L 10 AL 190/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AL 364/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 190/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.03.2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat.

Die 1965 geborene Klägerin ist Mutter zweier Kinder (geb. 1992 und 1998). Die Beklagte bewilligte auf Antrag der Klägerin nach einer Tätigkeit als Sekretärin ab 01.08.1997 Alg für 312 Tage (Bescheid vom 21.08.1997). Die Bewilligung wurde ab 12.02.1998 aufgehoben. Die Restanspruchsdauer betrug 170 Tage. Die Klägerin bezog anschließend Mutterschaftsgeld und später Erziehungsgeld.

Am 21.03.2001 sprach die Klägerin persönlich bei der Beklagten vor und wollte sich arbeitslos melden. Laut Vermerk der Beklagten sei jedoch die Betreuung der Kinder nicht sichergestellt gewesen. Ein Kindergartenplatz stehe erst ab September 2001 zur Verfügung, der Ehemann der Klägerin könne wegen Schichtarbeit die Kinderbetreuung nur alle zwei Wochen übernehmen. Die Beklagte wies die Klägerin auf die "rechtzeitige Arbeitslosmeldung für September" hin.

Am 23.08.2001 meldete sich die Klägerin zum 01.09.2001 persönlich arbeitslos und beantragte Alg.

Mit Bescheid vom 08.10.2001 lehnte die Beklagte die Zahlung von Alg ab. Aus dem ab 01.08.1997 bestehenden Anspruch auf Alg ergebe sich kein Restanspruch mehr. Eine neue Anwartschaft sei nicht erworben worden. Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) bestehe auch nicht.

Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, sie hätte bei Bedarf die Kinder privat betreuen lassen. Sie sei aber darauf hingewiesen worden, es müsse sich um eine kirchliche oder städtische Betreuung handeln. Die Frage nach einem Verlust des Anspruches auf Alg sei verneint worden. Eine private Kinderbetreuung sei abgelehnt worden, eine schriftliche Anmeldung zu einer kirchlichen oder städtischen Einrichtung sei gefordert worden.

Nach einer Stellungnahme der Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin M. , habe die Klägerin am 21.03.2001 nur ihren Ehemann als Betreuungsperson angegeben und sei daher nicht verfügbar gewesen. Eine schriftliche Anmeldung zu einer kirchlichen oder städtischen Einrichtung sei nicht gefordert worden. Als einzige private Betreuungsperson sei der Ehemann angegeben worden.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2002 unter Wiederholung der Begründung des Bescheides vom 08.10.2001 zurück.

Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie habe sich am 21.03.2001 arbeitslos melden wollen, es sei jedoch gesagt worden, ein Anspruch auf Alg bestehe erst, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt sei. Sie solle sich darum kümmern. Sie habe aber ausdrücklich erklärt, die Kinderbetreuung privat sicherstellen zu können. Auf Fristen sei sie nicht hingewiesen worden. Im August sei sie wieder zum Arbeitsamt gegangen.

Das SG hat die Mitarbeiterinnen der Beklagten M. und W. uneidlich als Zeuginnen vernommen. Die Zeugin W. hat angegeben, in der Anmeldung zu arbeiten und keine Auskünfte über die Verfügbarkeit zu geben. Die Zeugin M. hat ausgeführt, die Klägerin habe angegeben, keine Kinderbetreuung zu haben, der Ehemann arbeite Schicht. Das Bestehen eines Restanspruches auf Alg sei ihr nicht bewusst gewesen. Hinweise zu Ansprüchen auf Alg oder diesbezügliche Fristen gebe sie nicht. Die Kinderbetreuung müsse sichergestellt sein, wenn der Arbeitslose komme. Leistungsdaten der Klägerin habe sie nicht abgerufen. Die Art der Kinderbetreuung sei von ihr nicht eingeschränkt worden.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2002 verurteilt, Rest-Alg aus dem am 01.08.1997 entstandenen Alg-Anspruch zu zahlen (Urteil vom 16.03.2004). Dieser Anspruch sei nicht erloschen, denn der Klägerin sei gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der auch auf materiell-rechtliche Ausschlussfristen anzuwenden sei, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie sei durch nicht von ihr zu vertretende Umstände gehindert worden, den Anspruch, wie sie es gewollt habe, rechtzeitig (am 21.03.2001) geltend zu machen. Es sei ihr nämlich - wie die Zeugenaussagen ergeben hätten - gesagt worden, eine Arbeitslosmeldung im September sei erforderlich und rechtzeitig. Im Übrigen bestehe auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Die Beklagte habe eine Beratungspflicht verletzt. Die Zeugin M. habe trotz bestehender Möglichkeit die Leistungsdaten der Klägerin nicht abgerufen, wodurch der Klägerin ein Nachteil entstanden sei.

Dagegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Klägerin sei nicht verfügbar gewesen. Es genüge nicht, sich erst im Falle einer bevorstehenden Arbeitsaufnahme um eine Betreuung zu bemühen. Am 21.03.2001 aber sei die Betreuung nicht sichergestellt gewesen. Bei der Vorstellung am 23.08.2001 hingegen sei der Anspruch auf Rest-Alg bereits erloschen gewesen. Eine Verlängerung der Frist komme nach der Rechtsprechung nicht in Betracht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zwar durch den Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich, aber durch den Sinn und Zweck des Gesetzes ausgeschlossen. Auch sei die Klägerin nicht ohne Verschulden an der rechtzeitigen Geltendmachung gehindert gewesen, eine Kinderbetreuung sei nämlich nicht sichergestellt gewesen. Im Übrigen lasse sich die Verfügbarkeit nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fingieren. Tatsächlich habe wohl keine anderweitige Betreuungsmöglichkeit bestanden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 16.03.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat angegeben, sie hätte sich um eine Betreuung gekümmert und eine Tagesmutter gesucht, wenn sie zutreffend aufgeklärt worden wäre.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des SG Nürnberg vom 16.03.2004 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 08.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2002 ist abzuweisen. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Alg für die Zeit ab 21.03.2001 noch für die Zeit ab 01.09.2001.

Unstreitig hat die Klägerin seit 01.08.1997 keinen neuen Anspruch auf Alg erworben. Streitig ist allein, ob der sich aus der damaligen Anwartschaft ergebende Restanspruch mit einer Dauer von 170 Tagen ab 01.09.2001 noch geltend gemacht werden kann. Dies ist mittels der Arbeitslosmeldung vom 23.08.2001 zum 01.09.2001 nicht der Fall. Gemäß § 147 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der vom 01.01.1998 bis 31.12.2002 geltenden Fassung kann der Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind.

Entstanden ist der hier streitgegenständliche Anspruch auf Alg am 01.08.1997, so dass am 31.07.2001 die Vierjahresfrist abgelaufen ist. Eine Verlängerungsmöglichkeit besteht nicht (vgl. Bundessozialgericht -BSG- SozR 4-4300 § 147 Nr 2 = BSGE 91, 226, LSG Niedersachen-Bremen, Breith. 2003, 852). Der vom BSG genannte Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ein anderweitiger Ausnahmefall kommt nicht in Betracht. Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten.

Damit konnte der Restanspruch am 23.08.2001 zum 01.09.2001 nicht mehr geltend gemacht werden.

Allerdings hat sich die Klägerin bereits am 21.03.2001 persönlich arbeitslos gemeldet, wobei an diese Arbeitslosmeldung keine übertriebenen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BSG Urteil vom 19.01.2005 - B 11a/11 AL 41/04 R - veröffentl. in juris), und damit auch gemäß § 323 Abs 1 Satz 2 SGB III Alg beantragt. Die Klägerin hat lt. Beratungsvermerk vom 21.03.2001 sich arbeitslos melden wollen und nirgends zum Ausdruck gebracht, dass sie hiermit kein Alg beantrage. Ob ihr entsprechende Antragsformulare ausgehändigt worden sind, hat für die Antragstellung keine Bedeutung.

Die Klägerin war aber von diesem Zeitpunkt an bis zur erneuten persönlichen Vorsprache am 23.08.2001 nicht verfügbar, denn die Betreuung ihrer Kinder war für den Fall der Arbeitsaufnahme nicht sichergestellt. Dieser Antrag kann daher erst Wirkung entfalten, wenn die Voraussetzungen auf Gewährung von Alg vorliegen (so bereits für den Fall des bloßen Ruhens des Anspruches: Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 147 Rdnr 26).

Gemäß § 117 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.12.2004 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alg, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Bechäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche, § 118 Abs 1 SGB III). Gemäß § 119 SGB III sucht eine Beschäftigung, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes steht zur Verfügung, wer arbeitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist (§ 119 Abs 2 SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser, der eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilnehmen und Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 Abs 3 SGB III). Dabei kann hinsichtlich der Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit auf die Betreuung und Erziehung aufsichtsbedürftiger Kinder Rücksicht genommen werden (§ 119 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III).

Nach Angaben der Klägerin wie auch der vernommenen Zeuginnen hatte die Klägerin zwei minderjährige Kinder zu betreuen und für das jüngere von beiden keinen Kindergartenplatz. Ihr Ehemann arbeitete im Schichtdienst. Durch diesen war die Kinderbetreuung damit nur jeweils für 14 Tage sichergestellt. Dies ist unstreitig zwischen den Beteiligten. Eine anderweitige Kinderbetreuungsmöglichkeit durch eine Privatperson hat die Klägerin bislang nicht angegeben - gleichgültig ob es hierbei um eine private, kirchliche oder gemeindliche Betreuung handelt. Auch wenn eine Betreuungsmöglichkeit erst für den Fall der Aufnahme einer Tätigkeit tatsächlich gegeben sein muss, so muss bei der Arbeitslosmeldung diese Bereitschaft zur Übernahme der Betreuung durch eine dritte Person bereits vorgelegen haben (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 7). An einer solchen bereiten Person fehlte es. Die Klägerin hatte sich erst hierum kümmern wollen (so ihre Ausführungen im Berufungsverfahren). Einen Kinderbetreuungsplatz in einer Einrichtung hatte die Klägerin nach eigenen Angaben erst ab September zur Verfügung.

Mangels Verfügbarkeit ab 21.03.2001 - erst am 01.09.2001 war diese gegeben - lagen die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Alg innerhalb der bis 31.07.2001 laufenden Vierjahresfrist nicht vor. Die Frage, ob vorliegend die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben ist, stellt sich daher nicht.

Die Verfügbarkeit lässt sich als tatsächliche Gegebenheit nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fingieren (vgl. BSG Urteil vom 17.07.1997 - 7 RAr 106/96 - veröffentl. in juris; Niesel, SGB III, 3.Aufl, § 323 Anhang Rdnr 37), auch wenn sich hier eine grobe Verletzung der Beratungspflicht durch die Zeugin M. aufdrängt, die ggf. sogar auf dem Zivilrechtsweg als Amtshaftung weiterverfolgt werden könnte.

Auch ein Anspruch auf Alhi ist nicht gegeben. Einen solchen hat die Klägerin zum einen im Rahmen des Klageverfahrens nicht geltend gemacht. Zum anderen besteht ein Anspruch auf Alhi ab 01.09.2001 nicht, denn die Klägerin hat in der Vorfrist (§ 192 SGB III) von höchstens drei Jahren kein Alg bezogen (§ 190 Abs 1 Nr 4 SGB III). Dies gilt ebenso für einen fraglichen Bezug von Alhi bereits ab 21.03.2001, denn die Klägerin hat zuletzt am 11.02.1998 Alg bezogen. Im Übrigen war die Klägerin nicht verfügbar gewesen. Ein Anspruch auf originäre Alhi besteht ab 01.01.2000 nicht mehr.

Nach alledem ist das Urteil des SG Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved