L 6 VG 23/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 3 (7) VG 375/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 VG 23/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.07.2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG -) hat.

Der am 00.00.1992 in N als jugoslawischer Staatsangehöriger geborene Kläger wurde am 00.00.2001 beim Spielen mit Pfeil und Bogen von dem damals 9 ½ jährigen Spielkameraden S B mit einem Holzpfeil ins linke Auge getroffen. Pfeil und Bogen hatte S selbst gebastelt. Der Kläger erlitt eine schwere Verletzung des linken Augapfels mit weitgehendem Verlust der Sehkraft. Zu der Gruppe der spielenden Kinder gehörte auch der Freund des Klägers, der damals neunjährige D B. Hierbei handelt es sich um den Bruder des S. Die Mutter des Klägers erstattete am 21.01.2001 bei der Polizei in I gegen S Strafanzeige wegen gefährlicher schwerer Körperverletzung. Die Polizeidienststelle in I hörte zunächst den Kläger und S an. Die Staatsanwaltschaft E stellte später das Verfahren gegen S B wegen Schuldunfähigkeit ein (Az.: 000).

Am 16.05.2002 beantragte der Kläger, ihm wegen der erlittenen Augenverletzung Versorgung nach dem OEG zu gewähren.

Der Beklagte wertete die in Ablichtung zu den Verwaltungsakten genommenen Ermittlungsakten aus und lehnte mit Bescheid vom 29.05.2002 den Antrag auf Versorgung mit der Begründung ab, ein vorsätzlicher tätlicher Angriff des S sei nicht belegt. Nach den polizeilichen Aussagen sei unklar, ob dieser absichtlich und gezielt geschossen habe oder ob es sich um einen Unglücksfall gehandelt habe, bei dem der in die Luft geschossene Pfeil den aufschauenden Kläger in der Sinkphase des Fluges getroffen und verletzt habe. Zur Begründung des hiergegen am 02.07.2002 eingelegten Widerspruchs reichte der Kläger eine Bescheinigung des behandelnden Augenarztes Dr. Q vom 28.06.2002 ein, wonach der Pfeil von vorne auf das Auge getroffen sei. Hierdurch sei die Aussage des S, der Pfeil habe den Kläger nach einem bogenförmigen Schuss in die Luft getroffen, widerlegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die vorgelegte augenärztliche Bescheinigung sei nicht geeignet, ein vorsätzliches Handeln nachzuweisen. Ein direkter Aufprall des Pfeils von vorne sei auch dann möglich, wenn der im Bogenflug herabfallende Pfeil in das aufschauende Gesicht des Klägers getroffen habe. Zudem habe auch der Kläger bei seiner Vernehmung nicht behauptet, dass S absichtlich und gezielt geschossen habe.

Mit der am 02.12.2002 erhobenen Klage beansprucht der Kläger weiterhin wegen der am Auge erlittenen Verletzungen Versorgung nach dem OEG. Im Wesentlichen hat er vorgetragen, dass nach der Art der Augenverletzung auf einen direkten Schuss aus 3 bis 4 Metern Entfernung auf das Auge zu schließen sei. S habe altersgemäß gewusst, dass er mit einem gezielten Schuss ganz erhebliche Verletzungen bei dem Kläger anrichten konnte, zumal ihn der Kläger zuvor auch darauf hingewiesen habe.

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2003 zu dem Geschehensablauf am 19.01.2001 zunächst den Kläger und weiterhin auch den S B als Zeugen gehört.

Mit Urteil vom 07.07.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs geworden. Ein bedingt vorsätzliches Handeln des S bei dem Pfeilschuss sei nicht bewiesen. Vielmehr habe ein von Leichtsinn und Fahrlässigkeit geprägter Unglücksfall vorgelegen. Nach den Angaben des Klägers und Bekundungen des Zeugen S B stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Pfeilschuss den Kläger in direkter horizontaler Flugbahn am Auge getroffen hätte und dass S den Pfeil auf den Kläger oder auf ein Ziel in unmittelbarer Nähe angelegt habe. Die damit verbundene Gefahr sei den Jungen auch bewusst gewesen. Es sei allerdings nicht ausgeschlossen, dass eine besondere Bewegungsfolge das Gesicht in die Flugbahn des Pfeils gebracht habe und damit eine Trefferwahrscheinlichkeit entstanden sei, mit der S nicht gerechnet habe. Aufgrund der geschilderten Schädigungsgeschehnisse spreche mehr dafür, dass dieser in naiver Leichtfertigkeit auf einen glimpflichen Ausgang des Schusses vertraut habe. Es stehe nicht fest, dass S akzeptierend in Kauf genommen habe, den Kläger schädigend zu treffen. Die Kammer halte es zwar für möglich, eher aber für unwahrscheinlich, dass er den Schuss mit dieser Einstellung abgegeben habe. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass S die von ihm erkannte Gefahr einer Schädigungstat leichtfertig ignoriert bzw. im Sinne einer unverantwortlichen Sorglosigkeit auf einen glimpflichen Ausgang seines Schusses vertraut habe. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sich das schädigende Geschehnis aus einer spielerischen und bewegten Situation heraus entwickelt habe, so dass rationale Überlegungen zurückgedrängt worden seien. Dem Tatgeschehen sei schließlich auch kein Streit vorausgegangen, welcher eine feindselige oder ablehnende Haltung der Jungen zueinander hätte begründen könne. S habe keinen Anlass gehabt, den Kläger schädigen zu wollen.

Gegen dieses ihm am 25.07.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 01.08.2003 eingegangene Berufung des Klägers. Er meint weiterhin, dass er Anspruch auf Versorgung nach dem OEG habe. S B habe bei seiner Vernehmung vor dem Sozialgericht einräumen müssen, dass seine Sachverhaltsschilderung gegenüber der Polizei unrichtig gewesen sei, weil er Angst gehabt habe. Es stehe fest, dass er den Bogen auf den Kläger gerichtet hatte, bevor er den Pfeil los ließ. Ihm sei bewusst gewesen, dass er den Kläger verletzen könne. Es sei ihm klar gewesen, dass er das Auge des Klägers schädigen könne, zumal ihn der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen habe. Seine Angaben, er habe nicht damit gerechnet, den Kläger verletzen zu können, seien als reine Schutzbehauptung zu werten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.07.2003 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.05.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2002 zu verurteilen, ihm Versorgung nach dem OEG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers D B als Zeugen gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.09.2005 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Die Streitakten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG. Der Grundtatbestand des § 1 Abs. 1 OEG ist nicht erfüllt. Das Sozialgericht ist nach sorgfältiger Abwägung der von dem Kläger und dem Zeugen S B geschilderten Geschehnisse zu der zutreffenden Überzeugung gelangt, dass S den Kläger nicht vorsätzlich angegriffen und geschädigt hat. Auch der Senat geht nach eigener Beurteilung der jeweiligen Schilderungen davon aus, dass dieser den Pfeil in sicherlich leichtfertiger, jedoch spielerischer Absicht abgeschossen und er geglaubt hat, der Pfeil würde den Kläger schon nicht treffen. Es steht entgegen der Ansicht des Klägers nicht zweifelsfrei fest, dass S sich im Augenblick des Schusses zumindest über die Möglichkeit, den Kläger zu treffen im Klaren gewesen ist und dieses in Kauf genommen hat. Das Sozialgericht hat Vorsatz, bedingten Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit richtig abgegrenzt und ist unter Berücksichtigung des individuellen Fahrlässigkeitsmaßstabs spielender neunjähriger Kinder zu der Erkenntnis gelangt, dass S allenfalls grob fahrlässig gehandelt hat. Der Senat nimmt auf die Darlegungen des Sozialgerichts Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Die vor dem Senat erfolgte Anhörung des D B hat keine weiteren Gesichtspunkte erbracht, die für ein vorsätzliches Verhalten des Bruders sprechen. Der Zeuge hat ein vorsätzliches Verhalten seines Bruders im Sinne eines gezielten Schusses nicht bestätigt. Er hat nach seinen Bekundungen vielmehr den Eindruck gahabt, dass sein Bruder den Pfeil aus Versehen abgeschossen habe. Diese Beobachtungen lassen ebenfalls auf einen Unglücksfall schließen, der sich beim Spielen in kindlicher Sorglosigkeit, keinesfalls aber vorsätzlich zugetragen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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