L 10 B 8/03 KA ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 33 KA 9/03 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 8/03 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.01.2003 abgeändert.
Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 33 KA 10/03 anhängigen Klage gegen den Beschluss des Disziplinarausschusses bei der Antragsgegnerin vom 18.12.2002 wird für die Zeit vom 01.02.2003 bis zum 31.05.2003 angeordnet.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat 1/3 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin für das Verfahren S 33 KA 9/03 KA ER und das Beschwerdeverfahren zu tragen.
Die Antragsgegnerin hat 2/3 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Verfahren S 33 KA 9/03 KA ER und das Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe:

Die statthafte und im übrigen zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht entscheidet nach Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86 b Rdn. 12). Hiernach ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Adressaten überwiegt. Anderenfalls verbleibt es beim Ausschluß der aufschiebenden Wirkung. Abzuwägen sind dabei die Folgen, die eintreten würden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet wird und der Rechtsbehelf letztlich doch keinen Erfolg hätte gegenüber den Nachteilen, die entstehen, wenn die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet wird und der Rechtsbehelf letztlich Erfolg hätte. In die Abwägung ist auch einzubeziehen, ob und inwieweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung irreparable Folgen hat. Ferner sind die mit dem Gesetz verfolgten Ziele einzubeziehen und mit den Interessen des Betroffenen abzuwägen (vgl. Meyer-Ladewig aaO § 86 a Rdn. 20). Schließlich sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, kann dies für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen (vgl. auch § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG). An der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte besteht kein öffentliches Interesse; vielmehr überwiegt dann das Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung. Anderseits liegt ein überwiegendes öffentliches Interesse am Ausschluß der aufschiebenden Wirkung dann vor, wenn der angefochtene Verwaltungsakt ersichtlich rechtmäßig ist (Senatsbeschluß vom 15.01.2003 - L 10 B 22/02 KA ER -; vgl. auch Begründung zum 6. SGG-ÄndG BT-Drucks. 14/5943 zu Nr. 34). Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich: Die Antragsgegnerin hat durch den bei ihr eingerichteten Disziplinarausschuß (im Folgenden: Antragsgegnerin) mit Beschluss vom 18.12.2002 das Ruhen der Zulassung des Antragstellers wegen Verletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten durch fortwährende Verstöße gegen das Gebot der wirtschaftlichen Leistungserbringung während der Quartale III/OO bis III/02 für die Zeit von 6 Monaten vom 01.02.2003 bis 31.07.2003 angeordnet. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Ruhensverfügung angeordnet. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG darf die sofortige Vollziehung nur mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung angeordnet werden. Das öffentliche Interesse an sofortiger Vollziehung ist mehr als das für den Erlaß des Verwaltungsaktes erforderliche Interesse. Notwendig ist ein zusätzliches öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug, so dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlaß des Verwaltungsaktes nicht zur Begründung der Anordnung der Vollziehung ausreichen (Meyer-Ladewig, § 86a Rdn. 20; Düring, Berliner Kommentar, SGG, 1. Auflage 2003, § 86a Rdn. 3; Kopp, VwGO, 12. Auflage, § 80 Rdn. 84 ff). Auf dieser Grundlage ist das Sozialgericht (SG) zum Ergebnis gelangt, dass die Antragsgegnerin kein besonderes öffentliches Interesse dargelegt habe. Die Antragsgegnerin habe den Sofortvollzug allein damit begründet, dass angesichts eines über Jahre fortgesetzten unwirtschaftlichen Verhaltens damit zu rechnen sei, dass dies auch in Zukunft geschehen werde, wenn dem Antragsteller nicht durch den sofortigen Vollzug der Ruhensanordnung die Pflichtwidrigkeit eindringlich vor Augen gehalten werde. Damit sei nur die Frage angesprochen, welche Disziplinar-maßnahme geboten sei, nicht jedoch die Frage des für die Anordnung des Sofortvollzugs erforderlichen besonderen öffentlichen Interesses.

Diese Erwägungen rechtfertigen es zur Überzeugung des Senats nicht, den Sofortvollzug in vollem Umfang aufzuheben. Denn einer gesonderten Begründung bedarf es nicht, wenn sich bereits aus der Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsaktes die besondere Dringlichkeit ergibt und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung klar und erkennbar ist (Kopp aaO § 80 Rdn. 86 m.w.N.; Meyer-Ladewig aaO § 86 a Rdn. 21 m.w.N.). So liegt es hier. Ausweislich des Beschlusses vom 18.12.2002 sind seit dem Quartal 111/1993 regelmäßig Unwirtschaftlichkeiten festgestellt und Honorarkürzungen ausgesprochen worden. Sämtliche Kürzungsbescheide seit jedenfalls IV/1997 sind bestandskräftig geworden. Ein Beratungsgespräch mit Hinweis auf disziplinarische Maßnahmen hat die Antragsgegnerin am 28.10.1999 mit dem Antragsteller geführt. Darüber hinaus ist dem Antragsteller in den Kürzungsbescheiden mitgeteilt worden, dass fortgesetzte Unwirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise zu disziplinarischen Maßnahmen führen könne. Die Antragsgegnerin (Disziplinarausschuß) hat u.a. hieraus hergeleitet, dass der Antragsteller vorsätzlich Vertragspflichten verletzt habe und es trotz der Mahnungen auf die Kürzungen habe ankommen lassen, um sich den Vorteil der überhöhten Abrechnung zunächst zu verschaffen. Selbst den Entziehungsbeschluß vom 18.02.1998 habe der Antragsteller sich nicht zur Warnung dienen lassen und seine bisherige unwirtschaftliche Verhaltensweise fortgeführt. Hieraus hat die Antragsgegnerin hergeleitet, dass der Antragsteller fortlaufend vorsätzlich gegen Vertragspflichten verstoßen hat und seine bisherige Verhaltensweise ohne Disziplinarmaßnahme fortsetzen wird. Dann aber ist es nicht nur folgerichtig sondern nahezu geboten, wenn die Antragsgegnerin mittels Anordnung des Sofortvollzugs als ultima ratio versucht, den Antragsteller eindringlich darauf hinzuweisen, dass er seine Pflichten nunmehr umgehend einzuhalten hat. Diese Erwägungen finden sich in der Begründung des Sofortvollzugs wieder. Die Begründung ist zwar denkbar knapp gefasst, sie beschränkt sich jedoch nicht auf eine schlichte Wiedergabe des Gesetzestextes. Namentlich enthält sie Erwägungen, die über die Voraussetzungen für die Ruhensanordnung als solche hinausgehen und damit im Zusammenhang mit den Ausführungen unter III a.E. des Beschlusses vom 18.12.2002 die Anordnung des Sofortvollzugs tragen und auch als noch hinreichende Begründung anzusehen sind.

Dennoch begrenzt der Senat den Sofortvollzug auf die Zeit vom 01.06.2003 bis 31.07.2003. Dem liegt zugrunde: Der Ruhensbeschluß ist am 18.12.2002 in Gegenwart des Bevollmächtigten des Antragstellers verkündet worden. Dem Antragsteller wären damit knapp sechs Wochen verblieben, um seine Patienten und die organisatorischen Praxisabläufe auf die am 01.02.2003 beginnende Ruhenszeit einzustellen. Wird auf den Zugang des Beschlusses am 16.01.2003 bei den Bevollmächtigten des Antragstellers abgestellt, verbleiben gar nur zwei Wochen bis zum Beginn des Ruhenszeitraums. Beides sieht der Senat als nicht zumutbar an. Den (behaupteten) jahrelangen Pflichtenverstößen des Antragstellers hätte bereits früher nachgegangen werden müssen. Daß diese über einen langen Zeitraum faktisch geduldet worden sind, ist schwer nachvollziehbar. Werden die disziplinarrechtlichen Instrumentarien indes - wie hier - dennoch zeitverzögert eingesetzt, besteht kein Anlaß, dem pflichtwidrig handelnden Vertragsarzt die Möglichkeit zu nehmen, seine Praxis mit angemessenem zeitlichen Vorlauf auf das Ruhen einzustellen. Soweit dem Antragsteller mit Zugang dieses Beschlusses gleichermaßen nur ca. 6 Wochen bis zum Eintritt des Ruhens der Zulassung verbleiben, ist dies hinnehmbar. Denn der Antragsteller konnte jedenfalls seit Bekanntgabe des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 18.12.2002 nicht mehr darauf vertrauen, dass der angeordnete Sofortvollzug aufgehoben wird. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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