S 16 AS 350/05 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 16 AS 350/05 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es spricht viel dafür, den Existenzgründerzuschuss gem. § 11 Abs. 3 Ziff 1 a SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Jedenfalls sind die mit der selbständigen Tätigkeit verbundenen Aufwendungen, die zu Verlusten geführt haben, als notwendige Ausgaben vom Einkommen nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II abzusetzen.
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab dem 16.06.2005 vorläufig über die mit Widerspruchsbe-scheid vom 16.08.2005 bewilligten Geldleistungen nach dem SGB II in Höhe von 610,35 EUR monatlich weitere Geldleistungen nach dem SGB II in Höhe von 426,20 EUR bis zum 30.09.2005, längstens jedoch bis zum Abschluss des erstin-stanzlichen Verfahrens in der Hauptsache, zu zahlen.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am ...1979 geborene Antragstellerin zu 1., der am ...1973 geborene Antragsteller zu 2. sowie der am ...2002 geborene gemeinsame Sohn leben in einem Haushalt zu-sammen.

Mit Bescheid vom 25.01.2005 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Leipzig, der Antragstellerin zu 1. einen Existenzgründerzuschuss für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nach § 421 l SGB III für die Zeit vom 17.01.2005 bis 16.01.2006 in Höhe von monatlich 600,00 EUR. Mit ihrer selbstständigen Tätigkeit erwirtschaftete die Antragstellerin zu 1. unter Berücksichtigung des Existenzgründerzuschusses von 600,00 EUR als Einnahmen im Januar 2005 einen Verlust in Höhe von 238,75 EUR, im Februar 2005 einen Überschuss in Höhe von 196,28 EUR, im März 2005 einen Verlust in Höhe von 168,08 EUR, im April 2005 einen Verlust in Höhe von 501,73 EUR, im Mai 2005 einen Verlust in Höhe von 497,46 EUR, im Juni 2005 einen Gewinn in Höhe von 47,72 EUR sowie im Juli 2005 einen Ver-lust in Höhe von 259,79 EUR.

Auf ihren Antrag hin bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern als Bedarfsge-meinschaft mit Bescheid vom 09.04.2005 für die Zeit vom 01.04.2005 bis 30.09.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 436,55 EUR. Darin wurde der Existenzgründerzuschuss sowie das Kindergeld für den An-tragsteller zu 3. als Einkommen gewertet. Auf ihren Widerspruch vom 24.04.2005 hin er-ließ die Antragsgegnerin am 16.08.2005 einen Widerspruchsbescheid. Sie änderte den Be-willigungsbescheid vom 09.04.2005 dahingehend ab, dass für den Zeitraum 01.04. bis 30.09.2005 Arbeitslosengeld (gemeint Alg II) in Höhe von 610,35 EUR monatlich festgesetzt wird. Zur Begründung führt sie aus, dass der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft 1190,55 EUR (596,00 Regelleistungen + 199,00 EUR Regelleistung + 395,55 EUR Kosten für Unter-kunft und Heizung) betrage. Hiervon sei das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR abzusetzen. Des Weiteren sei der Existenzgründerzuschuss in Höhe von 600,00 EUR vermindert um Bei-träge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 SGB II in Höhe von 78,00 EUR, vermindert um die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in Höhe von 65,80 EUR so-wie vermindert um 30,00 EUR als monatliche Beiträge zu privaten Versicherungen anzurech-nen. Damit sei der Existenzgründerzuschuss nicht in Höhe von 600,00 EUR, sondern nur in Höhe von 426,20 EUR anzurechnen.

Mit ihren am 16.06.2005 eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz tragen die Antragsteller vor, auf Grund der Verluste der geschäftlichen Tätigkeit könne der Existenz-gründerzuschuss nicht angerechnet werden. Bei einer Anrechnung stehe nicht einmal mehr der gesetzliche Regelsatz zur Lebenssicherung zur Verfügung.

Die Antragsteller beantragen,

der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aufzugeben, mo-natlich Arbeitslosengeld II in Höhe von 1036,55 EUR zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Verluste der selbstständigen Tätigkeit können nicht dazu führen, dass der Existenzgründerzuschuss nicht als Einkommen angerechnet werde, weil ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensarten nicht stattfinde. Dies zeige sich schon dadurch, dass bei der Gewährung des Existenzgründerzuschusses nicht geprüft werde, ob der Existenzgründer Verlust oder Gewinn mache. Da die Antragstellerin zu 1. auch Über-brückungsgeld hätte beantragen können, werde deutlich, dass der Existenzgründerzuschuss nichts anderes als eine Sozialleistung sei, die wegen des Wegfalles des Arbeitslosengeldes gewährt werde.

Zur Ergänzung der Sachverhaltsdarstellung wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und sonstige Aktenteile, insbesondere auf die beigezogene Verwaltungsakte.

II.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vor-läufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Grundsätzlich kann da-her mit der einstweiligen Anordnung lediglich die Sicherung von Rechten, nicht aber ihre Befriedigung erreicht werden. Eine Ausnahme wird jedoch für den Fall anerkannt, dass ohne die einstweilige Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz in der Hauptsache nicht er-reicht werden kann und dies im Interesse des Antragstellers unzumutbar wäre (vgl. nur Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 86 b Rdnr. 31 m.w.N.). Der Antrag hat dann Erfolg, wenn ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden, so dass bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Erfolg des Begehrens in der Hauptsache zu erwarten ist. Dies bedeutet, dass der Erlass der einstweiligen Anord-nung dann nicht beansprucht werden kann, wenn im Rahmen der im einstweiligen Verfah-ren allein möglichen summarischen Prüfung das Vorliegen eines Anordnungsanspruches nicht mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann.

2. Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung vor.

a) Es besteht ein Anordnungsanspruch, d.h. ein Anspruch im Sinne des materiellen Rechts.

aa) Für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft besteht nach den §§ 7 ff., 19 ff. SGB II An-spruch auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld sowie ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung. Zur Berechnung der Leistungshöhe kann dabei – mit Ausnahme der Berücksichtigung des Existenzgründerzuschusses als Einkommen – auf den Wider-spruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 16.08.2005 verwiesen werden. Zum einen sind bei der von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfungen Rechtsfehler nicht erkennbar. Zum anderen ist die Berechnung mit Ausnahme der Berücksichtigung des Existenzgrün-derzuschusses als Einkommen zwischen den Beteiligten nicht streitig.

bb) Die Antragsgegnerin hat rechtsfehlerhaft nur einen Gesamtbedarf in Höhe von 610,35 EUR ermittelt. Er ist um den angerechneten Existenzgründerzuschuss in Höhe von 426,20 EUR zu erhöhen.

(1) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Die Berücksichtigung setzt dabei voraus, dass das Einkommen den Antragstellern auch ungemindert zufließt, denn Zufluss ist die wertmäßige Vermehrung von Geld oder geldwerten Mittel, die den Inhaber – wenn auch nur für einen Augenblick – endgültig zur Verfügung stehen und deshalb zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ver-wendet werden können; bei Vermögenszuflüssen, die von Anfang an mit einer entspre-chenden Rückzahlungspflicht verbunden sind, ist nach der gebotenen wirtschaftlichen Be-trachtungsweise nicht von Einkommen in dem Sinne auszugehen (vgl. nur Sächsisches LSG, Beschluss vom 14.04.2005, Az: L 3 B 30/05 AS.ER). Ausgehend hiervon stellt der Existenzgründerzuschuss ein Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar. Es fließt der Antragstellerin zu 1. ungemindert zu. Auch wenn sie es später für ihre selbststän-dige Tätigkeit einsetzt, steht es ihr grundsätzlich selbst zur Verfügung.

(2) Allerdings sind nach § 11 Abs. 3 Ziff. 1 a SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leis-tungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflus-sen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Hieran ist – ohne dass dies abschließend entschieden werden müsste – zu zweifeln. Nach § 1 Abs. 2 SGB II umfasst die Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur Beendi-gung oder Verringerung der Hilfsbedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Zweck des Existenzgründerzuschusses nach § 421 l SGB III ist die Bekämpfung der Schwarzarbeit und außerdem die Förderung einer selbstständigen Tätigkeit, wobei der Existenzgründerzuschuss anders als das Überbrü-ckungsgeld des § 57 SGB III nicht darauf ausgerichtet ist, den Lebensunterhalt des Exis-tenzgründers zu sichern (vgl. nur GK-SGB III/Marschner, § 421 l Rdnr. 4; Niesel/Brandts, SGB III, 3. Aufl., § 421 l Rdnr. 2). Der Existenzgründerzuschuss ist als Kompensation für zu leistende Sozialversicherungsbeiträge konzipiert (Brandts a.a.O. unter Verweis auf S. 22 der BT-Drucks. 15/26). Zudem liegt es auch auf der Hand, dass der für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit geleistete Existenzgründerzuschuss auch zur Sicherstellung des Betriebes geleistet wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.06.2005, Az: L 8 AS 97/05 ER). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass – wie das LSG Niedersachsen (a.a.O.) betont – nach § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB II ein Einstiegsgeld als Zuschuss zum Ar-beitslosengeld II erbracht werden kann, das nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht als Ein-kommen zu berücksichtigen ist. Eine Berücksichtigung des Existenzgründerzuschusses als Einkommen würde daher zu einem Wertungswiderspruch führen. Damit spricht viel dafür, dass der Existenzgründerzuschuss nichts mit Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II gemein hat und deshalb als zweckbestimmte Einnahme von vornherein nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist (so LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O.; a.A. Hessisches LSG, Beschluss vom 29.06.2005, Az: L 7 AS 22/05 ER).

(3) Letztendlich musste die oben aufgeworfene Frage nicht entschieden werden, weil die mit der selbstständigen Tätigkeit verbundenen Aufwendungen, die zu den ausgewiesenen Ver-lusten geführt haben, vom Einkommen nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II abzusetzen sind.

Nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II sind vom Einkommen die mit der Erzielung des Einkom-mens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Dabei ist eine Ausgabe mit der Erzielung von Einkommen schon dann verbunden, wenn ihr Zweck zu diesem Einkommen in Beziehung steht. Hierfür ist nicht eine Unmittelbarkeit in dem Sinne erforderlich, dass die Erzielung von Einkommen ohne die Ausgabe undenkbar wäre. Nicht anders ist der Begriff der "Notwendigkeit" der Ausgabe zu verstehen, so dass es genügt, wenn die Aus-gabe einen Nutzen für die Einkommenserzielung aufweist (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rdnr. 70). Bei der Beantwortung der Frage, welche Ausgaben im Einzelnen abzusetzen sind, ist zudem nach den Besonderheiten der einzelnen Einkunftsarten zu diffe-renzieren (Mecke a.a.O.). Hinsichtlich der nahezu identischen Regelung in § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III a.F. hat das Bundessozialgericht (BSG SozR 3-4100 § 138 Nr. 10) entschieden, dass zwar ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensarten ausscheidet. Aufwendungen sind hiernach aber (nur) dann zu berücksichtigen, soweit ein direkter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Erzielung des Einkommens besteht.

Gemessen hieran sind die Aufwendungen für den Gewerbebetrieb vom Existenzgründerzu-schuss abzusetzen. Der Existenzgründerzuschuss hat einen unmittelbaren wirtschaftlichen Bezug zur selbstständigen Tätigkeit. Auch wenn er unabhängig davon gezahlt wird, ob die selbstständige Tätigkeit erfolgreich ist oder nicht, wird er geleistet, weil eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen wird. Wenn auf Seite 22 der Bundestagsdrucksache 15/26 ausge-führt wird, die Inhaber der Ich-AG können den Zuschuss für ihre Beitragszahlungen zur Sozialversicherung verwenden, wird dieser wirtschaftliche Zusammenhang hinreichend deutlich. "Normalerweise" werden die Beiträge zur Sozialversicherung durch die selbst-ständige Tätigkeit erwirtschaftet. Wenn diese Beiträge durch den Zuschuss geleistet wer-den sollen, übernimmt der Zuschuss eine Funktion, die sonst den Erträgen des Gewerbebe-triebes zukommt. Dies zeigt, dass im Streitfall der Grundsatz, anders als im Steuerrecht soll ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensarten nicht stattfinden, nicht verletzt wird. Es geht eben nicht darum, dass Verluste bei einer Einkommensart bei einer anderen, nicht in direktem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden, Einkommensart ausgeglichen werden sollen. Existenzgründerzuschuss und Aufwendungen bzw. Einnah-men aus dem Gewerbebetrieb stellen keine verschiedenen Einkommensarten dar.

Bei einer Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen zeigt sich, dass der Existenzgründerzuschuss vollständig aufgezehrt wird. In den Monaten Januar bis ein-schließlich Juli 2005 ergibt sich unter Einstellung des Existenzgründerzuschusses als Ein-nahme insgesamt ein Verlust. Der ermittelte Bedarf von 610,35 EUR ist deshalb um die angerechneten 426,20 EUR zu erhöhen.

b) Auch ein Anordnungsgrund besteht. Bei Nichtstattgabe der einstweiligen Anordnung be-steht die Gefahr, dass die Antragstellerin zu 1. ihre selbstständige Tätigkeit nicht fortführen kann, wenn der Existenzgründerzuschuss weiterhin bedarfsmindernd berücksichtigt wird. Auf Grund der langen Verfahrensdauer ist ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht hinnehmbar (vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O.).

c) Hinsichtlich des Leistungsbeginnes hat das Gericht auf den Eingang der Antragsschrift abgestellt, weil regelmäßig erst ab diesem Zeitpunkt Hilfe erforderlich ist, um eine gegen-wärtige Notlage abzuwenden; Anhaltspunkte, dass Hilfe auch für den zurückliegenden Zeitraum zu gewähren ist, weil die Antragsteller einen Nachholbedarf hätten, der geeignet ist, die Sicherung des laufenden Unterhalts unmittelbar zu gefährden, sind nicht ersichtlich (vgl. hierzu: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 1245).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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