S 19 RA 1361/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 19 RA 1361/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Ausfall der Rentenanpassung zum 01.07.2004 ist nicht verfassungswidrig.
2. Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, dass die Rentner ab 01.04.2004 den vollen Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung tragen müssen.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden nicht erstattet.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen den Ausfall der Rentenanpassung zum 01.07.2004 und begehrt, dass die Beklagte weiterhin ihren Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung zur Hälf-te trage. Die am 1942 geborene Klägerin war zuletzt vom 15.05.1987 bis 28.02.1990 als Fachver-käuferin beschäftigt, anschließend war sie arbeitslos. Auf Grund eines Urteils des Sozialge-richts Dresden vom 25.11.1999 (Az: S 4 RA 250/98) bezieht die Klägerin ab 01.06.1997 eine unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Bei der Berechnung der Rente legte die Kläge-rin 17,4156 persönliche Entgeltpunkte (Ost) zu Grunde. Mit Bescheid vom 08.04.2004 (Behördenakte S. – BAS – 623) teilte die Beklagte der Kläge-rin mit, dass ab 01.04.2004 monatlich 367,44 EUR gezahlt würden. Aus der Rente seien ab 01.04.2004 Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 1,7 % einzubehalten. Bei einem Rentenbetrag von 400,04 EUR ergebe dies einen Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 6,80 EUR. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2004, bei der Beklagten eingegangen am 11.03.2004, Widerspruch. Mit Schreiben vom 30.06.2004 beantragte die Klägerin eine Rentenanpassung zum 01.07.2004 nach §§ 65, 68, 255e SGB VI. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.08.2004 ab. Durch Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze (2. SGB VI-ÄndG) vom 27.12.2003 (BGBl. I, 3013) sei festgelegt worden, dass sich der aktuelle Rentenwert und der aktuelle Rentenwert (Ost) zum 01.07.2004 nicht veränderten. Auch gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10.08.2004, bei der Be-klagten eingegangen am 12.08.2004, Widerspruch. Die Nichterhöhung des aktuellen Renten-wertes zum 01.07.2004 werde für willkürlich und verfassungswidrig erachtet. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2004 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 08.03.2004 und vom 06.08.2004 zurück. Die angegriffenen Regelungen des 2. SBG VI-ÄndG seien unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG verfassungs-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat am 06.10.2004 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, sie habe bislang einen Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 3,40 EUR getragen und werde nun mit 6,80 EUR monatlich belastet. Art. 14 GG werde verletzt. Sozialversicherungsrechtliche Positionen könnten grundsätzlich den Schutz der Eigentumsgarantie genießen. Sie habe seit der Einrichtung der sozialen Pfle-geversicherung im Jahr 1995 durch ihre regelmäßigen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversi-cherung bis zum Rentenbeginn am 01.06.1997 die Pflegeversicherung mitfinanziert. Diesem Beitrag in der Erwerbsphase habe bisher eine entsprechende Vergünstigung in der eigenen Rentenbezugsphase gegenübergestanden. Durch die ersatz- und übergangslose Streichung der Zuschüsse des Rentenversicherungsträgers zu den Pflegeversicherungsbeiträgen habe der Ge-setzgeber entsprechendes Eigentum vernichtet und nicht nur dessen Inhalt und Schranken neu bestimmt. Der Eingriff sei nicht durch Gründe des Allgemeinwohles gerechtfertigt. Ein rein politisches Ziel wie die Stabilisierung der finanziellen Grundlage der Sozialversicherung und die Herstellung der Generationengerechtigkeit könne nicht ohne weiteres als verfassungsrecht-liches Argument zum Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG herangezogen werden. Die Neuregelung korrigiere die politische Entscheidung von 1995 nicht generationengerecht. Die Klägerin habe in ihrem Erwerbsleben bereits auf einen Feiertag verzichten müssen und habe daher bereits einen Beitrag zur Unterstützung der gesetzlichen Pflegeversicherung als Arbeitnehmerin erbracht. Darüber hinaus sei Art. 3 GG verletzt, da die Klägerin gegenüber pflegeversicherten Arbeit-nehmern ungleich behandelt werde. Nur die Rentner leisteten den vollen Pflegeversicherungs-beitrag, alle übrigen Versicherten nur den halben Beitrag. Dafür bestehe kein sachlicher Grund. Es gebe sogar Personengruppen, die überhaupt keinen Beitrag trügen wie Familienver-sicherte und junge Pflegeversicherte. Zur ausgefallenen Rentenanpassung 2004 trägt die Klägerin vor, die Rentendynamik unterfal-le dem eigentumsrechtlichen Schutz. Art. 14 Absatz 1 GG sei verletzt. Auf Grund der Bei-tragszahlung erworbene Anrechte könnten grundsätzlich nicht mehr entzogen werden. Der Grundsatz der Rentenanpassung sei Bestandteil des Generationenvertrages. Eine Aussetzung der Rentenanpassung auf Dauer würde den Rentenanspruch praktisch aushöhlen. Ein Recht-fertigungsgrund für den Eingriff sei nicht zu erkennen. Die hervorgerufene Ungewissheit für die Berechtigten sei mit dem Konzept der Versicherung unvereinbar. Auch eine geringe Stei-gerung auf Grund der Rentenanpassungsformel sei keine Rechtfertigung für den Eingriff. Die Klägerin legt zwei Gutachten von Herrn Prof. Dr. Friedhelm Hase ohne Datum zur Ver-fassungsmäßigkeit der Belastung der Rentner mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag und zur Verfassungsmäßigkeit der Aussetzung der Rentenanpassung für das Jahr 2004 vor. Die Klägerin beantragt, 1. den Bescheid vom 08.03.2004 und den Bescheid vom 06.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2004 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verpflichten, über den 01.04.2004 hinaus den vollen Bei-trag der Klägerin zur gesetzlichen Pflegeversicherung zu tragen sowie die Rente zum 01.07.2004 gemäß §§ 64, 65, 68, 255a, 255e SGB VI anzupas-sen, 3. das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Absatz 1 GG vorzulegen zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Art. 2 und Art. 6 Nr. 1 des 2. SGB VI-ÄndG vom 27.12.2003 (BGBl. I, 3013), 4. die Sprungrevision zuzulassen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und die Sprungrevision zuzulassen. Sie trägt im Wesentlichen vor, der Gesetzgeber habe bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich eine weite Gestaltungs-freiheit. Dem Gesetzgeber des 2. SGB VI-ÄndG sei es um die Stabilisierung des Beitragssat-zes und die kurz- und mittelfristige Beseitigung der Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung gegangen. Die Maßnahmen seien für die Erreichung des Zieles geeignet und erforderlich. Wenn die Rentenanpassung nicht ausgesetzt worden wäre, hätte sie in den alten Bundeslän-dern nur 0,04 % und in den neuen Bundesländern nur 0,17 % betragen. Die ursprünglich vom VDR prognostizierten Zahlen hätten sich in Anbetracht der schwachen Lohnentwicklung nicht bestätigt. Für den Standardrentner (Ost) hätte dies eine Rentenerhöhung um 1,80 EUR bedeutet. Würde man die Rentenanpassung festschreiben, dann wären Konsolidierungsmaßnahmen al-lein zu Lasten der Beitragszahler möglich. Bislang sei nur im Jahr 2000 von der vorgesehenen Rentenanpassung abgewichen worden. Es sei zweifelhaft, ob die hälftige Beitragstragung zur Pflegeversicherung durch den Renten-versicherungsträger den Schutz des Art. 14 GG genieße. Die Klägerin habe von 1990 bis 1997 keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. 1999 bis 2001 habe sie eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt, für die nur der Arbeitgeber Beiträge entrichtet habe. Durch den Wegfall der hälftigen Beitragstragung durch die Beklagte sei der existenzsichernde Charakter der Rente nicht gefährdet. Die Funktionssicherung der Rente werde insgesamt nur unwesentlich beeinträchtigt. Die Regelung sei verhältnismäßig. Durch sie spare die Rentenversicherung jährlich 1,6 Mrd. EUR. Die Belastung der Klägerin sei nicht unzumutbar. Die heutige Rentnergeneration hätte wäh-rend ihres gesamten Erwerbslebens die Erwartung gehabt, aus einer eventuellen Pflegebedürf-tigkeit erwachsende Kosten einmal selbst tragen zu müssen. Bei einer monatlichen Mehrbelas-tung eines Bruttostandardrentners mit 10 EUR im Westen und 8,79 EUR im Osten sei der Eingriff moderat. Eine strikt paritätische Sozialversicherung gebe es seit längerem nicht mehr. Diese sei beispielsweise durch die "Riester-Rente", die Zuzahlungen bei Medikamenten und die Praxisgebühr aufgehoben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Ge-richtsakte und der beigezogenen Behördenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, und der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 08.03.2004 und der Bescheid vom 06.08.2004 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 13.09.2004 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über den 31.03.2004 hinaus die Hälfte ihres Beitrages zur gesetzlichen Pflegeversicherung trägt (hierzu unten 1.) noch auf die Durchführung einer Rentenanpassung zum 01.07.2004 (2.), § 54 Absatz 1 Satz 1 SGG. 1. Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht ab 01.04.2004 zur Tragung des vollen Pflegeversi-cherungsbeitrages herangezogen. Die Heranziehung verletzt keine Grundrechte der Klägerin. a) Die Klägerin trägt ab 01.04.2004 ihren Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung in vol-ler Höhe alleine. Bis zum 31.03.2004 waren gemäß § 59 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Elftes Buch (SGB XI) in der damals gültigen Fassung in Verbindung mit § 249a Sozialgesetz-buch – Fünftes Buch (SGB V) die nach der Rente zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte den Pflegeversicherungspflichtigen, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen und den Trägern der Rentenversicherung auferlegt. Durch Art. 6 Nr. 1 des 2. SGB VI-ÄndG ist § 59 Absatz 1 Satz 1 SGB XI dahingehend geändert worden, dass der Verweis auf § 249a SGB V gestrichen und festgelegt wurde, dass die Beiträge aus der Rente der ge-setzlichen Rentenversicherung von dem Mitglied allein zu übernehmen sind. Diese Änderung trat gemäß Art. 13 Absatz 4 des 2. SGB VI-ÄndG zum 01.04.2004 in Kraft. Damit erhöht sich der Betrag, den die Beklagte der Klägerin von der monatlichen Rentenzah-lung abzuziehen hat, von 0,85 % auf 1,7 %. Für die Klägerin bedeutet dies bei einem monatli-chen Bruttobetrag der Rente in Höhe von 400, 04 EUR eine Erhöhung des Pflegeversicherungs-beitrages von 3,40 EUR im Monat auf 6,80 EUR. Die Umsetzung der Gesetzesänderung ist damit in dem Bescheid der Beklagten vom 08.03.2004 korrekt erfolgt. b) Die volle Belastung der Klägerin mit dem Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung ver-stößt nicht gegen Verfassungsrecht. Die Klägerin ist weder in ihren Grundrechten aus Art. 14 Absatz 1 (dazu aa) noch aus Art. 3 Absatz 1 (bb) oder Art. 2 Absatz 1 und 20 Absatz 3 GG (cc) verletzt. aa) Das in Art. 14 Absatz 1 GG geschützte Eigentumsrecht der Klägerin ist nicht verletzt. Grundsätzlich können Rechte und Ansprüche auf Renten nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in den Schutzbereich des Art. 14 Absatz 1 GG fallen. Voraussetzung ist, dass dem Einzelnen eine einem Eigentümer entsprechende Rechtsposition eingeräumt ist. Allerdings umfasst dieser Schutzbereich nur das Kernsystem der gesetzlichen Rentenversicherung des SGB VI (vgl. BSG, Beschluss vom 30.03.2004 – B 4 RA 24/02 R –). Danach sind Selbstzah-ler und versicherungspflichtige Arbeitnehmer in ihren Rechten auf Rente durch Erwerb von Rangstellen durch Beiträge, bei der Anwendung der Rentenformel, der Rentenanpassung, der Rehabilitation, der Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversicherung besonders ge-schützt. Die sogenannten Zusatzsysteme (beispielsweise Zuschuss zu Kranken- und Pflege-versicherungsbeiträgen, Abfindungen, Steigerungsbeträge, Kinderzuschuss, Auffüllbeträge) vermitteln keine Rechte auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung des SGB VI und zählen damit nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu dem Kernsystem der gesetzli-chen Rentenversicherung des SGB VI. In die in diesem Kernsystem erworbenen Rechte der Klägerin greift Art. 6 Nr. 1 des 2. SGB VI-ÄndG nicht ein. Denn ihre durch Beitragszahlungen erworbene Rangstelle bleibt ebenso wie die Höhe ihres (Brutto-)Rentenanspruches unberührt. Die Änderung wirkt sich vielmehr ähnlich einer Änderung des Zuschusses zu den Pflegeversicherungsbeiträgen, der in Art. 1 Nr. 4 des 2. SGB VI-ÄndG durch die Aufhebung des früheren § 106a SGB VI parallel dazu voll-zogen wurde, nur außerhalb des Kernsystems aus. Während dort ein Zusatzsystem abgeschafft wurde, entfällt für die Klägerin eine sich gleichartig auswirkende Leistung des Rentenversi-cherungsträgers. Folglich ist durch die im Streit stehende Maßnahme bereits der Schutzbe-reich des Art. 14 Absatz 1 GG überhaupt nicht berührt. bb) Eine Verletzung der in Art. 3 Absatz 1 GG gewährleisteten Gleichheit vor dem Gesetz vermag die Kammer nicht zu erkennen. Hier fehlt es bereits an vergleichbaren Gruppen von Betroffenen, die einer unterschiedlichen Behandlung unterzogen werden könnten. Insbesondere ist die Gruppe der Rentner, der die Klägerin angehört, mit der Gruppe der versi-cherungspflichtigen Arbeitnehmer, die ebenfalls zur Zahlung von Pflegeversicherungsbeiträ-gen herangezogen werden, nicht vergleichbar, so dass deren behauptete Ungleichbehandlung zur keinem Verstoß gegen Art. 3 Absatz 1 GG führen kann. Denn ein solcher Verstoß wäre nur dann denkbar, wenn Gleiches ohne sachlichen Grund ungleich behandelt würde. Zwar trifft es zu, dass die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland als versiche-rungspflichtige Beschäftigte, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, die Pflegeversicherungsbeiträge nur zur Hälfte, z.Zt. also 0,85 % zu tragen haben. Denn die andere Hälfte tragen grundsätzlich ihre Arbeitgeber, § 58 Absatz 1 Satz 1 SGB XI. In die-sem Zusammenhang ist allerdings wesentlich, dass diese Arbeitnehmer sich den Zuschuss ihrer Arbeitgeber dadurch "erkauft" haben, dass in ihrem Bundesland der Buß- und Bettag als bisheriger gesetzlicher Feiertag im Zuge der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung entfallen ist, so dass sie die Beitragszahlung durch den Arbeitgeber durch die zusätzliche Ar-beitsleistung von einem Arbeitstag pro Jahr – ohne zusätzliches Arbeitsentgelt – aufwiegen. Anders verhält es sich allerdings im Freistaat Sachsen, in dem die Klägerin wohnt. Denn hier ist der Buß- und Bettag mit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht abge-schafft worden. Im Gegenzug müssen hier die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer anders als im übrigen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einen erhöhten Beitrag zur Pflegever-sicherung tragen, vgl. § 58 Absatz 3 Satz 1 SGB XI. Dies macht deutlich, dass bereits seit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung eine Gleichbehandlung der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit den pflegeversicherungs-pflichtigen Rentnern zu keinem Zeitpunkt stattgefunden hat. Während zunächst die Rentner dadurch, dass sie ohne Gegenleistung nur die Hälfte des Versicherungsbeitrages zu zahlen hatten, gegenüber den versicherungspflichtigen Arbeitnehmern privilegiert waren, findet nunmehr eine Umkehrung statt. Einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsprinzip vermag die Kammer hierin nicht zu erkennen. cc) Die Belastung der Klägerin mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag verstößt schließ-lich auch nicht gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und den rechtsstaat-lichen Vertrauensschutz, die aus Art. 2 Absatz 1 und Art. 20 Absatz 3 GG hergeleitet werden. Durch die Einbeziehung in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung trägt die im Erwerbsleben stehende Generation Lasten, indem sie das Geld für die heute zu zahlen-den Altersrenten aufbringt. Dadurch ist den aktiven Versicherten im Regelfall die Möglichkeit zu eigener Altersvorsorge in weitem Maße entzogen. Darin liegt ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, der nicht zu rechtfertigen wäre, wenn den Zwangsversicherten nicht ver-lässlich zugesagt würde, künftig an einem im Wesentlichen nach denselben rechtlichen Wert-entscheidungen und Grundsätzen ausgestalteten rentenversicherungsrechtlichen Rechtssystem teilzuhaben. Zwangsbeitrag und Altersrente müssen deshalb in einem verhältnismäßigen Aus-gleich stehen. Insoweit wandelt sich das Grundrecht auf freie Gestaltung der eigenen Alters-vorsorge in ein ebenso geschütztes Recht auf eine der Vorleistung verhältnismäßig entspre-chende Teilhabe (BSG, Urteil vom 31.07.2002 – B 4 RA 120/00 R –). Die Aufhebung der anteilsmäßigen Beitragstragung zur gesetzlichen Pflegeversicherung durch den Träger der Rentenversicherung, die mit Art. 6 Nr. 1 des 2. SGB VI-ÄndG erfolgt ist, greift in das genannte Grundrecht ein. Denn ihre monatlich ausgezahlte Netto-Rente fällt ab dem 01.04.2004 niedriger aus, als sie dies bis zu diesem Zeitpunkt auf Grund der geltenden gesetzlichen Vorschriften erwarten durfte. Allerdings ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht schrankenlos gewähr-leistet. Der Gesetzgeber ist vielmehr grundsätzlich befugt, in das jeweils vorgefundene Leis-tungsgefüge ordnend einzugreifen (BSG, Urteil vom 31.07.2002 – B 4 RA 120/00 R –). Dies ist dann der Fall, wenn der Eingriff unter Beachtung der übrigen betroffenen Grundrechte ver-hältnismäßig ist. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass der Eingriff insgesamt eine Belastung in Höhe von 0,85 % der monatlichen Bruttorente der Klägerin mit sich bringt. Es handelt sich somit um eine sehr moderate Belastung, die weder den existenzsichernden Charakter der Rente berührt noch die Verhältnismäßigkeit des Geldwertes der Rente im Vergleich zu den im Erwerbsleben erbrachten Zwangsbeiträgen aus dem Gleichgewicht zu bringen vermag. Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz kann bereits deshalb ausgeschlos-sen werden, weil die Klägerin nicht zu dem Personenkreis gehört, der durch Beitragszahlun-gen in der Erwerbsphase an der Finanzierung des von der Beklagten übernommenen Anteiles am Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung mitgewirkt hat. Die Klägerin hat nämlich be-reits seit dem Beginn ihrer Arbeitslosigkeit am 01.03.1990 bis zum 31.03.2004 keinerlei Bei-träge zur gesetzlichen Rentenversicherung mehr entrichtet. Somit gehört sie nicht zu dem Per-sonenkreis, die mit Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahre 1995 zunächst mit ihren Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung die Finanzierung der Beiträge der damaligen Rentner zu gesetzlichen Pflegeversicherung mitfinanziert hat. Folglich konnte sie auch kein geschütztes Vertrauen darauf aufbauen, in einer späteren Periode des eigenen Ren-tenbezuges in den Genuss einer entsprechenden Leistung zu gelangen. Insofern kann offen bleiben, ob ein entsprechender Vertrauensschutz der Gesetzesänderung zum 01.04.2004 ent-gegengehalten werden kann. Diese Gesetzesänderung ist schließlich auch insgesamt nicht unverhältnismäßig. Der Gesetz-geber hat in der Gesetzesbegründung (BT Drs. 15/1830) nachvollziehbar sein Ermessen aus-geübt. Demnach dient die Änderung in der Beitragslast zur gesetzlichen Pflegeversicherung der kurz- und fristigen Behebung der Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversi-cherung und damit der Stabilisierung des Rentenversicherungssystems. Angesichts der lau-fenden Zunahme der Zahl der Rentenempfänger gegenüber der Zahl der Beitragszahler er-scheint eine Entlastung der Rentenkassen von Leistungen außerhalb des Kernsystems der ge-setzlichen Rentenversicherung des SGB VI als geeignet und erforderlich zur Erreichung die-ses Zieles. Dass der Gesetzgeber sich zu Gunsten der Beibehaltung eines stabilen Beitragssat-zes von 19,5 % für eine höhere Netto-Belastung der Rentenbezieher entscheiden hat, liegt im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit und erscheint der Kammer insgesamt nicht unverhältnismäßig. 2. Die unterbliebene Anpassung der Rente der Klägerin zum 01.07.2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Grundrechten. a) Die zum 01.07.2004 grundsätzlich vorgesehene Anpassung der Rente der Klägerin ist zu recht ausgeblieben. Die jährliche Rentenanpassung erfolgt nach den §§ 64, 65, 68, 255a, 255e SGB VI. Demnach wird zum 01.07. eines jeden Jahres ein neuer aktueller Rentenwert errech-net, der den bisherigen aktuellen Rentenwert ersetzt. Nach den allgemeinen Regeln wäre der seit 01.07.2003 geltende aktuelle Rentenwert von 26,13 EUR (West) bzw. 22,97 EUR (Ost) um 0,04 % (West) bzw. 0,17 % angehoben worden (Gunkel, DRV, 637, 638). Allerdings ist der aktuelle Rentenwert und der aktuelle Rentenwert (Ost) gemäß Art. 2 des 2. SGB VI-ÄndG zum 01.07.2004 unverändert geblieben ("Renten-Nullrunde"). Somit ist das Begehren der Klägerin, ihre Rente zum 01.07.2004 anzupassen, durch Gesetz ausgeschlossen. b) Dieser Ausfall der Rentenanpassung verletzt die Grundrechte der Klägerin nicht. Das Ei-gentumsrecht der Klägerin aus Art. 14 Absatz 1 GG ist nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich die Kammer anschließt, fällt die Rechtsinstituti-on der jährlichen Rentenanpassung in Höhe des Inflationsausgleiches in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie (BSG, Urteil vom 31.07.2002 – B 4 RA 120/00 R –). Dadurch, dass der Gesetzgeber die Rentenanpassung 2004 hat ausfallen lassen, hat der aktuel-le Rentenwert und der aktuelle Rentenwert (Ost) inflationsbedingt real an Wert verloren. Dieser Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin ist jedoch gerechtfertigt. Denn die Eigen-tumsgarantie ist nicht unbeschränkt. Der Gesetzgeber hat gemäß Art. 14 Absatz 1 Satz 2 GG die Befugnis, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Er kann in eigentumsrecht-lich geschützte Positionen eingreifen, wenn dies durch Gründe des öffentlichen Interesses und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschluss vom 28.04.1999, BVerfGE 100, 1, 37). Im 2. SGB VI-ÄndG hat der Gesetzgeber ein Bündel von Maßnahmen getroffen, die die Funk-tions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten soll-ten. Sie zielen insbesondere darauf ab, den Beitragssatz in Höhe von 19,5 % konstant zu hal-ten. Durch die Vermeidung des weiteren Anstiegs der Lohnnebenkosten wollte der Gesetzge-ber Beschäftigungsverhältnisse sichern und ausbauen, wovon er sich wiederum positive Aus-wirkungen auf die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung erhoffte (BT Drs. 15/1830, S. 1, 8). Der Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin ist verhältnismäßig. Die Aussetzung der Ren-tenanpassung ist geeignet und erforderlich, um das gesetzliche Rentenversicherungssystem zu sichern. Auch wenn im – zum Zeitpunkt der Gesetzgebung noch nicht bis in alle Einzelheiten voraussehbaren – Ergebnis die ausgefallene Rentenanpassung nur extrem moderat ausgefallen wäre, bringt der Eingriff Einsparungen für die Träger der Rentenversicherung mit sich. Der Gesetzgeber durfte ohne Abwägungsfehler unter den verschiedenen Möglichkeiten der Ver-besserung der Finanzierungslage, zu denen u.a. auch eine Erhöhung des Beitragssatzes gehört hätte, die Aussetzung der Rentenanpassung als ein geeignetes Mittel auswählen (so auch LSG NRW, Urteil vom 14.01.2005 – L 4 RA 60/04 –). Dieses Mittel war insofern auch verhältnismäßig im engeren Sinne, als es die Rentner nur in sehr moderatem Maße belastet. Für die Klägerin bedeutet die ausgefallene Rentenanpassung einen Verlust von monatlich 0,68 EUR. Die Hinnahme dieser Einbuße erscheint der Kammer nicht unangemessen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich hierbei um einen Teil eines Bündels von Maßnahmen mit hohem Sozialbezug handelt, das nämlich auf die Sicherung des Bestandes des Rentenversicherungssystems insgesamt abzielt, die letztlich auch wiederum der Klägerin selbst als Rentenbezieherin zu Gute kommt. Der Eingriff ist auch insofern verhältnismäßig, als er in Art. 2 des 2. SGB VI-ÄndG ausdrück-lich als einmaliger Eingriff konzipiert ist. Damit wird vermieden, dass es zu einer dauerhaften und nachhaltigen inflationsbedingten Abwertung des eigentumsgeschützten Wertes der Rente der Klägerin kommt. Offenbleiben kann daher für die Kammer, ob die ausgefallene Rentenanpassung 2004 der Be-ginn einer Serie von "Nullanpassungen" auf Grund des mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.07.2004 eingeführten Nachhaltigkeitsfaktors sein wird, die zu einer inflationsbeding-ten erheblichen Abwertung des Rentenwertes führen könnte (vgl. Holzapfel, Die Rentenan-passungsformel 1992 bis 2005, Mitteilungen der bayer. LVAen 2005, 263). Denn die Kammer hatte nur über die einmalige ausgefallene Rentenanpassung zu befinden, die sich isoliert be-trachtet noch kaum belastend auf die Klägerin auswirkt. Ob und in welchem Umfang ein wei-terer inflationsbedingter Wertverlust der Rente der Klägerin eintritt oder eintreten wird, ist zum streitentscheidenden Zeitpunkt des 01.07.2004 jedenfalls noch nicht absehbar gewesen und auch heute noch kaum prognostizierbar. 3. Da die für den Rechtsstreit entscheidenden Gesetzesvorschriften zur Überzeugung der Kammer verfassungsgemäß sind, war dem Gericht die von der Klägerin beantragte Ausset-zung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Absatz 1 GG verwehrt. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. 5. Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Absatz 2 Satz 1, 160 Absatz 2 Nr. 1 SGG zuzulas-sen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beteiligten haben das Verfahren als Musterverfahren ausgewählt, in dem eine grundsätzliche Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen herbeigeführt werden soll, die in einer großen Zahl gleichgelagerter Fälle auf-geworfen werden.
Rechtskraft
Aus
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