S 21 AL 1975/03 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 21 AL 1975/03 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
I. Zum Verhältnis von § 86b Abs. 1 SGG und § 86b Abs. 2 SGG.
II. Bei einer Abzweigung nach § 48 SGB I handelt es sich nicht um eine Herabsetzung bzw. den Entzug einer laufenden Leistung im Sinne von § 86b Abs. 2 Nr. 2 SGG respektive § 86b Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 336a S. 2 SGB III.
I. Es wird festgestellt, daß die Klage gegen die Bescheide vom 28.10.2003 und 30.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10.11.2003 aufschiebende Wirkung hat.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) wendet sich im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abzweigung von Arbeitslosenhilfe an den Freistaat Sachsen, welcher vertreten durch die Beigeladene, an die Kinder des Ast. Unterhaltsvorschuß leistet.

Der Ast. steht für den hier interessierenden Zeitraum seit dem 03.01.2002 im Bezug von Arbeitslosenhilfe. Zuletzt mit Bescheid vom 10.01.2003 bewilligte die Antragsgegnerin (Agg.) dem Ast. Arbeitslosenhilfe mit einem wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 183,68 Euro bei einem Bemessungsentgelt von gerundet 535 Euro und der Einordnung des Ast. in die Leistungsgruppe A bei einem erhöhten Leistungssatz (Kindermerkmal 1).

Mit Schreiben vom 14.10.2003 teilte die Beigeladene (Beig.) der Agg. mit, daß der Freistaat Sachsen vertreten durch sie seit dem 01.10.2002 Unterhaltsvorschuß von derzeit jeweils 145,00 Euro monatlich gewähre, da der Ast. seinen Unterhaltsverpflichtungen seinen zwei Kindern gegenüber nicht nachkomme. Daher beantrage sie, die Beig., die Abzweigung nach § 48 SGB I aus den dem Ast. von der Agg. gewährten Leistungen.

Durch Bescheid vom 28.10.2003 entschied die Agg. – nach Anhörung des Ast. am 17.10.2003 -, daß von der dem Ast. bewilligten laufenden Leistung Arbeitslosenhilfe mit Wirkung vom 01.11.2003 täglich 9,56 Euro einbehalten und regelmäßig monatlich nachträglich gezahlt werde. Der Bescheid war an die Beig. adressiert, wurde aber mit Schreiben gleichen Datums auch dem Ast. bekannt gegeben.

Mit Bescheid vom 30.10.2003 wurde von der Agg. die Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung des Abzweigungsbetrages bewilligt.

Am 03.11.2003 legte der Ast. Widerspruch ein, den er im wesentlichen damit begründete, daß er mit der Abzweigung nicht einverstanden sei, da das Jugendamt mit Schreiben vom 08.09.2003 nur einen Betrag von 146,00 Euro monatlich für beide Kinder geltend gemacht habe und er im übrigen auch diesen Betrag nicht zahlen könne.

Den Widerspruch hat die Agg. mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2003 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Ast. hat am 17.11.2003 mit Schreiben vom 14.11.2003 Klage gegen die Abzweigungsentscheidung vom 28.10.2003 und den Bescheid vom 30.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2003 erhoben, die bei Gericht unter dem Aktenzeichen S 21 AL 1977/03 geführt wird. Gleichzeitig erhob er einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel der "Stornierung des Abzugs" "bis zur Klärung des Falles" mit der Begründung aus dem Widerspruchsschreiben.

Der Ast. beantragt sinngemäß,

festzustellen, daß die Klage gegen die Bescheide vom 28.10.2003 und 30.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchbe-scheides vom 10.11.2003 aufschiebende Wirkung hat.

Die Agg. beantragt,

den Antrag auf Erlaß einer einst-weiligen Anordnung abzulehnen.

Sie ist im wesentlichen der Ansicht, daß kein Anordnungsanspruch bestehe. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz der Agg. vom 27.11.2003 und den Widerspruchsbescheid vom 10.11.2003 verwiesen.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Agg. unter der Stammnr ... beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Leistungsakte der Agg. sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist auch begründet.

1. Das Gericht entnimmt dem Vorbringen des Ast. (vgl. § 123 SGG), daß dieser die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seiner unter dem Aktenzeichen S 21 AL 1977/03 geführten Klage gegen die Bescheide vom 28.10.2003 und 30.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2003 verlangt. Zwar hat die Agg. den Widerspruch des Ast. vom 3.11.2003 gegen die Abzweigung als einen solchen gegen den Bewilligungsbescheid vom 30.11.2003 verstanden, allerdings ist dem Widerspruchsschreiben eindeutig auch der Wille des Ast. zu entnehmen, gegen die Abzweigungsentscheidung vom 28.10.2003 vorzugehen. Das dies letztendlich die Agg. auch so sah, ist dem Begründungsgegenstand des Widerspruchsbescheides zu entnehmen, der sich im ganz überwiegendem mit der Abzweigungsentscheidung befaßt, während der Bewilligungsbescheid nur allenfalls noch konkludent angesprochen wird. Bei der Abzweigungsentscheidung vom 28.11.2003 und dem Bewilligungsbescheid vom 30.11.2003 handelt es sich um zwei verschiedene Bescheide, die jedoch im unmittelbarem Zusammenhang stehen und daher hier auch als einheitlicher Antragsgegenstand zu bewerten sind. Der Abzweigungsbescheid vom 28.10.2003, der nur an die Beig. adressiert, dem Ast. aber nach § 37 Abs. 1 SGB X bekannt gegeben wurde, enthält einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, der einen den leistungsberechtigten Ast. belastenden Verwaltungsakt darstellt (vgl. Seewald, in Kasseler Kommentar, § 48 SGB I Rn. 24). Dem Ast. steht daher ein eigenständiges Anfechtungsrecht zu. Der Bewilligungsbescheid vom 30.10.2003 stellt indes "nur noch" die Umsetzung der Abzweigungsentscheidung dar, ist aber gleichfalls als belastender Verwaltungsakt zu qualifizieren, da er den tatsächlichen Auszahlungsbetrag faktisch "reduziert" (vgl. dazu aber unten).

2. Rechtsgrundlage für das Antragsbegehren ist eine entsprechende Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG. In Fällen, in denen, wie hier, durch die Auszahlung eines Teils der Leistungen an die Beig. und nicht an den Ast. die behördliche Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts unter Mißachtung der bestehenden aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (faktische Vollziehung) oder eine solche faktische Vollziehung droht, ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG – und nicht nach § 86b Abs. 2 SGG – statthaft. Dies folgt aus der Regelung des § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG, wonach eine einstweilige Anordnung nur statthaft ist, soweit es sich nicht um ein Aussetzungsverfahren nach § 86b Abs. 1 SGG handelt. Hier handelt es sich um einen Fall des § 86b Abs. 1 SGG, denn die Beteiligten streiten über den Eintritt oder Nichteintritt der aufschiebenden Wirkung i.S. dieser Regelung. Ein solcher Streit ist dem System des § 86b Abs. 1 SGG und nicht dem des § 86b Abs. 2 SGG zuzuordnen (vgl. dazu auch Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 86b Rn. 15).

3. Voraussetzung für die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 17.11.2003 ist, daß diese gemäß § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung hat; das bedeutet, daß keine der unter § 86a Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGG genannten Varianten vorliegt. So liegen die Dinge hier. Die aufschiebende Wirkung der genannten Klage entfällt nicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG (oder nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 336a Satz 2 SGB III). Danach entfällt die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen in Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen. Die Bescheide vom 28.10.2003 und 30.10.2003 haben keine laufende Leistung (teilweise) entzogen oder herabgesetzt. Zwar handelt es sich bei der an den Ast. gezahlten Arbeitslosenhilfe um eine laufende Leistung in diesem Sinne, allerdings wird durch die Abzweigungsentscheidung die dem Ast. bewilligte Arbeitslosenhilfe nicht herabgesetzt und auch nicht (teilweise) entzogen. Denn anspruchsberechtigt ist weiterhin der Ast. (so auch Zeihe, SGG, § 86a Anm. 4 K cc. 18). Für den Fall einer eventuellen Aufhebung der Alhi-Bewilligung ist dieser auch ggf. erstattungspflichtig i.S. des § 50 SGB X für den gesamten Betrag und nicht nur für den an ihn selbst ausgezahlten Teil der Leistungen (vgl. BSG, Urteil v. 17.01.1991 – 7 RAr 72/90 -, SozR 3-3100 § 50 SGBX).

Ebenso scheidet eine entsprechende Anwendung der Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG aus. Nach dem in § 86a SGG geregelten System des einstweiligen Rechtsschutzes bei Anfechtungsklagen haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). Nur ausnahmsweise entfällt die aufschiebende Wirkung bei Vorliegen der in § 86a Abs. 2 Nr. 1-4 SGG im einzelnen genannten Varianten. Der Ausnahmecharakter der Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG verbietet zumal unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine erweiternde Auslegung.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved