begonnen. Er habe auch öfter mal einen Hexenschuss gehabt. Cirka 1989 hätten die Beschwerden in der Halswirbelsäule angefangen. Zum zeitlichen Verlauf hat der Gutachter dargelegt, dass dann, wenn man mit den Angaben des Klägers im Gerichtsverfahren einen Beginn der Belastungen im Jahr 1967 und eine Erstmanifestation bandscheibenbedingter Erkrankungen 1975 annehmen würde, diese etwa acht Jahre nach Beginn der potentiellen Belastung eingetreten sei, was gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der belastenden Tätigkeit und der Erkrankung und für eine überragende körpereigene Ursache sprechen könne. Bei dem Kläger kämen an der Lendenwirbelsäule in den Segmenten L2/L3 und geringer L1/L2 die Altersnorm übersteigende bandscheibenbedingte Veränderungen im Sinne der Osteochondrose und Spondylose zur Darstellung, die zu wiederkehrenden Funktionseinschränkungen geführt hätten. Die Veränderungen in den Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S 1 überstiegen nicht die im Alter eines Neunundfünfzigjährigen anzutreffenden Veränderungen. An der Halswirbelsäule fänden sich die Altersnorm übersteigende bandscheibenbedingte Veränderungen in den Segmenten C2/C3 bis C6/C7 von oben nach unten zunehmend, die ebenfalls zu wiederkehrenden Funktionsstörungen und Beschwerden geführt hätten. Die Verteilung der bandscheibenbedingten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule sei nicht typisch für exogene berufliche Belastungen. Insbesondere lasse sich nicht plausibel erklären, dass die oberen beiden Segmente durch exogene berufliche Belastungen wesentlich teilursächlich verändert sein sollten, während die beim Heben und Tragen am stärksten belasteten beiden unteren Segmente nicht betroffen seien. Des weiteren lägen nicht nur an der Hals- und Lendenwirbelsäule, sondern auch an der nicht versicherten Brustwirbelsäule die Altersnorm übersteigende degenerative Veränderungen in mehreren Segmenten vor, wobei nicht nur die untere, funktionell zur Lendenwirbelsäule zu rechnende Brustwirbelsäule betroffen sei, sondern auch die mittlere Brustwirbelsäule. Darüber hinaus liege eine Drehseitverbiegung der Lendenwirbelsäule vor, die bis in die untere Lendenwirbelsäule reiche, wo derartige skoliotische Verbiegungen schlecht kompensiert werden könnten und zu einer asymmetrischen Belastung der Bandscheiben führten. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche schließlich, dass bei dem Kläger eine vermehrte Rundung der Brustwirbelsäule mit ungünstigen statischen Belastungen der oberen Lendenbandscheiben vorliege. Die generalisierte Bandscheibenerkrankung der gesamten Wirbelsäule spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und den bandscheibenbedingten Veränderungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule.

Der Kläger hat hierzu ein freies Gutachten des Chefarztes der orthopädischen Klinik des EF R, Dr. S, vom 11. Juni 2001 eingereicht. Danach deckten sich die von Dr. V erhobenen klinischen und radiologischen Befunde mit den von ihm erhobenen, die er als " chronische Zervikalgie mit ausgeprägter Osteochondrose aller Wirbelsegmente, deutliche Rotationseinschränkung im Bereich der unteren Halswirbelsäule; chronische Dorsalgie mit angulärer Kyphose bei Höhenminderung der Wirbelkörperzwischenräume Th 3 bis Th 6, deutliche osteochondrotische Veränderungen der unteren Hälfte der Brustwirbelsäule mit Abstützreaktionen, leichte rechts-/linkskonvexe Seitverbiegung, eingeschränkte Entfaltung der Wirbelsäulensegmente; chronische Lumbalgie bei Rechts-/ Linkstorsionsskoliose, ausgeprägte osteochondrotische Veränderungen L1 bis L3 mit paravertebralem Hartspann und deutlich eingeschränktem Finger-Bodenabstand” beschrieb. Dr. S ist zu dem Ergebnis gelangt, für beide Berufskrankheiten liege, wenn die bislang unzureichend ermittelten arbeitstechnischen Voraussetzungen festgestellt würden, auch die haftungsausfüllende Kausalität vor, auch wenn die unteren Segmente L4/L5, L5/S1 keinem verstärkten Verschleiß unterlägen. Die Veränderungen der Segmente Th 12-L1 würden gemessen an der Gesamtwirbelsäule ein erhöhtes Maß an Mobilität aufweisen, die über Gebühr für Dreh- und Seitneigungen genutzt worden sei. Da unregelmäßige medizinische Aufzeichnungen und Angaben zu Beschwerden der Wirbelsäule vorlägen, sei es nicht möglich, gewisse Brückensymptome bis zur vollständigen Exazerbation der Beschwerden zu erkennen.

Durch Urteil vom 27. Juli 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 und/oder Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKVO bereits deshalb nicht anerkannt werden könne, weil der Kläger die gefährdende Tätigkeit bereits vor dem 1. April 1988 aufgegeben und danach nicht mehr ausgeübt habe. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Kläger von April bis Juli 1989 eine gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK 2109 und nachfolgend eine belastende Tätigkeit im Sinne der BK 2108 ausgeübt habe, so dass unter Berücksichtigung der früheren belastenden Tätigkeiten die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten erfüllt seien, sprächen Krankheitsbild und -verlauf gegen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zwischen gefährdenden beruflichen Tätigkeiten im Sinne der BK 2108/2109 und den Wirbelsäulenschäden. Die Kammer folge dem Gutachten von Dr. V, das sich mit den entscheidenden arbeits- und sozialmedizinischen Fragen überzeugend und ausführlich auseinandersetze. Seine Darlegungen zum belastungsadäquaten Krankheits- und Schadensbild stehe im Einklang mit dem derzeitigen arbeitsmedizinischen Erkenntnisstand. Bestätigt werde die Annahme von Dr. V, der Kläger leide an einer berufs- und belastungsunabhängigen generalisierten Erkrankung der gesamten Wirbelsäule durch den behandelnden Orthopäden Dr. L. Allein die Tatsache, dass das Krankheitsbild im Bereich der Halswirbelsäule belastungsadäquat für gefährdende Tätigkeiten im Sinne der BK 2109 sei, mache den erforderlichen Zusammenhang zwischen gefährdender Tätigkeit und der Erkrankung nicht hinreichend wahrscheinlich, weil der zeitliche Verlauf der Krankheitsentwicklung eindeutig gegen eine berufliche Verursachung spreche. Eine Erkrankung im Sinne der BK 2109 sei erst 1995 und damit lange Zeit nach dem Ende der letzten gefährdenden Tätigkeit im Jahr 1989 eingetreten. Das Gutachten von Dr. S beschränke sich im Wesentlichen auf die Darstellung der Beschwerden und Befunde. Die entscheidende Frage beantworte Dr. S hingegen nur äußerst knapp, ohne sich mit der Problematik des Krankheitsbildes und der Annahme einer generalisierten Erkrankung der gesamten Wirbelsäule auseinanderzusetzen.

Gegen das am 10. August 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 25. August 2001, mit der er die von ihm ausgeübten Tätigkeiten und die dabei bewegten Lasten im Einzelnen geschildert hat. Die Tatsache, dass er ab Dezember 1989 nach den Berechnungen der Beklagten nicht mehr belastend tätig gewesen sei, sei unerheblich, weil auch eine geringere Belastung genügt habe, die durch die früheren Tätigkeiten angelegten, degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule voranzutreiben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2001 sowie den Bescheid vom 12. Februar 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. März 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung von Berufskrankheiten nach Nrn. 2108 und 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat Kopien der Eintragungen zu den Heilbehandlungen der Sozialversicherungsausweise des Klägers aus dem Zeitraum Dezember 1965 bis Februar 1987 zur Akte genommen und Berechnungen nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell für die Zeiträume 1963 bis 1976 von der Großhandels- und Lagerei – Berufsgenossenschaft und von Dezember 1989 bis März 1997 von der Beklagten erstellen lassen. Danach ist für den Zeitraum vom 31. Januar 1963 bis 19. März 1976 für die überwiegende Beschäftigung als Kohlenträger eine Gesamtdosis von 25,2 Mega-Newton-Stunden (Mega-Nh) zugrunde zu legen. Zu den Zeiten von Dezember 1989 bis August 1995 hat der TAD der Beklagten am 22. April 2002 ermittelt, dass der Kläger eine Auslieferungstour zu Großkunden gefahren habe. Dabei seien volle Paletten mittels Hubwagen bzw. Ameise auf das Fahrzeug herauf bzw. herab geschoben worden. Von September 1995 bis März 1997 sei der Kläger zu Einzelkunden gefahren, wobei das Auslieferungsgut abgestapelt und beim Kunden wieder auf Sackkarren geladen worden sei. Es ergebe sich eine Belastungsdosis pro Schicht von cirka 3500 Nh für diesen Zeitraum. Auf den Einwand des Klägers, bei den Auslieferungstouren zu Einzelkunden habe er Transportgut mit einem Gewicht von 100 bis 140 kg mit der Sackkarre Treppen hinauf und hinunter transportieren zu müssen, hat der TAD seine Berechnung am 20. Juli 2004 dahingehend ergänzt, dass das Bewegen der Waren mit der Sackkarre einem Umsetzen gleich zu erachten sei. Sei 30% der Ware über Treppen aufwärts zu transportieren gewesen, so seien 12 Sackkarren mit einem Gewicht von 120 kg über angenommene 15 Stufen als 180 Umsetzungen zusätzlich zu berücksichtigen. Dies zugrunde gelegt, ergebe sich eine Belastungsdosis von 4220 Nh pro Schicht. Der Richtwert von 5500 Nh werde nicht erreicht.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG)hat der Senat ein Gutachten von dem Chefarzt der Orthopädischen Klinik des M Df Kaiserswerth, Dr. S, vom 16. Februar 2004 eingeholt. Dieser hat bei dem Kläger ein chronisch rezidivierendes degeneratives Cervikalsyndrom bei fehlenden neurologischen Defiziten und mäßiggradigen funktionellen Einschränkungen, ein chronisch rezidivierendes Brustwirbelsäulensyndrom mit vermehrter Kyphose der Brustwirbelsäule und linkskonvexer Skoliose bei fehlenden neurologischen Defiziten und geringen funktionellen Einschränkungen sowie ein chronisch rezidivierendes degeneratives Lumbalsyndrom bei skoliotischer Fehlstellung mit mäßiggradigen funktionellen Einschränkungen festgestellt. Ein genauer Beginn der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule könne nicht festgelegt werden, da es sich um chronisch degenerative Krankheitsbilder handele. Es könne nicht zweifelfrei beurteilt werden, ob der Beginn der Beschwerden im Jahr 1973 auch der Beginn der bandscheibenbedingten Erkrankung sei. Die pathologisch anatomischen bandscheibenbedingten Veränderungen im Sinne einer polysegmentalen Osteochondrose und Spondylose zeigten vor allem im Segment L2/L3 eine das altersübliche Maß übersteigende Veränderung. Die Veränderungen der unteren Brustwirbelsäule sowie der oberen Lendenwirbelsäule würden sich von den übrigen Abschnitten der Brust- und Lendenwirbelsäule erkennbar abheben und der Altersnorm erheblich vorauseilen. Die Segmente der unteren Brustwirbelsäule sowie der oberen Lendenwirbelsäule seien für vermehrte Dreh- und Seitneigungen genutzt worden, weshalb es zu einer Ermüdungserscheinung des Bandscheibengewebes und der Wirbelgelenke vor allem im Segment L2/L3 gekommen sei. Die vorhandene Skoliose sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als außerberuflicher Faktor zu betrachten, auch könne die skoliotische Seitverbiegung eine Folge der bandscheibenbedingten Veränderungen an der Wirbelsäule sein. Es seien vor allem die unteren cervikalen Bewegungssegmente die Altersnorm übersteigend verändert. Hier hätten wiederholte Torsionsbeanspruchungen und asymmetrische Belastungen über einen längeren Zeitraum zu Vermürbungserscheinungen geführt. Als maßgeblich schädigender Faktor sei das Tragen von Lasten auf dem Schultergürtel mit nach vorn bzw. seitwärts erzwungener Kopfbeugehaltung verantwortlich. Auch die von Dr. Vangesprochenen prädiskotischen Deformitäten, wie Seitverbiegung und vermehrte Rundung der Brustwirbelsäule sprächen nicht gegen einen Zusammenhang, sondern könnten auch Folge einer berufsbedingten Überlastungserscheinung sein, weshalb sie als konkurrierende Ursachenfaktoren auszuschließen seien.

Dagegen hat die Beklagte eingewandt, dass keine konkrete Auseinandersetzung mit der Zeitspanne zwischen Beginn der Erkrankung und dem Ende der belastenden Tätigkeit erfolge. Behandlungen vor 1993 bzw. 1995 ließen sich nicht nachweisen. Von einem zuvor eingetretenen Schadensfall könne nicht ausgegangen werden.

Zum Beweis dafür, dass er auch von 1989 bis 1997 weitaus mehr Lasten habe bewegen, tragen und heben müssen, hat sich der Kläger auf das Zeugnis seiner Kollegen D R und M W bezogen, von denen er jeweils Kurzberichte zur Akte gereicht hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des SG - S 67 U 270/96) und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2109 der Anlage 1 zur BKVO.

Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 RVO bezeichneten Tätigkeiten erleidet. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können”, während durch Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKVO "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können” erfasst werden.

Die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als einer solchen nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO setzt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule voraus, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben. Als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein.

Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungs-begründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (BSG, SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N.).

Der Kläger leidet nach einhelliger Auffassung der im Verfahren angehörten Sachverständigen an einer bandscheibenbedingten Erkankung der Hals- und der Lendenwirbelsäule. Dabei ist unter Berücksichtigung der zur Akte gelangten Unterlagen über die verschiedenen Erkrankungen des Klägers davon auszugehen, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule erstmals 1993 festgestellt wurde. Denn die in den Sozialversicherungsausweisen des Klägers aufgeführten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit beruhten den verwendeten Diagnoseschlüsseln zufolge überwiegend auf " sonstige(n), nicht die Gelenke betreffende Formen des Rheumatismus” (717), bzw. "Veränderungen des Iliosakralgelenks”(726) und "sonstige(n) Krankheiten der Knochen”(723), während die Diagnose "Zwischenwirbelscheibenvorfall” (725) an keiner Stelle auftaucht.

Er erfüllt nach der Auskunft der Großhandels- und Lagerei- Berufsgenossenschaft auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2108 durch seine bis 1976 ausgeübte Tätigkeit als Kohlenträger. Für den anschließenden Zeitraum bis 1987 hat die Beklagte angenommen, dass der Kläger weiterhin wirbelsäulenbelastend tätig gewesen ist. Der Kläger ist auch in seiner letzten Beschäftigung von 1989 bis 1997 jedenfalls wirbelsäulenbelastend tätig gewesen, da er in dem Zeitraum von 1995 bis 1997 einer von der Beklagten geschätzten Belastung von 4420 Nh ausgesetzt war. Diese Zeiten sind entgegen der Auffassung der Beklagten für die Frage, ob der Versicherungsfall nach dem 1. März 1988 eingetreten ist, ebenfalls zu berücksichtigen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-5670 Anl.1 Nr. 2108 Nr. 2) ist die Teil des Versicherungsfall darstellende Tätigkeitsaufgabe nicht bereits dann gegeben, wenn diejenige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird, welche die BK herbeigeführt oder verschlimmert hat, sondern für die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO ist zu fordern, dass die darin genannten belastenden Tätigkeiten, nämlich das Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung in vollem Umfang aufgegeben sein müssen , auch wenn eine Schädigung hierdurch nicht wahrscheinlich ist.

Der Senat kann jedoch - wie schon das Sozialgericht - nicht den Kausalzusammenhang zwischen der die Lendenwirbelsäule belastenden Tätigkeit des Klägers und seiner bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen. Gegen einen Kausalzusammenhang hat Dr. V nachvollziehbar mehrere Kriterien dargelegt. Abgesehen von einem eher untypischen Schadensbild an den Segmenten L2/L3 und L 3/L4 liegt bei dem Kläger eine Drehseitverbiegung der Lendenwirbelsäule vor, die bis in die untere Lendenwirbelsäule hineinreicht, wo derartige Verbiegungen zu einer asymmetrischen Belastung der Bandscheiben im Sinne einer prädiskotischen Deformität führen. Ferner tragen Veränderungen an der Brustwirbelsäule mit leichter Keilform der Wirbelkörper im Krümmungsscheitel zu einer ungünstigen statischen Belastung der Lendenbandscheiben bei. Ausschlaggebend dafür, dass keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Erkrankung der Lendenwirbelsäule und der belastenden Tätigkeit gegeben ist, ist jedoch nach Dr. V vor allem, dass an allen drei Abschnitten der Wirbelsäule die Altersnorm übersteigende bandscheibenbedingte Veränderungen vorliegen. Demgegenüber müssen sich die Bandscheibenschäden der unfallmedizinischen Literatur zufolge im beruflich belasteten Abschnitt deutlich vom Degenerationszustand belastungsferner Abschnitte abheben (Vgl. Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Aufl. 2003, unter 8.3.5.5.4.3, S. 579).

Diese gegen einen Kausalzusammenhang sprechenden Argumente werden weder durch die Ausführungen von Dr. S noch durch das auf Antrag des Klägers eingeholte Gutachten von Dr. S widerlegt. Dr. S begründet die Veränderungen der Segmente Th 12 bis L1 damit, dass diese - gemessen an der Gesamtwirbelsäule - ein erhöhtes Maß an Mobilität aufweisen und über Gebühr für Dreh- und Seitneigungen genutzt worden sein können. Belastungen durch Dreh- und Seitneigungen werden jedoch als solche nicht durch die Berufskrankheit erfasst, sondern könnten als besondere Belastungen dann berücksichtigt werden, wenn sie zugleich mit schwerem Heben und Tragen verbunden wären. Dafür, dass der Kläger durch derartige Bewegungsabläufe besonders belastet gewesen wäre, lässt sich dem gesamten Akteninhalt nichts entnehmen. Lediglich in der im Berufungsverfahren eingeholten Arbeitsplatzanalyse der Großhandels- und Lagerei- Berufsgenossenschaft ist vermerkt, dass der Kläger bei der Lieferung der Kohlen in Kellerräume bedingt durch eine niedrige Deckenhöhe eine Seitneigung des Kopfes habe einnehmen müssen. Hieraus ist jedoch nicht auf eine sich auf die untere Brustwirbelsäule auswirkende Belastung zu schließen. Mit den weiteren von Dr. V aufgeführten Gründen, die gegen eine berufliche Verursachung sprechen, setzt sich Dr. Snicht auseinander.

Auch Dr. S sieht die Segmente der unteren Brust- und der oberen Lendenwirbelsäule durch vermehrte Dreh- und Seitneigungen als besonders belastet an. Darüber hinaus vertritt er die Auffassung, die von Dr. Vangesprochenen prädiskotischen Deformitäten sprächen nicht gegen einen Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen, sondern könnten auch Folge einer berufsbedingten Überlastungserscheinung sein. Diese allgemein gehaltene Aussage enthält für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs zwischen der beruflichen Belastung und der beim Kläger vorhandenen Skoliose keine Begründung dafür, warum die von Dr. V als besonders schwer ausgleichbar beschriebene Skoliose anders als im Regelfall keinen wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktor darstellen soll.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der BKVO sind ebenfalls nicht erfüllt.

Der Kläger erfüllt nach den Ermittlungen der Großhandels- und Lagerei- Berufsgenossenschaft die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2109.

Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen ist jedoch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der von allen Gutachtern anerkannten bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule und der beruflichen Exposition nicht hinreichend wahrscheinlich. Durch Nr. 2109 werden bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule erfasst, die durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter verursacht worden sind.

Ein derartiger ursächlicher Zusammenhang zwischen der belastenden Tätigkeit, die allenfalls bis 1989 ausgeübt worden ist, und einer erstmals für den 8. Juni 1995 nachgewiesenen Behandlungsbedürftigkeit eines HWS-Syndroms und erstmals im Januar 1993 diagnostizierten degenerativen Spondylose der Halswirbelsäule kann nicht festgestellt werden. Auch insoweit verneint Dr. V unter dem Gesichtspunkt einer generalisierten Wirbelsäulenerkrankung einen Kausalzusammenhang. Abgesehen davon setzt die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung chronische oder chronisch-rezidivierende Beschwerden voraus, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Belastung aufgetreten sein müssen. Ein erstmaliges Auftreten der Beschwerdesymptomatik nach Aufgabe der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit ist mit einer beruflichen Verursachung des zugrunde liegenden Bandscheibenschadens nicht zu vereinbaren ( vgl. Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung Nr. 2108 Anmerkung 5.4 am Ende). Zwar hat der Kläger angegeben, seit 1975 an Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule zu leiden. Dass es sich hierbei um Beschwerden aufgrund einer bandscheibenbedingten Erkrankung gehandelt haben könnte, lässt sich jedoch den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers, die auch für 1975 nur die fachbezogene Diagnose 717 aufweisen, nicht entnehmen. Argumente für einen Kausalzusammenhang finden sich weder im Gutachten von Dr. S noch in dem von Dr. S.

Nach alledem hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

Die dem Ergebnis in der Hauptsache folgende Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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