L 2 U 39/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 203/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 39/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2000 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Lendenwirbelsäulen- (LWS-) Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und eine Verletztenrente zu zahlen ist.

Der 1943 geborene Kläger war nach einer Lehre seit 1962 als Betonbauer/ Eisenflechter bei insgesamt 12 Firmen beschäftigt, davon seit Juli 1992 bei der Firma D und W AG. Dort verrichtete er nach seinen Angaben - wie auch zuvor - alle Eisenverlegearbeiten. Seit dem 12. Februar 1995 war er arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger bezieht seit dem 1. Juli 1997 eine Berufsunfähigkeitsrente.

Aufgrund einer vom Kläger veranlassten Verdachtsanzeige des Internisten Dr. G vom 29. Juli 1998 ermittelte die Beklagte die belastenden Tätigkeiten bei dem letzten Arbeitgeber, der angab, der Kläger habe Bewehrungseisen von maximal 50 kg heben und tragen müssen. Decken- und Sohlenbewehrungen hätten in extremer Rumpfbeuge bis 4 Stunden pro Tag vorgenommen werden müssen. Der Kläger gab in einem Fragebogen der Beklagten die von ihm während der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse ausgeübten belastenden Tätigkeiten sowie die Art des Tragens und die dabei bewegten Gewichte an. Unter Einschaltung ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 erfüllt seien. Anschließend holte sie ein Vorerkrankungsverzeichnis und eine Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. R ein, der eine Begutachtung empfahl. Der mit einer Kausalitätsbeurteilung beauftragte Orthopäde Prof. Dr. Sch stellte in Zusammenarbeit mit Dr. W in seinem Gutachten vom 3. Mai 1999 eine geminderte Trag- und Bewegungsfunktion der Lendenwirbelsäule fest. Diese resultiere aus einer hochgradigen Verschleißerscheinung in dem Bewegungssegment L5/S1 mit einer hochgradigen Bandscheibenschädigung. Durch den Bandscheibenschaden und durch die verschleißbedingte Einengung der Nervenwurzelaustrittslöcher könnten jederzeit Nervenwurzelirritationen entstehen. Die radiologisch gesicherten verschleißbedingten Veränderungen im Bandscheibenraum sowie die Verschleißerscheinungen an den Wirbelkörper-Abschlussplatten seien nach caudal zunehmend ausgeprägt. Die angegebenen Verschleißerscheinungen gingen deutlich über das Altersmaß hinaus. Es bestehe eine Kongruenz zwischen Schadensort, Schmerzort und Ort der Funktionsminderung sowie den Röntgenbefunden. Das Maß der im Bewegungssegment C6/C7 bestehenden Verschleißerscheinungen sei im Vergleich zur Schädigung der Lendenwirbelsäule nicht übermäßig ausgeprägt. Es träten lokale Schmerzzustände im unteren Lendenwirbelsäulenbereich auf, die sich bei Belastung und bei funktionellen Bewegungen verstärkten. Auch ohne ständige Nervenwurzelirritation liege eine Berufskrankheit vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- betrage 20 v.H.

Nachdem die Gewerbeärztin Fdie Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 empfohlen hatte, holte die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage von der sie beratenden Ärztin Dr. He (Chirurgie/Unfallchirurgie) ein. Diese gelangte am 11. Oktober 1999 zu der zusammenfassenden Beurteilung, der Befund am Lendenbandscheibensystem sei nicht altersüberschreitend. Im Hinblick auf die in der Bevölkerung verbreiteten Bandscheibenleiden sei, um eine Berufskrankheit zu postulieren, ein Befund nachzuweisen, der einer Linksverschiebung gleichkomme. Außerdem sei unter Würdigung der beruflichen Voraussetzungen von 25 Jahren belastender Tätigkeiten ein mehrsegmentaler Aufbrauch zwingend zu fordern. Die Lokalisation der Veränderungen entspreche nicht der beruflichen Exposition, da auch an der Halswirbelsäule degenerative Umformungen nachweisbar gewesen seien.

Durch Bescheid vom 16. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar 2000 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 ab. Es fehle an einem mehrsegmentalen bandscheibenbedingten Schaden der Lendenwirbelsäule. Da in der Ausprägung auch gleichwertige bandscheibenbedingte Schäden der Halswirbelsäule festzustellen seien, liege eine besondere Betroffenheit der Lendenwirbelsäule nicht vor.

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht hat die Beklagte am 18. Dezember 2000 dazu verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO eine Verletztenteilrente nach einer MdE von 20 v.H. ab 13. Februar 1995 zu gewähren. Die Kammer folge dem Gutachten des Prof. Dr. Schdas durch die Ausführungen von Dr. H nicht erschüttert worden sei. Das Vorliegen eines monosegmentalen Bandscheibenschadens spreche nicht prinzipiell gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit, da es keine "herrschende Meinung" in der medizinischen Literatur gebe, die nur eine polysegmentale Schädigung der Lendenwirbelsäule als belastungskonform ansehe. Auch sprächen die degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule nicht gegen die Anerkennung einer Berufskrankheit, da Prof. Dr. Sch nur eine mäßige Osteochondrose in dem Segment C 6/7 ohne neurologische Ausfälle oder erhebliche Schmerzzustände festgestellt habe. Die Kammer folge dem Gutachten von Prof. Dr. Sch auch hinsichtlich der MdE, die aufgrund der schmerzbedingten Beeinträchtigungen der Bewegungsfunktion der Lendenwirbelsäule nachvollziehbar sei. Die Rente beginne mit dem Eintritt des Versicherungsfalls, nämlich der Aufgabe der belastenden Tätigkeit am 13. Februar 1995.

Gegen das ihr am 14. Februar 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 6. März 2001. Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2108 erfüllt seien. Hierzu hat sie eine Stellungnahme von Dr. Sch vom 17. Mai 2001 eingereicht. Danach seien den verschiedenen Röntgenaufnahmen bei L4/ 5 und den darüber liegenden Wirbelkörpern keine sklerodierenden Veränderungen oder Höhenverminderungen der Zwischenwirbelräume zu entnehmen, im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule bestünden nur mäßig nach vorn ragende Spondylosen. Als belastungskonform könne man ein Schadensbild dann bezeichnen, wenn sich an allen Lendenwirbeln dem Alter deutlich vorauseilende osteochondrotische und spondylotische Reaktionen fänden, wobei eine Betonung der Osteochondrose im unteren und der Spondylose mehr im oberen Bereich der LWS für die Verursachung durch körperliche Belastungen sprächen. Ein solches Befundbild fehle. Auch sei die bestehende lumbosakrale Asymmetrie nicht berücksichtigt worden. Schließlich sei die Einschätzung einer MdE von 20 v.H. nicht nachvollziehbar. Bei Fehlen jeglicher neurologischer Befunde Wurzelreizerscheinungen aus einem Bildbefund ableiten zu wollen, entspreche nicht einer ordnungsgemäß durchgeführten Diagnostik. Bei einer mäßigen Bewegungsstörung der Lendenwirbelsäule sei die MdE mit unter 10 v.H. zu beziffern.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. Sch eingeholt. Dieser hat darauf verwiesen, dass die Bewegungseinschränkung anhand des Finger-Boden-Abstandes und der Verspannungsneigung der Rückenmuskulatur festgestellt worden sei. Es sei eine hochgradige Degeneration der Bandscheibe L5/S1 nachgewiesen. Die Lokalisation entspreche exakt der beruflichen Exposition, weil aufgrund der Hebelwirkung das stärkstbelastete Segment betroffen sei.

Anschließend hat der Senat den Arzt für Orthopädie Dr. B zum Sachverständigen ernannt, der in seinem Gutachten vom 15. Mai 2003 mit Verwunderung festgestellt hat, dass bisher weder von den Gutachtern noch von den behandelnden Ärzten eine CT- oder kernspintomographische Untersuchung der Lendenwirbelsäule veranlasst worden sei, obwohl zwei CT-Untersuchungen der Halswirbelsäule, eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule und eine solche beider Hüftgelenke zur Verfügung gestanden hätten. Zeitlebens hätten bei dem Kläger eher Halswirbelsäulenbeschwerden im Vordergrund gestanden als Symptome der Lendenwirbelsäule. Vor dem Hintergrund einer kontroversen Auseinandersetzung über die Kriterien einer Anerkennung der Berufskrankheit seien die eigentlichen Bandscheibenvorfälle ganz aus dem Blickfeld geraten. Eindeutige neurologische Defizite im Bereich der unteren Extremitäten seien nicht feststellbar. Prof. Dr. Sch habe in seinem Gutachten degenerative Veränderungen des gesamten Organs, insbesondere an der Halswirbelsäule dokumentiert, so dass mit Wahrscheinlichkeit von einem konstitutionell bedingten, degenerativen Schaden auszugehen sei. Arbeitsunfähigkeitszeiten hätten eher wegen anderer Veränderungen des Bewegungsapparates bestanden.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten des leitenden Chefarztes der Orthopädischen Fachklinik des O, Dr. M, vom 10. November 2003 eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, es bestände keine Beinlängendifferenz, die für eine asymmetrische Belastung der Lendenwirbelsäule verantwortlich sein könne, noch eine lumbosakrale Übergangsstörung, die für eine verfrühte und verstärkte Bandscheibendegeneration verantwortlich gemacht werden könne. Auch an der Brustwirbelsäule habe kein funktionelles Defizit bei dem Verdacht eines alten Scheuermanns mit einer Höhenminderung der Vorderkante des 12. Brustwirbelkörpers bestanden. Bezüglich der Bandscheibendegeneration im Bereich der HWS und der mäßigen degenerativen Veränderungen im Bereich der BWS stelle die Osteochondrose L 5/ S1 in gewissem Sinne einen Quantitätssprung dar. Deshalb habe trotz gewisser konkurrierender Erkrankungen die monosegmentale Osteochondrose L 5/S1 und die darüber liegende Spondylose ihre Hauptursache in der beruflichen Exposition. Nach 25 Jahren wirbelsäulenbelastender Tätigkeit und Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen halte er bei Berücksichtigung der konkurrierenden Faktoren die berufliche Exposition für richtungweisend. Die MdE sei im Hinblick auf die hochgradige Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule mit 20 v.H. zu bewerten.

Hierzu hat die Beklagte ein Gutachten nach Aktenlage von dem Facharzt für Orthopädie Dr. W-R vom 26. Februar 2004 eingeholt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass in den Vorgutachten ein bandscheibentypisches Beschwerdebild wie Lumboischialgien und dermatombezogene Sensibilitätsstörungen oder gar motorische Ausfälle zu keinem Zeitpunkt vorhanden gewesen seien. Die klinische Symptomatik habe sich über Jahre nicht von derjenigen unterschieden, die auch im Rahmen von allgemeinen degenerativen Verschleissprozessen auftreten würde. Deshalb sollten zumindest Tomographieaufnahmen vorliegen, um den wesentlichen Anteil des Bandscheibenschadens am Krankheitsgeschehen darstellen zu können. Abgesehen davon könne die Anerkennung einer berufsbedingten Erkrankung nur dann erfolgen, wenn belastungsadaptive Reaktionen vorlägen. Derartige Reaktionen fänden sich nicht im Bereich der LWS und des thorakolumbalen Übergangs. Lägen derartige Reaktionen nicht vor, bedürfe die Anerkennung einer berufsbedingten Erkrankung einer besonders plausiblen Begründung. Es müssten dann besonders schwerwiegende morphologische Veränderungen wie z.B. ein Massenvorfall vorliegen.

Die Beklagte hat eine Berechnung der Wirbelsäulenbelastungen des Klägers anhand des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) vorgenommen. Danach sei der Kläger in der Praxis zu cirka 70% der Gesamtarbeitszeit als Armierer mit Transportarbeiten eingesetzt gewesen. Stabstäbe und Baustahlmatten sowie teilweise vorgefertigte Bewehrungskörbe seien vom LKW oder Kran aus transportiert und von Hand eingebaut und miteinander verbunden worden. Der Kläger habe je nach Projektgröße in einer 5-Mann-Kolonne gearbeitet. Zu je 10% der Arbeitszeit sei der Kläger mit Verlegearbeiten, Stemm- und Abbrucharbeiten und Einschalarbeiten betraut gewesen. Bei den Transportarbeiten seien etwa eine Tonne pro Mann und Tag von Hand transportiert worden. Bei den Verlegearbeiten seien ebenfalls eine Tonne pro Mann und Tag an Materialien bewegt worden. Bei den Einschalarbeiten hätten Schaltafeln, Kanthölzer, Bretter und Bohlen bewegt werden müssen. Am 7. April 2004 gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, es liege eine Gesamtdosis von 6,45 Mega-Newton-Stunden vor. Der Dosiswert von 25 Mega-Newton-Stunden werde nicht erreicht.

Auf die Einwände des Klägers, dass der Zeitraum vom 21. April 1974 bis zum 6. Januar 1975 gar nicht berücksichtigt worden sei und im Übrigen von zu niedrigen Gewichten und zu wenig Zementsäcken ausgegangen worden sei, hat die Beklagte im Einzelnen dargelegt, dass die vom Kläger angegebenen Gewichte nicht von ihm allein hätten bewegt werden können. Unter Berücksichtigung des vom Kläger zu Recht angegebenen weiteren Zeitraums ergebe sich eine Gesamtdosis von 6,6 Mega-Newton-Stunden.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Schadensbild des Klägers an der Lendenwirbelsäule ist nicht als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der BKVO anzuerkennen.

Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung ( RVO), da die von ihm geltend gemachte Berufskrankheit mit Beendigung der letzten belastenden Tätigkeit am 12. Februar 1995 durch Arbeitsunfähigkeit vor dem In-Kraft-Treten des Sozialgesetzbuch (SGB) VII am 1. Januar 1997 eingetreten ist.

Wegen der gesundheitlichen Folgen eines Arbeitsunfalls wird gemäß § 581 Abs.1 RVO Verletztenrente gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Nach § 551 Abs.1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall mit entsprechender Entschädigungspflicht auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 RVO bezeichneten Tätigkeiten erleidet. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als einer solchen nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO setzt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule voraus, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben. Als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein.

Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (BSG, SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m.w. N.).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule und der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als Betonbauer und Eisenflechter festgestellt werden.

Zwar liegen nach den Feststellungen der Gutachter Prof. Dr. Sch/ Dr. W bei dem Kläger erhebliche, über das altersgemäße Ausmaß deutlich hinausgehende Bandscheibenschädigungen und degenerative Veränderungen im Bereich der LWS-Segment L5/S1 vor. Außerdem bestehen degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule.

Schon an dem Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung, die nach den oben dargestellten Beweisgrundsätzen nachgewiesen sein muss, verbleiben nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme gewisse Zweifel. Hierzu hat nicht nur der von der Beklagten gehörte Dr. Sch darauf verwiesen, dass allein ein Bildbefund vorgelegen habe, während es an einem entsprechenden klinischen Befund fehle. Auch Dr. B hat unter Berücksichtigung der Vorgeschichte, der Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie der von den behandelnden Ärzten veranlassten Untersuchungen die Auffassung vertreten, dass bei dem Kläger jedenfalls anderweitige Erkrankungen des Bewegungsapparates im Vordergrund gestanden hätten. Dr. W-R hat ergänzend darauf verwiesen, dass zu keinem Zeitpunkt der Beschwerdeanalyse ein bandscheibentypisches Erscheinungsbild aufgetreten sei. Dementsprechend hat der Internist Dr. G, der die Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet hatte, angegeben, dies auf Wunsch des Klägers getan zu haben.

Jedenfalls ist ein Zusammenhang zwischen den von allen Gutachtern beschriebenen degenerativen Veränderungen im Bereich L5 /S1 und der belastenden Tätigkeit des Klägers nicht hinreichend wahrscheinlich. Allerdings haben Prof. Dr. Sch/ Dr. W die Auffassung vertreten, dass zwischen der langjährigen Tätigkeit des Klägers, die auch von der Beklagten - bis zu dem Zeitpunkt, als eine Berechnung nach dem MDD durchgeführt worden ist - als wirbelsäulengefährdend und generell geeignet im Sinne der BK-Nr. 2108 eingestuft worden war, und der bandscheibenbedingten Erkrankung ein Kausalzusammenhang bestehe. Diese Auffassung hat Prof. Dr. Sch im Berufungsverfahren mit dem Argument aufrechterhalten, dass auch ein monosegmentaler Bandscheibenschaden bei nur leichten degenerativen Veränderungen in den übrigen Lendenwirbelsäulensegmenten nicht gegen eine berufliche Verursachung spreche.

Hiergegen hat jedoch Dr. Beingewandt, dass aufgrund der dokumentierten degenerativen Veränderungen insbesondere der Halswirbelsäule mit Wahrscheinlichkeit von einem konstitutionell bedingten, degenerativen Schaden auszugehen sei. Dies hat der Gutachter für den Senat nachvollziehbar damit begründet, dass die Wirbelsäule dem Kläger offensichtlich während seiner beruflichen Tätigkeit kaum Probleme verursacht habe, sondern Arbeitsunfähigkeitszeiten eher wegen anderer Veränderungen des Bewegungsapparates bestanden hätten. Demgegenüber hat zwar der auf Antrag des Klägers gehörte Dr. M einen Quantitätssprung des Befundes an der Lendenwirbelsäule gegenüber den in den anderen Bereichen der Wirbelsäule bestehenden degenerativen Veränderungen angegeben. Hieraus hat er auf eine richtungsweisende Verursachung durch die berufliche Exposition geschlossen.

Dem kann der Senat sich jedoch nicht anschließen. Dies ergibt sich allerdings nicht allein aus dem von Dr. Sch und Dr. H in den Vordergrund gerückten Fehlen der belastungsadaptiven Reaktionen. Diese Kriterien sind bisher in der medizinischen Fachliteratur nicht einhellig anerkannt. Nach den Erfahrungen des Senats handelt es sich vielmehr um einen nicht ausreichend herausgearbeiteten Standard, der auch nicht von allen Berufsgenossenschaften mit der gleichen Konsequenz angewendet wird wie von der Beklagten. Vielmehr befasst sich nach Angaben von S. Brandenburg (vgl. HVBG-Info 29/2002, insbesondere S. 2731) eine vom Verwaltungsausschuss "Berufskrankheiten" der Hauptgeschäftsführerkonferenz beim HVBG gebildete Expertengruppe intensiv mit der Formulierung konsensfähiger medizinischer Beurteilungskriterien zu den BK-Nrn. 2108-2110: Zu den zentralen Themen gehört hiernach u.a. die Frage, ob belastungsadaptive Veränderungen für die Bejahung eines Ursachenzusammenhangs "obligat" sind. Auch ist nach der aktuellen medizinischen Fachliteratur das Vorliegen derartiger Veränderungen lediglich ein relativ sicheres Indiz für die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs, wenn der Richtwert für die Gesamtbelastungsdosis nicht erreicht wird oder die Gesamtbelastungsdosis nicht sicher zu ermitteln ist (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Auflage,2003 S. 580 unter 8.3.5.5.4.3. und Mehrtens-Perlebach, Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung 45. Ergänzungslieferung I/ 2004 unter 5.3, S. 32).

Ergänzend waren jedoch die Einwände von Dr. W-R zu berücksichtigen, der darauf hingewiesen hat, dass beim Fehlen belastungsadaptiver Reaktionen die Anerkennung einer berufsbedingten Erkrankung einer besonders plausiblen Begründung bedürfe, etwa dem Vorliegen eines Massenvorfalls. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall, sondern bis zur Aufgabe der belastenden Tätigkeit wurde kein Bandscheibenvorfall festgestellt.

Des Weiteren verbleiben jedenfalls erhebliche Zweifel, ob der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit erfüllt.

Nach Auffassung der Beklagten sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 unter Berücksichtigung des Mainz-Dortmunder- Dosis-Modells nicht erfüllt. Zur Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe "langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten" und "langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" ist das Mainz-Dortmunder-Dosismodell ( MDD) innerhalb der gewerblichen Berufsgenossenschaften unter Einbeziehung von Wissenschaftlern entwickelt worden. Das Modell orientiert sich an dem vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu der BK Nr. 2108 herausgegebenen Merkblatt unter Einbeziehung epidemiologischer Studien. Dieses Modell stellt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts(BSG) (Urteil vom 18. März 2003-B 2 U 13/02 R= Breithaupt 2003, 568 ff; bestätigt durch Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 1/ 02 R) nach der vorliegenden medizinischen Literatur zumindest derzeit ein geeignetes Modell dar, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeitsschicht und für das Berufsleben zu ermitteln (Urteil vom 18. März 2003).

Danach sind - stark vereinfacht dargestellt - nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3200 Newton(N) auf die Bandscheibe L5/ S1 führen; erst wenn die Summe der Trage- bzw. Hebevorgänge eine Tagesdosis von 5500Nh überschreitet, wird der Arbeitstag als wirbelsäulenbelastend angesehen und für die erforderliche Gesamtdosis von 25 Mega-Nh berücksichtigt ( Urteil vom 19. August 2003, S. 5 des Umdrucks). Nach diesem Modell, dessen Berechnungsmethoden in dem Aufsatz von Hartung, Schäfer u.a. "Ermittlung der beruflichen Belastung der Lendenwirbelsäule bei Verdacht auf Berufskrankheit Nr. 2108 und Beurteilung mit Hilfe des MDD" ( Ergo Med 1999, S. 219-224) dargestellt sind, führen beidhändige Hebevorgänge einer 20 kg schweren Last mit starker Vorneigung des Rumpfes zu einer Druckkraft von 3300 N. Für länger andauernde Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ohne Lastenmanipulation wird für diese statische Körperhaltung eine Druckkraft von 1700 N für einen Rumpfneigungswinkel von 90° abgeleitet.

Auf der Grundlage dieser Rechengrößen hat die Beklagte eine Gesamtdosis für die gesamte Beschäftigungszeit von 6,06 Mega-Nh festgestellt. Die Einwände des Klägers hiergegen führen jedenfalls im Ergebnis nicht dazu, dass bei einer erneuten Berechnung der Richtwert von 25 Mega-Nh überschritten werden könnte. Dies gilt zunächst für die vom Kläger angegebenen Gewichtsangaben unter Berücksichtigung der von der Beklagten hierzu mitgeteilten Richtgrößen. Anhand des von der Beklagten vorgelegten Berechnungsmaterials erscheint es nachvollziehbar, von einer Tonne verarbeitetem Baustahl pro Tag und Arbeiter auszugehen. Darüber hinausgehend hat die Beklagte in den Anlagen 1 und 2 den Transport von Baustahlmatten und Stahlstäben mit einem täglichen Gesamtgewicht von 2,29 Tonnen (32,5 x 20; 26 x 40; 30x 20) berücksichtigt. Auch die Berechnung der Belastung ist unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren nachvollziehbar. Die Beklagte ist bei der Berechnung des Tragens der Baustahlmatten davon ausgegangen, dass diese auf der Schulter oder dem Rücken transportiert worden sind. Dies hat zur Folge, dass die Tragezeiten aus der Belastungsberechnung herausfallen, weil der erforderliche Einzelwert von 3200 N nicht erreicht wird. Denn nach dem Dosismodell wird beim Tragen beidseits des Körpers, auf der Schulter oder dem Rücken das einzelne Lastgewicht mit 60 multipliziert und sodann 1000 addiert, während für das Tragen vor oder neben dem Körper das einzelne Lastgewicht mit 85 multipliziert und mit 1000 addiert wird. Für Baustahlmatten hat der Kläger für die Zeit vom 23. Februar 1966 bis 30. März 1970 explizit ein Tragen über Kopf angegeben, während für andere Zeiten auch ein Tragen vor dem Körper und seitwärts des Körpers angegeben ist, aber zugleich weitere belastende Tätigkeiten aufgeführt werden. Auch konnte der Senat den Angaben des Klägers, 50 Sack Zement pro Tag gehoben und getragen zu haben, nicht folgen, da er in dem Fragebogen der Beklagten lediglich für die Zeit von April 1959 bis August 1963 als Tätigkeit "Zement abladen" angegeben hatte.

Nach alledem konnte der Senat nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass das Erkrankungsbild des Klägers durch seine Tätigkeit als Betonbauer verursacht worden ist.

Die dem Ergebnis in der Hauptsache folgende Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz(SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved