L 20 B 9/05 SO ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 SO 146/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 9/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
SGB XII §§ 27 Abs. 3, 70; BSHG § 11 Abs. 3; SGG § 86 Abs. 2 (Haushaltshilfe, wesentliche Tätigkeiten der Haushaltsführung)

1.
Die Bewilligung einer Haushaltshilfe nach § 70 Abs. 1 SGB XII kommt nicht nur dann in Betracht, wenn Hilfen für den gesamten Haushalt beantragt werden, sondern auch in den Fällen, in denen einzelne, aber in ihrer Gesamtheit wesentliche Tätigkeiten der Haushaltsführung übernommen werden sollen.

2.
Zwischen § 27 Abs. 3 SGB XII und § 70 Abs. 1 SGB XII darf keine Bedarfslücke entstehen.
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 24.06.2005 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an die Antragstellerin Kosten der Haushaltshilfe ab 01.06.2005 in Höhe von monatlich 85,90 EUR vorläufig zu zahlen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen zu erstatten.
2. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D aus E bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Übernahme für die Kosten einer Haushaltshilfe. Als Folge einer Oberschenkelamputation benötigt sie Hilfe teilweise beim Einkaufen, Unterbringung der gekauften Lebensmittel und Trocknen der Wäsche, bei der Reinigung der Wohnung, beim Bügeln, beim Wechsel der Bettwäsche und bei der Treppenhaus- und Gehwegreinigung. Bisher zahlte die Antragsgegnerin die dafür erforderlichen 85,00 EUR monatlich aufgrund des § 11 Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Nachdem die ARGE, von der die Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) erhält, die Übernahme der Kosten für die Haushaltshilfe abgelehnt hatte, wandte sich die Antragstellerin an die Antragsgegnerin. Diese lehnte eine Kostenübernahme mit Bescheid vom 29.03.2005 ab, weil weder Pflegeleistungen noch Leistungen der Eingliederungshilfe in Betracht kämen. Eine Erhöhung des Regelsatzes für eine hauswirtschaftliche Versorgung sei sowohl nach dem SGB II als auch dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 70 SGB XII seien nicht erfüllt.

Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2005 zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben (SG Duisburg S 17 SO 154/05).

Die Antragstellerin hat am 31.05.2005 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, den das Sozialgericht mit Beschluss vom 24.06.2005 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt hat, dass eine Anspruchsgrundlage für die von der Antragstellerin beantragte Hilfe nicht ersichtlich sei.

Gegen den am 06.07.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 22.07.2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Unter Beibehaltung ihrer Rechtsansicht, die sie unter Hinweis auf § 43 SGB I ergänzt, beantragt die Antragstellerin,

unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Duisburg vom 24.06.2005 nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte einschließlich den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Übernahme der Kosten einer Haushaltshilfe erfüllt sind.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einer einstweiligen Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsgrundes, d.h. des materiellen Anspruches, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Die Kosten der Haushaltshilfe sind gemäß § 70 Abs. 1 SGB XII vorläufig zu zahlen.

Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sollen Personen mit eigenem Haushalt Leistungen zur Weiterführung des Haushalts erhalten, wenn keiner der Haushaltsangehörigen den Haushalt führen kann und die Weiterführung des Haushalts geboten ist.

Trotz des missverständlichen Wortlauts "wenn keiner der Haushaltsangehörigen den Haushalt führen kann" entspricht es dem Zweck der Vorschrift, sie auch auf Personen anzuwenden, die wie die Antragstellerin allein in einem Haushalt leben (vgl. dazu Grube/ Wahrendorf, Sozialhilfe, Kommentar, 2005, § 70 Rz. 7).

Auch bei alleinstehenden Personen besteht die Notwendigkeit, einen bestehenden Haushalt aufrecht zu erhalten und eine ansonsten erforderliche stationäre Betreuung zu verhindern.

Nach Auffassung des Senats kommt § 70 Abs. 1 SGB XII nicht nur zur Anwendung, wenn es um Hilfen geht, die den gesamten Haushalt betreffen. Kosten für eine Haushaltshilfe sind auch in den Fällen zu gewähren, in denen einzelne, aber in ihrer Gesamtheit wesentliche Tätigkeiten der Haushaltsführung zu übernehmen sind. Der gegenteiligen Auffassung, die aus der Vorschrift des § 27 Abs. 3 SGB XII, der der Vorgängerregelung des § 11 Abs. 3 BSHG entspricht, (maßgeblich für das BSHG: OVG Lüneburg, Urteil vom 18.08.1982, Az.: 4 A 35/82, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte, 33, 20, 23 f.; für das SGB XII: SG Oldenburg, Beschluss vom 30.05.2005, Az.: S 2 SO 49/05 ER; SG Hamburg, Beschluss vom 13.06.2005, Az.: S 51 SO 267/05 ER)ist nicht zu folgen (wie hier: Ottersbach in Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis Zwölftes Buch 2005, § 27 Rz. 38). Eine enge Auslegung der Vorschrift des § 70 Abs. 1 SGB XII vernachlässigt die besondere Zweckrichtung des § 27 Abs. 3 SGB XII und lässt nicht gewollte Bedarfslücken entstehen.

Die Vorschriften des § 27 Abs. 3 SGB XII und § 11 Abs. 3 BSHG zielen auf Personen ab, die einzelner Verrichtungen im Haushalt bedürfen, die aber ansonsten nicht hilfebedürftig sind, weil sie ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen und Vermögen bestreiten können. Deshalb ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht groß (s. auch Ottersbach, a.a.O., Rz. 37). Die Missverständnisse bei der Entscheidung über die Bewilligung einer Haushaltshilfe nach den Vorschriften des SGB XII sind darauf zurückzuführen, dass - wie auch im Fall der Antragstellerin - die Bewilligungsbescheide zumindest als Rechtsgrundlage den § 11 Abs. 3 BSHG genannt haben, obwohl der Leistungsberechtigte lau-fende Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen hat. Insoweit dürfte die Bewilligung auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt worden sein, was unter der Geltung des BSHG un-problematisch war, im Hinblick auf das differenzierende Leistungssystem von SGB II und SGB XII bedeutsam wird, weil ergänzende Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB XII aufgrund des § 5 Abs. 2 SGB II nicht möglich sind.

Die Notwendigkeit einer Haushaltshilfe ergibt sich nicht nur dann, wenn der Hilfe Nachfragende etwa wegen Krankheit oder eines Krankenhaus- oder Kuraufenthaltes seinen Haushalt überhaupt nicht mehr versorgen kann, sondern auch dann, wenn er - wie im Fall der Antragstellerin wegen ihrer Oberschenkelamputation - wesentliche Verrichtungen wie Einkaufen, Unterbringung der gekauften Lebensmittel, Reinigung der Wohnung, Wechseln der Bettwäsche, Treppenhaus- und Gehwegreinigung nicht selbst erledigen kann. Da die Antragstellerin diese ihr zusätzlich entstehenden Kosten durch die Regelleistungen des § 20 SGB II nicht aufbringen kann und muss, weil ein derartiger Bedarf nicht abgedeckt werden soll, ein Anspruch nach § 27 Abs. 3 SGB XII schon wegen der bestehenden Bedürftigkeit ausscheidet, ist dieser bedarf durch die Übernahme der Kosten nach § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu decken.

In der Regel sollen die Leistungen nur vorübergehend erbracht werden, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Satz 2 gilt nicht, wenn durch die Leistungen die Unterbringung in einer stationären Einrichtung vermieden oder aufgehoben werden kann, § 70 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Schon für die Vorgängervorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 2 BSHG war anerkannt, dass zur Vermeidung einer von dem Betroffenen häufig nicht gewollten und für den Hilfeträger kostspieligeren stationären Unterbringung eine längerfristige Gewährung von Hilfe zur Weiterführung des Haushalts in Betracht zu ziehen war (vgl. B. Schulte. Das Gesetz zur Reform des Sozialhilfe-Rechts, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1997, 956, 962). Im Fall der Antragstellerin sind die Einschränkungen durch die Oberschenkelamputation so gravierend, dass ohne die Bewilligung einer Haushaltshilfe eine stationäre Unterbringung in Betracht zu ziehen ist.

Bei verständiger Würdigung des Begehrens der Antragstellerin sind Leistungen ab 01.06.2005 Gegenstand des Eilverfahrens, weil die Kosten der Haushaltshilfe in der Zeit davor durch Zuwendungen von Bekannten und Nachbarn bis Mai "vorfinanziert" worden sind und sich damit die Notwendigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Sicherung sich erst ab dem 01.06.2005 stellt.

Da die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts dem Neunten Kapitel des SGB XII zugeordnet wird, greift der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht ein. Bei Beziehern von Leistungen nach dem SGB II sind lediglich Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen. Daraus folgt, dass die von den Beteiligten als grundsätzlich angesprochene Frage, ob zusätzliche Bedarfe für eine Haushaltshilfe nach § 27 Abs. 3 SGB XII vom Sozialhilfeträger auch dann zu decken sind, wenn die berechtigte Person nach dem SGB II leistungsberechtigt ist, vom Senat nicht zu entscheiden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

2. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf § 73a SGG, § 114 Zivilprozessordnung.

3. Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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