L 13 V 22/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 V 164/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 V 22/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung einer Tuberkulose-Erkrankung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der am 29. Mai 1940 im früheren K geborene Kläger stellte im Dezember 1993 bei dem Beklagten einen Antrag auf Versorgung nach dem BVG, mit dem er geltend machte, dass eine Versteifung seines rechten Hüftgelenkes, eine eingeschränkte Beweglichkeit seines rechten Kniegelenkes und eine Überlastung des linken Kniegelenkes sowie Abnutzungserscheinungen der Lendenwirbelsäule als Folge einer Tuberkulose-Erkrankung anzuerkennen seien, an der er in der Zeit ab Mitte Januar 1945 bis Herbst 1948 auf der Flucht bzw. während eines unbestimmten Aufenthaltes im ehemaligen Ostpreußen bzw. später in baltischen Republiken erkrankt sei. Der Kläger brachte u.a. eine Bescheinigung des Rates der Gemeinde E vom 19. Februar 1951 bei, wonach die Mutter des Klägers, Frau M, am 25. Oktober 1948 mit ihren drei Kindern der Gemeinde E als Umsiedler aus T/Ostpreußen über das Lager K zugewiesen worden sei. Der Kläger brachte ferner eine "eidesstattliche Versicherung" seiner Mutter vom 6. Februar 1994 bei, in der versichert wurde, dass der Kläger "während unseres kriegsbedingten Aufenthaltes ohne festen Wohnsitz in dem Zeitraum von 1945 bis 1948 im ehemaligen Ostpreußen bzw. in den Baltischen Republiken Litauen und Lettland schwer erkrankt" sei. Beigebracht wurden ferner Schulzeugnisse für die Zeit ab dem 1. Halbjahr 1948/49 sowie ein Brief der ehemaligen Religionslehrerin des Klägers von J vom 21. November 1949. Der Beklagte zog u.a. Patientenunterlagen des Bezirksamtes Lichtenberg von Berlin - Abteilung Gesundheitswesen, Tbc-Fürsorgestelle - bei, aus denen sich Heilverfahren und Krankenhausaufenthalte ab Mai 1949 ergeben. Angaben zur mutmaßlichen Ansteckungsquelle, nach denen ausdrücklich gefragt ist, enthält der Patientenbogen nicht. Zu Punkt 7 b) "Erster Beginn und bisheriger Verlauf der tuberkulösen Erkrankung" ist vermerkt: "Dez. 48 Pleuritis, Masern und Grippe, anschl. Kniegelenkentz. 3/49 im Krankenhaus Königsw. spez. Hilitis festgest. 8/49 Hüftgelenktbc. festgestellt." Durch Bescheid vom 17. Dezember 1996 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung nach dem BVG ab, da es am Nachweis des schädigenden Ereignisses und der Umstände ab 1945 fehle. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1998 zurück. Im anschließenden Klageverfahren (Az.: S 46 V 101/98 / L 13 V 6/99) nahm der Kläger seine Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil am 21. Dezember 1999 zurück, wobei er erklärte, gegenüber dem Beklagten eine genaue Schilderung des Fluchtverlaufes abgeben, Zeugen benennen und sodann einen Überprüfungsantrag stellen zu wollen.

Mit einem am 15. September 2000 bei dem Beklagten eingegangenen Schreiben brachte der Kläger einen Artikel der Berliner Morgenpost über Zustände nach Kriegsende 1945 in der ehemaligen ostpreußischen Hauptstadt K sowie den Antrag seiner Mutter auf Gewährung einer einmaligen Zuwendung für Vertriebene nach dem Vertriebenen-Zuwendungsgesetz mit einer Schilderung des Verbleibs der Familie in der Zeit von Januar 1945 bis Oktober 1948 bei. Durch Bescheid vom 25. Oktober 2000 lehnte der Beklagte die Rücknahme seines Bescheides vom 17. Dezember 1996 ab, da keine neuen Tatsachen vorgebracht worden seien, die eine rechtliche oder tatsächliche Unrichtigkeit der früheren Entscheidung ergäben, so dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren (SGB X) nicht erfüllt seien. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, mit dem er u.a. die Frage stellte: "Woher soll meine schwere Erkrankung denn sonst stammen, wenn nicht vom Krieg?" Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2000 zurück.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Gerichtsbescheid vom 20. März 2003 abgewiesen. Es sei weder der Nachweis erbracht worden, dass die Tbc-Infektion gerade während des Aufenthaltes in K erfolgte, noch sei der Nachweis erbracht worden, dass diese während und nicht erst nach Beendigung der Flucht eingetreten sei, und zwar auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVerfG). Hierbei werde nicht verkannt, dass eine Spätmanifestation als Hüftgelenks-Tbc, die im August 1949 erfolgt sei, nicht gegen eine Erstinfektion in den Jahren 1945 bis 1948 sprechen müsse. Weiter sei berücksichtigt worden, dass nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit 1996 (AHP 1996) Umwelteinflüsse wie z.B. Strapazen und Entbehrungen für das Auftreten von Tbc von Bedeutung sein könnten. Der genaue Schädigungsverlauf könne jedoch nicht mehr geklärt werden. Vielmehr kämen verschiedene theoretische Möglichkeiten für den Schädigungsverlauf in Betracht, wie z.B. eine Infektion zeitlich vor der Flucht nach K, während des Aufenthaltes in K, während der Flucht oder nach dem Fluchtende. Da nicht alle denkbaren Schädigungsabläufe zu einem Anspruch nach dem BVG führten, sondern dies vielmehr nur bei einer Infektion entweder ab Sommer 1945 in K oder während der Flucht der Fall wäre, sei der Versorgungsanspruch nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast abzulehnen. Aus der irgendwann vor 1949 erfolgten Infektion könnten Schlüsse zugunsten des Klägers auf eine Infektion während der Flucht oder in Königsberg nicht gezogen werden, weil auch versorgungsrechtlich nicht geschützte Ereignisse stattgefunden haben könnten.

Gegen diesen ihm am 29. März 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 7. April 2003 erhobene Berufung des Klägers. Der Kläger verweist zur Begründung auf eine handschriftliche Ausarbeitung eines Schreibens seiner Mutter an das Standesamt I in B betreffend den Tod ihres Mannes und das Überbringen der Todesnachricht an sie.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2003 und den Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2000 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 17. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1998 zurückzunehmen und ihm Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach? und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des seine Versorgung ablehnenden Bescheides vom 17. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1998 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, weil bei Erlass dieses Bescheides weder das Recht unrichtig angewandt worden ist noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erwiesen hat.

Nach § 1 BVG hat Anspruch auf Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Einer derartigen Schädigung stehen gemäß § 1 Abs. 2 Buchstabe a) BVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BVG auch jene Einwirkungen gleich, denen der Beschädigte durch die besonderen Umstände der Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt war (§ 5 Abs. 1 Buchstabe c)), sowie schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes oder mit der zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind (§ 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG), wie auch nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben (§ 5 Abs. 1 Buchstabe e) BVG). Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges ausreichend, aber auch erforderlich. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist nur gegeben, wenn nach Abwägung aller maßgeblichen Umstände mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Nicht ausreichend ist die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein nur zeitlicher Zusammenhang. Der zeitliche Zusammenhang mag zwar auf die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs hindeuten, lässt aber weitere Schlüsse nicht zu.

Vorliegend konnte nicht festgestellt werden, dass die beim Kläger bestehende Gesundheitsstörung mit Wahrscheinlichkeit ursächlich durch Tatbestände des § 5 Abs. 1 BVG hervorgerufen worden ist. Der Kläger hat entgegen seiner Ankündigung im vorgehenden Verfahren (L 13 V 6/99) eine genaue Schilderung des Fluchtverlaufes nicht geben können und Zeugen nicht benannt. Es fehlt weiterhin an jeglichem Anhaltspunkt dafür, wann die Infektion mit der Tbc-Erkrankung erfolgt sein soll. Ausweislich der vom Beklagten beigezogenen Patientenakte des Klägers wurde die Hüftgelenks-Tbc im August 1949 festgestellt, also zehn Monate nach Eintreffen des Klägers in der Gemeinde E, welcher seine Familie als Umsiedler zugewiesen worden war. Angaben zur mutmaßlichen Ansteckungsquelle für die Tbc-Erkrankung enthält bereits diese Patientenakte nicht, obgleich danach ausdrücklich gefragt worden war.

Die vom Kläger beigebrachte eidesstattliche Versicherung seiner Mutter vom 6. Februar 1994 ist nicht ausreichend, um die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs gemäß § 1 Abs. 3 BVG zu belegen. Diese Erklärung besagt lediglich, dass der Kläger im Zeitraum von 1945 bis 1948 schwer erkrankt war. Es fehlt an nachvollziehbaren Angaben, wann und wo der Kläger erkrankt war und wie die Krankheitssymptome ausgesehen haben. Ohne diese Angaben kann ein Bezug zur vorliegend streitigen Tbc-Erkrankung bzw. deren Folgen nicht hergestellt werden. Der knappen Schilderung des Fluchtverlaufes im Antrag der Mutter des Klägers auf Gewährung einer einmaligen Zuwendung für Vertriebene kann Näheres hierzu ebenfalls nicht entnommen werden. Das im Berufungsverfahren vorgelegte Schreiben der Mutter des Klägers an das Standesamt I befaßt sich inhaltlich mit der Nachricht vom Tod des Vaters des Klägers und ist für die hier streitgegenständlichen Fragen ebenfalls unergiebig.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Tbc-Erkrankung durch die "nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge" verursacht worden ist, die einen "kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben" (§ 5 Abs. 1 Buchstabe e) BVG). Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die in dem vom Kläger beigebrachten Artikel der Berliner Morgenpost vom 19./20. Mai 1993 für K nach dem Kriegsende beschriebenen Zustände einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich im Sinne der zitierten Vorschrift dargestellt haben (vgl. hierzu BSGE 2, 99). Denn es ist vorliegend gerade nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Kläger während seines Aufenthaltes in K infiziert hat. Die allgemeinen in der Nachkriegszeit herrschenden Zustände, die gekennzeichnet waren durch eine Mangelversorgung mit Lebensmitteln wie auch mit Medikamenten, stellen keinen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich im Sinne des BVG mehr dar.

Das Sozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass verschiedene theoretische Möglichkeiten für den Schädigungsverlauf in Betracht kommen, da die Infektion zeitlich vor der Flucht nach K, während des Aufenthaltes in K, während der Flucht aus K oder nach dem Fluchtende erfolgt sein kann. Auch unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers selbst, das nach § 15 KOVVerfG der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann, war es damit nicht möglich, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchstabe c), d) oder e) BVG festzustellen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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