L 6 RA 499/04

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 12 RA 325/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 RA 499/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Versicherte, die am 30. Juni 1990 in der ehemaligen DDR als Instrukteurin für Kader und Bildung tätig war, erfüllt nicht die sachliche Voraussetzung für einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage nach der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 23. April 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr. 1 bis 26 zum Anspruchs- und Anwartschafts-überführungsgesetz (AAÜG) nach § 8 AAÜG Beschäftigungszeiten vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und die in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.

Der 1952 geborenen Klägerin wurde am 24. Juli 1974 nach dem Studium an der Ingenieurschule für Wissenschaftlichen Gerätebau "Carl Zeiss" Unterwellenborn der Titel des Ingenieurs verliehen Vom 1. September 1974 bis zum 31. Dezember 1974 war sie als Justieringenieurin, vom 1. Januar 1975 bis zum 12. September 1976 als Güteinspektorin und ab dem 13. September 1976 bis zum 30. Juni 1990 und darüber hinaus als Instrukteurin für Kader und Bildung beim VEB "C. Z." J. tätig.

Eine Versorgungszusage erhielt die Klägerin vor Schließung der Versorgungssysteme nicht. Ab dem 1. Februar 1977 bis zum 31. Dezember 1983 zahlte sie Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR).

Die Ernst-Abbe-Stiftung teilte mit Schreiben vom 26. August 2002 mit, ein Antrag auf Gleichstellung nach dem Gesetz zur Gleichstellung mit Zusatzversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Zusatzversorgungssystem-Gleichstellungsgesetz - ZVsG) sei nicht gestellt worden.

Im September 2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung ihrer Beschäftigungszeiten vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte.

Mit Bescheid vom 26. September 2002 lehnte die Beklagte die Feststellung der Zeit vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als nachgewiesene Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2003). Sie habe keine ingenieurtechnische Beschäftigung im Sinne der Versorgungsordnung ausgeübt. Mit Urteil vom 23. April 2004 hat das Sozialgericht Altenburg die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren vertritt die Klägerin die Ansicht, sie habe am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz erfüllt. Sie sei berechtigt gewesen die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen, habe in einem volkseigenen Betrieb gearbeitet und eine ihrer Qualifikation entsprechende Tätigkeit ausgeübt. Die Aufgaben als Instrukteur für Kader und Bildung seien sehr vielfältig gewesen und hätten ein fundiertes ingenieur-technisches Wissen des Produktionsablaufes und Detailkenntnisse spezieller Tätigkeiten erfordert. Voraussetzung für die Ausübung dieser Tätigkeit sei die Ingenieurausbildung gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 23. April 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 (zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz) nach Anlage 1 zum AAÜG und die in dieser Zeit erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 17. August 1950 der technischen Intelligenz einen Anspruch auf einen höheren Lebensstandard zuerkannt habe, weil diese vor allem große wissenschaftliche und technische Aufgaben durchzuführen hatte. Die Verordnung habe darunter von vornherein nur technische Aufgaben in Produktionsbetrieben verstanden. Dies ergebe sich auch aus den hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen. Die Klägerin sei als Instrukteurin für Kader und Bildung verwaltungstechnisch tätig gewesen. Eine Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz sei insoweit nicht obligatorisch gewesen, sondern habe nur auf Grundlage einer Ermessensentscheidung erfolgen können.

Der Senat hat eine Auskunft der J. AG J. vom 15. November 2004 eingeholt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Beschäftigungszeiten vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einschließlich der in diesem Zeitraum nachgewiesenen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Die Vorschriften des AAÜG sind auf sie nicht anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG gilt, war ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, dieser Verlust als nicht eingetreten.

Die Klägerin erfüllt nach dem Wortlaut der Vorschrift beide Voraussetzungen nicht. Sie war am 1. August 1991, dem Datum des Inkrafttretens des AAÜG, nicht Inhaberin einer Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihr eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden war, liegt nicht vor. Sie hat auch keine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt und hatte keine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Sie war auch nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen worden. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Ein Anwendungsfall einer gesetzlich fingierten Anwartschaft ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer Beschäftigung in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt hatte, sondern der Betroffene muss nach den Regeln des Versorgungssystems tatsächlich einbezogen worden und nach erfolgter Einbeziehung später ausgeschieden sein (vgl. BSG vom 29. Juli 2004 - Az.: B 4 RA 12/04 R, nach juris). Nach § 3 Abs. 5 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (nachfolgend: 2. DB z. ZAVO-techInt, GBl Nr. 62, S. 487) erfolgte die Erteilung einer Versorgungszusage ausschließlich durch Aushändigung eines "Dokuments über die zusätzliche Altersversorgung". Ein solches Dokument (Versicherungsurkunde) ist der Klägerin nicht ausgehändigt worden. Mangels vorheriger Einbeziehung konnte sie daher nicht aus einem Versorgungssystem in diesem Sinne ausscheiden (vgl. BSG, a.a.O.).

Die Klägerin war am 1. August 1991 auch nicht Inhaberin einer fingierten Versorgungsanwartschaft, wie sie sich aus der vom 4. Senat des Bundessozialgerichts vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG herleitet.

Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht in einem Versorgungssystem einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht aufgrund originären Bundesrechts (z. B. Art. 17 des Einigungsvertrages (EV)) einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 31/01 R, Az.: B 4 RA 41/01, Az.: B 4 RA 3/02 R, BSG vom 10. April 2002 Az.: B 4 RA 34/01 R, Az.: B 4 RA 10/02 R, nach juris).

Die Klägerin hat am 1. August 1991 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (ZAVO-techInt, GBl. Nr. 93 S. 844) nicht erfüllt.

Dies ist nur dann der Fall, wenn nach § 1 ZAVO-techInt i.V.m. § 1 Abs. 1 der 2. DB z. ZAVO-techInt drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss am 30. Juni 1990 eine bestimmte Berufsbezeichnung (persönlichen Voraussetzung) und eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung). Die Tätigkeit oder Beschäftigung muss am 30. Juni 1990 bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens verrichtet worden sein (betriebliche Voraussetzung – vgl. BSG vom 18. Juni 2003 - Az.: B 4 RA 1/03 R; ebenso z.B.: BSG vom 9. April 2002 –Az.: B 4 RA 32/01 R und vom 10. April 2002 – Az.: B 4 RA 10/02 R oder vom 18. Juni 2003 – Az.: B 4 RA 50/02 R).

Bei der Klägerin liegt die sachliche Voraussetzung für einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage nach der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nicht vor. Sie hatte zwar seit dem 24. Juli 1974 die Berechtigung, den Titel "Ingenieur" zu führen und damit die persönliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz erfüllt. Sie übte jedoch am 30. Juni 1990 keine ihrer Qualifikation ("Ingenieurin") entsprechende Tätigkeit aus.

Wie sich aus der Präambel der ZAVO-techInt ergibt, sollten in das Versorgungssystem grundsätzlich nur solche Personen einbezogen werden, die für die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit und der Technik zuständig waren, also diejenigen, die mit ihrer "technischen" Qualifikation aktiv den Produktionsprozess, sei es in der Forschung oder bei der Produktion förderten (vgl. BSG vom 31. März 2004 – Az.: B 4 RA 31/03 R, nach juris).

Die Klägerin war beim VEB "C. Z." J. am 30. Juni 1990 nicht als Ingenieurin, sondern als Instrukteurin für Kader und Bildung im Personalwesen tätig. Nach ihrem eigenen Vortrag umfasste diese Tätigkeit die Vorbereitung von Einstellungen und Arbeitsverträgen sowie die Auswahl von Bewerbern im Bereich optischer Präzisionsgerätebau. Ferner umfasste die Tätigkeit die Weiterqualifizierung und Auswahl von Mitarbeitern, die langfristig für Führungsaufgaben vorbereitet und angeleitet wurden. Die Tätigkeit der Klägerin war insoweit nicht mit einem direkten Einfluss auf die Produktionsprozesse des VEB "C. Z." J. verbunden. Insoweit kann auch dahinstehen, ob sie grundsätzlich eine Ausbildung als Ingenieur voraussetzte.

Die Klägerin kann auch nicht im Wege einer Gesetzes- bzw. Rechtsanalogie aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation den in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB ZAVO-techInt genannten Gruppen gleichgestellt werden. Den Gerichten ist es im Hinblick auf das Verbot von Neueinbeziehungen im EV untersagt, eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über den in den einzelnen Versorgungssystemen vorgesehenen begünstigten Personenkreis hinaus vorzunehmen. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestehen nicht, weil der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR ohne Willkür anknüpfen durfte. Art. 3 Abs. 1 und 3 des Grundgesetzes (GG) gebieten nicht, dort vorhandene Ungleichheiten rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.).

Es kann hier dahinstehen, ob die Klägerin Ansprüche und Anwartschaften nach dem Pensionsstatut der C.-Z.-Stiftung J. vom 3. Dezember 1888 i. d. F. vom 30. Dezember 1977 (Pensionsstatut), zuletzt geändert durch Beschluss der C.-Z.-Stiftung J. vom 25. Februar 1991, erworben hat, weil jedenfalls eine Gleichstellung nach dem Gesetz zur Gleichstellung mit Zusatzversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Zusatzversorgungssystem-Gleichstellungsgesetz - ZVsG) vom 24. Juni 1993 (BGBl. I S. 1038), geändert durch Art. 5 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1311) nicht erfolgt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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