S 8 RA 2024/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 8 RA 2024/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 39/05 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Unterscheidung zwischen Konstruktionsbüros und Projektierungsbetrieben ist nicht maßgebend, ob die Konstruktionstätigkeiten innerhalb des Betriebs den Schwerpunkt bildeten oder nicht. Entscheidend ist allein, dass die vertraglich zu erbringende Leistung in einer Projektierungsleistung bestand.
Bemerkung
Sprungrevision wurde eingelegt
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung der Zeit vom 01. Januar 1971 bis 30. Juni 1990 als Zeit seiner Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz.

Dem Kläger wurde von der T. Universität D. am 21. Dezember 1970 der akademische Grad Diplomingenieur verliehen. Der Kläger war in der streitigen Zeit als Bauingenieur im VEB Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens (nachfolgend VEB EIBS) beschäftigt. Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers wurde im Jahr 1970 umbenannt von VE Projektierungsbe-trieb des Straßenwesens D. in VEB EIBS. Der Betrieb war der Wirtschaftsgruppe 63350 zugeordnet, von der in der DDR bautechnische Projektierungsbetriebe (Projektierungs- und Entwicklungsorganisation für alle Arbeiten des Bauwesens) erfasst wurden. Es handelte sich bei dem VEB EIBS nicht um einen Produktionsbetrieb.

Am 17. Januar 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung der Zeit vom 01. August 1960 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2003 lehnte die Beklagte die begehrte Feststellung ab. Die am 30. Juni 1990 im VEB EIBS ausgeübte Beschäftigung entspreche zwar der technischen Qualifika-tion, sei jedoch nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden.

Der Kläger legte am 07. August 2003 (Eingang bei der Beklagten) gegen diesen Bescheid Wi-derspruch ein. Der VEB EIBS sei als Konstruktionsbüro zur Erstellung von Konstruktionsun-terlagen für die Planung, Ausführung und Kontrolle von Bauwerken tätig gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die am 30. Juni 1990 ausgeübte Beschäftigung im VEB EIBS nicht in einem dem Produktionsbetrieb gleichgestellten Betrieb erfolgt sei.

Hiergegen hat der Kläger am 11. November 2003 (Eingang) vor dem Sozialgericht Dresden Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, dass der VEB EIBS als Konstruktionsbüro zur Erstellung von Konstruktionsunterlagen für die Planung, Ausführung und Kontrolle von Bau-werken des Bauwesens mit Betriebsteilen in der gesamten DDR tätig gewesen sei. Im VEB EIBS seien Konstruktionsunterlagen erstellt worden, so dass es sich um ein Konstruktionsbü-ro gehandelt habe. Hinsichtlich der Zuordnung des Beschäftigungsbetriebes sei darauf abzu-stellen, was tatsächlich in dem Unternehmen geleistet worden ist, was dem Unternehmen das Gepräge gegeben hat. Ähnlich wie bei der Konstruktion von Plattenbauten seien Konstrukti-onszeichnungen angefertigt, Materialstücklisten aufgestellt worden etc.

Nachdem der Kläger zunächst beantragt hatte, seine Beschäftigungszeit vom 01. August 1960 bis 30. Juni 1990 als Zusatzversorgungszeit anzuerkennen, beantragt er zuletzt, den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 01. Januar 1971 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssys-tem der technischen Intelligenz und die für diese Zeit nachgewiesenen Arbeitsentgelte festzustellen. Im Übrigen nimmt der Kläger die Klage zurück.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend und vertie-fend aus, dass der Hauptzweck des VEB EIBS der eines Projektierungsbetriebes gewesen sei. Die im Rahmen der Projektierung anfallenden Konstruktionen hätten dem Betrieb nicht das Gepräge gegeben. Es seien lediglich die Konstruktionsbüros den volkseigenen Produktionsbe-trieben gleichgestellt gewesen, nicht jedoch die Projektierungsbetriebe. Im Sprachverständnis der DDR sei zwischen Konstruktion bzw. Konstruktionsbüros und Projektierung bzw. Projek-tierungsbetrieben unterschieden worden. Dies werde aus der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 (GBl. I DDR Nr. 1 S. 1 ff.) und den Definitionen des Ökonomischen Lexikon ersichtlich. Danach sei unter Konstruktion der Entwurf, die Berechnung und die Darstellung von Einzelteilen, Bau-gruppen und Erzeugnissen verstanden worden. Projektierung im weitesten Sinne seien alle Leistungen gewesen, die von Projektierungsbetrieben und -einrichtungen für die Investitions-tätigkeit erbracht wurden. Der Konstruktionsvertrag sei der Vertrag über die Erarbeitung von Konstruktionsunterlagen gewesen, auf deren Grundlage ein Erzeugnis gefertigt werden konn-te. Der Projektierungsvertrag hingegen sei die Vereinbarung über die Erarbeitung von Vorbe-reitungsunterlagen, Projekten, Studien und Variantenuntersuchungen im Rahmen der Planung, Vorbereitung und Durchführung von Investitionen und der Koordinierung von Teilleistungen durch den Projektanten gewesen. Die in der DDR zunächst errichteten selbständigen Kon-struktionsbüros seien mit der Gründung der Kombinate in diese als Konstruktionsabteilungen eingegliedert worden. In der Systematik der Volkswirtschaftszweige seien ab 1978 selbständi-ge Konstruktionsbüros nicht mehr enthalten. Zunehmend seien in der DDR mit Bildung der Kombinate selbständige Projektierungsbetriebe errichtet worden, die die komplexen Aufgaben der Investitionsvorbereitung innerhalb des Kombinats oder des Industriezweigs erfüllten. Es könne dem bundesdeutschen Gesetzgeber nicht angelastet werden, wenn der Gesetzgeber der DDR die Texte der Versorgungsordnung nicht der Entwicklung der wirtschaftlichen Gege-benheiten angepasst und der Ablösung der Konstruktionsbüros durch Projektierungsbetriebe nicht Rechnung getragen habe.

Dem Gericht lagen Auszüge aus dem Ökonomischen Lexikon, 3. Auflage 1978, Verlag Die Wirtschaft Berlin, dem Register der volkseigenen Wirtschaft vom VEB EIBS, Registernum-mer 679, und aus dem Handelsregister beim Amtsgericht D. von der Entwurfsbüro Straßen-wesen D. GmbH im Aufbau, HRB 755, sowie eine Auskunft und Unterlagen des Rechtsnach-folgers des VEB EIBS, der Entwurfs- und Ingenieurbüro Straßenwesen GmbH, vom 19. No-vember 2004 vor. Darüber hinaus hat das Gericht die Verfügung des Ministerrates der DDR, Ministerium für Verkehrswesen, vom 24. April 1970 zur Bildung eines Ingenieurbüros für Rationalisierung im Verkehrszweig Straßenwesen beigezogen.

Das Gericht hat über den Gegenstand der Unternehmenstätigkeit des VEB EIBS des weiteren Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17. August 2005 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Unterlagen und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 30. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzli-chen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberleitungsgesetz (AAÜG) gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 und 2 AAÜG.

Das AAÜG ist nach § 1 Abs. 1 AAÜG auf den Kläger nicht anwendbar. Da der Kläger am 30. Juni 1990 weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb noch in einem diesem gleichge-stellten Betrieb beschäftigt war, besteht zwischen ihm und der Beklagten kein Versorgungs-rechtsverhältnis, für welches das AAÜG Geltung beanspruchen könnte.

1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das AAÜG für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind und bei Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01. August 1991 bestanden. War ein Verlust der Versorgungsanwartschaft deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems diesen Verlust bei einem Ausscheiden vor dem Leis-tungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als nicht eingetreten. Geht man vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG aus, erfüllt der Kläger weder den Tatbestand nach Satz 1 noch den nach Satz 2.

Eine im Sinne von Artikel 19 Einigungsvertrag bindende Einzelfallregelung, durch die dem Kläger eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden sein könnte (Versorgungszusage, Einzelfallentscheidung, Einzelvertrag), lag nicht vor. Der Kläger war auch nicht auf Grund einer späteren Rehabilitierungsentscheidung in das Versorgungssystem der technischen Intel-ligenz einbezogen worden. Schließlich hatte der Kläger vor dem 30. Juni 1990 keine Rechts-position inne, die er hätte verlieren können.

2. Bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren, ist nach ständiger Rechtspre-chung des Bundessozialgericht (BSG) § 1 Abs. 1 AAÜG erweiternd verfassungskonform aus-zulegen (vgl. Urteile des BSG in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 12 f., Nr. 3 S. 20, Nr. 4 S. 26 f., Nr. 5 S. 32, Nr. 6 S. 39, Nr. 7 S. 59, Nr. 8 S. 73). Danach ist zu prüfen, ob die Nichteinbezo-genen nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fiktiven) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten. Diese Prüfung ist anhand der Rechtslage am 01. Au-gust 1991 vorzunehmen. Ob ein solcher fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage besteht, hängt von der Ausgestaltung der zu Bundesrecht gewordenen leistungs-rechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme ab.

Die Voraussetzungen für die (bundesrechtlich fiktive) Einbeziehung in die zusätzliche Alters-versorgung der technischen Intelligenz (AVItech) ergeben sich aus den Texten der Verord-nung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GB1. DDR I Nr. 93 S. 844) und der hierzu erlassenen Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (2. DB zur VO-AVItech) vom 24. Mai 1951 (GB1. DDR Nr. 62 S. 487). Dabei kommt es für das Sprachverständnis auf den staatlichen Sprachgebrauch der DDR grundsätzlich am 02. Oktober 1990 an, welchem der Bundesgesetzgeber sich angeschlossen hat.

Gemäß § 1 VO-AVItech i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB zur VO-AVItech hängt ein An-spruch auf Einbeziehung von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzun-gen ab. Generell war dieses System eingerichtet für Personen, die berechtigt waren, eine be-stimmte Berufsbezeichnung zu führen, und die eine entsprechende Tätigkeit tatsächlich aus-geübt haben, und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (vgl. Urteile des BSG in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 14, Nr. 5 S. 33, Nr. 6 S 40 f., Nr. 7 S. 60, Nr. 8 S. 74).

Zwar gehörte der Kläger zum Personenkreis, der in den Anwendungsbereich der VO-AVItech fällt, weil er aufgrund seiner Ausbildung berechtigt war, den Titel eines Ingenieurs nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 12. April 1962 (GBl. II S. 278) zu führen und ausgehend von der beruflichen Qualifikation grundsätzlich in das Ver-sorgungssystem der technischen Intelligenz hätte aufgenommen werden können. Nach § 1 Abs. 1 der 2. DB zur VO-AVItech gelten als Angehörige der technischen Intelligenz Ingenieu-re, Konstrukteure, Architekten etc.

Sein (bundesrechtlich fiktiver) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage scheitert je-doch unabhängig von der Frage, ob der Kläger eine der VO-AVItech entsprechende Tätigkeit ausübte, daran, dass er am 30. Juni 1990 weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb noch in einem diesem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Am 30. Juni 1990 war der Kläger im VEB EIBS beschäftigt, der kein volkseigener Produktionsbetrieb im Sinne des § 1 VO-AVItech i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB zur VO-AVItech bzw. ein diesem gleich-gestellter Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. DB zur VO-AVItech war.

Beim VEB EIBS handelte es sich um einen volkseigenen Betrieb, dessen Hauptaufgabe nicht die Produktion war, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.

Der VEB EIBS war einem volkseigenen Betrieb auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellt. Gem. § 1 Abs. 2 der 2. DB waren den volkseigenen Produktionsbetrieben nur gleichgestellt wissenschaftliche Institute, Forschungsinstitute, Versuchsstationen, Laborato-rien, Konstruktionsbüros, technische Hochschulen, technische Schulen, Bauakademie und Bauschulen, Bergakademie und Bergbauschulen, Schulen, Institute und Betriebe der Eisen-bahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens, Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie), Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen sowie Ministerien.

Entgegen der Auffassung des Klägers war der VEB EIBS kein Konstruktionsbüro. Anhand der vorliegenden Unterlagen und Zeugenaussagen ist das Gericht vielmehr zu der Überzeu-gung gelangt, dass es sich bei dem VEB EIBS um einen Projektierungsbetrieb handelte, der einem volkseigenen Produktionsbetrieb nicht gleichgestellt war.

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob im Juni 1990 noch selbständige Konstruktionsbü-ros in der DDR bestanden, die zu diesem Zeitpunkt als solche nicht in der Systematik der Volkswirtschaftszweige erschienen. Jedenfalls war der VEB EIBS als Projektierungsbetrieb kein Konstruktionsbüro. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass in dem Projektierungsbetrieb Konstruktionsarbeiten in erheblichem Umfang durchgeführt wurden. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass der Projektierungsbetrieb den Charakter eines Konstruktionsbüros erhielt.

Bei einem Konstruktionsbüro handelte es sich um eine Einrichtung, deren vertraglich zu erbringende Leistung in der Erstellung von Konstruktionsunterlagen bestand. Ein Projektie-rungsbetrieb zeichnete sich dadurch aus, dass die vertraglich zu erbringende Leistung in einer Projektierungsleistung bestand. Da die Projektierung eines Investitionsvorhabens stets auch dessen Konstruktion beinhaltet, kommt es nicht darauf an, welchen Umfang die Konstrukti-onstätigkeiten innerhalb der Gesamttätigkeit eines Projektierungsbetriebes einnahm. Bei der Unterscheidung zwischen Konstruktionsbüros und Projektierungsbetrieben ist also nicht maß-gebend, ob die Konstruktionstätigkeiten innerhalb des Betriebs den Schwerpunkt bildeten oder nicht.

Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass in der DDR zwischen Projektierungsbe-trieb und Konstruktionsbüro differenziert wurde. Hierauf weisen die Definitionen im Ökono-mischen Lexikon sowie die Unterscheidung der Arbeitsbereiche Konstruktion und Projektie-rung in der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 hin. Selbst wenn beide Zeugen die Begriffe Konstruktion und Projektierung synonym verwendeten, lassen sich hieraus keine Rückschlüsse auf den staatlichen Sprachgebrauch der DDR im Hinblick auf die Charakterisierung eines Betriebes ziehen.

Im Ökonomischen Lexikon ist der Begriff Konstruktionsbüro definiert als "Einrichtung mit der Aufgabe, im Prozess der technischen Vorbereitung der Produktion die Erzeugnisse kon-struktiv zu gestalten, die Konstruktionszeichnungen anzufertigen, die Materialstücklisten auf-zustellen und die Funktion der Konstruktion zu erproben. Das Konstruktionsbüro im sozialis-tischen Industriebetrieb unterseht dem Technischen Direktor bzw. dem Technischen Leiter des Betriebes". Der Konstruktionsvertrag war ein Vertrag über die Erarbeitung von Konstrukti-onsunterlagen, die als "Gesamtheit der Unterlagen für zu bauende oder zu fertigende, für den Absatz oder die eigene Verwendung bestimmte Gegenstände (z. B. Vorrichtungen, Spezial-werkzeuge, Maschinen, Anlagen, Pumpen, Fahrzeuge)" definiert wurden. "Wesentliche Be-deutung hatte die vertraglich zu vereinbarende Pflicht des Auftragnehmers, den Auftraggeber bei der Erprobung des auf der Grundlage der Konstruktionsunterlagen hergestellten Erzeug-nisses und bei der Aufnahme der Serienproduktion bis zur Bewährung des Erzeugnisses in der Praxis zu unterstützen."

Demgegenüber ist ein Projektierungsbetrieb im Ökonomischen Lexikon definiert als "volkseigener Spezialbetrieb, der hauptsächlich bautechnische Unterlagen für Investitionsprojekte ausarbeitet. Projektierungsbetriebe haben in enger Zusammenarbeit mit den Bau- und Montagebetrieben durch das Projekt die besten funktionellen Konstruktionen und technischen Lösungen bei geringstem Aufwand zu gewährleisten und die maximale Anwendung von Typen und Standards vorzusehen." Ein Projektierungsbetrieb ist auch ein "volkseigener Spezialbetrieb, der beauftragt ist, für bestimmte Objekte des Investitionsvorhabens technologische Dokumentationen und Unterlagen (Projekte) zu erarbeiten". In der Verordnung über das Projektierungswesen – Projektierungsverordnung – vom 20. November 1964 (GBl. II DDR, Nr. 115, S. 909 ff.) sind die Grundsätze der Projektierung im Einzelnen niedergelegt. Gemäß § 3 Abs. 2 der Projektierungsverordnung sind in den Wirtschaftsverträgen über Projektierungsleistungen insbesondere die Qualitätsanforderungen, der Inhalt und der Umfang der Projektierungsunterlagen, die Termine, die Garantieverpflichtungen, die Abnahmevereinbarungen sowie der Preis und die Zahlungsbedingungen, die Bedingungen für die Anwendung von Preiszu- und -abschlägen und andere ökonomische Hebel festzulegen. § 10 der Projektierungsverordnung bestimmte, dass Kennziffernarbeit durchzuführen war.

Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmungen ist bereits fraglich, ob es Konstruktions-büros auch im Bauwesen gab und diese nicht ausschließlich im Bereich der Industrie angesie-delt waren. Jedenfalls waren Projektierungsbetriebe in Abgrenzung zu Konstruktionsbüros dadurch gekennzeichnet, dass diese ein Investitionsvorhaben umfangreich planten und nicht lediglich Konstruktionsunterlagen anfertigten. Projektierungsbetriebe sollten die besten funk-tionellen Konstruktionen und technischen Lösungen bei geringstem Aufwand gewährleisten und die maximale Anwendung von Typen und Standards vorsehen. Mithin waren Projektie-rungsbetriebe dadurch gekennzeichnet, dass auch Variantenplanungen Gegenstand der ver-traglich vereinbarten Leistung waren. Projektierungsbetriebe arbeiteten stets mit konkreten Terminvereinbarungen, die in Gestalt von Preiszu- und -abschlägen Gegenstand der Wirt-schaftsverträge waren. Typisch für Projektierungsbetriebe war die Arbeit mit Kennziffern. Schließlich wurden die Projekte in enger Zusammenarbeit mit den Bau- und Montagekombi-naten geplant, so dass Projektierungsbetriebe auch an der Investitionsdurchführung verstärkt beteiligt waren.

Sowohl aus der Auskunft der Rechtsnachfolgerin des VEB EIBS, der Entwurfs- und Ingeni-eurbüro Straßenwesen GmbH, als auch aus den Aussagen der Zeugen in der mündlichen Ver-handlung wird deutlich, dass der Beschäftigungsbetrieb des Klägers entsprechend den verein-barten Wirtschaftsverträgen die umfangreicheren Planungstätigkeiten eines Projektierungsbe-triebes durchgeführt hat. In der Auskunft der Rechtsnachfolgerin wird u. a. ausgeführt, dass die bauliche Realisierung zumeist im Rahmen der Autorenkontrolle, heute Bauüberwachung, erfolgte. Weiter heißt es dort, dass "Fälle, in denen konzeptionelle oder studienartige Untersu-chungen erarbeitet wurden, ( ...) Fällen, in denen extrem ausführungsnah projektiert wurde, deutlich untergeordnet" waren. Die Zeugen haben übereinstimmend ausgeführt, dass der VEB EIBS in der Regel eine Beratungspflicht bei der baulichen Realisierung hatte, das Bauwerk also in der Baudurchführung zu überwachen war. Ebenso haben die Zeugen übereinstimmend ausgesagt, dass auch die erste Stufe der Planung, die Variantenplanung, in dem Betrieb durch-geführt wurde. Es wurde Kennziffernarbeit geleistet. Die Verträge enthielten Terminsvorga-ben und Abreden über Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung der Termine.

Der Auftrag, den der Hauptauftraggeber Verkehrsbau der Stadt Dresden dem VEB EIBS am 13. Juni 1990 in Erweiterung und Veränderung eines Vertrages erteilte, entsprach nach Anga-ben der Zeugen den üblichen Aufträgen, die der Betrieb erhielt. Es handelt sich um einen er-gänzenden Auftrag über das wesentliche Projekt im Juni 1990, die Projektierung der Verlän-gerung der Brücke der Jugend. Dieser Auftrag umfasste "alle notwendigen Untersuchungen und Projektierungsleistungen verkehrs- und bautechnischer Art für die komplette Verände-rung und Erweiterung der Maßnahme unter Berücksichtigung der Belange des Umweltschut-zes". Die vertraglich zu erbringende Leistung bestand mithin nicht lediglich in der Anferti-gung von Konstruktionsunterlagen, sondern ausdrücklich in der umfassenden Planung eines Investitionsvorhabens im Sinne der Projektierung.

Gestützt werden die Feststellungen der Kammer auch durch die Zuordnung des Betriebes zu der Wirtschaftsgruppe 63350. Von dieser Wirtschaftsgruppe wurden bautechnische Projektie-rungsbetriebe erfasst, die Teil der Projektierungs- und Entwicklungsorganisation für alle Ar-beiten des Bauwesens waren. Dementsprechend hieß der Beschäftigungsbetrieb des Klägers zunächst auch VE Projektierungsbetrieb des Straßenwesens und wurde im Jahr 1970 in VEB EIBS umbenannt. In der Verfügung zur Bildung eines Ingenieurbüros für Rationalisierung im Verkehrszweig Straßenwesen, die zugleich die Umbenennung des VE Projektierungsbüro des Straßenwesens in VEB EIBS zum Inhalt hatte, wurden die durch den VEB EIBS wahrzuneh-menden Aufgaben bezeichnet, bei denen es sich um solche auf dem Gebiet der Projektierung handelte (Ziffer 4 der Verfügung des Ministerrates der DDR vom 24. April 1970).

Nach alledem ist ersichtlich, dass der VEB EIBS im staatlichen Sprachgebrauch der DDR ein Projektierungsbetrieb war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Sprungrevision war gemäß § 161 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzu-lassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zu der Frage, wie ein Konstrukti-onsbüro im Sinne des § 1 Abs. 2 2. DB zur VO-AVItech von einem Projektierungsbetrieb abzugrenzen ist, die in einer Vielzahl weiterer anhängiger Verfahren aufgeworfen wird, liegt – soweit ersichtlich – bislang keine Entscheidung des BSG vor.
Rechtskraft
Aus
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