L 8 SO 176/05 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 19 SO 35/05 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 176/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 8. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der 1958 geborene und alleinstehende Antragsteller bezog bis zum 31. Dezember 2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von der Antragsgegnerin. Er ist Eigentümer eines Wohnhauses und eines Kraftfahrzeuges und nicht erwerbstätig. Nach eigenen Angaben leidet er an umweltmedizinischen Erkrankungen.

Auf seine beim Sozialgericht Meiningen eingelegte Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 22. Juli 2003 die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verurteilt, ihm eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen (Az.: S 10 RA 117/97). Gegen dieses Urteil hat die BfA beim Thüringer Landessozialgericht Berufung eingelegt (Az.: L 3 RA 1028/03). Mit Beschluss vom 6. April 2004 hat der Vorsitzende des zuständigen Senates des Thüringer Landessozialgerichts die Vollstreckung aus diesem Urteil bis zu Erledigung des Rechtsstreites ausgesetzt (Az.: L 3 RA 45/04 ER). Das Sozialgericht habe seine Entscheidung im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. H. vom 26. Juni 2002 gestützt. Im Hinblick auf die Vorgeschichte und die von dem Antragsteller geltend gemachten Beschwerden hätte das Sozialgericht sich aber nicht allein auf dieses Gutachten stützen dürfen, sondern vielmehr ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einholen müssen, dem sich der Antragsteller mit Erfolg entzogen habe. Auch hätte sich das Sozialgericht nicht allein auf die telefonische Aussage von Prof. H. stützen dürfen, dass sich bereits aus der Diagnose "CFS" die für die positive Entscheidung erforderliche Leistungseinschränkung ergebe.

Unter dem 7. Dezember 2004 beantragte der Antragsteller ab dem 1. Januar 2005 "laufende Sozialhilfe". Durch das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 22. Juli 2003 sei seine "dauerhafte volle Erwerbsunfähigkeit fachkompetent und makellos festgestellt" worden. Hierdurch bestünde ein Anspruch auf Sozialleistungen, der Ansprüche auf Arbeitslosengeld II kategorisch ausschließe.

Unter dem 10. Dezember 2004 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Agentur für Arbeit feststelle, ob der Arbeitssuchende erwerbsfähig und hilfebedürftig sei. Es werde empfohlen, umgehend einen Antrag auf Arbeitslosengeld II zu stellen.

Am 10. Januar 2005 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er verfüge derzeit über kein Einkommen und Guthaben. Seine dauerhafte volle Erwerbsunfähigkeit sei durch das Sozialgericht Meiningen erwiesen. Seinen monatlichen Gesamtbedarf beziffert er auf 1.733,49 Euro.

Mit Bescheid vom 6. Januar 2005 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller bis auf weiteres ab 1. Januar 2005 Hilfe zum Lebensunterhalt als "Vorleistung Rente" in Höhe von monatlich 564,97 Euro. Dieser Betrag umfasst den Regelbedarf in Höhe von 331,00 Euro, einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von 66,47 Euro, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 119,94 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 49,63 Euro und Heizungskosten abzüglich Warmwasseranteile in Höhe von 47,56 Euro (Gesamtbedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt: 614,60 Euro). Abzüglich eines Teils des Wohngeldes (gesamter Lastenzuschuss in Höhe von monatlich 122,00 Euro, davon Kosten der Unterkunft 49,63) ergibt den Betrag von 564,97 Euro als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Dem Antragsteller wird ein monatlicher Betrag in Höhe von 445,03 Euro ausgezahlt, 119,94 Euro werden monatlich als Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung an die AOK Thüringen überwiesen.

Der Antragsteller hat sein Begehren auf Zahlung von insgesamt 1.733,49 Euro weiter verfolgt und sich zur Glaubhaftmachung dabei insbesondere auf folgende Unterlagen bezogen:

1. Eine als "ärztliches Gutachten" bezeichnete Bescheinigung des Dr. S. vom 7. Dezember 2000. Danach leide der Antragsteller an einer Darmerkrankung, Kreislauferkrankung sowie einer Nahrungsmittelunverträglichkeit und Allergie. 2. Eine Bescheinigung zur "Vorlage beim Sozialamt" des Fachkrankenhauses N. GmbH vom 12. März 2001 (unterschrieben von J. L., Oberarzt, Dipl.-Psychologe). Danach benötige der Antragsteller biologisch produzierte Nahrungsmittel in Form von Rotations- und Eliminationsdiät. Die täglichen Kosten einer solchen besonderen Ernährung seien mit etwa 25,00 DM zu veranschlagen. 3. Eine ärztliche Bescheinigung des Dr. S ... vom 15. Mai 2001. Danach seien auf Grund der "umweltmedizinischen Erkrankungen" des Antragstellers zur "Förderung der Entgiftung" und zur "Stabilisierung des Immunsystems" eine Reihe von Mineralien, Spurenelementen und Vitaminen notwendig, deren monatliche Kosten bei 400,00 DM lägen. Der Antragsteller solle nitratfreies Mineralwasser statt chloriertes Leitungswasser benutzen. 4. Ein "ärztliches Attest" des Dr. S. vom 6. August 2004. Danach leide der Antragsteller unter "umweltbedingten Erkrankungen", einschließlich "chronischer Allergien", die Haut- und Schleimhautreaktionen auslösten. Deshalb sei eine vermehrt aufwendige Körperreinigung und Pflege mit hypoallergenen und desensibilisierenden Körperreinigungs- und Pflegemitteln ohne chemisch irritative oder sensibilisierende Zusätze erforderlich, die individuell auszutesten seien. Eine Rotation der Mittel sei im Einklang mit der Rotationsdiät abzustimmen, um neue Unverträglichkeiten zu verhindern (.), dies bedeute insgesamt eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung gegenüber herkömmlichen Präparaten und allgemein üblicher Pflege. 5. Ein "Attest zur Vorlage beim Sozialamt" des Dr. S. vom 29. November 2004. Zum Erreichen einer angemessenen Lebensqualität und der gebotenen Verhinderung der Invalidität seien spezifische ernährungspysiologische Maßnahmen (beim Antragsteller) sowie eine baubiologisch einwandfreie, das heiße schadstofffreie Gestaltung seines Wohnraumes und Wohnfeldes gegebenenfalls auch eine entsprechende Sanierung aus umweltmedizinischer Sicht erforderlich.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2005 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antrag sei zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet. Soweit der Antragsteller begehre, den Antragsgegner zu verpflichten nach dem Erhalt der Rentenleistung den Differenzbetrag aus dem monatlichen Rentenbetrag und dem individuellen Gesamtbedarf als Auszahlung zu leisten, sei der Antrag unzulässig. Einem solchen Antrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Soweit der Antragsteller begehre, laufende Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1.733,49 Euro bis zum tatsächlichen Erhalt der Erwerbsunfähigkeitsrente zu erhalten, habe er weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller sei es hinsichtlich der Höhe der begehrten Leistungen zumutbar, das Hauptsachverfahren abzuwarten. Wie bereits das Verwaltungsgericht in Meiningen in seiner Entscheidung vom 6. April 2004 (Az.: A 8 E 541/03 ME) beschlossen habe, könne der Antragsteller im Eilverfahren lediglich das zum Leben Unerlässliche beanspruchen, also den Regelsatz zuzüglich des Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung, Unterkunftskosten und Heizungskosten sowie Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Leistungen seien dem Antragsteller jedenfalls zwischenzeitlich vorläufig gewährt worden.

Gegen den dem Antragsteller am 10. Februar 2005 zugestellten Beschluss hat er am 4. März 2005 Beschwerde eingelegt. Die Höhe seines Leistungsanspruches von 1.733,49 Euro sei zweifelsfrei begründet. Die Richtigkeit dieser Belege werde eidesstattlich versichert, einer weiteren Glaubhaftmachung bedürfe es nicht.

Auf die Aufforderung des Senates, die Eilbedürftigkeit des Antrages glaubhaft zu machen, hat der Antragsteller eine weitere "Bescheinigung" des Dr. S. vom 17. März 2005 vorgelegt. Diese lautet wörtlich: "Eine weitere Verzögerung der vollständigen Erfüllung der Aufwendungen des Herrn S ..., entsprechend dem Gutachten vom 7. Dezember 2000, der Bescheinigung des Fachkrankenhauses N. vom 12. März 2001 und der ärztlichen Atteste vom 15. Mai 2001, 6. August 2004 und vom 29. November 2004 ist aus medizinischer Sicht nicht vertretbar".

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 8. Februar 2005 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig ab dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von insgesamt 1.733,49 Euro monatlich abzüglich bereits erbrachter Leistungen zu zahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Für die vom Antragsteller geltend gemachten Leistungen gebe es keine Anspruchsgrundlage.

Unter dem 18. April 2005 hat der Senat eine umfangreiche Anfrage an Dr. S ... zu den von ihm ausgestellten Bescheinigungen vom 7. Dezember 2000, 15. Mai 2001, 6. August 2004, 29. November 2004 und 17. März 2005 gerichtet. Hinsichtlich der Beantwortung der Anfrage wird auf das Schreiben des Dr. S. vom 28. April 2005 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die den Antragsteller betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie die Prozessakte des Thüringer Landessozialgerichts L 3 RA 45/04 ER lagen vor und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 1.733,49 Euro im Wege einer einstweiligen Anordnung.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, wenn – wie hier – ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG (vorläufiger Rechtsschutz in Anfechtungssachen) nicht vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (Satz 4). Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG), gegen den nach § 172 SGG die Beschwerde zulässig ist.

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch (gesetzlicher Anknüpfungspunkt bei der Sicherungsanordnung: "Recht des Antragstellers", bei der Regelungsanordnung: "streitiges Rechtsverhältnis") und einen Anordnungsgrund (einerseits: "Gefahr für die Verwirklichung des Rechts", andererseits: "Notwendigkeit zur Regelung eines Zustandes") bejahen kann. Dabei bedeutet die Möglichkeit der Glaubhaftmachung von Tatsachen zunächst nur, dass das Gericht nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen der beweiserheblichen Tatsachen gewinnen muss, sondern ein geringerer Grad der Überzeugung genügt (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 103 Rdnr. 6a). Eine eidesstattliche Versicherung nach § 202 SGG i. V. m. § 294 ZPO ist im Rahmen des vorläufigen Verfahrens ein Mittel der Glaubhaftmachung. Die Abgabe einer solchen eidesstattlichen Versicherung bedeutet aber nicht schon, dass die Tatsachen damit per se glaubhaft sind, insbesondere wenn die Erklärung nicht aussagekräftig ist oder andere Beweismittel entgegenstehen.

Der Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit der Rechtsschutzgewährung) liegt vor, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden, wobei auf die Beachtung der Folgen für den Fall des Nichterlasses der begehrten einstweiligen Anordnung abzustellen ist. So können z.B. der Gesundheitszustand oder die finanzielle oder wirtschaftliche Situation eines Antragstellers im Wege einer Interessenabwägung dazu geeignet sein, das Vorliegen eines Regelungsgrundes zu begründen, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage wäre. Dabei kann es im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes ausnahmsweise auch erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar ist und ein Abwarten für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 86 b Rdnr. 31).

Ein Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit der Rechtsschutzgewährung, ist nicht glaubhaft gemacht worden.

Soweit der Antragsteller im Rahmen einer Aufstellung seines (angeblichen) Gesamtbedarfes höhere Kosten für Versicherungen, Heizung, Telefongebühren und laufende Kosten für Unterkunft geltend macht, ist für den Senat nicht erkennbar, weshalb die gesetzlichen Pauschalen nicht ausreichen sollen. Zudem ist der Vortrag hierzu schon deshalb unsubstantiiert oder nicht glaubwürdig, weil vornehmlich Rechnungen der vergangenen Jahre vorgelegt wurden, der Senat aber über die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu entscheiden hat. Im Übrigen ist der Lebensunterhalt des Antragstellers durch die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt durch den Antragsgegner ausreichend gesichert.

Soweit der Antragsteller einen höheren Gesamtbedarf auf Grund einer Erkrankung geltend macht, hat er weder die von ihm behauptete Erkrankung noch einen sich hieraus ergebenden Mehrbedarf glaubhaft gemacht.

Die im Rahmen einer Glaubhaftmachung vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigungen, insbesondere des Dr. S. einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. April 2005, sind nicht geeignet, eine Erkrankung des Antragstellers oder möglichen Mehrbedarf glaubhaft zu machen. Insbesondere die Bescheinigungen des Dr. S. entsprechen nicht dem Standard ärztlicher Bescheinigungen und lassen die Vermutung aufkommen, dass sie aus Gefälligkeit ausgestellt worden sind. Offensichtlich basieren die Bescheinigungen auch nicht auf eigene Untersuchungen und wissenschaftlich nachprüfbaren Feststellungen oder Messungen des Arztes beziehungsweise auf von Dritten erhobenen Befunden, sondern nur auf den Angaben des Antragstellers. Soweit Dr. S. nachprüfbare Erläuterungen zu seinen Bescheinigungen abgeben sollte, blieb er in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. April 2005 ausweichend, ungenau oder beantwortete einzelne Nachfragen gar nicht.

Die vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigungen des Dr. S. vom 7. Dezember 2000, 15. Mai 2001, 6. August 2004, 29. November 2004 und 17. März 2005 entsprechen schon deshalb nicht den Mindestanforderungen an medizinischen Bescheinigungen, weil sie keine Diagnose enthalten und insoweit wissenschaftlich auch nicht nachprüfbar sind. Dr. S. bescheinigt lediglich, dass der Antragsteller an "umweltmedizinischen Erkrankungen" leide. Um welche Erkrankungen (offenbar nicht nur eine) es sich handelt, ist den "Attesten" nicht zu entnehmen und wird auch in der ergänzenden Stellungnahme nicht geklärt.

Auf Nachfrage des Senates hat Dr. S. unter dem 28. April 2005 zwar mitgeteilt, dass er folgende Diagnose gestellt habe: "Chronische Erschöpfung und Schmerzsyndrom bei multipler chemical sensitivity Disorder ( so genanntes MCS – Syndrom), Nahrungsmittel- und (Zahn-)Metallintoleranzen (auf dem Hindergrund von Atopie), Depressive Reaktion auf multiple Belastungen (nicht zuletzt auch auf die juristischen Verfahren), Verdacht auf Elektromagnetische Sensitivität nach langjähriger beruflicher elektromagnetischer Exposition, langjährige Chemikalien- und Schimmelpilzexposition. Die Auswirkungen auf den Antragsteller seien von den Diagnosen abzuleiten, gegebenenfalls in umweltmedizinischen Fachbüchern nachzulesen.

Die Behauptung, nur auf Grund einer Diagnose "MCS" könne auf die Auswirkungen beim Antragsteller geschlossen werden, hält der Senat aber medizinisch nicht für vertretbar, zumal die Diagnose mit verschiedenen Symptomen verbunden sein kann, die bei einem Erkrankten nicht sämtlich vorliegen müssen. Dementsprechend wird – für den Senat schlüssig und nachvollziehbar – auf einer Internetseite der Deutschen Gesellschaft Multiple-Chemical-Sensitivity e.V. (www. dgmcs.de), eine Vereinigung "MCS" – Erkrankter, für unseriös gehalten, wenn, wie auch hier durch Dr. S., ein so genannter "MSC – Pass" ausgestellt oder auf andere Weise bescheinigt wird, dass eine "MCS" Erkrankung vorliege und der Patient ohne nähere Plausibilitätsprüfung, nur auf Grund der Diagnose und immer zwangsläufig, unter allen Symptomen leide, die mit einer solchen Erkrankung verbunden sein können. Aber selbst dann, wenn die Diagnose "MCS" beispielsweise zwangsläufig mit einer Nahrungsmittelunverträglichkeit verbunden wäre, lässt sich der Aussage des Dr. S. nicht entnehmen, welche Nahrungsmittel individuell beim Antragsteller betroffen sind und welches Ausmaß diese Unverträglichkeit bei ihm annimmt, sodass die Frage nach den Mehrkosten nicht beantwortet wird. Trotz der detaillierten Nachfrage des Senates vom 18. April 2005 hat Dr. S. mit seiner Antwort vom 28. April 2005 nicht zu einer Klärung beigetragen.

Im Einzelnen:

Nach der vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigung des Dr. S. vom 15. Mai 2001 benötigt er zur "Förderung der Entgiftung" und zur "Stabilisierung des Immunsystems" eine Reihe von Mineralien, Spurenelementen und Vitaminen, deren Kosten monatlich bei ca. 400 DM lägen. Auf Nachfrage hat Dr. S. mitgeteilt, dass eine Förderung der "Entgiftung" und "Stabilisierung des Immunsystems" nicht mit Mineralien und Vitaminen von "ALDI." zu bewerkstelligen sei. Die Präparate seien pharmakologisch bezüglich der Zusatzstoffe und vor allem der Qualität sehr verschieden und somit auch preislich kaum miteinander zu vergleichen. Dr. S. hat eine Aufstellung von verschiedenen Nahrungsergänzungsmitteln als Anlage eingereicht, aus der sich weder ergibt, um welche Präparate es sich dabei handelt, noch die Herstellerfirma genannt wird. Dementsprechend waren auch die genannten Preise nicht nachvollziehbar, zumal der Preisliste nicht einmal zu entnehmen ist, ob es sich um Euro oder DM-Beträge handelt. Dr. S. hat auch keine medizinische Erklärung abgegeben, weshalb der Antragsteller derartige Nahrungsergänzungsmittel in dem genannten Umfang zu sich nehmen muss. Die Begründung "Entgiftung" und "Stabilisierung des Immunsystems" werden von Dr. S. in diesem Zusammenhang offensichtlich nicht medizinisch, sondern laienhaft verwendet. Denn ansonsten hätte er darlegen können und müssen, in welchem Umfang der Antragsteller einer Vergiftung ausgesetzt war bzw. dessen Immunsystems einer Stabilisierung bedarf. Die entsprechende Nachfrage hat der Arzt nicht beantwortet.

Nicht mit dem medizinischen Standard zu vereinbaren ist ebenfalls die als ärztliches Attest bezeichnete Bescheinigung vom 6. August 2004. Dort führt Dr. S. aus, dass der Antragsteller unter einer umweltbedingter Erkrankung einschließlich chronischer Allergien, die Haut- und Schleimhautreaktionen auslösten, leide und deshalb vermehrt aufwendige Körperreinigung- und Pflegemittel mit hypoallergenen und desensibilisierenden Körperreinigungs- und Pflegemitteln ohne chemisch irretative oder sensibilisierende Zusätze benötige, die individuell auszutesten seien. Die Nachfrage dazu, ob Dr. S. Hauttests durchgeführt habe und welche Ergebnisse er dabei vorgefunden habe, hat Dr. S. unter dem 28. April 2005 dahingehend beantwortet, dass Hauttests, hier wohl allergisch gemeint, sinnlos seien, da es sich nicht um klassisch austestbare Allergien handele, sondern um "Unverträglichkeiten". Abgesehen davon, dass die Auskunft, der Antragsteller leide unter "Unverträglichkeiten", nicht aussagekräftig ist, hat sich Dr. S. damit selbst widersprochen, weil er im Attest vom 6. August 2004 ausdrücklich "chronische Allergien" und nicht "Unverträglichkeiten" bescheinigt hat. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb Dr. S. nicht getestet hat, auf welche Mittel der Antragsteller mit einer "Unverträglichkeit" reagiert bzw. weshalb solche Tests sinnlos sein sollen. Die Frage, ob der Antragsteller mittlerweile entsprechende Produkte getestet hat, die nahe liegt, weil die Bescheinigung etwa acht Monate alt ist, hat Dr. S. nicht beantwortet. Ferner hat er nicht mitgeteilt, welche Kosten der Antragsteller für derartige Hautmittel zusätzlich tragen müsste, sondern lediglich aus einem Katalog verschiedene Preislisten für Kosmetika, die teilweise markiert sind, als Anlage beigefügt. Auch dies ist für den Senat nicht nachvollziehbar.

Auch aus der als "Attest zur Vorlage beim Sozialamt" bezeichneten Bescheinigung des Dr. S. vom 29. November 2004 ergibt sich keine besondere Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes. Auf die Nachfrage des Senates, welche ernährungsspezifischen Maßnahmen der Antragsteller benötige, ob ein Diätplan aufgestellt worden sei, welche Produkte der Antragsteller zu sich nehmen dürfe und welche Kosten zusätzlich entstünden, hat Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. April 2005 lediglich erklärt, dass es nicht um objektiv austestbare Nahrungsmittelallergien, sondern um Unverträglichkeiten gehe, die der Antragsteller nur selbst feststellen könne, Fachliteratur sei in umweltmedizinischen Fachbüchern nachzulesen. Diese ausweichende Antwort belegt, dass sich aus den "Attesten" und "Bescheinigungen" des Dr. S. kein Hinweis auf einen nahrungsbedingten, kostenaufwendigen Mehrbedarf des Antragstellers ergibt und selbst der vom Antragsgegner bereits anerkannte Mehrbedarf nach dem SGB XII aus Sicht des Senates jedenfalls anhand der vorliegenden Unterlagen nicht glaubhaft erscheint.

Lediglich in der als "Gutachten" bezeichneten Bescheinigung vom 7. Dezember 2000 wird von "Nahrungsmittelunverträglichkeit" und "Allergie" gesprochen, eine Unverträglichkeit bestehe auf "viele Früchte", Roggen, Gerste, "viele Milchprodukte", "viele Gemüsesorten", was, abgesehen von der Ungenauigkeit der Angaben, per se nicht mit Mehrkosten verbunden ist. Abgesehen davon scheint Dr. S. entgegen der Stellungnahme vom 28. April 2005 doch in der Lage zu sein, einzelne Nahrungsmittel benennen zu können, was ebenfalls Zweifel an der Seriosität der Bescheinigungen des Arztes aufkommen lässt.

Insgesamt ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, dass Dr. S. in der "Vorbemerkung" seiner Stellungnahme vom 28. April 2005 von einer "jahrelangen Verzögerung und Verschleppung des Vorgangs" spricht (wobei er das hier beim Thüringer Landessozialgericht erst seit März 2005 anhängige Eilverfahren nicht meinen kann), er den Antragsteller offensichtlich seit mindestens etwa 5 Jahren behandelt, ihm mehrfach und pauschal Mehraufwendungen für Vitamine, Nahrung und Körperpflege, teilweise in erheblichem Umfang, bescheinigt, jedoch im Einzelnen nicht nachprüfbar darlegen kann, welche Mehrkosten durch Ernährung oder Körperpflege entstehen.

Dass das Attest vom 29. November 2004 in sich nicht schlüssig ist, ergibt sich schließlich auch daraus, dass Dr. S. dort behauptet, dass der Antragsteller eine baubiologisch einwandfreie, d.h. schadstofffreie Gestaltung seines Wohnraumes und Wohnumfeldes benötige, auf Nachfrage jedoch einräumen muss, die Wohnung des Antragstellers persönlich gar nicht zu kennen. In diesem Zusammenhang hat er ein Gutachten über die Sanierung und Modernisierung des Wohnhauses des Antragstellers vorlegt, das der Antragsteller selbst bereits eingereicht hat. Aus diesem Gutachten ist nur die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses, aber nicht die von Dr. S. bescheinigten Umweltgifte und Schadstoffe ersichtlich. Durch Dr. S. sind weder Schadstoffmessungen vorgenommen worden, noch konnte er Auskunft geben, welchen Immissionen der Antragsteller in seinen Wohnräumen ausgesetzt ist.

Schließlich ist auch auf Grund der Bescheinigung des Fachkrankenhauses N. GmbH vom 12. März 2001 ohne eine individuelle Erläuterung nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller durch das Einhalten einer Diät Mehrkosten entstehen.

Aus den genannten Gründen musste der Senat nicht dazu Stellung nehmen, ob für die vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche die Anspruchsgrundlage im SGB II geregelt ist, insbesondere ob es sich bei dem Antragsteller um einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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