L 17 U 409/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 320/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 409/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 31.10.2002 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.07.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1999 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztengeld für die Zeit vom 26.03.1997 bis - mit Unterbrechungen - 10.03.1999 als Folge des Arbeitsunfalles vom 03.07.1995 streitig.

Der 1960 geborene Kläger erlitt am 03.07.1995 einen Arbeitsunfall. Bei Kanalarbeiten zog er sich in einem Schacht eine Risswunde des linken Unterschenkels zu. Ab 22.07.1995 entzündete sich diese in starkem Maße. Nach Prof. Dr.K. lag eine Erysipel des linken Unterschenkels bei Zustand nach Rissverletzung vor (Bericht vom 27.07.1995). Vom 25.07. bis 01.08.1995 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im St.-E.-Krankenhaus Bad K ... Er wurde dort - nach antibiotischer Behandlung - völlig beschwerdefrei entlassen (Bericht des Krankenhauses vom 01.09.1995). Arbeitsunfähig krank war er bis 06.08.1995.

Am 24.03.1998 teilte der Allgemeinarzt Dr.S. der Beklagten mit, dass beim Kläger immer wieder Erysipeln und Entzündungen auftreten. Ein Zusammenhang mit den Erysipeln kurz nach dem Arbeitsunfall werde angenommen.

Die Beklagte zog einen Krankheitsbericht der AOK Mittelfranken vom 06.04.1998 bei. Danach litt der Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall an Erysipeln, so vom 08.05.1991 bis 18.05.1991 und am 16.06.1995. Diese Erkrankungen bestätigte Dr.S. mit Arztbericht vom 06.05.1998. In der Zeit vom 19.12.1998 bis 30.12.1998 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im St.-E.-Krankenhaus in Bad K. wegen rezidivierendem Eryspel des linken Unterschenkels. Vom 04. bis 10.03.1999 hielt er sich stationär in der Klinik für Chirurgie der Medizinischen Universität zu L. auf wegen beginnenden Lymphödems der linken unteren Extremität bei Zustand nach rezidivierenden Erysipeln am linken Unterschenkel (Arztbericht vom 22.03.1999).

Nach Stellungnahme ihres Beratungsarztes, des Chirurgen Dr.B. , lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.07.1999 einen Anspruch auf Verletztenrente ab. Sie führte aus, dass bei Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 07.08.1995 keine Unfallfolgen mehr vorgelegen haben. Die nachfolgenden Erkrankungen durch entzündliche Prozesse am linken Unterschenkel seien nicht hinreichend wahrscheinlich auf das Ereignis vom 03.07.1995 zurückzuführen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22.09.1999).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.07.1995 Leistungen in Form von Verletzengeld und Verletztenrente ab frühestmöglichem Zeitpunkt zu gewähren.

Die Beklagte hat einen Befundbericht der Hautärztin Dr.D. vom 11.04.2000 beigezogen. Anschließend hat sie Gutachten des Hautarztes Dr.S. vom 21.04.2001 und - auf Veranlassung des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - des Chirurgen Prof. Dr.B. vom 05.06.2002 eingeholt. Dr.S. hat einen Zustand nach rezidivierenden Erysipelen am linken Unterschenkel festgestellt. Auszugehen sei von der Risswunde vom 03.07.1995, die am 22.07.1995 zu einem Erysipel (Wundrose) geführt habe. Vermutlich seien Streptokokken als Erreger der Wundrose in die verzögert heilende Wunde eingedrungen. Anschließend sei die Risswunde reizfrei ausgeheilt. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe nur bis 06.08.1995 bestanden. Auch Prof. Dr.B. hat die Risswunde als reizfrei abgeheilt angesehen. Die beim Kläger vorliegenden Arbeitsunfähigkeitszeiten zwischen dem 26.03.1997 und 30.12.1998 seien aber wegen der bis dahin inadäquaten Therapien wesentlich durch den Arbeitsunfall vom 03.07.1995 verursacht worden. Seit der Durchführung einer adäquaten antibiotischen Therapie sei der Kläger rezidivfrei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe nicht.

Für die Beklagte hat ihr Beratungsarzt, der Chirurg Dr.B. , am 02.07.2002 erwidert, dass eine "nicht adäquate Therapie" nicht auf den Arbeitsunfall vom 03.07.1995 bezogen werden könne.

Mit Urteil vom 31.10.2002 hat das SG Würzburg die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztengeld für die Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 26.03.1997 bis 11.04.1997, 13.10.1997 bis 17.10.1997, 17.11.1997 bis 19.11.1997, 19.12.1998 bis 30.12.1998 sowie 04.03.1999 bis 10.03.1999 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr.B. gestützt. Das SG hat ausgeführt, dass wesentliche Mitursache für das mehrfache Auftreten der Erysipel-Schübe nach dem Unfallereignis auch eine nichtadäquate Behandlung der Unfallfolgen durch eine lediglich zwölftägige antibiotische Therapie gewesen sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die haftungsausfüllende Kausalität zwischen den rezidivierenden Erysipel-Schüben, die in den im Tenor genannten Zeiträumen aufgetreten seien, nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit auf die Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.07.1995 zurückgeführt werden könne. Im Übrigen habe der Kläger in diesen Zeiträumen auch Entgeltfortzahlungen erhalten, so dass gemäß § 52 SGB VII kein Anspruch auf Verletztengeld bestehe.

Der Senat hat eine Krankheitenauskunft der AOK Bayern vom 13.02.2003 sowie Auskünfte der Arbeitgeber Firma W.-Bau vom 21.02.2003 und S. vom 15.04.2003 zum Verfahren beigezogen. Anschließend hat er Gutachten der Hautärztin Prof. Dr.B. vom 24.09.2003/10.04.2005 und - auf Veranlassung des Klägers nach § 109 SGG - des Chirurgen Prof. Dr.K. vom 28.10.2004 eingeholt. Prof. Dr.B. hat jetzt einen Zustand nach rezidivierenden Erysipeln bei chronisch venöser Insuffizienz Stadium II beidseits neben einem Lymphödem multifaktorieller Genese diagnostizieren können. Dieses Krankheitsbild sei nicht durch den Arbeitsunfall allein verursacht bzw. mit verursacht worden. Die streitigen Arbeitsunfähigkeitszeiten stünden mit dem Unfall vom 03.07.1995 nicht in wesentlich ursächlichem Zusammenhang. Vielmehr sei von einer Vorschädigung der Lymphbahnen durch toxische Wirkung von Bakterien bereits vor dem Arbeitsunfall vom 03.07.1995 auszugehen. Prof. Dr.K. hat dagegen die streitigen Arbeitsunfähigkeitszeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Unfallfolgen vom 03.07.1995 zurückgeführt. Verantwortlich sei die ausgedehnte Infektion, die am 25.07.1995 dokumentiert worden sei. Die Beklagte hat in ihrer Stellungnahme vom 29.11.2004 darauf hingewiesen, dass nach den gutachterlichen Feststellungen die Rissverletzung vom 03.07.1999 bei Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit reizlos abgeheilt sei. Die Wiedererkrankungen ab 1997 seien nicht auf die 1995 reizlos verheilte Risswunde zurückzuführen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 31.10.2002 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.07.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1999 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 31.10.2002 zurückzuweisen.

Bei der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2005 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter in der Sache als Einzelrichter entscheidet.

Zur Ergänzung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akte des Arbeitsamtes Schweinfurt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld über den 06.08.1995 hinaus, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 48 iVm § 45 SGB VII).

Anzuwenden sind im vorliegenden Fall die Vorschriften des SGB VII. Für Lohnersatzleistungen im Sinne von Verletzten- und Übergangsgeld gelten ab 01.01.1997 grundsätzlich die Vorschriften des SGB VII (§§ 212, 214 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Der Kläger hat Verletztengeld für Zeiträume nach dem 01.01.1997 geltend gemacht.

Streitig ist allein, ob die Entzündungen der Erysipeln und die damit verbundenen Arbeitsunfähigkeitszeiten bzw Krankenhausaufenthalte ab 1997 auf den Arbeitsunfall vom 03.07.1995 zurückzuführen sind. Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren nicht gegen die von der Beklagten abgelehnte Verletztenrente gewandt.

Nach § 48 iVm § 45 Abs 1 SGB VII besteht Anspruch auf Verletztengeld, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitsentgelt oder ähnliche Leistungen hatte. Arbeitsunfähigkeit liegt dabei vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand alsbald zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisherig ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen.

Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien sind die beim Kläger ab 1997 aufgetretenen rezidivierenden Erysipel-Schübe und die dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht wesentlich auf die Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.07.1995 zurückzuführen. In Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr.B. (Gutachten vom 24.09.2003/ 31.01.2005) und Dr.S. (Gutachten vom 21.04.2001) steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger durch die Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.07.1995 in der Zeit ab 26.03.1997 nicht arbeitsunfähig war. Unstreitig lag bei ihm ein Zustand nach rezidivierenden Erysipelen an beiden Unterschenkeln bei chronisch venöser Insuffizienz Stadium II beidseits mit Vena saphena parva-Insuffizienz Hach II links und dilatativer Phlebopathie des tiefen Venensystems beidseits vor. Hinzu kam ein Lymphödem des Unterschenkels beidseits mulifaktorieller Genese. Außerdem erschien der Verdacht auf eine Tinea pedum et unguium pedum begründbar. Vor dem Arbeitsunfall vom 03.07.1995 war der Kläger - unfallunabhängig - an Erysipelen am Unterschenkel links mit typischem Verlauf erkrankt (Mai 1991 und Juni 1995). Bereits durch diese Erkrankung ist von einer Vorschädigung der Lymphbahnen auszugehen. Ein Eintritt von Bakterien in die Lymphbahnen ist demnach schon vor dem Arbeitsunfall vom 03.07.1995 erfolgt. Am 03.07.1995 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, der für die Zeit danach zu mehrfachen Erysipelen am Unterschenkel links führte.

Erysipele stellen grundsätzlich akute Infektionen der Lymphspalten und -gefäße in der papillären Dermis meist durch beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A dar, die durch oberflächliche oder tiefe Hautläsionen in das Gewebe eindringen. Sie sind auch beim Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache der rezidivierenden Erysipele. Hierfür spricht der Nachweis eines deutlich erhöhten Antistreptolysintiters. Die Rissverletzung vom 03.07.1995 war bei Eintritt der Arbeitsfähigkeit am 08.08.1995 aber reizlos abgeheilt. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass eine Therapie mit intravenösem Penicillin über sieben bis zehn Tage, wie sie nach dem Arbeitsunfall erfolgte, als ausreichende Behandlung eines Erysipels gilt.

Zur Ausbildung eines neuen Erysipels kam es im März 1997, d.h. ca. 20 Monate nach dem Arbeitsunfall. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sowohl bei dem stationären Aufenthalt in der Chirurgischen Universitätsklinik L. als auch bei der Begutachtung durch Dr.S. und Prof. Dr.B. , Mazerationen der Zwischenzehenräume beobachtet und dokumentiert wurden, die mit Wahrscheinlichkeit die Eintrittspforte für die bakteriellen Erreger des Erysipels gewesen sind. Dies bedeutet, dass die Erysipele, die nach der abgeheilten Erkrankung auftraten, nicht durch den Arbeitsunfall hervorgerufen wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die beim Kläger vorliegende chronisch venöse Insuffizienz Stadium II, das Lymphödem beidseits und die Adipositas permagna die Entwicklung chronisch rezidivierender Erysipele begünstigen. Es ist daher nicht mit Wahrscheinlichkeit belegt, dass die Wiedererkrankungen ab dem Jahr 1997 auf die 1995 reizlos verheilte Risswunde zurückzuführen sind. Auffällig ist auch, dass der Kläger im Jahr 2002 rezidivierende Erysipelschübe an dem bei dem Unfall vom 03.07.1995 nicht betroffenen rechten Unterschenkel hatte. In der Zusammenschau der Vorgeschichte und der Untersuchungsbefunde von Dr.S. und Prof. Dr.B. ist es also unwahrscheinlich, dass die Erysipele ab 1997 auf den Arbeitsunfall vom 03.07.1995 zurückzuführen sind. Unabhängig davon, dass der Kläger durch die Folgen des Arbeitsunfalls im allgemeinen Erwerbsleben nicht eingeschränkt ist, also eine rentenberechtigende MdE nicht vorliegt, stehen die Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 26.03.1997 - mit Unterbrechungen - bis 10.03.1999 nicht im wesentlich ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 03.07.1995.

Nicht zu folgen ist den Gutachten vom Prof. Dr.B. und Prof. Dr.K ... Die von ihnen beschriebenen pathophysiologischen Vorgänge, die unbestritten sind, sind bereits durch das 1991 dokumentierte Erysipel initiiert worden. Einem Rezidiverysipel liegt meist eine multifaktorelle Genese zugrunde. Chronisch venöse Insuffizienz, Lymphödem und Adipositas per magna tragen insbesondere auch angesichts möglicher Eintrittspforten (Tinea pedum) zu einem erhöhten Risiko für Rezidiverysipele bei. Im Übrigen ist Prof. Dr.B. nicht näher auf die Zehen als Eintrittspforte der bakteriellen Erreger eingegangen.

Das Urteil des SG Würzburg vom 31.10.2002 ist daher insoweit aufzuheben, als es die Gewährung von Verletztengeld zugesprochen hatte. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld für die Zeit ab 1997. Dabei bleibt unberücksichtigt, ob der Kläger faktisch Verletztengeld erhalten hätte. In den streitigen Zeiträumen hatte er nämlich Lohnfortzahlung bzw Arbeitslosengeld bekommen, welche nach § 52 SGB VII auf das Verletztengeld anzurechnen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved