S 11 AS 64/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 64/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiliger Anordnung die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich angemessener Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – SGB II –.

Der am 00.00.1956 geborene Antragsteller lebt seit dem Jahr 2000 mit seiner Lebensgefährtin in einem gemeinsam am 25.05.2000 erworbenen Haus. Miteigentum besteht zu je ½. In diesem Haus bewohnen sie eine 72 qm große Wohnung. Eine weitere Wohnung ist zu einem monatlichen Mietzins von 263,78 EUR (einschließlich Nebenkosten) vermietet. Der Antragsteller bezieht eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau in Höhe von zuletzt 155,75 EUR/Monat. Seine Lebensgefährtin ist berufstätig und bezieht ein monatliches Bruttogehalt von 1946 EUR (Netto: 1216,80 EUR).

Den am 24.09.2004 gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes lehnte die Antragsgegnerin ab. Sie führte sinngemäß aus, dass der Antragsteller mit seiner Lebensgefährtin eine Bedarfsgemeinschaft bilde. Das – bereinigte – Gesamteinkommen von 1137,67 EUR überschreite den monatlichen Gesamtbedarf von 1080,40 EUR (Bescheid vom 16.12.2004).

Mit dem Widerspruch nahm der Antragsteller Bezug auf einen Beschluss des Sozialgerichts – SG – Düsseldorf vom 16.02.2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER. Unter Bezugnahme auf die Gründe dieses Beschlusses vertrat er die Auffassung, dass "die Anrechnung von Partnereinkommen bei Unverheirateten" verfassungswidrig sei.

Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin zurück; dazu führte sie im Wesentlichen aus, dass dem vom Antragsteller zitierten Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf nicht gefolgt werden könne. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz könne nicht bereits deshalb festgestellt werden, weil der Gesetzgeber eine Personengruppe, die er möglicherweise ebenfalls im Rahmen der Einkommensanrechnung hätte einbeziehen können, tatsächlich nicht einbezogen habe. Insoweit werde auch auf den Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 19.04.2005 – Az.: S 4 AS 11/05 Bezug genommen.

Am 00.00.0000 hat der Kläger Klage erhoben (Az.: S 00 AS 00/00) und am 00.00.0000 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er macht im Wesentlichen geltend, dass zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin lediglich eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft bestehe. Ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des täglichen Lebens sei damit jedoch nicht verbunden. Im Übrigen bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Heranziehung von Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Rahmen des SGB II.

Der Antragsteller beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht bis zur Entscheidung der Hauptsache monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 248,80 EUR (= 80 % von 311,00 EUR) einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat von der Antragsgegnerin eine Nachberechnung des Gesamtbedarfs und des anrechnungsfähigen Einkommens angefordert. Auf den Inhalt der Neuberechnung wird ebenso Bezug genommen wie auf den Inhalt der Gerichts- und Leistungsakte. II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung des streitigen Rechtsverhältnisses voraus, aus dem der Antragsteller eigene Rechte – insbesondere Leistungsansprüche – ableitet (Anordnungsanspruch). Ferner ist erforderlich, dass die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden. Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu bestimmen (vgl. Grieger, ZfSH/SGB, 2004, 579 (583), Berlit, info also 2005, 3 (4 f.)).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft dargetan. Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarf des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer unter anderem seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II). Gegenwärtig kann aufgrund der dem Gericht vorliegenden Erklärungen und Ermittlungen nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob der Antragsteller tatsächlich hilfebedürftig ist. Vielmehr sprechen zur Zeit gewichtige Indizien für die Annahme, dass der Antragsteller im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3b) in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin lebt. Dem entsprechend hat der Antragsteller das von seiner Lebensgefährtin erwirtschaftete Einkommen anrechnen zu lassen.

Die Kammer trägt entgegen den Ausführungen des Antragstellers keine durchgreifenden Zweifel am Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne der genannten Vorschriften. Zutreffend ist allerdings, dass der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft – der bereits vor dem Inkrafttreten des SGB II bekannt war (vgl. § 193 Abs. 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches – SGB III – und § 122 Bundessozialhilfegesetz – BSHG -) - vom Bundesverfassungsgericht – BVerfG – im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft umschrieben worden ist (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – Az.: 1 BvL 8/87, BVerfGE, 87, 234 ff.). Zur Feststellung der tatsächlichen Umstände einer eheähnlichen Gemeinschaft ist entscheidend auf objektiv nachvollziehbare Kriterien abzustellen, da innere Vorgänge im Verhältnis zwischen den Partnern einer Gemeinschaft regelmäßig schwer bis gar nicht aufzuklären sind (vgl. hierzu ausführlich SG Oldenburg – Beschluss vom 30.05.2005 – Az.: S 47 AS 226/05 ER, zu recherchieren unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Als wichtige Indizien für die Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft ist beispielsweise auf die Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, abzustellen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Hierbei handelt es sich nicht um eine abschließende Auflistung; vielmehr ist eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände vorzunehmen (Landessozialgericht – LSG – NRW, Beschluss vom 21.04.2005 – Az.: L 9 B 6/05 SO ER).

Einen wichtigen Hinweis für die Existenz einer eheähnlichen Gemeinschaft bietet bereits der Umstand, dass der Antragsteller und seine Lebensgefährtin seit dem Jahr 2000 zusammen wohnen. Ein weiteres gewichtiges Indiz stellt der Umstand dar, dass der Antragsteller und seine Lebensgefährtin Miteigentümer der gemeinsam bewohnten und auch vermieteten Immobilie sind. Nach allgemeiner Lebenserfahrung spricht viel dafür, dass die Anschaffung eines gemeinsamen Hauses unter Eingehung von erheblichen Kreditverbindlichkeiten und dessen gemeinsames Bewohnen nur von Ehepaaren oder Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft vorgenommen wird. Demgegenüber sind in der Lebenswirklichkeit reine Wohngemeinschaften nicht davon geprägt, dass gemeinsam eine Eigentümerstellung an einem Hausgrundstück oder an einer Eigentumswohnung begründet wird (vgl. hierzu auch SG Oldenburg a.a.O.).

Die Einbeziehung von Partnern aus eheähnlichen Lebensgemeinschaften und die Außerachtlassung homosexueller eheähnlicher Lebensgemeinschaften begegnet zur Überzeugung der Kammer keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken und verstößt insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG –. Insofern teilt die Kammer nicht die Auffassung des SG Düsseldorf in dem vom Antragsteller zitierten Beschluss vom 16.02.2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER (durch Beschluss des LSG NRW vom 21.04.2005 – Az.: L 9 B 6/05 AS ER teilweise geändert). Zwar gebietet Art. 3 Abs. 1 GG im Grunde eine Gleichbehandlung von wesentlich gleichen Sachverhalten und erlaubt eine Differenzierung lediglich aus sachlichen Gründen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 – Az.: 1 BvL 50/79, BVerfGE, 55, 72 ff). Die beiden zu vergleichenden Sachverhalte sind aber nicht wesentlich gleich. Denn insofern sind nicht jegliche Gemeinschaften heterosexueller und homosexueller Prägung zu vergleichen, weil der Gesetzgeber auch die Partner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes zur Bedarfsgemeinschaft und damit zur Einkommensanrechnung herangezogen hat (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II und § 33b des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB I -). Als Vergleichsgruppen sind daher nur die Mitglieder eheähnlicher und partnerschaftsähnlicher Lebensgemeinschaften heranzuziehen. Eine Gleichbehandlung dieser beiden Lebensgemeinschaften ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber generalisieren, typisieren und pauschalieren (BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 – Az.: 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 ff). Er darf bei bedarfabhängigen Sozialleistungen – die auch vom Einkommen eines Partners abhängig gemacht werden – zwischen eheähnlicher und partnerschaftsähnlicher Gemeinschaft differenzieren, weil erstere in weitaus größerer Zahl vorkommt und sich als sozialer Typus deutlicher herausgebildet hat als letztere (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – Az.: 1 BvL 8/87, BVerfGE, 87, 234 ff). An diesen Gesichtspunkten hat sich seit der zuvor zitierten Entscheidung des BVerfG nach Ansicht der Kammer nichts grundlegendes geändert; insbesondere hat die partnerschaftsähnliche Lebensgemeinschaft noch keinen vergleichbaren sozialen Stellenwert erlangt, wie die eheähnliche Lebensgemeinschaft (vgl. auch Landessozialgericht – LSG – Sachsen, Beschluss vom 14.04.2005 – Az.: L 3 B 30/05 AS ER; LSG NRW, a.a.O.; SG Oldenburg, a.a.O.; SG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 20.04.2005 – Az.: S 4 AS 31/05 ER und vom 03.05.2005 – Az.: S 11 AS 38/05 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 31.03.2005 – Az.: S 31 AS 82/05 ER, zu recherchieren unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; Hänlein, Juris PR-SozR 9/2005, Anmerkung 1). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei einer homosexuellen partnerschaftsähnlichen Gemeinschaft nicht um eine völlig atypische Lebensform handelt. Gleichwohl lässt sich wenig bestreiten, dass heterosexuelle eheähnliche Gemeinschaften eine sehr viel größere praktische Rolle spielen, als homosexuelle partnerschaftsähnliche Gemeinschaften (vgl. Hänlein aaO.), so dass die bislang vorgenommene Typisierung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

Auch wenn das BVerfG in seinem Urteil vom 17.07.2002 – Az.: 1 BvF 1/01, 2/01 den Gesetzgeber indirekt aufgefordert hat, bei der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung auch Einkommen des homosexuellen – eingetragenen – Lebenspartners zu berücksichtigen, kann angesichts der obigen Ausführungen hieraus nicht zwingend gefolgert werden, dass eine Anrechnung auch bei partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften vorzunehmen ist.

Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass die Nichteinbeziehung von partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften in die Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt, kann die Lösung nicht darin bestehen, eheähnliche Gemeinschaften aus der Bedarfsgemeinschaft herauszunehmen. Denn diese Lösung liefe auf eine verfassungswidrige Benachteiligung der Ehe hinaus, sofern man auch nicht dort die Anrechnung untersagen wollte (Hänlein, a.a.O.). Würden nämlich die Mittel des Partners allein in der Ehe, nicht aber in der eheähnlichen Gemeinschaft bedarfsmindernd angerechnet, wäre Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Die durch das Grundgesetz besonders geschützte Ehe wäre in einem solchen Fall besonders benachteiligt, weil sie neben der Lebenspartnerschaft als einzige Lebensgemeinschaft zur vorrangigen Unterstützung des Arbeitssuchenden herangezogen würde (LSG Sachsen, a.a.O.; LSG NRW, a.a.O.; Hänlein, a.a.O.).

Die Antragsgegnerin hat schließlich auch unter rechnerischen Aspekten zutreffend ermittelt, dass dem Antragsteller die begehrten Leistungen nicht zuzuerkennen sind. Die Gesamteinkünfte von 1084,64 EUR übersteigen den Gesamtbedarf in Höhe von 1014,14 EUR. Insofern wird Bezug genommen auf die von der Antragsgegnerin vorgenommen Neuberechnung vom 30.06.2005.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass für den Antragsteller, der eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau (§ 45 Abs. 2 SGB VI) bezieht, Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuches – SGB V – und § 20 Abs. 1 Nr. 11 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB XI – besteht, so dass sein Versicherungsschutz entsprechend gewährleistet und die Notwendigkeit der Übernahme von Beiträgen zu einer freiwilligen Krankenversicherung entsprechend § 26 Abs. 2 SGB II jedenfalls gegenwärtig nicht zu erkennen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved