S 10 U 69/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 69/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 69/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger beansprucht Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Der 1966 geborene Kläger ist als Busfahrer bei der C1 beschäftigt. Er erlitt am 00.00.0000 einen Schock, als der von ihm gelenkte Bus den Tod eines Menschen verursachte. Der Kläger war bis zum 22.08.1993 in ärztlicher Behandlung bei seinem Hausarzt I1 und bei dem Neurologen N1 und konnte anschließend seinen Beruf als Busfahrer weiter ausüben. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Das Verfahren wurde am 00.00.0000 eingestellt nach Zahlung von 1000 DM an den Weißen Ring.

Im Rahmen seines Schwerbehindertenverfahrens gab der Kläger am 21.03.2002 an, dass er unter Schlafstörungen, Unruhe, Schweißausbrüchen und Ängsten leide. Nach Auskunft der Schwerbehindertenvertretung der C1 könne es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung handeln. Die Neurologin X nahm in einem Gutachten für das Versorgungsamt vom 27.05.2002 eine posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdB um 40 v. H. an und sah diese Störung auch als verantwortlich für das Magenschleimhautleiden des Klägers an. Der Gastroenterologe I2 hatte zuvor beim Kläger Helicobacter nachweisen können. Am 07.03.2003 erfolgte eine einmalige Behandlung des Klägers bei dem Neurologen M, der eine psychoreaktive Depression diagnostizierte.

Am 21.08.2003 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Rentenantrag. In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 23.01.2004 verneinte B2 eine posttraumatische Belastungsstörung, weil die geklagte Symptomatik unspezifisch sei und der Kläger nicht Opfer einer kriminellen Handlung gewesen sei. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2004 den Rentenanspruch des Klägers ab. Auf den Widerspruch des Klägers zog die Beklagte zunächst die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bei und holte ein Aktengutachten von N2 vom 10.01.2005 ein. Dieser Arzt verneinte ebenfalls eine posttraumatische Belastungsstörung und die Beklagte wies den Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2005 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 00.00.0000 Rente entsprechend einer MdE um 40 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Begründung ihrer Verwaltungsentscheidung und die dieser zugrundeliegenden Gutachten.

Neben den Gerichtsakten haben der Kammer die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung der Kammer gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Im Erörterungstermin am 00.00.0000 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.

Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt, weil das Schockerlebnis bei dem Arbeitsunfall am 00.00.0000 mit Arbeitsfähigkeit ab 23.08.1993 überstanden war. Es hat keine dauernden Gesundheitsschäden hinterlassen, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers in rentenberechtigendem Grade von 20 v.H. (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) mindern könnten. Insbesondere liegt beim Kläger keine posttraumatische Belastungsstörung vor.

Das Gericht sieht gemäß § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids folgt.

Ergänzend sei lediglich noch herausgestellt, dass das für den Kläger günstige Gutachten aus dem Schwerbehindertenverfahren das Klagebegehren nicht stützen kann. Dieses Gutachten genügt in Form und Inhalt keinen wissenschaftlichen Ansprüchen, da die Verfasserin sich darauf beschränkt hat, die vom Kläger vorgegebene Diagnose ohne jede Begründung zu übernehmen. Es fehlt jegliche Auseinandersetzung mit den in der ICD-10 vorgegebenen diagnostischen Kriterien. Typische Merkmale der posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (flashbacks) und das Vermeiden von Aktivitäten, die eine Erinnerung an das Trauma wachrufen können. Der Kläger hätte also mit Panik auf Busse reagieren und nachts davon träumen müssen. Der Kläger hat aber nie über flashbacks geklagt und er hat auch das Busfahren nicht meiden müssen. Schon nach 6 Wochen konnte er seine alte Tätigkeit wieder aufnehmen.

Auch der (angebliche) Verlauf der Erkrankung über jetzt 12 Jahre spricht gegen eine posttraumatische Belastungsstörung. Eine posttraumatische Belastungsstörung pflegt sich nämlich regelmäßig zu bessern und geht nur unter den Voraussetzungen der andauernden Persönlichkeitsänderung (F62.0) in einen chronischen Verlauf über. Eine andauernde Persönlichkeitsänderung kommt nach der Definition in der ICD-10 aber nur nach länger andauernderen lebensbedrohenden Situationen in Betracht (Geiselnahme, Konzentrationslager) und nicht bereits nach einer kurz andauernden Lebensbedrohung bei einem Autounfall.

Die Mangelhaftigkeit des versorgungsärztlichen Gutachtens zeigt sich auch daran, dass Frau X die beim Kläger bestehende Magenschleimhautentzündung auch auf die von ihr angenommene posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt hat. Zum einen wird ein Magenleiden in der ICD-10 nicht als Symptom der posttraumatischen Belastungsstörung genannt. Zum anderen ist es inzwischen Allgemeinwissen, dass eine Gastritis nicht psychisch bedingt ist, sondern größtenteils durch Helicobacter pylori verursacht wird. Solche Bakterien sind vom behandelnden Arzt beim Kläger nachgewiesen worden.

Allgemein ist festzustellen, dass Ärzte in den letzten Jahren die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in geradezu inflationärem Maße stellen, sobald ein Patient über psychische Beschwerden nach einem belastenden Erlebnis klagt. Bei dem vorliegenden Urteil handelt es sich bereits um die dritte Entscheidung der erkennenden Kammer innerhalb von nicht ganz drei Jahren, die das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bei einem Fahrer der C1 zum Gegenstand hat. Auffällig ist sowohl die Häufung dieser Diagnose bei Mitarbeitern dieses Unternehmens wie auch die Hartnäckigkeit, mit der die vermeintlichen Entschädigungsansprüche vor Gericht geltend gemacht werden.

Die Kostenentscheidung der nach alledem unbegründeten Klage beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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