L 3 R 30/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 RJ 134/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 30/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2004 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente beanspruchen kann. Dabei ist insbesondere umstritten, ob Arbeiten der Klägerin während eines Ghettoaufenthaltes im (damals) sogenannten Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete rentenversicherungsrechtlich zu berücksichtigen ist.

Die im Jahre 1928 in Radom in Polen geborene jüdische Klägerin ist als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes - BEG - anerkannt. Sie lebt seit 1947 in Israel und ist im Besitz der israelischen Staatsangehörigkeit.

Am 27.11.1998 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Altersrente. Sie gab an, sie habe von August 1942 bis 1944 zunächst in einem Schneider-Shop in der S-straße und später in einer Korbflechterei in der T-straße im Ghetto in Radom gearbeitet. Als Entgelt habe sie "Lohn, Coupone" erhalten. Die Höhe sei ihr nicht mehr erinnerlich. Es seien Beiträge zur deutschen Reichsversicherung entrichtet worden. Mit Bescheid vom 21.12.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung ab, weil keine für die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden seien. Nach der im damaligen Generalgouvernement geltenden Zweiten Durchführungsvorschrift vom 21.12.1939 zur Verordnung vom 26.10.1939 hätten Juden dem Arbeitszwang unterlegen, so dass grundsätzlich jegliche Tätigkeit, gleich, ob sie im Ghetto oder im Zwangsarbeitslager ausgeübt wurde, als Zwangsarbeit anzusehen sei. Die Kriterien für ein Beschäftigungsverhältnis entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Ghetto Lodz würden nicht erfüllt. Im Übrigen stehe der Gewährung einer Rente entgegen, dass die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 17 a des Fremdrentengesetzes - FRG - erfülle, weil sie im Zeitpunkt des Beginns der nationalsozialistischen Einflussnahme auf das Generalgouvernement am 18.09.1939 noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet habe.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 31.12.1998 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin. Sie legte eine schriftliche Erklärung der Zeugin T G vom 12.11.1998 vor, die angab, sie kenne die Klägerin seit ihrer Kindheit, weil sie mit ihr Tür an Tür gewohnt habe. Einige Zeit sei sie zusammen mit der Klägerin auch in dieselbe Schulklasse gegangen. Im Jahre 1941 seien sie in das Ghetto der Stadt Radom übergesiedelt. Sie könne bezeugen, dass die Klägerin im Ghetto Radom in dem großen Schneider-Shop auf der S-strasse gearbeitet habe. Der Eingang vom Ghetto aus habe sich in der C-straße befunden. Es habe sich dabei um einen großen Komplex von Werkstätten aller Art gehandelt. Sie selbst habe in einem großen Gerätelager außerhalb der Stadt gearbeitet und sei nur an den Wochenenden, manchmal aber auch an anderen Tagen in das Ghetto gekommen und habe die Klägerin bei dieser Gelegenheit gesehen. Diese habe ihr alles über ihre Arbeit erzählt. Die Arbeit in diesen deutschen Werkstätten sei ebenso wie der Weg dorthin nicht bewacht gewesen. Am Eingang des großen Shops habe sich ein Tor befunden, an dem sie die Klägerin anlässlich eines Besuches des Ghettos einmal getroffen habe. Später habe die Klägerin in der Korbflechterei in der T-straße gearbeitet. Einige Zeit habe die Zeugin dort zusammen mit der Klägerin gearbeitet. Sie hätten sich täglich gesehen. Die Arbeitsbedingungen seien die gleichen wie in allen anderen Ghetto-Shops gewesen. Sie seien nicht bewacht worden, und die Arbeiten seien von jüdischen Meistern und Vorarbeitern kontrolliert worden. Sie hätten täglich eine Suppe und Coupone erhalten, die sie gegen Lebensmittel hätten eintauschen können, wenn es welche gegeben habe. Die Klägerin sei im Jahre 1944 deportiert worden. Mit Bescheid vom 21.10.1999 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte zur Begründung erneut aus, dass nach der für das Generalgouvernement geltenden Verordnungslage jegliche Tätigkeit von Juden als Zwangsarbeit gegolten habe, unabhängig davon, ob sie in einem Ghetto oder in einem Zwangsarbeitslager verrichtet worden sei.

Wegen dieser Entscheidung hat die Klägerin am 24.11.1999 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und mit der Klageschrift sowie den zur Begründung ihres Begehrens gefertigten Schriftsätzen ihres Bevollmächtigten vom 27.03. und 28.08.2000 weiterhin geltend gemacht, sie habe ab August 1942 im Ghetto eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Die Beurteilung ihrer Versicherungspflicht richte sich nach den während der streitbefangenen Zeit geltenden reichsgesetzlichen Bestimmungen, nicht hingegen nach polnischem Recht. Demnach seien Pflichtbeiträge im Ghetto Radom für die Arbeit in einer deutschen Werkstätte gegen Entgelt und unter den bekannten gängigen Arbeitsbedingungen im Ghetto anzuerkennen. Dass die Klägerin bei Kriegsbeginn noch keine sechzehn Jahre alt war, sei unbeachtlich. Sie hat in einer von ihr unter dem 12.08.2001 unterzeichneten persönlichen Erklärung darüber hinaus vorgetragen, sie habe mit Beginn des Krieges im September 1939 ihre Schulausbildung unterbrechen müssen. Im März 1941 sei das Ghetto in Radom errichtet worden und im August 1942 habe sie im Schneider-Shop in der S-straße zu arbeiten begonnen. Ihr Vater sei ein bekannter Schneider gewesen und vom Judenrat aufgefordert worden, den Schneider-Shop zu errichten. Der Shop habe sich in einem Gebäudekomplex in der S-straße befunden, wo auch andere Shops, wie z.B. die Bürstenmacherei, "Kartonage" u.a. untergebracht worden seien. Ihr Vater habe ihr wie auch seinen Lehrlingen dazu verholfen, in diesem Shop Arbeit zu bekommen, indem sie auf der Liste der Gesellen gestanden und somit auch eine Arbeitsbewilligung erhalten habe. Diese habe ihr dazu verholfen, bei der ersten Aussiedlung nicht in das KZ Treblinka deportiert zu werden. Ihre Beschäftigung habe darin bestanden, für die Schneiderinnen, die an den Nähmaschinen saßen, um Wehrmachtsuniformen zu nähen, Knöpfe anzunähen, Knopflöcher zu fertigen und sämtliche Handarbeiten durchzuführen. Von dem Schneider-Shop sei sie in den Bürstenshop und nach einiger Zeit in die Korbflechterei in der T-straße überführt worden. Sie habe ungefähr acht bis zehn Stunden täglich arbeiten müssen und als Entgelt Zloty erhalten, wofür sie Lebensmittel habe kaufen können. Die Arbeit sei nicht bewacht worden. Anfang 1944 sei sie nach Majdanek deportiert worden. Die Klägerin hat darüber hinaus durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 10.01.2003 ergänzend vortragen lassen, dass sie von 1939 an zunächst in einem in der Staro-Krakovska-Straße in Radom gelegenen Krankenhaus als Hilfsschwester gearbeitet habe. Obwohl sie damals erst zwölf Jahre alt gewesen sei, sei es ihr Traum gewesen, nach Beendigung der Schule eine Krankenschwesterschule zu besuchen. Nachdem aber mit Ausbruch des Krieges alle Träume zerstört worden seien, habe sie sich freiwillig im Krankenhaus "Starosta-Konnich" gemeldet, welches sich im Ghetto befunden habe, um dort zu helfen. Sie habe acht bis zehn Stunden täglich gearbeitet und als Gehalt polnisches Geld und auch Lebensmittelkarten erhalten. Anfang November 1940 habe sie auf Empfehlung des Judenrates in der Schneiderei begonnen zu arbeiten. Im September 1942 sei sie in das Zwangsarbeitslager in Radom gebracht worden, wo sie in der Korbflechterei habe arbeiten müssen.

Die Klägerin hat zur Stützung ihres Vorbringens schriftliche Erklärungen der Zeuginnen L vom 17.03.2003 und G vom 24.06.2003 zu den Gerichtsakten gereicht. Die 1927 geborene Zeugin L, die nach ihren Angaben in der Nachbarschaft der Klägerin wohnte und dieselbe Schule wie diese besuchte, hat angegeben, sie habe die Klägerin im Sommer 1942 im Schneidershop besucht und sie bei der Anfertigung von Wehrmachtsuniformen gesehen. Nachher habe sie zusammen mit der Klägerin bis Juni 1943 gleichzeitig im Bürstenshop gearbeitet. Im Anschluss daran sei die Klägerin bis 1944 in die Korbflechterei geschickt und von dort nach Majdanek transportiert worden. Sie hätten für ihre Arbeiten Ghettogeld und Coupons für Lebensmittel erhalten. Die ebenfalls 1927 geborene Zeugin G hat erklärt, sie habe in Radom zusammen mit der Klägerin im selben Haus gewohnt und sei mit ihr befreundet gewesen. Sie könne bezeugen, dass die Klägerin noch vor dem Ghetto als Hilfe im Krankenhaus in der Staro-Krakov-Strasse gearbeitet und sich nach Eröffnung des Ghettos freiwillig im Krankenhaus "Starosta-Konnich II" gemeldet habe, wo sie als Hilfsschwester mit Lohn gearbeitet habe. Sie sei acht bis zehn Stunden tätig gewesen und habe als Entgelt polnisches Geld (Zloty) und Coupons für Lebensmittel erhalten. Im August 1942 habe die Klägerin begonnen, im Schneidershop und später im Bürstenshop bis Juni 1943 und danach in der Korbflechterei bis Februar 1944 zu arbeiten. Anschließend sei sie nach Majdanek geschickt worden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.12.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1999 und des Bescheides vom 03.02.2003 zu verurteilen, der Klägerin Beitragszeiten zur deutschen Rentenversicherung anzuerkennen für eine Tätigkeit im Ghetto Radom von Anfang 1940 bis September 1942 und die entsprechenden Rentenzahlungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat in ihrer Klageerwiderung geltend gemacht, bei den von der Klägerin verrichteten Arbeiten habe es sich um eine für die damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzung bei Unterbringung im Ghetto und notdürftiger Versorgung gehandelt. Die Tätigkeiten seien damit nicht aus eigenem Willensentschluss der Klägerin aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung ausgeübt worden. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin Lohn für ihre Zwangsarbeiten erhalten habe. Unter dem 17.09.2002 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass das Ghetto Radom im März 1941 errichtet und bereits Mitte August 1942 aufgelöst worden sei. Auf dem Gelände des Ghettos sei Mitte August 1942 dann ein Arbeitslager errichtet worden. Dies decke sich auch ungefähr mit den Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Klägerin sei eine Berücksichtigung von Beitragszeiten während des Ghettoaufenthaltes nicht möglich. Der Anerkennung von Arbeitszeiten während der Zeit von August 1942 bis Anfang 1944 stehe entgegen, dass es sich dabei um Tätigkeiten in einem Zwangsarbeitslager gehandelt habe.

Das Sozialgericht hat vom Landesamt für Wiedergutmachung Baden-Württemberg die dort über die Klägerin geführten Entschädigungsakten beigezogen, die u.a. eine "amtliche Versicherung" der Klägerin vom 06.06.1954 enthalten, wonach sie nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Radom und der Errichtung des Ghettos von Anfang November 1940 bis September 1942 in diesem Ghetto in der Florianerstrasse 20 gewohnt habe. Sie sei gezwungen worden, eine weiße Armbinde mit blauem Judenstern zu tragen und habe anfangs zwangsweise in einer Schneiderei und später in einer Bürstenbinderei täglich zehn bis zwölf Stunden gearbeitet. Es sei ein Judenrat gegründet worden. Im September 1942 sei sie ins Zwangsarbeitslager Radom gebracht worden, wo sie in einer Korbflechterei habe arbeiten müssen. Sie habe in einer Baracke gewohnt und sei von SS bewacht worden. Anfangs habe sie Zivil-, später Streifkleider getragen. Sie sei in diesem Lager nicht - wie zuvor irrtümlich angegeben - bis Herbst 1943, sondern bis zum Frühjahr 1944 verblieben und dann nach Majdanek deportiert worden. Auch dort habe sie in einer Korbflechterei gearbeitet. Die Angaben der Klägerin wurden von den Zeuginnen K und D durch schriftliche Erklärungen vom 06.06.1954 bestätigt, die angaben, von April 1941 bis September 1942 bzw. von Mitte 1941 bis August 1942 ebenfalls im Ghetto in Radom und anschließend im Zwangsarbeitslager Radom gelebt zu haben.

Die Klägerin hat anlässlich einer im Februar 2002 auf Veranlassung der Beklagten durch das israelische Finanzministerium durchgeführten Sprachprüfung angegeben, sie habe neben ihrem Besuch der jüdischen Volksschule mit polnischer Unterrichtssprache bis zum Kriegsausbruch privaten Deutschunterricht erhalten. Während der darauffolgenden drei Jahre habe sie in einer illegal organisierten Privatklasse auch Deutschunterricht gehabt. Die Sprachprüfung endete mit der Feststellung, dass die Klägerin ein ziemlich flüssiges Deutsch spreche und mühelos mit Verständnis lese.

Mit Bescheid vom 03.02.2003 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 05.08.2002 auf Bewilligung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG - ablehnt. Voraussetzung für den Anspruch auf eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung sei gemäß § 34 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Rentenversicherung) - SGB VI - die Zurücklegung einer Mindestversicherungszeit (Wartezeit). Im Falle der Klägerin seien keine für die Wartezeit anrechenbare Zeiten vorhanden. Leistungen nach dem ZRBG erhielten nur Verfolgte, die in einem Ghetto eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hätten. Die Klägerin habe sich jedoch während der streitbefangenen Zeit von August 1942 bis Anfang 1944 nicht in einem Ghetto, sondern in einem Zwangsarbeitslager aufgehalten und unfreiwillige Arbeitsleistungen ohne Entgelt und damit Zwangsarbeiten verrichtet.

Mit Urteil vom 21.12.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Regelaltersrente, weil sie die hierfür gem. § 35 SGB VI erforderliche allgemeine Wartezeit nicht erfüllt habe. Sie verfüge über keine Zeiten, die auf die Wartezeit anzurechnen wären. Der geltend gemachten Anerkennung einer Beschäftigung in dem Ghetto Radom während der Zeit von Anfang 1940 bis Ende Februar 1941 stehe bereits entgegen, dass während dieser Zeit in Radom kein Ghetto bestanden habe. Das Ghetto Radom sei erst am 01.03.1941 eröffnet worden. Die Glaubhaftmachung einer Beschäftigung scheitere im Übrigen an den widersprüchlichen Angaben der Klägerin. Den Rentenantrag habe sie mit behaupteten Beschäftigungen von 1942 bis 1944 begründet. Demgegenüber habe sie während des Entschädigungsverfahrens Tätigkeiten von November 1940 bis Mai 1942 behauptet. Außerdem habe sie ursprünglich von Arbeiten im Schneidershop berichtet und sich später auf Tätigkeiten als Hilfsschwester in einem Krankenhaus berufen. Der Vortrag der Klägerin sei zu wechselnd, als dass er zur Glaubhaftmachung einer Beschäftigung im erforderlichen Umfang ausreiche.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 20.01.2005 zugestellte Urteil am 18.02.2005 Berufung eingelegt.

Die Klägerin macht geltend, sie habe für ihre Beschäftigung in dem Schneidershop Entgelt in Form von Gutscheinen erhalten, mit denen man Lebensmittel und auch Sachbezüge habe kaufen können. Sie habe damit freiwillig gegen Entgelt gearbeitet. Da sie an altersbedingtem Gedächtnisverlust leide, könne sie sich an genaue Daten nicht mehr erinnern. Die Tätigkeit als Hilfsschwester habe sie noch vor Errichtung des Ghettos ausgeübt. Widersprüchliche Angaben habe sie nicht gemacht. Es sei davon auszugehen, dass für jüdische Ghettoarbeiter unabhängig von der Art ihrer Entlohnung Sozialbeiträge abgeführt worden seien. Dies ergebe sich aus Schreiben des Bauunternehmers L Q aus Hannover vom 14.06.1941, des Straßen- und Tiefbauunternehmers I L1 aus Berlin vom 13.06.1941, der Rohstoff-Verwertung C vom 15.05.1942, der ostpreußischen Kriegsbeschädigten- und Erwerbsbeschränkten Werkstätten GmbH vom 03.03.1943 und der C1 Erdöl - Verarbeitungsgesellschaft m.b.H., die die Klägerin zu den Gerichtsakten gereicht hat. Auf den Inhalt dieser Schreiben wird verwiesen. Die Klägerin macht darüber hinaus geltend, dass es angesichts der unterschiedlichen Angaben im Entschädigungsverfahren und anlässlich der Rentenantragstellung nicht verwunderlich sei, dass das Sozialgericht den Vortrag der Klägerin als zu wechselnd betrachte, um die Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu begründen. Dass Gericht erster Instanz gehe jedoch zu Unrecht davon aus, dass das Ghetto in Radom bereits im August 1942 liquidiert worden sei. Das Ghetto habe vielmehr nach den Angaben ehemaliger Ghettobewohner in kleinerer Form (bei unterschiedlichen Monatsangaben) bis 1943 bestanden. Die Klägerin hat insoweit zur Stützung ihres Vorbringens im Rahmen der jeweiligen Renten- und Entschädigungsverfahren abgegebene Erklärungen der Verfolgten Goldberg, Den und Kleiner sowie Auszüge aus der Monographie "Faschismus - Ghetto - Massenmord" vorgelegt, auf deren Inhalt ebenfalls verwiesen wird.

Die Klägerin beantragt nach ihrem abschließenden Vorbringen im Berufungsverfahren,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2004 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21.12.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1999 sowie des Bescheides vom 03.02.2003 zu verurteilen, der Klägerin unter Anerkennung der Zeit von August 1942 bis 1944 als Pflichtbeitragszeit und nachfolgender Zeiten als Ersatzzeiten Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht in ihrer Berufungserwiderung im Wesentlichen geltend, der Anerkennung der Zeit von August 1942 bis Anfang 1944 als Pflichtbeitragszeit aufgrund einer Beschäftigung in dem Ghetto Radom stehe bereits entgegen, dass das Ghetto während dieser Zeit nicht (mehr) bestanden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Entschädigungsakten betreffend die Klägerin des Landesamtes für Wiedergutmachung Baden-Württemberg Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 21.12.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1999 und vom 03.02.2003 sind rechtmäßig, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren. Die Klägerin hat die für die allein in Betracht kommende Regelaltersrente nach § 35 SGB VI erforderliche Anspruchsvoraussetzung der allgemeinen Wartezeit nicht erfüllt. Damit ist auch das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2004 zu Recht ergangen.

Nach § 35 SGB VI hat eine Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sind nach den §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit anrechenbaren Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten nur Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt, denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetz nur Versicherten, d. h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI RdNr. 10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr. 6; BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Nach den §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.

Eine Anerkennung der von der Klägerin im Ghetto Radom zurückgelegten Arbeitszeiten als Beitragszeiten nach den vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen kommt nicht in Betracht, weil die dort verrichteten Arbeiten entgegen der Ansicht der Klägerin nicht von den Reichsversicherungsgesetzen erfasst wurden. Nach der damaligen Rechtslage war eine Beitragszahlung für in Radom verrichtete Arbeiten zu einem deutschen Rentenversicherungsträger nicht möglich. Gemäß § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI (s auch § 271 Satz 1 SGB VI) sind Pflichtbeitragszeiten zwar - wie bereits erwähnt - auch Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind; gleichwohl scheidet die Anerkennung einer Beschäftigung der Klägerin in Radom während der streitbefangenen Zeit als Beitragszeit nach diesen Vorschriften aus, weil die Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt nicht von den Reichsversicherungsgesetzen erfasst wurde. Die Stadt Radom lag im sogenannten Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete (vgl. Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung im SGB, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Polen, Teil C, Anhang 1, S C3; Mischkowsky, Die eingegliederten Ostgebiete und das Generalgouvernement, 1951, S 91 f). Das Generalgouvernement wurde durch den Erlass des "Führers und Reichskanzlers" über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 12. Oktober 1939 (RGBl I 2077) errichtet. Im Gegensatz zu anderen Gebieten Polens (vgl den Erlass über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939, RGBl I 2042, geändert 2057) wurde es dem Deutschen Reich zwar an-, aber nicht eingegliedert (vgl zB Klein, AöR 32 (1941), 227 ff, 258 ff; Majer, VerwArch 1999, 163, 168 f; Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im 2. Weltkrieg, 1989, S 173; Viehweg, Reichsverwaltungsblatt 1940, 581 ff; Weh, Deutsches Recht 1940, 1393 ff). Trotz vielfältiger Abhängigkeiten war das Generalgouvernement mithin dem Deutschen Reich gegenüber Ausland. Das bisher geltende Recht blieb grundsätzlich in Kraft, wurde jedoch in der Folgezeit verschiedentlich durch Verordnungen des Ministerrates für die Reichsverteidigung, des Beauftragten für den Vier-Jahres-Plan sowie des Generalgouverneurs geändert und ergänzt (vgl §§ 4, 5 des Erlasses vom 12. Oktober 1939; allgemein dazu Adami, Deutsches Recht 1940, 604 ff; vgl. auch §§ 1 f der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten polnischen Gebieten vom 17. Oktober 1939, Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen S 58; dazu Frauendorfer, Soziales Deutschland 1941, V 93 ff; Koch/Hartmann, aaO, Polen, Einführung 2.3.4, S B12; Mischkowsky, aaO, (S 10) S 95 ff; Stamm, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1942, 37). Als damalige polnische Staatsangehörige jüdischer Abstammung gehörte die Klägerin damit nicht zu dem von den Reichsversicherungsgesetzen erfassten Personenkreis (vgl dazu auch BSG SozR 5070 § 14 Nr 9; ebenso Urteil des BSG vom 23.08.2001, 13 RJ 59/00 R). Zuständig war nach dem damaligen Rechtszustand allein der polnische Sozialversicherungsträger.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anrechnung der streitigen Zeit gemäß den §§ 15, 16 FRG. § 15 Abs 1 Satz 1 FRG sieht vor, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen. Nach Maßgabe des § 16 FRG gilt entsprechendes für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet. Die Klägerin gehört allerdings nicht zu dem gemäß § 1 FRG begünstigten Personenkreis, so dass sich die Anwendbarkeit der Vorschriften des FRG auf sie allein auf die Regelung des § 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG - stützen ließe, die auf Grund Art 21 Nr. 4 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) rückwirkend zum 1. Februar 1971 (vgl. § 20 Abs. 3 Satz 1 WGSVG) neugefasst worden ist. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stehen bei Anwendung des FRG den anerkannten Vertriebenen iS des Bundesvertriebenengesetzes -BVFG- vertriebene Verfolgte gleich, die lediglich deshalb nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben, wenn sie im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörten. Der erkennende Senat hat es im Ergebnis dahingestellt bleiben lassen, ob aufgrund der in Israel durchgeführten Sprachprüfung von einer Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis in dem maßgeblichen Zeitpunkt auszugehen ist. Auch wenn man dies zu Gunsten der Klägerin mit der Folge der prinzipiellen Anwendbarkeit der §§ 15, 16 FRG unterstellt, kommt eine Anerkennung von Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten nicht in Betracht, denn es konnte nicht glaubhaft gemacht werden, dass die Klägerin in der streitbefangenen Zeit im Ghetto Radom Arbeitszeiten zurückgelegt hat, die als Beitragszeiten zu berücksichtigen sind.

Eine Gleichstellung polnischer Beitragszeiten gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 FRG scheitert daran, dass die Entrichtung von Beiträgen zum polnischen Rentenversicherungsträger weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist (vgl. § 4 Abs. 1, 2 FRG). Für die Entrichtung derartiger Beiträge ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen zur polnischen Sozialversicherung wird von der Klägerin weder behauptet noch findet sie in einer der beigebrachten Zeugenerklärungen Erwähnung. Gegen eine Beitragsentrichtung spricht insbesondere, dass die Versicherungspflicht in der polnischen Sozialversicherung ebenso wie nach deutschem Recht das Vorliegen einer Beschäftigung voraussetzt (Art. 2 Abs. 1 des (polnischen) Sozialversicherungsgesetzes vom 28.03.1933 idF der Verordnung des Staatspräsidenten vom 24.10.1934), die jedoch im Falle der Klägerin nicht glaubhaft gemacht werden konnte (vgl. hierzu unten). Die von ihr bei der Rentenantragstellung behauptete Entrichtung von Beiträgen zur deutschen Reichsversicherung entspricht - wie oben dargelegt - nicht der damaligen Rechtslage.

Auch eine Gleichstellung der im Ghetto Radom von der Klägerin zurückgelegten Arbeitszeiten mit in Deutschland zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG kommt nicht in Betracht. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung sind Zeiten einer Beschäftigung, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als Beitragszeit im Sinne des Abs. 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichzustellen, soweit für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären. Wie bereits erwähnt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass für die Klägerin Versicherungspflicht nach damaligem polnischen Rentenrecht bestand. Selbst wenn man dies jedoch zu ihren Gunsten unterstellt, scheidet eine Gleichstellung mit deutschen Beitragszeiten aus, weil die weitere Voraussetzung des § 15 Abs. 3 S. 1 FRG (" ... soweit für sie Beiträge nach Bundesrecht zu zahlen gewesen wären.") nicht gegeben ist. Auch insoweit kann es dahingestellt bleiben, ob im Rahmen der Gleichstellung nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG auf die im Zeitpunkt der streitbefangenen Arbeitszeit geltende Rechtslage oder - im Hinblick auf § 16 Abs. 1 S. 2 FRG - auf das am 01.03.1957 geltende Recht abzustellen ist. Sowohl nach § 1226 Abs. 1 Nr. 1 RVO in seiner während der streitbefangenen Zeit geltenden Fassung als auch nach § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RVO in seiner am 01.03.1957 geltenden Fassung wurden in der Rentenversicherung der Arbeiter alle Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt waren, für den Fall der Invalidität und des Alters versichert. Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, war versicherungsfrei (§§ 1227, 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Damit war sowohl nach der während des Zweiten Weltkrieges als auch nach der am 01.03.1957 geltenden Gesetzeslage das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung kraft Gesetzes Voraussetzung für das Entstehen von Versicherungs- und Beitragspflicht.

Die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung durch die Klägerin im Ghetto Radom konnte jedoch nicht glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist nach § 3 WGSVG glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt sich so zugetragen hat, wie er behauptet wird. Es muss allerdings mehr für als gegen die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen sprechen, wobei geringe, noch verbleibende Zweifel unbeachtlich sind.

Auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, von nichtversicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr 2, 3; BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr 15, 16, 17). Hiervon ist auch dann nicht abzuweichen, wenn es um die nach § 15 Abs 3 FRG geforderte Prüfung geht, ob es sich um eine Beschäftigung gehandelt hat, die nach Bundesrecht versicherungspflichtig gewesen wäre (BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr 17). Dabei ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen wurde und den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Lohn) zum Inhalt hatte; die Ausübung einer Beschäftigung im Sinne von "Zwangsarbeit" genügt dazu nicht (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr 2 S 6 ff und Nr 3 S 18 ff). Zwangsarbeit ist in Abgrenzung zur versicherungspflichtigen Beschäftigung die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie zB bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen oder in Zwangsarbeitslagern (vgl zB BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; Gagel, in Festschrift für Otto-Ernst Krasney, 1997, S 147, 157 f). Typisch ist dabei insbesondere die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeiten, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an die Arbeiter ausgezahlt wird (vgl hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 12; BSG, Urteil vom 20. Februar 1975 - 4 RJ 15/74 -; BSG SozR 5070 § 14 Nr 9). Entsprechendes gilt für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl BSGE 12, 71 = SozR Nr 18 zu § 537 RVO). Diese Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/99 R).

Der guten Möglichkeit der Verrichtung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Radom stehen vor dem Hintergrund der historisch gesicherten Daten über die Errichtung und Auflösung dieses Ghettos bereits die unterschiedlichen Angaben der Klägerin und der sie jeweils stützenden, ebenfalls voneinander abweichenden Erklärungen der Zeuginnen zu den behaupteten Beschäftigung und insbesondere ihrer zeitlichen Abfolge entgegen. Die detaillierte Beschreibung der verrichteten Arbeiten insbesondere im Schneidershop spricht zwar durchaus dafür, dass die Klägerin während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Radom und möglicherweise auch in dem dortigen Ghetto gearbeitet hat. Andererseits begründet ihre jeweils durch Zeugenerklärungen gestützte unterschiedliche und widersprüchliche Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts derart erhebliche Zweifel an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Ghetto von Radom, dass von einer überwiegend wahrscheinlichen Ghettobeschäftigung nicht ausgegangen werden kann. Es spricht vielmehr insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Angaben anlässlich der Rentenantragstellung, zu Beginn des Klageverfahrens und zum Abschluss des Berufungsverfahrens zumindest im Sinne einer guten Möglichkeit deutlich mehr dafür als dagegen, dass die behaupteten Arbeiten nicht im Ghetto in Radom, sondern zum Teil schon vor Errichtung des Ghettos bzw. insbesondere in dem nach seiner Auflösung im August 1942 auf dem Ghettogelände errichteten Zwangsarbeitslager verrichtet wurden und damit den Charakter von Zwangsarbeiten hatten. Dies schließt die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto Radom aus. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Ghettobeschäftigung lässt sich insbesondere auch nicht auf die vorgelegten Zeugenerklärungen stützen, da auch diese mit der historischen Faktenlage nicht übereinstimmen und offenbar der jeweiligen Sachverhaltsdarstellung der Klägerin angepasst sind.

Die Klägerin hat in dem von ihr unterzeichneten Vordruck der Beklagten zur Beantragung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung unter dem Datum des 01.11.1998 angegeben, sie habe von August 1942 bis 1944 im Schneidershop in der S-straße und später in der Korbflechterei in der T-straße im Ghetto Radom gearbeitet. Diese Zeitangaben stimmen mit der von der Klägerin unterzeichneten (persönlichen) Erklärung vom 12.08.2001 überein, die sie im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat. Darin gibt sie an, dass das Ghetto Radom im März 1941 errichtet wurde und dass sie im August 1942 damit begonnen habe, in dem von ihrem Vater auf Veranlassung des örtlichen Judenrates eingerichteten Schneidershop zu arbeiten. Der Inhalt der vorgenannten Erklärung der Klägerin entspricht auch dem Inhalt der Klageschrift und den nachfolgenden Schriftsätzen vom 27.03.2000 und 28.06.2000, ergänzt durch den Schriftsatz vom 27.10.2000. Dieser Vortrag der Klägerin wird von der Zeugin L in ihrer schriftlichen Erklärung vom 17.03.03 bestätigt, die angibt, sie habe die Klägerin im Sommer 1942 im Schneidershop besucht und bei der Anfertigung von Wehrmachtsuniformen beobachtet. Nachher habe sie bis Juni 1943 gleichzeitig mit der Klägerin im Bürstenshop gearbeitet. Anschließend sei die Klägerin bis Februar 1944 in der örtlichen Korbflechterei zum Einsatz gekommen. Auch die Zeugin G gibt unter dem 24.06.2003 an, die Klägerin habe von August 1942 an im Schneidershop, nachher bis Juni 1943 im Bürstenshop und anschließend bis Februar 1944 in der Korbflechterei gearbeitet. Diese Angaben entsprechen - nach zwischenzeitlich geändertem Vortrag - auch dem abschließenden Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren (Schriftsatz vom 12.08.2005). Der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während dieses (von der Klägerin und den Zeuginnen L und G angegebenen) Zeitraums steht jedoch die historische Tatsache entgegen, dass das sog. kleine Ghetto in Radom bereits am 05.08.1942 und das große Ghetto in der Zeit vom 16. bis zum 18. August 1942 liquidiert wurden. Anschließend wurden auf dem Gelände der Ghettos Zwangsarbeitslager errichtet, die nach ihrer Lage an der Szwarlikowstraße bzw. an der Szkolnastraße benannt wurden (vgl. Enzyklopädie des Holocaust, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden Band III, S. 1180; vgl. auch www. koem.de/denkmal/lager unter Radom (Ghetto 1) bzw. Radom-Glinice (Ghetto 2); vgl. auch www.deathcamps.org/occupation/radom)). Ausgehend von der Richtigkeit der vorgenannten Angaben der Klägerin und der Zeuginnen L und G wären die behaupteten Arbeiten der Klägerin in dem im August 1942 errichteten Zwangsarbeitslager Radom ausgeübt worden und hätten - entsprechend dem Vorbringen der Klägerin im Entschädigungsverfahren - den Charakter einer durch obrigkeitlichen Zwang begründeten, jeglichem freien Willensentschluss des Betroffenen entzogenen (Zwangs-) Arbeit gehabt, der die Ausübung einer auf freier Willensbildung begründeten versicherungspflichtigen Beschäftigung ausschließt. Abweichend von diesem Vorbringen im Renten- und Klageverfahren gab die Klägerin im Entschädigungsverfahren zunächst unter dem 01.01.1950 in Form einer tabellarischen Übersicht und nachfolgend in ihrer schriftlichen Erklärung vom 06.06.1954 an, sie habe sich von Anfang November 1940 bis Mai bzw. September 1942 im Ghetto Radom aufgehalten und habe anfangs "zwangsweise" in einer Schneiderei und später in einer Bürstenbinderei arbeiten müssen, und zwar tagtäglich 10 bis 12 Stunden. Im September 1942 habe man sie in das Zwangsarbeitslager Radom gebracht, wo sie in einer Korbflechterei gearbeitet habe. Diese Angaben wurden von den Zeuginnen D und K mit ihren Erklärungen vom 06.06.1954 bestätigt. Der Vortrag der Klägerin im Entschädigungsverfahren entspricht wiederum in zeitlicher Hinsicht ihren Angaben jedenfalls in den im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Schriftsätzen vom 10.01.2003 und 19.08.2003, die jedoch nach dem Hinweis der Beklagten (Schriftsatz vom 17.09.2003) gefertigt wurden, dass das Ghetto Radom bereits 1942 liquidiert wurde. Der (geänderte) Klagevortrag erscheint damit (zunächst) an die historischen Rahmenbedingungen angepasst worden zu sein. In den zuvor übersandten Schriftsätzen hatte nämlich auch die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter - wie bereits erwähnt - die Aufnahme der Tätigkeit im Schneidershop ab August 1942 und nachfolgend im Bürstenshop bis 1944 behauptet. Dieses Vorbringen nimmt die Klägerin - wie ebenfalls bereits erwähnt - unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren mit der Behauptung wieder auf, das Ghetto habe entgegen den Feststellungen des Vordergerichts und der Beklagten über den Monat August 1942 hinaus bestanden. Auch der Vortrag der Klägerin im Entschädigungsverfahren und das zwischenzeitlich geänderte Vorbringen im Klage- und Berufungsverfahren stimmen allerdings ebenfalls nur eingeschränkt mit den historischen Daten zur Errichtung des Ghettos in Radom überein, denn das Ghetto wurde - wie oben ausgeführt - erst im März 1941 errichtet, so dass die von der Klägerin im Entschädigungsverfahren behaupteten Arbeiten ab November 1940 (nach dem Vorbringen ihres heutigen Bevollmächtigten ab Anfang 1940) nicht im Ghetto verrichtet worden sein können. Diese Widersprüche in ihrem Vortrag und in den Erklärungen der Zeugen begründen derart erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben , dass jedenfalls ungeklärt bleibt, ob die behaupteten Arbeiten im Schneider - und Bürstenshop im Ghetto und damit möglicherweise auf der Grundlage einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder als Zwangsarbeit im Zwangsarbeitslager in Radom verrichtet wurden. Dies schließt bereits die gute Möglichkeit der Ausübung einer durch freien Willensentschluss begründeten versicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Das Vorbringen der Klägerin verliert darüber hinaus an Schlüssigkeit und damit auch zusätzlich an Überzeugungskraft, als sie abweichend von ihrem bisherigen Vorbringen im Entschädigungs- und Rentenverfahren im Verlauf des Klageverfahrens - erstmalig mit Schriftsatz vom 10.01.2003 - vortragen lässt, dass sie bereits nach Beendigung der Schule im Jahre 1939 mit erst 12 Jahren im Krankenhaus von Radom in der Staro Krakovskastraße ihrem Berufswunsch entsprechend den Beruf einer Hilfskrankenschwester aufgenommen habe, um sich nach Ausbruch des Krieges freiwillig im Krankenhaus "Starosta Konnich II" im Ghetto Radom als Krankenschwester zu melden und zu arbeiten, wo sie als Gehalt polnisches Geld und Lebensmittel erhalten habe. Auch wenn dieses Vorbringen von der Zeugin G mit schriftlicher Erklärung vom 24.06.2003 bestätigt wird, so steht es dem Vortrag der Klägerin in ihrer Erklärung vom 12.08.2001 entgegen, sie habe auf Grund der Besetzung Radoms durch deutsche Truppen "den Unterricht unterbrechen" müssen. Abgesehen davon, dass die Aufnahme einer Ausbildung im Alter von erst zwölf Jahre nicht mit den damaligen polnischen Gesetzen zur Schulpflicht im Einklang gestanden haben dürfte, lässt dieser Widerspruch das Vorbringen der Klägerin zusätzlich fragwürdig erscheinen. Außerdem ist es in diesem Zusammenhang nicht einsichtig, dass sie ihre Tätigkeiten in den Krankenhäusern in Radom, insbesondere die behauptete Beschäftigung im Krankenhaus des Ghettos sowohl im Entschädigungsverfahren als auch im Zusammenhang mit ihren Angaben anlässlich des Rentenantrags unerwähnt ließ, obwohl ihr auch diese Tätigkeit hätte geeignet erscheinen müssen, den Tatbestand einer Beschäftigung zu begründen. Im übrigen hätte es gerade während des in den fünfziger Jahren und damit zeitnah zu den Kriegsereignissen durchgeführten Entschädigungsverfahrens nahegelegen, dass die Klägerin auf ihre Arbeit als Krankenschwester hingewiesen hätte, insbesondere wenn sie diese ihren beruflichen Traumvorstellungen entsprechende Tätigkeit aufgrund des nachfolgenden Verfolgungsgeschehens aufgeben musste. Die Chronologie der damaligen Ereignisse und die Tatsache, dass die Klägerin die nunmehr behaupteten Tätigkeiten als Krankenschwester im Entschädigungsverfahren im Zuge der Darstellung der nationalsozialistischen Verfolgung nicht erwähnt, legen deshalb eher die Schlussfolgerung nahe, dass sie vor der Gründung des Ghettos im März 1941 in dem auf dem späteren Ghettogelände liegenden Krankenhaus gearbeitet hat. Der guten Möglichkeit einer Beschäftigung der Klägerin als Krankenschwester im Ghettokrankenhaus steht jedenfalls die mangelnde Schlüssigkeit ihres Gesamtvortrages entgegen. Weitere Zweifel an der Ausübung versicherungspflichtiger Beschäftigungen in dem von März 1941 bis August 1942 bestehenden Ghetto begründen schließlich auch die Angaben der Klägerin anlässlich der Sprachprüfung, wonach sie während der ersten drei Jahre nach Kriegsbeginn und damit zeitlich bis in das Jahr 1942 hineinreichend eine illegale Schule besucht hat. Jedenfalls erscheint es zweifelhaft, ob neben dem Schulbesuch die Ausübung einer täglich acht bis zehnstündigen Beschäftigung möglich war. Diese (weitere) Variante der Darstellung der damaligen Geschehensabläufe begründet jedenfalls in der Zusammenschau mit dem Vorbringen im Renten- und zunächst auch im Klageverfahren sowie zuletzt wieder im Berufungsverfahren, wonach die Klägerin erst ab August 1942 im Schneidershop gearbeitet haben will, wiederum durchaus die gute Möglichkeit, dass sie bis zur Aufnahme dieser Tätigkeit mit Errichtung des Zwangsarbeitslager als Kind keiner Arbeit nachgegangen ist, sondern die illegale Schule besucht hat. Obwohl Kinderarbeit in Ghettos nach den Erkenntnissen des Senats nicht unüblich war, spricht hierfür jedenfalls durchaus auch die in § 1 der zweiten Durchführungsvorschrift zur Verordnung vom 26.10.1939 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements vom 12.12.1939, wonach jüdische Bewohner des Generalgouvernements erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres dem Arbeitszwang unterlagen. Dieses Alter hat die Klägerin jedoch erst im Juli 1942 vollendet. Auch dies steht der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Ghetto Radom zwischen März 1941 und August 1942 entgegen, die im übrigen nach dem letzten Schriftsatz der Klägerin vom 12.08.2005 offenbar nicht mehr geltend gemacht wird. Der historischen Tatsache der Liquidierung der in Radom bestehenden Ghettos im Monat August 1942 und ihrer anschließenden Ersetzung durch ein Zwangsarbeitslager kann die Klägerin nicht mit Erfolg die vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten Erklärungen der Verfolgten Goldberg, Kleiner und Den entgegenhalten, die angegeben haben, Ende 1942 in das Ghetto Radom "zurückversetzt" worden zu sein und dort bis zur Überführung in das Zwangsarbeitslager Pionki im November 1943 bzw. bis 1943 gearbeitet zu haben. Auch aus dem vorgelegten Auszug der Monographie "Faschismus - Ghetto - Massenmord" ergeben sich keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit der oben genannten Daten zur Liquidierung des Ghettos. Für die Richtigkeit der Auflösung der Ghettos bereits im August 1942 spricht neben der taggenauen Datierung in den eingangs erwähnten Fundstellen insbesondere, dass die in dem Werk "Enzyklopädie des Holocaust" dargestellten und allgemein anerkannten historischen Fakten und Daten auf umfangreichen und fundierten Recherchen beruhen. Die darin enthaltenen Daten der Auflösung des kleinen Ghettos am 05.08.1942 und des großen Ghettos vom 16. bis zum 18. August 1942 stimmen außerdem mit den weiteren von dem Senat herangezogenen historischen Fundstellen im Internet überein. Wenn die Verfolgten Goldberg, Kleiner und Den pauschal einen Aufenthalt in dem Ghetto Radom bis 1943 bzw. bis in das Jahr 1943 hinein behaupten, so mag dies daran gelegen haben, dass sie die Auflösung des Ghettos und die nachfolgende Begründung des Arbeitslagers nicht für erwähnungsbedürftig hielten oder dass die Lebens- und Arbeitsverhältnisse bereits im Ghetto möglicherweise denen des nachfolgenden Arbeitlagers bereits gleichkamen. Jedenfalls sind die pauschalen Angaben einzelner Betroffener zu Ghettoaufenthalten nicht geeignet, die oben genannten historisch gesicherten Daten zum Bestand des Ghettos in Radom zu entkräften. Gleiches gilt für die Angaben in der Monographie "Faschismus - Ghetto - Massenmord", die - anders als die genauen Zeitangaben in den von dem Senat herangezogenen Fundstellen - ebenfalls lediglich in einem pauschalen zeitlichen Bezug den Bestand verschiedener - an unterschiedlichen Daten liquidierter - Ghettos erwähnen.

Der guten Möglichkeit, dass die von der Klägerin und den Zeugen behaupteten Arbeiten im Schneidershop und später in der Bürsten- und Korbherstellung als Zwangsarbeit in dem im August 1942 errichteten Zwangsarbeitslager in Radom ausgeübt worden sind, steht nicht entgegen, dass die Klägerin sowohl nach ihrem Vorbringen als auch nach den Angaben der Zeuginnen L und G für ihre Arbeiten Gegenleistungen erhalten hat, denn selbst die Zahlung eines geringen Entgeltes steht einer Zwangsarbeit nicht entgegen (BSGE 38, 245; BSG SozR 5070 § 14 Nr. 9). Von der Zahlung eines mehr als geringfügigen Entgelts kann nicht ausgegangen werden. Die Angaben der Klägerin sind insoweit ebenfalls uneinheitlich. Während sie im Rentenantragsformular angegeben hat, als Arbeitsentgelt "Lohn, Coupone" erhalten zu haben, wobei ihr die Höhe nicht erinnerlich sei, trägt sie in ihrer Erklärung vom 12.08.2001 vor, sie habe Zloty für Lebensmittel erhalten. Abweichend hiervon macht sie im Berufungsverfahren geltend, sie habe Entgelt in Form von Gutscheinen erhalten, für die man Lebensmittel und auch "Sachbezüge" habe kaufen können. Demgegenüber erklärt die Zeugin L, sie habe für ihre Arbeit ebenso wie die Klägerin Ghettogeld und Coupons für Lebensmittel bezogen. Die Zeugin G gibt an, man habe täglich eine Suppe und auch Coupone erhalten, die man gegen Lebensmittel habe eintauschen können, wenn es welche gegeben habe. Die Würdigung dieser Angaben, insbesondere die Aussage der Zeugin G lässt nur darauf schließen, dass den Arbeiterinnen für ihre Arbeitsleistungen Gegenleistungen für ihre Arbeit allenfalls in der Höhe gewährt wurden, dass sie kaum für das Lebensnotwendigste ausreichten. Dies entspricht aber gerade der Typik der Zwangsarbeit.

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die vorgenannten Arbeiten während der Existenz des Ghettos in Radom und nicht in dem dortigen Zwangsarbeitslager verrichtet wurden, scheidet (ebenfalls) die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aus, denn die allenfalls geringfügige Gegenleistung für die erbrachte Arbeit schließt die Glaubhaftmachung der Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt aus. Das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfordert - wie oben bereits erwähnt-, dass ein Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt vorliegt. Auch wenn die Höhe des Entgelts vom Grundsatz her nicht das entscheidende Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses bildet, lassen sich aus Art und Umfang der gewährten Leistung regelmäßig Rückschlüsse darauf ziehen, ob das Entgelt als Bezahlung im Sinne einer Gegenleistung für die Arbeit oder zu einem anderen Zweck, wie z. B. als Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft gewährt wurde. Dabei haben allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Arbeitsleistung keinen Entgeltcharakter mehr (BSG Urteil vom 91.04.1990, 1 RA 91/88, SozR 3 - 5070 Art. 2 § 55 Nr. 1; Urteil vom 07.10.2004 a.a.O.; Seewald, in Kasseler Kommentar, § 4 Rnr 17), wobei die Gewährung nur freien Unterhalts ohnehin versicherungsfrei war (§ 1227 RVO in der während der streitigen Zeit geltenden Fassung; § 1228 RVO in der Fassung vom 01.03.1957; vgl. auch Verbandskommentar, RVO, 4. und 5. Buch, Stand März 1956, § 1227, Anm. 2 mwN; Eicher/Hase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl. 1978, § 1228 Anm. 5). Für die Gewährung allenfalls höchst geringfügiger Leistungen für die erbrachte Arbeit sprechen bereits - wie oben ausgeführt - die Angaben der Zeuginnen L und G, wobei aufgrund der Zeugenerklärungen davon auszugehen ist, dass die Arbeiterinnen - entgegen der (späteren) Behauptung der Klägerin - keinen Barlohn, sondern knapp bemessene Lebensmittel in Form der täglichen Inanspruchnahme der örtlichen Suppenküche und der Gewährung von Coupons zum Eintausch gegen Lebensmittel erhalten haben. Abgesehen davon, dass die Gewährung von Lebensmitteln zur Bestreitung des täglichen Lebensbedarfs die Gewährung freien Unterhalts mit der Folge der Versicherungsfreiheit darstellt (vgl. hierzu oben), ist - wie ebenfalls oben bereits ausgeführt - insbesondere unter Berücksichtigung der Angaben der Zeugin G davon auszugehen, dass der Umfang der gewährten Lebensmittel in Form einer täglichen Suppe und der Bereitstellung nicht immer vorhandener Lebensmittel nicht nur allenfalls geeignet war, das Überleben zu sichern, sondern im wesentlichen nur dazu diente, die Arbeitskraft zu erhalten. Hierfür sprechen auch die allgemein im Ghetto Radom herrschenden Lebensbedingungen, die durch den Hunger der Bewohner geprägt waren. Die Ghettoverwaltung hatte beispielsweise lediglich eine Tagesration an Brot von nur 100 Gramm pro Person und 200 Gramm Zucker im Monat genehmigt, so dass viele Ghettobewohner - trotz der damit verbundenen Lebensgefahr - versuchten Lebensmittel in das Ghetto zu schmuggeln (Enzyklopädie des Holocaust a.a.O.). Damit kann von der Gewährung eines rechtserheblichen Entgelts als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit im Rahmen einer unterstellten Ghettobeschäftigung nicht ausgegangen werden.

Die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Radom bzw. die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für sie lässt sich auch nicht auf die vorgelegten Schreiben der Firmen I L1 und L Q an den Oberbürgermeister des damaligen Litzmannstadt vom 13. und 14.06.1941, das Schreiben der C1 Erdöl- Verarbeitungsgesellschaft m.b.H. an die Raffinerie O aus den Jahren 1942 / 1943 und den Schreiben an die Ghettoverwaltung Bialystok vom 15.05.1942 und 03.03.1943 stützen. Auch wenn diese Schreiben zum Teil belegen, dass jüdische Arbeiter auch während der Herrschaft des Nationalsozialismus in Osteuropa versicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt haben, lässt sich das konkrete Vorliegen eines derartigen Beschäftigungsverhältnisses stets nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilen. Diese stehen jedoch im Falle der Klägerin - wie ausgeführt - der Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entgegen. Damit kann auch von der Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen nicht ausgegangen werden. Außerdem betreffen die vorgelegten Schreiben der Firmen Q und L1 nicht das Generalgouvernement und den Bezirk Radom, sondern das sogenannte Warthegau (bis Januar 1940 Reichsgau Posen), das mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen in das Deutsche Reich eingegliedert worden war. Im übrigen wurde die Beurteilung der Versicherungspflicht jüdischer Arbeiterinnen und Arbeiter auch im Warthegau regional und abhängig vom Einsatzort und dem jeweiligen Arbeitgeber höchst unterschiedlich behandelt. So waren beispielsweise für jüdische Arbeiter, die im Reichsgau Wartheland von der öffentlichen Hand oder in ihrem Auftrag zu Bauarbeiten eingesetzt wurden, nach einer Entlohnungsbestimmung des zuständigen Reichsstatthalters vom 13.08.1941 keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Gleiches galt für jüdische Arbeitskräfte aus dem damaligen Warthegau, in dem auch Litzmannstadt lag, wenn sie außerhalb dieser Region für Stellen der öffentlichen Hand zum Einsatz kamen. Für diese Arbeitskräfte war ab einer bestimmten Lohnhöhe eine steuerähnliche Sozialausgleichsabgabe zu zahlen. Bei Beschäftigungen im Warthegau stand es der öffentlichen Hand frei Löhne zu zahlen, während Privatbetriebe gehalten waren, Tariflöhne zu zahlen, wobei den jüdischen Arbeitskräften nur 35 % des Tariflohnes gewährt werden durfte. Diese Lohnzahlungen mögen die Grundlage für die Entrichtung von Invalidenversicherungsbeiträgen gewesen ein. Da Radom jedoch nicht im Warthegau lag, lassen sich aus den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen und Übungen dort keine unmittelbaren Folgerungen auf Arbeiten in Radom schließen. Gleiches gilt für die Schreiben betreffend Arbeitseinsätze jüdischer Arbeitnehmer in den Beskiden und in Bialystok, das ebenfalls außerhalb des Generalgouvernements lag. In diesem Zusammenhang ist ergänzend zu erwähnen, dass die von der Klägerin vorgelegten Schreiben betreffend das Ghetto Bialystok keinerlei Hinweise auf die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen enthalten.

Das Sozialgericht hat auch zu Recht entschieden, dass die Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung der in dem Ghetto Radom zurückgelegten Zeit als Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem ZRBG hat.

Das Gericht erster Instanz war insbesondere berechtigt über die Rechtmäßigkeit des insoweit ergangenen Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 03.02.2003 zu entscheiden, weil dieser Bescheid gem. § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsstreits, wenn er den alten, ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt. Mit dem ursprünglich angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 21.12.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1999 und dem Bescheid über die Ablehnung von Ansprüchen nach ZRBG vom 03.02.2003 hat es die Beklagte jeweils abgelehnt, dem Kläger Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres für die Vergangenheit und Zukunft zu gewähren. Beide Bescheide verneinen den Anspruch auf Rente aus Anlass des Versicherungsfalls des Alters unabhängig von einander, denn mit dem ZRBG-Bescheid hat die Beklagte den Erstbescheid weder ganz noch teilweise zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben (vgl. § 39 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuches (Verwaltungsverfahren) - SGB X -). Der nach dem ZRBG ergangene Bescheid lässt den ursprünglichen Bescheid unberührt. Folglich liegen die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG seinem Wortlaut nach nicht vor. Die Bestimmung ist aber über ihren Wortlaut hinaus unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie weit auszulegen (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2200 § 96 Rd. Nr. 4). Rechtfertigt dieser Grundgedanke die Einbeziehung und steht der neue Verwaltungsakt mit dem bisherigen Streitstoff in unmittelbarem Zusammenhang, so ist § 96 SGG nach ständiger Rechtsprechung des BSG zumindest entsprechend anwendbar (vgl. BSG E 47, 170; Meyer-Lagewig a.a.O.). Da beide Bescheide hinsichtlich ihres Regelungsgehaltes und Streitstoffes weitgehend identisch sind, ist es unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie geboten, über beide Bescheide in einem Verfahren zu entscheiden (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12.09.2003 - L 14 RJ 70/02 - und vom 07.11.2003 - L 13 RJ 46/02).

Die Entscheidung des Sozialgerichts ist auch materiell rechtlich nicht zu beanstanden, denn die Klägerin kann die Anerkennung von im Ghetto Radom zurückgelegter Beitragszeiten auch nicht auf das ZRBG stützen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erhalten Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes Leistungen nach dem ZRBG, die sich zwangsweise in einem Ghetto, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, aufgehalten haben und dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben. Wie oben bereits dargelegt, ist es jedoch weder bewiesen noch glaubhaft gemacht, dass die Klägerin im Ghetto Radom eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt verrichtet hat.

Da eine Versicherung der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht werden konnte, kommt - wie oben bereits ausgeführt- auch die Anerkennung von Ersatzzeiten nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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