L 6 AL 70/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 63 AL 2944/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 AL 70/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung von "Arbeitslosengeld ohne Abzug von Kirchensteuer" ab dem 26. März 2003.

Der 1955 geborene Kläger, der mit seiner Ehefrau und seinem 1986 geborenen Sohn in einem Haushalt lebt, und in dessen Lohnsteuerkarte zu Beginn des Jahres 2003 die Lohnsteuerklasse 3 eingetragen war, war vom 1. April 1998 bis zum 31. März 2000 bei der Firma DT GmbH als Projektingenieur beschäftigt. Vom 15. April 2000 bis zum 21. Juli 2000 war er als Mitarbeiter im C C bei der D GmbH angestellt, danach vom 1. August 2000 bis zum 28. Februar 2001 bei der A AG & Co als Netzplaner und zuletzt vom 1. März 2001 bis zum 30. September 2001 bei der Firma D L/T GmbH als Mitarbeiter Netzplanung. Ab dem 1. Oktober 2001 war er vom Insolvenzverwalter dieses Unternehmens freigestellt. Wegen des jeweils erzielten Arbeitseinkommens wird auf die Arbeitsbescheinigungen der bezeichneten Unternehmen, die sich bei der Verwaltungsakte befinden, Bezug genommen. Für die Zeit vom 1. August 2001 bis zum 31. Oktober 2001 erhielt der Kläger Insolvenzgeld (Bescheid vom 10. Februar 2002); ab dem 1. November 2001 bis zum 25. März 2003 war er arbeitsunfähig krank und bezog Krankengeld, das ausweislich der Bescheinigung der Betriebskrankenkasse (BKK) V-U vom 25. März 2003 nach einem ungekürzten kalendertäglichen Regelentgelt von 136,35 EUR gezahlt wurde. Am 26. März 2003 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Dies bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 2003 ab dem 26. März 2003 ausgehend von einem ungerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 791,54 EUR für 660 Leistungstage nach der Leistungsgruppe C bei erhöhtem Leistungssatz. Es betrug danach 342,02 EUR. Zum 1. Januar 2004 wurde es durch undatierten Änderungsbescheid aus dem Januar 2004 (dem Kläger übergeben in der mündlichen Verhandlung des Senats) nach Maßgabe der Leistungsentgeltverordnung 2004 bei unveränderten Berechnungsdaten angepasst und mit 350,00 EUR wöchentlich gezahlt.

Gegen den Bescheid vom 31. März 2003 erhob der Kläger Widerspruch. Das Alg müsse ohne den pauschalierten Abzug von Kirchensteuer berechnet werden, da im Gebiet der neuen Bundesländer 70 v.H. aller Arbeitnehmer - wie auch er - keiner Kirche angehöre.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2003, auf den Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kirchensteuer als pauschalierten Abzug in Ansatz zu bringen, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) nur so lange zulässig, wie noch eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer einer steuererhebenden Kirche angehöre. Daran fehle es, da die entsprechende Quote ausweislich der Erhebung des Statistischen Bundesamts unter 55 v.H. gesunken sei. Die insoweit maßgebliche Bestimmung des § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - 3. Buch (SGB III) sei wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie und den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (GG) zu beanstanden. Dazu hat der Kläger Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamts vorgelegt, wonach Erhebungsergebnisse über den prozentualen Anteil der kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer bezogen auf das Jahr 2001 nicht vorliegen, wonach diese Quote aber ausgehend von der (bekannten) Verringerung der Zahl der Kirchenmitglieder der katholischen und evangelischen Kirche bei "vorsichtiger Annahme" auf 53,9 v. H. zu schätzen sei.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 8. Oktober 2003 abgewiesen. Der pauschale Abzug der Kirchensteuer sei gesetzlich bestimmt. Die Regelung verstoße nicht gegen Grundrechte, insoweit schließe sich die Kammer der höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Weitere Ermittlungen seien nicht erforderlich gewesen. Aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen ergebe sich gerade, dass keine konkreten Zahlen erhältlich seien, wonach der Anteil der Kirchenmitglieder unter den zulässigen Grenzwert gesunken sei.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, die Rechtsprechung des BSG habe dem Gesetzgeber aufgegeben, genau zu beobachten, ob noch eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer einer steuererhebenden Kirche angehöre und insoweit einen Grenzwert von 55 v.H. festgesetzt. Das beigebrachte statistische Material ergebe, dass diese Marke bereits 2001 deutlich unterschritten gewesen sei. Er sehe die Sachaufklärungspflicht des Gerichts im konkreten Fall als nicht erfüllt an.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 31. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2003 sowie unter Änderung des undatierten Änderungsbescheides aus Januar 2004 zu verurteilten, ihm ab dem 26. März 2003 höheres Arbeitslosengeld unter Außerachtlassung des Kirchensteuerhebesatzes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Ausführungen des SG seien überzeugend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten - Kundennummer: - hat dem Senat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, da die Höhe laufender Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit ist (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Das SG hat die Sach- und Rechtslage zutreffend beurteilt. Gegenstand der Berufung sind der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2003 sowie der undatierte Änderungsbescheid aus dem Januar 2004. Mit diesen Bescheiden wurde dem Kläger ab dem 26. März 2003 Alg für 660 Kalendertage in Höhe von 342,02 EUR wöchentlich (bis zum 31. Dezember 2003) bzw. 350,00 EUR wöchentlich (ab dem 1. Januar 2004) bewilligt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Ihm steht höheres Arbeitslosengeld ab dem 26. März 2003 nicht zu.

Nach § 129 Nr. 1 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld, dessen Voraussetzungen hier zu Recht nicht im Streit sind, für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des §§ 32 Abs. 1, 3-5 Einkommensteuergesetz haben, 67 v.H. (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgeltes (so genanntes Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (so genanntes Bemessungsentgelt). Bemessungsentgelt ist das im Bemessungszeitraum (vgl. § 130 Abs. 1 i.V.m. § 117 Abs. 1 SGB III) durchschnittlich auf die Woche entfallende beitragspflichtige Entgelt (§ 132 Abs. 1 SGB III).

Hier war das im Bemessungszeitraum (§ 130 SGB III - 27. März 2002 bis 25. März 2003) erzielte Entgelt gemäß § 135 Nr. 4 SGB III zu bestimmen. Da der Kläger eine Sozialleistung (Krankengeld) bezog, ist das Entgelt maßgebend, das der Sozialleistung zu Grunde gelegt worden ist, mindestens aber das Entgelt, dass der Beitragsberechnung (Beiträge zur Arbeitslosenversicherung) zu Grunde zu legen war.

Die Bemessung des Krankengeldes erfolgt nach § 47 Sozialgesetzbuch - 5. Buch - (SGB V); das Krankengeld beträgt 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts, soweit es der Beitragsbemessung unterliegt. Die danach begrenzende Beitragsbemessungsgrundlage der Krankenversicherung betrug bundeseinheitlich im Jahre 2002 40.500,00 EUR jährlich (= 3.375,00 EUR monatlich) bzw. 41.100,00 EUR (3.450,00 EUR monatlich) im Jahre 2003. Abzustellen ist dabei auf die Grenze nach § 6 Abs. 7 SGB V und nicht auf den höheren Grenzwert nach § 6 Abs. 6 SGB V, denn letzterer ist nur das Maß für das Bestehen von Versicherungsfreiheit im Jahre 2003, vgl. § 223 Abs. 3 SGB V. Danach ist die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Sie hat die monatliche Beitragsbemessungsgrenze auf eine tägliche umgerechnet (Division durch 30), auf die Woche umgerechnet (Multiplikation mit 7) und dann für 40 Wochen im Jahr 2002 und 12 Wochen im Jahr 2003 ein Entgelt errechnet (31.500,00 EUR plus 9.660,00 EUR). Die Division der Summe durch 52 Wochen ergibt dann das ungerundete Bemessungsentgelt von ca. 791,00 EUR.

Nach § 135 Nr. 4 SGB III ist alternativ zu berechnen, ob das der Beitragsbemessung zu Grunde zu legende Entgelt höher war und damit eine günstigere Berechnung ergibt (zum Hintergrund Coseriu/Jakob in PK § 135 Rdnr. 17 f). Das der Beitragsberechnung (Beiträge an die Bundesagentur bei Bezug von Krankengeld) zu Grunde liegende Entgelt bestimmt sich nach § 345 Abs. 5 SGB III als 80 v.H. des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts. Dies wird seinerseits durch die Bemessungsgrenze nach § 341 Abs. 4 SGB III limitiert. Die dort festgesetzte Beitragsbemessungsgrenze entspricht der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Dabei gelangt für den Kläger in Anbetracht seines Beschäftigungsortes nach § 408 Satz 2 SGB III die Beitragsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet zur Anwendung. Sie betrug im Jahre 2002 45.000,00 EUR und im Jahre 2003 51.000,00 EUR. Herabgesetzt auf 80 v.H. ergeben sich Beträge von 36.000,00 EUR (= monatlich 3.000,00 EUR bzw. 40.800,00 EUR (= monatlich 3.400,00 EUR). Diese Grenzen sind ersichtlich niedriger als die monatlichen Beitragsbemessungsgrenzen für die Krankenversicherung im jeweils entsprechenden Zeitraum.

Das danach zutreffend bestimmte Bemessungsentgelt ist gemäß § 136 Abs. 1 SGB III zur Ermittlung des Leistungsentgeltes pauschal nach Maßgabe des Abs. 2 um die gesetzlichen Entgeltabzüge zu vermindern, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen. Auf Grund der Verordnungsermächtigung des § 151 Abs. 2 Nr. 2 SGB III bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bzw. das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) durch Rechtsverordnung für ein Kalenderjahr die für die Bemessung des Alg maßgeblichen Leistungsentgelte. Die Anlage zur SGB III-Leistungsverordnung 2003 (vom 23. Dezember 2002 BGBl. I S. 4673) weist für ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 790,00 EUR (zur Rundung § 132 Abs. 3 SGB III) ein Leistungsentgelt von 510,44 EUR aus, woraus sich in der Leistungsgruppe C der erhöhte Leistungssatz in Höhe von 342,02 EUR ergibt. Ab dem 1. Januar 2004 beträgt der entsprechende Wert nach der SGB III-Leistungsverordnung 2004 (vom 22. Dezember 2003 BGBl. I S. 3100) 350,00 EUR.

In dieser Höhe hat die Beklagte dem Kläger Alg bewilligt. Darüber hinausgehende Ansprüche stehen ihm nicht zu. Insbesondere beanstandet der Kläger zu Unrecht, dass bei der Ermittlung des für sein Alg maßgebenden Leistungsentgelts auch Kirchensteuer in Ansatz gebracht worden ist, denn § 136 SGB III schreibt dies ausdrücklich vor.

Der 4. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Berlin hat dies in seinem Urteil vom 25. Juni 2004 (L 4 AL 45/03) für Leistungszeiträume, die nach den SGB III-Leistungsverordnungen 2003 und 2004 zu beurteilen sind, unter Einbeziehung aller Auskünfte und Mitteilungen zur statistischen Sachlage, die auch in diesem Rechtsstreit vorgelegen haben, entschieden und ausführlich begründet. Dieser Begründung schließt sich der erkennende Senat nach eigener sachlicher Prüfung vollinhaltlich an und weist zudem auf den die hier vertretene Rechtsauffassung bestätigenden Beschluss des BSG hin (vom 23. März 2004 -B 11 AL 213/03 R, unveröffentlicht, betrifft Zeiträume bis zum Jahresende 2003). Die in Bezug genommenen Ausführungen des 4. Senats des LSG Berlin lauten wie folgt: "Nach § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III ist - wie schon bei der entsprechenden Vorschrift des § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- bei der Bestimmung der pauschalierten Entgeltabzüge, "die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen", generell die Kirchensteuer zu berücksichtigen, und zwar in Höhe des im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatzes. Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlautes kommt es für den Ansatz der Kirchensteuer - die in diesem Zusammenhang nur ein Berechnungsfaktor ist und nicht tatsächlich an eine Kirche abgeführt wird - weder darauf an, ob der Arbeitslose einer Kirchensteuer erhebenden Kirche angehört, noch ist Raum für die vom Kläger geforderte Berücksichtigung regionaler Unterschiede bei der Kirchenzugehörigkeit, insbesondere mit Blick auf die neuen Bundesländer. Eine Auslegung der Vorschrift nach dem Günstigkeitsprinzip (vgl. § 2 Abs. 2 SGB I) kommt nicht in Betracht (so ausdrücklich Urteil des BSG vom 21. März 2002 - B 7 AL 18/01 R - S. 4 des Amtlichen Abdruckes).

Die Anwendung des § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III auf den Alg-Anspruch des Klägers ist entgegen seiner Auffassung nicht verfassungswidrig. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur vergleichbaren Rechtslage nach dem am 31. Dezember 1997 außer Kraft getretenen AFG aufgestellt hat. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 23. März 1994 -1 BvL 8/95- (SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) war es mit dem Grundgesetz, insbesondere dessen Art. 3, 4 und 14, vereinbar, dass nach § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG auch bei Arbeitslosen, die keiner Kirche angehörten, bei der Berechnung des für die Höhe des Alg maßgebenden Nettoentgeltes als "gewöhnlich" anfallender Abzug auch ein Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen war. In dieser Entscheidung hat das BVerfG dem Gesetzgeber allerdings im Hinblick auf dessen Anknüpfung an statistische Erkenntnisse aufgetragen, die weitere Entwicklung des Anteils der Kirchenmitglieder unter den Arbeitnehmern zu beobachten, um wesentlichen Veränderungen rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Die Beobachtungs- und Handlungspflicht des Gesetzgebers hat das BVerfG daraus hergeleitet, dass es mit dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Ansatz und dem Gebot der Normklarheit nicht mehr vereinbar wäre, die Kirchensteuer bei der Berechnung des Nettolohnes auch dann noch als "gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzug zu behandeln, wenn die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebt, nicht mehr als für Arbeitnehmer typisch angesehen werden könnte, wenn also nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer solchen Kirche angehörte, wobei insbesondere die Verhältnisse in den neuen Bundesländern Anlass für eine Überprüfung der gesetzlichen Regelung sein könnten.

Dieser Beobachtungs- und Handlungspflicht ist der Gesetzgeber seit der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom März 1994 bis zum jetzigen Zeitpunkt in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Für Leistungszeiträume bis einschließlich des Jahres 2000 war der Ansatz der Kirchensteuer bei der Bemessung des Alg rechtmäßig, wie das Bundessozialgericht in mehreren Urteilen entschieden hat, weil nach dem bis dahin bekannten und ausgewerteten amtlichen Zahlenmaterial nicht anzunehmen war, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer keiner Kirchensteuer erhebenden Kirche mehr angehört (vgl. zuletzt Urteil des BSG vom 25. Juni 2002 -B 11 AL 55/01 R- m.w.N.). Wesentliche Grundlage des zitierten, einen bis in das Jahr 2000 reichenden Anspruch auf Alg betreffenden Urteils war die vom BSG in einem früheren Parallelverfahren eingeholte Auskunft des BMA vom 6. November 2001, der zu Folge der Anteil der Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlten, nur über die Auswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik ermittelt werden könne, die in einem dreijährigen Turnus zu erstellen sei. Da die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen abgewartet werden müsse, liege die Lohn- und Einkommensteuerstatistik erst gut drei Jahre nach Ablauf des Jahres, auf das sie sich beziehe, vor. Die Statistik für 1995 sei im Sommer 1999 erstellt und ausgewertet worden. Mit den Ergebnissen für 1998 werde für den Sommer 2002 gerechnet. Für die jeweilige Zwischenzeit werde der Anteil der Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlten, in Anlehnung an den Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung ermittelt, wobei der prozentuale Differenzbetrag zwischen den Anteilen der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung und an den Arbeitnehmern näherungsweise als konstant angesehen werde. Unter Zugrundelegung eines Differenzbetrages von 8 %-Punkten zum Jahresende 1995 und einem Anteil von 65,6 % Kirchenmitgliedern an der Gesamtbevölkerung zum Jahresende 1999 - die Angaben für den Stichtag 31. Dezember 2000 lagen damals noch nicht vor - errechne sich ein Anteil von 57,6 % Kirchenmitgliedern. Das BSG hat die vom BMA geschilderte Verfahrensweise für die Datenermittlung ausdrücklich gebilligt, denn dem Gesetzgeber sei durch die Entscheidung des BVerfG nicht auferlegt worden, zusätzlich weitere Ermittlungen zum Anteil der Kirchenmitglieder anzustellen, vielmehr könne er sich auf die Beobachtung und Auswertung des vorhandenen Zahlenmaterials beschränken. Eine Pflicht zum Handeln hat das BSG ausdrücklich erst dann angenommen, wenn der Gesetzgeber auf Grund statistischer Erkenntnisse davon ausgehen müsse, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern kirchenlohnsteuerpflichtig sei. Da deren Anteil nach den bisherigen Erhebungen offenbar kontinuierlich abnimmt und das maßgebende Zahlenmaterial jeweils erst mit mehrjähriger Verzögerung zur Verfügung steht, ist der Gesetzgeber nach Auffassung des BSG dann gehalten, den geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, wenn ihm Zahlen vorliegen, wonach der Anteil der kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer unter 55 % gesunken ist, weil dann zukünftig nicht mehr von einer deutlichen Mehrheit von Arbeitnehmern gesprochen werden könne, die einer Kirchensteuer erhebenden Kirche angehören (vgl. zu alledem BSG a.a.O. S. 7 des Amtl. Abdruckes).

Der Senat hält in Fortführung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung die Anwendung des § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III auch im hier streitigen Zeitraum von Oktober 2002 bis November 2004 nicht für verfassungswidrig. Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Ansatz der Kirchensteuer bei der Bemessung des ihm ab Oktober 2002 gewährten Alg rechtswidrig sei, weil er auf veraltetem Zahlenmaterial von 1995 beruhe. Dies hat, wie oben ausgeführt, sachliche Gründe. Angesichts der relativ geringen Belastung, die einem Arbeitslosen durch Berücksichtigung des fiktiven Kirchensteuerabzuges widerfährt, kann nicht verlangt werden, die Lohn- und Einkommensteuerstatistik häufiger als nur alle drei Jahre durchzuführen. Bei Erlass der den angefochtenen Bescheiden zu Grunde liegenden Leistungsentgeltverordnungen im Dezember 2001 und Dezember 2002 lagen keine neueren amtlichen Daten über die Kirchenlohnsteuerpflichtigen vor, die eine Änderung der gesetzlichen Grundlage des § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III erfordert hätten. Nach den im Tatbestand aufgeführten Auskünften des Statistischen Bundesamtes vom 15. April 2002 und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 12. Februar 2003 konnte mit den Ergebnissen der turnusmäßigen Lohn- und Einkommensteuerstatistik für das Jahr 1998 - entgegen früheren Erwartungen - erst Ende 2002 bzw. zum Frühjahr 2003 gerechnet werden. Nach den damals aktuellsten Meldungen der beiden befragten Kirchen betrug der Anteil ihrer Mitglieder zum Jahresende 2000 64,9 % der Bevölkerung, der analog zu den Ergebnissen aus dem Jahre 1995 um 8 % niedriger angenommene Anteil der kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer lag somit schätzungsweise bei 56,9 %, entsprach also weiterhin der höchstrichterlich geforderten "deutlichen Mehrheit" der Arbeitnehmer.

Die dem Senat im Januar 2004 in dem genannten Parallelverfahren erteilten Auskünfte der beiden Behörden haben ergeben, dass nach der schließlich Ende Mai 2003 abgeschlossenen Auswertung der Daten des Jahres 1998 noch 56,8 % der Arbeitnehmer kirchenlohnsteuerpflichtig waren, womit ihr Anteil um 9,3 % unter dem Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung lag, der damals 66,1 % betrug und Ende 2001 auf 64,4 % gesunken ist. Bei dieser Sachlage begegnet es keinen Bedenken, dass auch in der aktuellen Leistungsentgelttabelle die Kirchensteuer als bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallender Entgeltabzug eingearbeitet ist (vgl. Anlage 2 zur SGB III-Leistungsentgeltverordnung 2004 vom 22. Dezember 2003, BGBl. I S. 3100).

Die Tatsache, dass der Anteil der Arbeitnehmer, die einer Kirchensteuer erhebenden Kirche angehören, in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist und unter Berücksichtigung der von den Kirchen für das Jahr 2001 veröffentlichten Mitgliederzahlen nur noch 55 % ausgemacht hat, hat der Gesetzgeber allerdings inzwischen zu Recht zum Anlass genommen, den geänderten Verhältnissen für die Zukunft Rechnung zu tragen, indem im Zuge der Reform des Bemessungsrechts für das Alg ab dem Jahr 2005 bei der Ermittlung des Leistungsentgeltes auf die Kirchensteuer als Rechengröße verzichtet wird (vgl. § 133 SGB III in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des 3. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848], zu den gesetzgeberischen Motiven vgl. BT-Drucks. 15/1515 vom 5. September 2003 S. 86).

Dass der Wegfall des Kirchensteuerabzuges nicht schon früher zum Tragen kommt, ist nicht zu beanstanden. Zum einen hat der Gesetzgeber innerhalb weniger Monate auf die Datenauswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 1998 reagiert. Zum anderen benötigt die praktische Umsetzung dieser Gesetzesänderung einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Schließlich liegt auf der Hand, dass die dadurch für die Beklagte bzw. die Versichertengemeinschaft anfallenden Mehrausgaben, die allein für das Jahr 2005 auf rund 290 Mio. Euro geschätzt werden (vgl. Bundesarbeitsblatt 1-2004 S. 6), durch Minderausgaben an anderer Stelle aufgefangen werden sollen, die im Rahmen der umfassenden Neuregelung des Bemessungsrechts mit Wirkung ab 1. Januar 2005 erwartet werden."

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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