L 19 R 127/05 SK ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 R 630/02 SK
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 127/05 SK ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.01.2005 - Az.: S 8 R 630/02 SK - wird bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt (§ 199 Abs.2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat mit Urteil vom 12.01.2005 die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.05.2004 zu gewähren. Das SG stützt seine Entscheidung in erster Linie auf die von ihm bei der Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen Dr. T. und dem Neurologen, Psychiater und Psychotherapeuten Dr.H. eingeholte Gutachten. Obwohl diese Sachverständigen die Klägerin noch für fähig erachteten, leichte Arbeiten mehr als 6 Stunden täglich zu verrichten, kam das SG zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit dem ihr verbliebenen körperlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sei, zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Die Klägerin habe bei vernünftiger Betrachtung mit ihrem eingeschränkten Leistungsvermögen keine reelle Chance, einen Arbeitsplatz zu erhalten.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 18.02.2005 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt, die allein auf Grund der Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes getroffene Entscheidung des SG könne nicht schlüssig nachvollzogen werden. Diese Beeinträchtigung rechtfertige nicht die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, da eine schwere spezifische Leistungsbehinderung damit nicht verbunden sei.

Mit der Berufungseinlegung beantragt die Beklagte auch, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil auszusetzen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, den Antrag der Beklagten zurückzuweisen. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des SG bestünden nicht.

Nach § 154 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Keine aufschiebende Wirkung tritt dagegen kraft Gesetzes für die Zeit nach Erlass des Urteils ein, wenn ein Versicherungsträger verurteilt wurde, dem Versicherten eine Rente zu zahlen. Der Versicherungsträger ist daher verpflichtet, die sog. "Urteilsrente" einzuweisen, die der Versicherte aber wieder zu erstatten hat, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in einem evenutellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.

Auf Antrag oder von Amts wegen kann jedoch der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats des Landessozialgerichts gemäß § 199 Abs 2 SGG durch einstweilige Anordnung die Voll- streckung aus dem Urteil aussetzen - soweit die Berufung gemäß § 154 Abs 2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) soll eine Aussetzung allerdings nur dann erfolgen, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSG 12, 138; 33, 118, 121). Nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist der Auffassung des BSG nicht uneingeschränkt zu folgen und eine Aussetzung der Vollstreckung auch dann anzuordnen, wenn es nur überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Leistungsträger mit seinem Rechtsmittel jedenfalls in wesentlichem Umfang Erfolg haben wird (s. Niesel, der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, Rdnr 400; Meyer-Ladewig, SGG, 7.Auflage, § 199, Rdnrn 8 und 8a mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob in der Zwischenzeit geleistete Beträge nach Aufhebung des Urteils dann eingetrieben werden können. Das Interesse des Leistungsträgers an der Rüccerstattung der Leistung ist umso höher zu bewerten, je größer die Erfolgsaussichten der Berufung des Leistungsträgers einzuschätzen sind. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass insbesondere dann, wenn in absehbarer Zeit ein Anspruch auf Altersrente entsteht, der Versicherungsträger nach § 51 Abs 2 SGB I aufrechnen kann bzw. sonst nach § 52 SGB I eventuell einen anderen Leistungsträger mit der Verrechnung beauftragen kann.

Vorliegend scheint es überwiegend wahrscheinlich, dass die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel jedenfalls in wesentlichem Umfang Erfolg haben wird. Nach den Feststellungen der vom SG gehörten Gutachterin Dr.T. kann die Klägerin mehr als 6 Stunden täglich zumindestens leichte Arbeiten in wechselnder Stellung in geschlossenen Räumen verrichten. Dabei müssen Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems und Tätigkeiten unter ungünstigen äußeren Bedingungen vermieden werden. Zudem ist die Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes eingeschränkt. Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG gehörte Dr.H. beurteilt die Klägerin sogar für mittelschwere Arbeiten leistungsfähig. Hinsichtlich der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes machte Dr.H. keine Ausführungen.

Nach § 43 Abs SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Nach Auffassung des SG ist die Klägerin wegen der Auswirkungen der bei ihr festgestellten Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage, zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG lässt das Leistungsvermögen eines Versicherten eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes möglicherweise dann nicht zu, wenn wegen der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkung bzw wegen schwerer spezifischer Leistungsbehinderung keine Arbeitsstellen zur Verfügung stehen. In solchen Fällen muss der Leistungsträger konkret einen geeigneten Arbeitsplatz benennen. Die bei der Klägerin vorliegenden Leistungsstörungen scheinen auch in ihrer Kombination keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen darzustellen und die von Dr.T. angenommene Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes kann nicht als so schwere spezifische Leistungsbehinderung eingestuft werden, dass deshalb unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes keine Erwerbstätigkeit möglich wäre.

Unter diesen Umständen besteht unter Abwägung einerseits des Interesses der Klägerin an der Vollstreckung des Urteils und andererseits des Interesses der Beklagten daran, vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage nicht leisten zu müssen, Anlass die Vollstreckung aus dem mit der Berufung angefochtenen Urteil des SG Würzburg auszusetzen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs 4 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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