S 11 AS 16/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 16/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich angemessener Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – SGB II – in Anspruch.

Der am 00.00.1961 geborene Kläger bezog bis zum 04.10.2001 Arbeitslosengeld und danach durchgehend bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe. Er lebt seit 1999 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in einer Eigentumswohnung, die je zu ½ im Miteigentum der Lebenspartner steht (Kaufvertrag vom 20.08.1999). Im Hinblick auf die Eigentumswohnung bestehen noch Darlehensverbindlichkeiten. Die Lebensgefährtin des Klägers ist berufstätig. Ihr – bereinigtes – Nettoerwerbseinkommen belief sich zunächst auf 1369,16 EUR und ist zwischenzeitlich auf 1356,74 EUR abgesunken.

Am 24.11.2004 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Auf diesen Antrag gewährte die Beklagte der nach ihrer Auffassung aus dem Kläger und seiner Lebensgefährtin bestehenden Bedarfsgemeinschaft monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 72,78 EUR (Bescheid vom 20.12.2004).

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, von dem zugesprochenen Betrag nicht leben zu können. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, dass das anzurechnende Einkommen den sich auf 1269,83 EUR belaufenden Gesamtbedarf um 1197,85 EUR mindere, so dass ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes lediglich in Höhe von 72,78 EUR bestehe (Widerspruchsbescheid vom 17.02.2005).

Mit der am 00.00.0000 erhobenen Klage bezieht sich der Kläger auf einen Beschluss des Sozialgerichts – SG – Düsseldorf vom 16.02.2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER und vertritt (sinngemäß) die Auffassung, dass die Einbeziehung von Partnern eheähnlicher Gemeinschaften in die Bedarfsgemeinschaft verfassungswidrig sei und daher zu unterbleiben habe. Mit Bescheid vom 12.05.2005 hat die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2005 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 86,43 EUR zuerkannt. Bei einem unveränderten Gesamtbedarf von 1269,83 EUR legte sie ein anzusetzendes Erwerbseinkommen von 1183,40 EUR zugrunde.

Der Kläger beantragt nunmehr,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 20.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2005 sowie unter Änderung des Bescheides vom 12.05.2005 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.10.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 311,00 EUR zuzüglich Kosten der Unterkunft in Höhe von 323,91 EUR monatlich nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und macht ferner geltend, dass dem vom Kläger zitierten Beschluss des SG Düsseldorf nicht zu folgen sei.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist nicht nur der Bescheid vom 20.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2004, sondern darüber hinaus auch der Bescheid vom 12.05.2005, mit dem monatliche Leistungen für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.10.2005 bewilligt worden sind. Die Einbeziehung des letztgenannten Bescheides entsprechend § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – rechtfertigt sich (jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation) vor dem Hintergrund, dass die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen identisch sind und durch den Bescheid vom 12.05.2005 ein Zeitraum geregelt wird, der sich nahtlos an den hier streitigen Zeitraum anschließt (vgl. hierzu Landessozialgericht – LSG – Niedersachsen, Urteil vom 21.06.1996 – Az.: L 7 AR 211/95, Breithaupt 1997, 184 ff.).

Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten der Unterkunft. Vor diesem Hintergrund sind der angefochtene Bescheid vom 20.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2004 sowie der Bescheid vom 12.05.2005 rechtmäßig, und der Kläger wird durch diese Bescheide nicht beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3b) SGB II sind der Kläger und seine im gemeinsamen Haushalt lebende Lebensgefährtin als eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen. Dies hat zur Folge, dass sich der Kläger das von seiner Lebensgefährtin erwirtschaftete Einkommen anrechnen lassen muss (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Die Kammer hat am Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft keine durchgreifenden Zweifel. Der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft – der bereits vor dem Inkrafttreten des SGB II bekannt war (vgl. § 193 Abs. 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches – SGB III – und § 122 Bundessozialhilfegesetz – BSHG –) – ist vom Bundesverfassungsgericht – BVerfG – im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft umschrieben worden (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – Az.: 1 BvL 8/87, BVerfGE, 87, 234 ff.). Zur Feststellung der tatsächlichen Umstände einer eheähnlichen Gemeinschaft ist entscheidend auf objektiv nachvollziehbare Kriterien abzustellen, da innere Vorgänge im Verhältnis zwischen den Partnern einer Gemeinschaft regelmäßig schwer bis gar nicht aufzuklären sind (vgl. hierzu ausführlich SG Oldenburg – Beschluss vom 30.05.2005 – Az.: S 47 AS 226/05 ER, zu recherchieren unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Als wichtige Indizien für die Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft ist beispielsweise auf die Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, abzustellen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Hierbei handelt es sich nicht um eine abschließende Auflistung; vielmehr ist eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände vorzunehmen (Landessozialgericht – LSG – NRW, Beschluss vom 21.04.2005 – Az.: L 9 B 6/05 SO ER).

Einen wichtigen Hinweis für die Existenz einer eheähnlichen Gemeinschaft bietet bereits der Umstand, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin seit 1999 zusammen in der gemeinsam erworbenen und gehaltenen Eigentumswohnung wohnen. Ein weiteres gewichtiges Indiz stellt in diesem Zusammenhang der Umstand dar, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin Miteigentümer der Immobilie sind. Nach allgemeiner Lebenserfahrung spricht viel dafür, dass die Anschaffung einer gemeinsamen Immobilie unter Eingehung von erheblichen Kreditverbindlichkeiten und dessen gemeinsames Bewohnen nur von Ehepaaren oder Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft vorgenommen wird. Dem gegenüber sind in der Lebenswirklichkeit reine Wohngemeinschaften nicht dadurch geprägt, dass Miteigentum an einem Hausgrundstück oder an einer Eigentumswohnung begründet wird (vgl. hierzu auch SG Oldenburg, a.a.O.). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger selber die Existenz einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht bestritten, sondern sich mit seinem Vorbringen ausschließlich den verfassungsrechtlichen Aspekten der Einbeziehung von Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft in die Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3b) SGB II) gewidmet hat.

Die Einbeziehung von Partnern aus eheähnlichen Lebensgemeinschaften und die Außerachtlassung homosexueller eheähnlicher Lebensgemeinschaften begegnet zur Überzeugung der Kammer entgegen der Auffassung des Klägers keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken und verstößt insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG –. Insofern teilt die Kammer nicht die Auffassung des SG Düsseldorf in dem vom Antragsteller zitierten Beschluss vom 16.02.2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER (durch Beschluss des LSG NRW vom 21.04.2005 – Az.: L 9 B 6/05 AS ER teilweise geändert – vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 12.05.2005 – Az.: L 9 B 12/05 AS ER). Zwar gebietet Art. 3 Abs. 1 GG im Grunde eine Gleichbehandlung von wesentlich gleichen Sachverhalten und erlaubt eine Differenzierung lediglich aus sachlichen Gründen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 – Az.: 1 BvL 50/79, BVerfGE, 55, 72 ff). Die beiden zu vergleichenden Sachverhalte sind aber nicht wesentlich gleich. Denn insofern sind nicht jegliche Gemeinschaften heterosexueller und homosexueller Prägung zu vergleichen, weil der Gesetzgeber auch die Partner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes zur Bedarfsgemeinschaft und damit zur Einkommensanrechnung herangezogen hat (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II und § 33b des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB I -). Als Vergleichsgruppen sind daher nur die Mitglieder eheähnlicher und partnerschaftsähnlicher Lebensgemeinschaften heranzuziehen. Eine Gleichbehandlung dieser beiden Lebensgemeinschaften ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber generalisieren, typisieren und pauschalieren (BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 – Az.: 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 ff). Er darf bei bedarfabhängigen Sozialleistungen – die auch vom Einkommen eines Partners abhängig gemacht werden – zwischen eheähnlicher und partnerschaftsähnlicher Gemeinschaft differenzieren, weil erstere in weitaus größerer Zahl vorkommt und sich als sozialer Typus deutlicher herausgebildet hat als letztere (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – Az.: 1 BvL 8/87, BVerfGE, 87, 234 ff).

An diesen Gesichtspunkten hat sich seit der zuvor zitierten Entscheidung des BVerfG nichts grundlegendes geändert; insbesondere hat die partnerschaftsähnliche Lebensgemeinschaft noch keinen vergleichbaren sozialen Stellenwert erlangt, wie die eheähnliche Lebensgemeinschaft (vgl. auch Landessozialgericht – LSG – Sachsen, Beschluss vom 14.04.2005 – Az.: L 3 B 30/05 AS ER; LSG NRW, a.a.O.; SG Oldenburg, a.a.O.; SG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 20.04.2005 – Az.: S 4 AS 31/05 ER und vom 03.05.2005 – Az.: S 11 AS 38/05 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 31.03.2005 – Az.: S 31 AS 82/05 ER, zu recherchieren unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; Hänlein, Juris PR-SozR 9/2005, Anmerkung 1). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei einer homosexuellen partnerschaftsähnlichen Gemeinschaft nicht um eine völlig atypische Lebensform handelt. Gleichwohl lässt sich wenig bestreiten, dass heterosexuelle eheähnliche Gemeinschaften eine sehr viel größere praktische Rolle spielen, als homosexuelle partnerschaftsähnliche Gemeinschaften (vgl. Hänlein a.a.O.), so dass die bislang vorgenommene Typisierung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

Auch wenn das BVerfG in seinem Urteil vom 17.07.2002 – Az.: 1 BvF 1/01, 2/01 den Gesetzgeber indirekt aufgefordert hat, bei der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung auch Einkommen des homosexuellen – eingetragenen – Lebenspartners zu berücksichtigen, kann angesichts der obigen Ausführungen hieraus nicht zwingend gefolgert werden, dass eine Anrechnung auch bei partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften vorzunehmen ist.

Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass die Nichteinbeziehung von partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften in die Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt, könnte die Lösung nicht darin bestehen, eheähnliche Gemeinschaften aus der Bedarfsgemeinschaft herauszunehmen. Denn eine solche Lösung liefe auf eine verfassungswidrige Benachteiligung der Ehe hinaus, sofern man auch nicht dort die Anrechnung untersagen wollte (hierfür gäbe es jedoch keinen nachvollziehbaren Grund – LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2005 – Az.: L 9 B 4/05 SO ER). Würden nämlich die Mittel des Partners allein in der Ehe, nicht aber in der eheähnlichen Gemeinschaft bedarfsmindernd angerechnet, wäre Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Die durch das Grundgesetz besonders geschützte Ehe wäre in einem solchen Fall besonders benachteiligt, weil sie neben der Lebenspartnerschaft als einzige Lebensgemeinschaft zur vorrangigen Unterstützung des Arbeitssuchenden herangezogen würde (LSG Sachsen, a.a.O.; LSG NRW, a.a.O.; Hänlein, a.a.O.).

Die Beklagte hat schließlich zutreffend ermittelt, dass die Bedarfsgemeinschaft für die Zeit bis 30.04.2005 lediglich einen monatlichen Anspruch in Höhe von 72,78 EUR hat (Bescheid vom 20.12.2004). Das anzurechnende Gesamteinkommen in Höhe von 1197,05 EUR unterschreitet den Gesamtbedarf von 1269,83 EUR um den zuerkannten Betrag von 72,78 EUR. Gleiches gilt für die mit Bescheid vom 12.05.2005 zuerkannten Leistungen für die Zeit bis zum 31.10.2005. Hier unterschreitet das anzurechnende Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1183,40 EUR den gleichgebliebenen Gesamtbedarf von 1269,83 EUR um den zu zahlenden Betrag von 86,43 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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