S 21 AS 701/05 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 21 AS 701/05 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II stellt auf tatsächliche Aufwendungen und nicht auf
anfallende Bedarfe ab.
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 09.08.2005 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (Kosten der Heizung) in Höhe von monatlich 80% von 158,24 Euro, mithin 126,59 Euro, bis zum 31.10.2005 zu zahlen.

II. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – hier die Kosten der Heizung.

Der am ... geborene Ast. stand bis zum 29.04.2005 im Bezug von Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 22,36 Euro durch die Bundesagentur für Arbeit.

Am 11.04.2005 beantragte er unter Beireichung der erforderlichen Unterlagen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Daraufhin bewilligte die Antragsgegnerin (Agg.) dem Ast. mit Bescheid vom 28.07.2005 für den Zeitraum 01.05.2005 bis 31.10.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 556,36 Euro für die aus dem Ast., Frau S. und dem Sohn M. bestehenden Bedarfsgemeinschaft. Die Bewilligung umfaßte die geltend gemachten Kosten der Unterkunft mit Ausnahme der Kosten für die Flüssiggasbevorratung.

Hiergegen hat der Ast. am 10.08.2005 Widerspruch erhoben.

Am 09.08.2005 erhob der Ast. einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, den er formularmäßig mit Hinweis auf einen Verstoß gegen § 35 Abs. 1 SGB X begründete sowie angab, daß die Berechnung der Unterkunftskosten zu niedrig erfolgt sei.

Der Antragsteller beantragt:

ihm (und den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft) bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in voller Höhe einschließlich der tatsächlichen Kosten der Unterkunft sowie der Heizung zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag vom 06.08.2005 zurückzuweisen.

Sie trägt im wesentlichen vor, daß der Ast. erhalte, was ihm zustehe. Die Heizkosten seien in tatsächlicher Höhe nur zu übernehmen, wenn Bedarf bestehe und sich die Kosten im angemessenen Rahmen halten. Bei Selbstversorgern entstehe der Bedarf, wenn die Beschaffung von Heizmaterial notwendig wird (zu Beginn der Heizperiode und in Höhe, die vernünftigerweise den Bedarf für die Heizperiode decke). Vorauszahlungen auf einen später entstehenden Bedarf seien nicht geschuldet und auch nicht besonders zweckmäßig, weil dann die Gefahr groß sei, daß Vorschüsse, die im Januar gezahlt würden, im September verbraucht seien, und die dann anfallenden Rechnungen nicht bezahlt werden könnten. Es handele sich nicht um eine Beihilfe, sondern um die Deckung des konkreten Bedarfs in "tatsächlicher" Höhe.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Agg. unter der Nr. der Bedarfsgemeinschaft ... beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Leistungsakte der Agg. sowie die Gerichtsakte mit den gewechselten Schriftsätzen samt Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Ermittlung der Kosten für die jeweiligen Flüssiggaslieferungen des Ast. seit dem Jahr 2001. Danach verteilen sich die Mengen und Preise wie folgt: - Rechnung vom 25.04.2001: 1669,02 Euro für 2981 Liter - Rechnung vom 07.02.2002: 894,08 Euro für 1501 Liter - Rechnung vom 18.11.2002: 1724,00 Euro für 2943 Liter - Rechnung vom 08.07.2003: 1530,12 Euro für 2777 Liter - Rechnung vom 23.06.2004: 1778,07 Euro für 3227 Liter Der Ast. teilte mit, daß die Flüssiggaslieferungen max. ein Jahr (witterungsbedingt) reichen würden.

II.

Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, gegenüber dem Antragsteller höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu erbringen, ist als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG statthaft und auch begründet. Der Ast. konnte glaubhaft machen, warum es einer gerichtlichen Eilentscheidung bedarf.

Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der eine Verpflichtung der in Anspruch genommenen Behörde auf eine (höhere) Leistung begehrt wird, setzt das Bestehen eines durch die Anordnung zu schützenden Rechts (Anordnungsanspruch) und einen Anordnungsgrund voraus. Beides hat der Ast. glaubhaft machen können.

1. Der Ast. hat nach verfahrensbedingt summarischer Prüfung jedenfalls Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende in der von der Agg. bisher bewilligten Höhe, da die Voraussetzungen der §§ 7 ff. SGB II erfüllt sind. Auf Antrag des Ast. hin bewilligte die Agg. dem Ast. mit Bescheid vom 28.07.2005 ab dem 01.05.2005 (also auch ab dem 09.08.2005, Antragseingang bei Gericht) Leistungen in Höhe von insgesamt 556,36 Euro (inkl. Leistungen für Unterkunft in Höhe von monatlich 255,27 Euro) für die Bedarfsgemeinschaft. Das entspricht mit Ausnahme der Kosten für die Flüssiggasbevorratung den vom Ast. geltendgemachten und nachgewiesenen Kosten (vgl. Bl. 32 ff. der Leistungsakte) in Höhe von insgesamt 314,52 Euro abzüglich des anzurechnenden Einkommens in Höhe von 59,25 Euro. Es kann insoweit auf die sachlich und rechtlich richtige Berechnung der Agg. im Bescheid vom 28.07.2005 und in der Leistungsakte (insb. Bl. 47) verwiesen werden. Rechenfehler waren insoweit nicht ersichtlich.

2. Entgegen der Ansicht der Agg. hat der Ast. aber auch grundsätzlich Anspruch auf weitere 158,24 Euro – Kosten für die Heizung. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, nachdem Leistungen für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind. Demzufolge hätte die Agg. die dem Ast. anfallenden Heiz-kosten, mithin die Kosten der jährlichen Flüssiggaslieferungen geteilt durch 12 Monate gewähren müssen. Denn § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II stellt auf tatsächliche Aufwendungen und nicht auf anfallende Bedarfe ab. Das SGB II hat die bisherige Unterscheidung zwischen laufenden Kosten für bestimmte Heizformen (etwa Zentralheizung), die in § 3 Abs. 2 der zu § 22 BSHG ergangenen Durchführungsverordnung geregelt waren und den als Einmalleistung zu gewährenden Kosten (beispielsweise bei Ofenheizung) aufgegeben (vgl. dazu Lang, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn 33) Die Praxis der Agg., die Kosten nur bei aktuellem Bedarf in der Heizperiode zu berücksichtigen, ist aber nicht nur vor diesem Hintergrund untunlich, sondern findet im Gesetz auch keine Stütze und berücksichtigt nicht, daß der Bedarf eigentlich dann anfällt, wenn die Rechnung zu bezahlen wäre. Im übrigen übersieht die Ansicht der Agg. auch die jahreszeitlich unterschiedlichen Witterungsformen, die es notwendig werden lassen können, etwa auch im Juni die Unterkunft zu beheizen. Den Flüssiggastank leer zu lassen und dann unmittelbar bei Kälteeinbruch Gas zu bestellen und den entsprechenden Bedarf bei der Agg. geltend zu machen, wird diese nicht ernsthaft verlangen können, zumal zu diesen Zeitpunkten – und das ist gerichtsbekannt - der Brennstoff zumeist auch teurer ist.

Soweit die Agg. zu bedenken gibt, daß Vorauszahlungen nicht besonders zweckmäßig seien, weil dann die Gefahr groß sei, daß Vorschüsse, die im Januar gezahlt würden, im September verbraucht seien, trifft diese Gefahr nicht die Agg., sondern den Ast. Wenn und soweit der Ast. gegen die schon aus seiner Eigentümerstellung resultierende Obliegenheit der Heizkostenrücklagenbildung verstoßen sollte, ist das einzig und allein sein Problem. Eine weitere Leistung wird er dann von der Agg. nicht mehr verlangen können. Der sorgsame Gebrauch von vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel durch die Arbeitssuchenden ist ein unmittelbares Anliegen des SGB II. Schließlich ist es Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitssuchende die Eigenverantwortung der erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen zu stärken, § 1 Abs. 1 S. 1 SGB II.

Vorliegend hat der Ast. also Anspruch auf monatliche Heizkosten in Höhe von 158,24 Euro. Dieser Betrag errechnet sich wie folgt: Der Ast. hatte in der Zeit vom 25.04.2001 bis dato ca. 13429 Liter Flüssiggas geliefert bekommen respektive – da die Lieferung für rund ein Jahr reiche – verbraucht, macht in 4 Jahren rund 3357,25 Liter. Das hat ihn insgesamt 7595,29 Euro gekostet, mithin pro Jahr ca. 1898,82 Euro; monatlich also ca. 158,24 Euro (vgl. Bl. 20 ff. SG-Akte: Rechnung vom 25.04.2001: 1669,02 Euro für 2981 Liter, Rechnung vom 07.02.2002: 894,08 Euro für 1501 Liter, Rechnung vom 18.11.2002: 1724,00 Euro für 2943 Liter, Rechnung vom 08.07.2003: 1530,12 Euro für 2777 Liter, Rechnung vom 23.06.2004: 1778,07 Euro für 3227 Liter). Um der Vorläufigkeit der Regelungsanordnung Rechnung zu tragen und zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache hält es das Gericht für erforderlich aber auch ausreichend, die Agg. zu verpflichten, dem Ast. 80% der ihm gesetzlich zustehenden Leistungen, also 126,59 Euro zu zahlen. Diesen Betrag hat die Agg. dem Ast. rückwirkend ab 09.08.2005 (Eingang des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens) zu bezahlen.

3. Vorliegend hat der Ast. auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da er seinen Lebensunterhalt mit den SGB II- Leistungen bestreitet.

Nach alledem war dem einstweiligen Rechtsschutzantrag wie tenoriert stattzugeben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag. Eine Kostengrundentscheidung ist auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu treffen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 86b Rn. 17 und § 193 Rn. 2; Zeihe, SGG, Stand: April 2003, § 86b Rn. 37 f.). -
Rechtskraft
Aus
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